Veranstaltung: | 1. Bundesfrauenrat 2020 - Digital |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 4 Pflege, Care und Daseinsvorsorge – in und nach der Coronakrise |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Bundesfrauenrat |
Beschlossen am: | 09.05.2020 |
Eingereicht: | 24.06.2020, 08:14 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Who cares? We do! - Pflege, Care und Daseinsvorsorge - während und nach Corona
Beschlusstext
Pfleger*innen, Erzieher*innen, Hebammen, Menschen, die in Care-Berufen arbeiten, sind das
Rückgrat unserer Gesellschaft. Wir vertrauen ihnen unsere Kinder oder Eltern an und
verlassen uns selbst auf sie, wenn wir in Notlagen geraten. Gerade während der Corona-Krise
zeigt sich noch deutlicher als zuvor, wie grundlegend ihre Arbeit für unsere Gesundheit,
unser Zusammenleben und die Krisenfestigkeit unserer Gesellschaft ist.
Es sind mehrheitlich Frauen, die gerade in den systemrelevanten Berufen arbeiten. Allein in
der Pflege machen sie 80% der Beschäftigten aus. Ihre Verantwortung ist groß, doch ihre
Löhne und ihre Arbeitsbedingungen sind meistens schlecht. Besonders hart trifft es viele
Frauen, die aus osteuropäischen Ländern kommen und in Deutschland unter schlechtesten
Bedingungen als Pflegehelferinnen ausgebeutet werden. Überlastung, Zeitdruck und schlechte
Bezahlung, sind im Care-Berufen im Allgemeinen und im Pflegebereich im Besonderen schon
lange an der Tagesordnung. Das ist kein Zufall. Denn viel zu oft wird es immer noch als
selbstverständlich vorausgesetzt, dass Frauen sich, unbezahlt im Privaten oder unterbezahlt
in Care-Berufen, kümmern. Die Corona-Krise deckt ungerechte Geschlechterverhältnisse mit
neuer Wucht auf. Und sie zeigt, wie sehr wir uns als gesamte Gesellschaft schaden, wenn wir
die Arbeit von Frauen nicht anerkennen.
Das wird auch immer mehr Menschen bewusst. Die Wertschätzung gerade gegenüber Beschäftigten
im Gesundheitsbereich ist so groß, wie selten zuvor. Doch dabei dürfen wir nicht stehen
bleiben. Denn von Dankbarkeit kann man keine Miete zahlen. Und auch in der Krise werden
Pfleger*innen noch nicht ausreichend unterstützt. Denn trotz vieler warmer Worte bleiben zum
Beispiel Lohnzuschüsse auf Bundesebene bisher aus, während zugleich die Personaluntergrenzen
aufgehoben und der 12-Stunden-Tag eingeführt wurde. Der Schutz und die Unterstützung von
Pfleger*innen muss jetzt gewährleistet werden.
Deshalb fordern wir:
Pflegekräfte in Krankenhäusern, stationären Pflegeeinrichtungen und von ambulanten
Pflegediensten müssen ausreichend mit Schutzausrüstung ausgestattet werden. Außerdem
ist das Pflegepersonal, ebenso wie das übrige Personal im Gesundheitswesen mit
direktem Patientenkontakt, bei der Testung auf Covid-19 prioritär zu behandeln.
Eine bundesweite Prämie in Höhe von 1500 € sowie einen Entschädigungsfonds für
Pfleger*innen und andere hochbelastete Berufsgruppen in Pflegeeinrichtungen, der
ambulanten Pflege sowie in Krankenhäusern, die während der Krise Unfassbares leiten
und teilweise sogar ihre Gesundheit riskieren.
Das Personal in den Intensivstationen muss schnell aufgestockt werden. Dafür müssen
auch Menschen, die eine Ausbildung in der Pflege haben, aber mittlerweile in anderen
Berufen arbeiten, die Möglichkeit bekommen, für den Zeitraum der Krise in ihre alten
Berufe zurück zu kehren. Dafür soll auf Landes- oder Kommunalebene eine zentrale
Koordinierung eingerichtet werden.
