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44. Bundesdelegiertenkonferenz Bielefeld
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  1. 44 BDK Bielefeld
  2. WKF-10 (ehm V-29)NEU

Klimakrise: eine Frage globaler Gerechtigkeit

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Veranstaltung:44. Bundesdelegiertenkonferenz Bielefeld
Tagesordnungspunkt:WKF Wirtschaft, Klima, Finanzen
Status:Beschluss (vorläufig)
Beschluss durch:Bundesdelegiertenkonferenz
Beschlossen am:17.11.2019
Basierend auf:WKF-10 (ehm V-29): Klimakrise: eine Frage globaler Gerechtigkeit
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Beschlusstext

    Die Klimakrise führt zu einschneidenden Veränderungen in der Welt – schon heute. Für
    Millionen von Menschen weltweit ist die Erderwärmung längst kein theoretisches Phänomen
    mehr. Tagtäglich erleben sie die Zerstörung ihrer Gegenwart. Klimakrise bedeutet für sie
    Wüstenbildung, Ernteverlust, Versalzung der Böden, Wasserknappheit, Überschwemmung oder
    Hitzewelle. Extreme Wetterereignisse nehmen zu, Ökosysteme und Lebensgrundlagen werden
    zerstört, Hunger und Armut verschärft.

      Klimakrise, das ist aber auch der unermessliche Verlust von sicherem Zuhause, von Heimat,
      von jahrtausendealten Kulturgütern. Die Zahl der Vertriebenen durch klimabedingte Ereignisse
      hat sich seit den 70er-Jahren vervierfacht. Heute werden innerstaatlich mehr Menschen durch
      umweltbedingte Katastrophen wie Fluten und Stürme als durch Gewalt und Konflikte vertrieben.
      Das Internal Displacement Monitoring Centre geht in der Zeit von 2008 bis 2017 von
      durchschnittlich mehr als 24 Millionen erstmals Vertriebenen pro Jahr aus. Tendenz:
      steigend.

        Mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens im Jahr 2015 und der Verabschiedung des
        Regelbuches in Kattowitz hat die Staatengemeinschaft die Klimakrise als gemeinsame, globale
        Herausforderung anerkannt und sich darauf verständigt, die Erderwärmung auf unter zwei Grad
        Celsius und möglichst unter 1,5 Grad Celsius bis 2100 zu beschränken. Expert*innen zufolge
        befinden wir uns momentan auf dem Weg hin zu einer Erderwärmung von mindestens 3,2 Grad
        gegenüber vorindustrieller Zeit. Zahlreiche Schätzungen liegen deutlich höher. Bereits zwei
        Grad Erderwärmung würden derweil ausreichen, um ganze Staaten wie das im Pazifik liegende
        Tuvalu komplett verschwinden zu lassen.

          Als – historisch wie aktuell – Hauptmitverursacher der Erderwärmung und als weltweit
          einflussreiche Multiplikatoren kommt es vor diesem Hintergrund ganz entscheidend auf
          Deutschland und die Europäische Union an. Die eigene, ambitionierte Umsetzung des Pariser
          Klimaabkommens und der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung müssen oberste Priorität
          erlangen. Wir müssen mit bestem Beispiel vorangehen, internationaler Vorreiter im
          Klimaschutz werden und die globale Nachhaltigkeitsagenda spürbar beschleunigen. Das jüngst
          verabschiedete, völlig unzureichende „Klimapaket“ und der erschreckende Mangel greifbarer
          Ergebnisse im Rahmen des letzten High Level Political Forum zur Umsetzung der nachhaltigen
          Entwicklungsziele haben erneut gezeigt: Die aktuelle Bundesregierung wird dem nicht
          ansatzweise gerecht.

            Dabei wird das Zeitfenster, in dem wir noch gegensteuern können, um die schlimmsten Folgen
            der Klimakrise abzumildern, bedrohlich klein. Wir bleiben deshalb dabei: Deutschland muss
            eine umfassende Kehrtwende in allen Sektoren einleiten, ein besonderes Augenmerk auf
            Politikkohärenz und strukturelle Reformen legen – und auf den Kurs zur Einhaltung der
            Pariser Klimaziele und der Nachhaltigkeitsziele einlenken.

              Selbst im besten Fall aber – wenn also die Emissionen drastisch reduziert werden sollten –
              werden weiterhin und vermehrt Menschen im Kontext der Klimakrise ihr bisheriges Zuhause
              verlassen müssen, um überleben zu können. Entsprechend ist und bleibt es zwar
              selbstverständlich unsere Priorität, die Klimakrise mit allen Mitteln einzudämmen und dafür
              zu sorgen, dass möglichst wenige Menschen ihre bisherige Heimat überhaupt verlassen müssen.
              Letzten Endes ist es aber auch unsere Aufgabe und Verantwortung als Industriestaaten, eine
              Antwort auf die Phänomene klimabedingter Migration und Flucht zu geben.

                Global gerecht handeln, Menschenrechte schützen

                  In vielfacher Hinsicht ist die Klimakrise eine Krise der globalen Gerechtigkeit: Während
                  sich auch bei uns die extremen Wetterereignisse verdichten, trifft die Klimakrise in erster
                  Linie den globalen Süden – und damit just jene Regionen dieses Planeten, die historisch
                  betrachtet am wenigsten zur Erderwärmung beigetragen haben. In den betroffenen Regionen
                  wiederum sind besonders jene betroffen, deren Existenz auf natürlichen Ressourcen beruht und
                  die die geringsten Möglichkeiten haben, sich vor Naturgefahren zu schützen oder auf
                  klimatische Veränderungen zu reagieren: Frauen, Kinder, Minderheiten.

                    Dabei wirkt die Klimakrise nicht nur unmittelbar auf die Lebensrealität vor Ort ein, sondern
                    verschärft bereits bestehende Probleme zum Teil erheblich. Konflikte um immer knappere
                    Ressourcen nehmen zu. Elementare Menschenrechte wie das Recht auf Nahrung, Wasser, Wohnen,
                    Bildung, Gesundheit, eine saubere Umwelt und ein Leben in Würde – Menschenrechte also, die
                    im globalen Süden ohnehin unter besonderem Druck stehen – werden infolge der Klimakrise
                    zunehmend verletzt.

                      Der klimapolitische Stillstand der Industrienationen ist somit auch deshalb nicht weiter
                      hinnehmbar, da der Status Quo zu einer steten Verletzung universeller Menschenrechte in
                      anderen Teilen der Welt führt. Im Umkehrschluss sind die konsequente, gender-responsive und
                      inklusive Umsetzung des Pariser Klimaabkommens und der Agenda 2030 für nachhaltige
                      Entwicklung nicht nur klima- oder entwicklungspolitisch geboten – sondern Ausdruck
                      historischer Verantwortung, globaler Gerechtigkeit und des Menschenrechtsschutzes zugleich.

                        Mit dem Pariser Klimaabkommen haben wir uns dem Ziel der Klimagerechtigkeit verpflichtet.
                        Auf Grundlage „gemeinsamer, aber unterschiedlicher Verantwortlichkeiten“ wurde vereinbart,
                        dass Länder mit großem ökologischem Fußabdruck entsprechend Verantwortung übernehmen und mit
                        den Ländern des globalen Südens nach gemeinsamen Lösungen suchen. Die konsequente
                        Implementierung der vereinbarten Maßnahmen ist also bei Weitem kein Almosen. Vielmehr stehen
                        wir – historisch, aber auch vertraglich – in der Verantwortung für Weltzusammenhänge, die
                        wir mitverursacht haben und weiterhin mit verursachen.

                          Das bedeutet dann auch, aktiv die Einhaltung und den Schutz der Menschenrechte einzufordern
                          und zu verteidigen. Beides nämlich – der Schutz der Menschenrechte und der Einsatz gegen die
                          Klimakrise – sind zwei Seiten derselben Medaille, führt die Klimakrise doch ebenso zu
                          Menschenrechtsverletzungen wie letztere die Anpassung an die Klimakrise erschweren. Die
                          Kriminalisierung von Menschen- und nicht zuletzt Frauenrechtsverteidiger*innen weltweit
                          erfordert eine gleichsam deutliche und spürbare Reaktion der internationalen
                          Staatengemeinschaft wie die systematische Verfolgung der derzeit besonders gefährdeten
                          Landrechts- und Umweltaktivist*innen.