Doch wir müssen auch über die Krise hinaus denken. In der Pflege halten Überlastung und
Ausbeutung nicht erst durch Corona Einzug. Die Corona-Krise wirft die Frage nach dem Wert
von Arbeit neu auf. Systemrelevante Berufe sind vor allem eins - unterbezahlt. Nach der
Krise dürfen wir nicht zu einer Normalität zurückkehren, die selbst bereits ein
Ausnahmezustand war. Und wir müssen die Finanzierung unseres Gesundheitswesens auf sichere
Füße stellen, denn ein Gesundheitssystem, das auf Kante genäht ist, statt sich an
menschlichen Bedürfnissen zu orientieren, können und sollten wir uns als Gesellschaft nicht
leisten. Unsere Dankbarkeit für den hohen Einsatz während dieser Krise geht mit dem
Versprechen einher: Wir werden das nicht vergessen und bessere Löhne und gute
Arbeitsbedingungen in systemrelevanten Berufen zur politischen Priorität machen.
Deshalb fordern wir:
Mehr Personal: Keine unterbesetzten Schichten mehr! Wir brauchen gut finanzierte
Sofortprogramme für stationäre und ambulante Alten- sowie Krankenhauspflege zur
Finanzierung einer notwendigen Stellenaufstockung. Um mehr Fachkräfte zu gewinnen,
soll ein Weiterbildungsgeld eingeführt werden, das 200 Euro höher ist als das
individuelle Arbeitslosengeld.
Bessere Arbeitsbedingungen: Mehr Personal und ein Ende des Pflegenotstands wird es
aber nur mit besseren Arbeitsbedingungen geben. Durch verbindliche Pflegeschlüssel
verhindern wir Überlastung und schaffen genug Zeit für die Arbeit.
Bessere Bezahlung: Bessere Arbeitsbedingungen und ein attraktiverer Beruf, das heißt
auch, mehr Lohn. Wir fordern branchenweit allgemein verbindliche Tarifverträge für
soziale Berufe. Sollte das trotz laufender Verhandlungen nicht erreicht werden, müssen
gesetzliche Maßnahmen ergriffen werden. So sollte in einem nächste Schritt die soziale
Pflegeversicherung dazu verpflichtet werden, nur mit Arbeitgebern Verträge zu
schließen, die tariflich bezahlen.
Mehr Mitbestimmung: Pflegekräfte brauchen bessere Mitspracherechte im Pflege- und
Gesundheitssystem und unmittelbaren Zugang zu pflegepolitischen Prozessen. Deshalb
wollen wir Pflegekammern in den Ländern und auf Bundesebene einführen. Zudem soll die
Pflege fest in Teams von Krankenhausleitungen verankert werden.
- Mehr Teilhabe: Die Digitalisierung macht auch vor sozialen Berufen nicht halt. Daher
fordern wir bundesweite Förderprogramme für eine flächendeckende Digitalisierung in
Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern. Damit soll Pflegekräften mehr Zeit für die
Arbeit und den Kontakt mit den Menschen ermöglicht - nicht Personal eingespart werden.
- Mehr Schutz: Geflüchtete, die in der Pflege arbeiten oder eine entsprechende
Ausbildung machen, sollen eine reguläre Aufenthaltsgenehmigung erhalten.
- Mehr Zeit: Beschäftigte müssen eine gesetzlich garantierte Mitsprache über den Umfang
und die Einteilung ihrer Arbeitszeit erhalten, damit die Arbeit gut in ihr Leben
passt. Die Regelarbeitszeit wollen wir in sozialen Berufen auf 35 Stunden als neue
Vollzeit verkürzen. Zudem sollen Beschäftigte ein Recht auf Arbeitszeitverkürzung
bekommen.
Beschäftigte in Care-Berufen halten mit Wissen, Kompetenz und Empathie jeden Tag unsere
Gesellschaft zusammen. Wir müssen jetzt die Voraussetzungen schaffen, damit Menschen diesem
Beruf langfristig mit Freude nachgehen wollen – und können. Dankbarkeit alleine reicht
nicht. Gemeinsam kämpfen wir für mehr Anerkennung, höhere Löhne und bessere
Arbeitsbedingungen. Who cares? We do!