                            Natürlicherweise kommt vor diesem Hintergrund dem UN-Menschenrechtsrat sowie bestehenden UN-
                            Sonderberichterstatter*innen – für Umwelt und Menschenrechte, für die Menschenrechte von
                            Migrant*innen, für die Menschenrechte von Binnenvertriebenen – eine entscheidende Rolle zu.
                            Wir setzen uns dafür ein, dass Menschenrechtsverstöße im Kontext der Klimakrise nicht
                            zuletzt auf UN-Ebene noch sehr viel stärker in den Fokus rücken, genauer klassifiziert und
                            menschenrechtliche Entwicklungen im Kontext klimabedingter Migration und Flucht gezielter
                            beobachtet werden.

                              Zugleich setzen wir uns für eine völkerrechtliche Verankerung der UN-Leitprinzipien für
                              Wirtschaft und Menschenrechte ein. Der bisherige Ansatz, auf unternehmerische
                              Selbstverpflichtung zu setzen, ist gescheitert. Eine wirksame Ausrichtung globaler
                              Produktions- und Lieferprozesse auf die strikte Einhaltung der völkerrechtlich verbrieften
                              Menschenrechte – inklusive der Menschenrechte dritter Generation, insbesondere des Rechts
                              auf eine saubere Umwelt – setzt ein verbindliches UN-Rahmenwerk voraus. Vor diesem
                              Hintergrund bietet insbesondere der Binding-Treaty-Prozess auf Ebene der Vereinten Nationen
                              die konkrete Chance, ein globales und rechtsverbindliches Abkommen zu erreichen. Diesen
                              Prozess wollen wir unterstützen.

                                Resilienzaufbau und Anpassungsmaßnahmen verstärken, Schäden und Verluste kompensieren

                                  Mit dem Pariser Klimaabkommen und der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung haben sich
                                  Deutschland und andere Industrienationen dazu verpflichtet, die Gefahren für die
                                  verletzlichsten Menschen abzuwenden und deren Widerstandskraft gegen die Erderwärmung
                                  stärken zu helfen. Das bedeutet, von der Klimakrise besonders betroffene Länder technisch
                                  wie finanziell zu unterstützen und sie nicht mit den Folgen der Erderwärmung allein zu
                                  lassen. Deutschland und die Europäische Union sollten sich international dafür stark machen,
                                  dass den vom Klimawandel betroffenen Menschen in ihren Heimatländern eine umfangreiche
                                  internationale Unterstützung zur Anpassung an den Klimawandel und eine gerechte Kompensation
                                  für entstandene Schäden zukommt.

                                    Die für die internationale Klimafinanzierung von den Industrieländern in Kopenhagen
                                    zugesagten 100 Milliarden US-Dollar jährlich ab 2020 decken nicht annähernd die bestehenden
                                    und zu erwartenden Bedarfe – umso mehr, als ausdrücklich nur Klimaschutz- und
                                    Anpassungsmaßnahmen inbegriffen sind, der Ausgleich von Schäden und Verlusten (Loss and
                                    Damage
                                    ) aber nicht. Wir setzen uns dafür ein, dass die 100 Milliarden US-Dollar nicht nur
                                    sichergestellt, sondern aufgestockt werden, explizit auch für Maßnahmen zur Prävention und
                                    Reduktion klimabedingter Vertreibung. Den deutschen Beitrag zur internationalen
                                    Klimafinanzierung wollen wir dabei gemäß Verursacherprinzip auf den fairen Anteil von rund
                                    zehn Prozent anheben und aus öffentlichen Mitteln erbringen, mit denen dann auch weitere
                                    private Mittel mobilisiert werden können. Vor diesem Hintergrund plädieren wir dafür, die
                                    Ausgaben für internationale Klimafinanzierung um jährlich 800 Millionen Euro sowie die
                                    weiteren Ausgaben für offizielle Entwicklungszusammenarbeit (ODA) um jährlich 1,2 Milliarden
                                    Euro zu erhöhen, bis das jahrzehntealte Versprechen, mindestens 0,7 Prozent der
                                    Wirtschaftsleistung für globale Entwicklung auszugeben, endlich erfüllt ist. Danach wollen
                                    wir die Klimagelder weiter anwachsen lassen mit dem Ziel, die Zusätzlichkeit der Zusagen zur
                                    internationalen Klimafinanzierung gegenüber dem 0,7-Prozent-Ziel mittelfristig
                                    sicherzustellen. Wir richten diese Gelder strikt an den nachhaltigen Entwicklungszielen der
                                    Vereinten Nationen aus.

                                      Zum Ausgleich von Schäden und Verlusten – zum Beispiel auch bei Umsiedlungen im Rahmen
                                      klimabedingter Migrationsbewegungen – unterstützen wir die Idee eines globalen
                                      Verursacherfonds zur fairen Lastenverteilung. Vorschläge einschlägiger Expert*innen zu
                                      dessen teilweisen Finanzierung reichen von einer Climate Damages Tax über eine international
                                      erhobene Abgabe auf Flugtickets bis hin zum anteiligen Ertrag aus Steuern auf CO2,
                                      Finanztransaktionen oder Vermögen. Entsprechende Debatten gehen nur schleppend voran; auch
                                      die Bundesregierung agiert, gemessen an der tatsächlichen Dringlichkeit, sträflich
                                      zurückhaltend. Das wollen wir ändern. Wir wollen, dass sich Deutschland proaktiv an einer
                                      zielgerichteten Debatte über die Einrichtung eines globalen Verursacherfonds, über dessen
                                      Ausmaß, über eine Beitragsgewichtung gemäß Verursacherprinzip sowie über mögliche
                                      Finanzierungsinstrumente beteiligt. Spürbarer Fortschritt auf diesem komplexen Gebiet ist
                                      überfällig und dürfte entscheidend sein für die Frage, ob wir es als internationale
                                      Staatengemeinschaft schaffen, die Erderwärmung nicht nur drastisch einzudämmen, sondern
                                      unsere globale Antwort auf die Klimakrise solidarisch und gerecht auszugestalten.

                                        Ebenso wird es darauf ankommen, effektiven Rechtsschutz für diejenigen zu ermöglichen, die
                                        durch die Folgen der Klimakrise konkrete Schäden und Verluste erleiden – insbesondere,
                                        solange die Verursacherstaaten selbst keine ausreichenden finanziellen Mittel für den Umgang
                                        mit Loss and Damage zur Verfügung stellen. Deshalb setzen wir uns für die Stärkung des
                                        Rechtswegs und des Instruments der Klimaklagen ein. Auch wollen wir die Debatte um
                                        Klimarisikoversicherungen aktiv vorantreiben und dazu beitragen, diese gemäß
                                        Verursacherprinzip auszugestalten und in ein breiteres Konzept zur Risikominimierung
                                        einzubetten.

                                          Schließlich wollen wir im Rahmen von Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe
                                          gezielt Risikoregionen auf klimatische Veränderungen und den Katastrophenfall vorbereiten
                                          helfen. Unter anderem wollen wir in Frühwarnsysteme investieren und Partnerländer dabei
                                          unterstützen, die Schaffung eines erhöhten Bewusstseins für umwelt- und klimapolitische
                                          Belange im Bildungs- und Ausbildungswesen voranzutreiben. Außerdem setzen wir uns dafür ein,
                                          dass Maßnahmen zur Risikominderung in den jeweiligen nationalen Systemen verankert und mit
                                          wirksamen Rechtsvorschriften untermauert werden.

                                            Migration, Flucht und Vertreibung im Kontext der Klimakrise

                                              Selbst, wenn wir es schaffen sollten, die Ziele von Paris vollumfänglich einzuhalten, bleibt
                                              die Erderwärmung eine Realität. Menschen werden gezwungen sein, umzusiedeln – weil ihr Boden
                                              vertrocknet, weil durch den steigenden Meeresspiegel ihre Häuser unterspült werden, weil der
                                              nahegelegene Staudamm unter der Last der schmelzenden Gletscher zu bersten droht. Die
                                              Internationale Organisation für Migration (IOM) definiert klimabedingte Migrant*innen vor
                                              diesem Hintergrund als „Personen oder Personengruppe, die aufgrund plötzlicher oder
                                              fortschreitender deutlicher Veränderungen der ihr Leben beeinflussenden Umwelt- und
                                              Lebensbedingungen gezwungen sind oder sich veranlasst sehen, ihre Heimat zu verlassen, sei
                                              es zeitweise oder permanent, und die sich innerhalb ihres Heimatlandes oder über dessen
                                              Grenzen hinaus bewegen“.

                                                Wie viele Menschen letztlich betroffen sein werden, ist schwer zu erfassen. Aktuelle
                                                Schätzungen variieren stark. Denn erstens wissen wir nicht, wie hoch die Erderwärmung
                                                letztlich ausfallen wird. Zweitens hängt vieles davon ab, wie verletzlich Menschen im
                                                jeweiligen Einzelfall gegenüber Klimaveränderungen sind – und wie gut sie sich daran
                                                anpassen können. Drittens erfolgt Migration, so es denn tatsächlich dazu kommt, in den
                                                seltensten Fällen aus nur einem, trennscharf zu ermittelndem Grund. Persönliche Erwägungen,
                                                Umweltaspekte und die Klimakrise stehen in einem komplexen Verhältnis zueinander. Umwelt-
                                                und Klimaveränderungen verlaufen oft schleichend, was die Ermittlung einer konkreten
                                                Kausalität weiter erschwert. Und es muss auch nicht jede Entscheidung, sein Zuhause zu
                                                verlassen, endgültig sein. Kurzum: Klimabedingte Migration ist ein komplexer Prozess.

                                                  Entsprechend unterschiedlich sind aktuelle Modellrechnungen. Die jüngste Studie des UN-
                                                  Klimarats (IPCC) geht davon aus, dass selbst beim Erreichen des zwei-Grad-Ziels bis zum Jahr
                                                  2050 bis zu 280 Millionen Menschen vertrieben werden, innerhalb ihres jeweiligen Landes und
                                                  über die Grenzen hinaus. Die Weltbank wiederum geht in ihrer Groundswell-Studie aus dem Jahr
                                                  2018 von einem Szenario von 140 Millionen klimabedingt Vertriebenen allein in Sub-Sahara-
                                                  Afrika, Südasien und Südamerika bis 2050 aus. Allerdings legt sie auch dar, dass circa 80
                                                  Prozent der Vertreibung durch ambitionierte Minderung und Anpassung vermeidbar seien. In
                                                  jedem Fall wird es darauf ankommen, die bestehenden Datenlücken auf dem Gebiet der
                                                  klimabedingten Migration, Flucht und Vertreibung bestmöglich zu schließen und entsprechende
                                                  Forschungsvorhaben zu unterstützen – gerade auch mit Blick auf komplexe Phänomene wie
                                                  Migrationsbewegungen infolge schleichender Umweltveränderungen. Dafür machen wir uns stark.

                                                    Gleichzeitig gibt es Situationen, die sich deutlich klarer darstellen lassen. Insbesondere
                                                    die Bewohner*innen tiefergelegener Inselstaaten, vor allem im Pazifik, sind mit der
                                                    Notwendigkeit einer mittelfristigen Umsiedlung sehr direkt konfrontiert. Erderwärmung
                                                    bedeutet für sie nicht nur den Verlust von materiellen Gütern und Staatsgebiet, womöglich
                                                    gar von de facto oder de jure Staatsangehörigkeit; die Klimakrise wird mit allerhöchster
                                                    Wahrscheinlichkeit auch hohe finanzielle Kosten verursachen – und die Aufgabe von heiligem
                                                    Land und traditioneller Lebensweise, von Kultur und Souveränität bewirken. All das gilt es,
                                                    frühzeitig und planbar anzugehen. Das Unvermeidbare wird nicht vermieden werden, indem wir
                                                    uns einer vorausschauenden Reaktion verweigern.

                                                      Die Unterscheidung und Analyse unterschiedlicher Formen klimawandelbedingter
                                                      Wanderungsbewegungen jedenfalls sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass wir adäquate
                                                      Instrumente und Politiken entwerfen. Insbesondere wird es darauf ankommen, dass wir
                                                      Möglichkeiten vorausschauender Planung für die Betroffenen schaffen; dass diese also
                                                      selbstbestimmt und frühzeitig über eine mögliche Umsiedlung entscheiden können; dass es aber
                                                      auch Orte gibt, an denen sie sich niederlassen können. Andererseits wird es natürlich auch
                                                      zu Situationen plötzlicher Flucht im Kontext der Klimakrise kommen, nach Stürmen oder
                                                      Überschwemmungen zum Beispiel – die erwiesenermaßen durch die Klimakrise verstärkt oder
                                                      beschleunigt werden.

                                                        Erste konkrete Fallbeispiele unterstreichen vor diesem Hintergrund die Komplexität und
                                                        Vielschichtigkeit klimabedingter Migration, Flucht und Vertreibung. In Äthiopien
                                                        beispielsweise spricht das Auswärtige Amt von fast drei Millionen Binnenvertriebenen.
                                                        Darunter seien nach Schätzungen rund eine halbe Million aufgrund von klimatischen Faktoren,
                                                        primär infolge anhaltender Dürre geflohen. Andere Expert*innen gehen hingegen von circa 1,4
                                                        Millionen Menschen aus, die im Kontext der Klimakrise vertrieben wurden.

                                                          In jedem Fall wirkt die Klimakrise in Äthiopien wie ein Multiplikator bereits bestehender
                                                          Probleme und Konflikte; sie interagiert mit anderen Faktoren auf vielfache Weise und führt
                                                          zu wechselseitiger Verstärkung. Nichtstun ist keine Option. Die internationale Gemeinschaft,
                                                          allen voran die Industriestaaten müssen Antworten finden auf Fragen von Verantwortlichkeit
                                                          und Schutzbedarfen, von globaler Gerechtigkeit, von völkerrechtlichen Handlungsoptionen. Wir
                                                          wollen uns dieser Mammutaufgabe stellen.

                                                            Bestehende internationale Prozesse unterstützen, Ownership und Koordinierung sicherstellen

                                                              Im Bereich der klimabedingten Migration, Flucht und Vertreibung bestehen international
                                                              bereits unterschiedlichste politische Prozesse, Plattformen und Mechanismen. Innerhalb der
                                                              internationalen Klimaarchitektur gibt es den Warschau-Mechanismus für Verluste und Schäden,
                                                              der im Rahmen der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) eine Taskforce on Displacement eingerichtet
                                                              hat. Diese hat erste Empfehlungen schon vorgelegt. Ein Mitglied der Taskforce wiederum ist
                                                              die Platform on Disaster Displacement als eine staatengeleitete Plattform mit Sitz in Genf,
                                                              die mit verschiedenen Stakeholdergruppen mögliche Lösungsansätze im Bottom-up-Verfahren
                                                              entwickelt sowie zur Verbesserung der globalen Datenlage und -analyse beiträgt. Sie hat sich
                                                              insbesondere der Förderung des Austauschs bestehender guter Praktiken zwischen beteiligten
                                                              Staaten und Akteur*innen verschrieben, die Katastrophenvertriebenen bereits seit Jahren
                                                              freiwillig und basierend auf solidarisch-humanitären Erwägungen grenzüberschreitend Aufnahme
                                                              und Schutz gewähren. Dabei treibt die Plattform die Umsetzung der Empfehlungen der Agenda
                                                              for the Protection of Cross-Border Displaced Persons in the Context of Disaster and Climate
                                                              Change
                                                              , also der Nansen-Schutzagenda international voran und setzt sich beispielsweise dafür
                                                              ein, dass deren Ansätze in internationalen Verträgen verankert werden.

                                                                Wir werten es als großen Fortschritt, dass im Dezember 2018 der Komplex klimabedingter
                                                                Migration, Flucht und Vertreibung im Globalen Pakt für sichere, geordnete und reguläre
                                                                Migration sowie im Globalen Pakt für Flüchtlinge aufgenommen wurde. Bedauerlicherweise
                                                                bleibt die Umsetzung dieser Vereinbarungen für die Vertragsstaaten nur freiwillig, der
                                                                internationale Wille dazu zögerlich. Wir sprechen uns für eine konsequente Implementierung
                                                                und eine angemessene finanzielle wie strukturelle Unterstützung auch durch die deutsche
                                                                Bundesregierung aus.

                                                                  Eines jedenfalls ist offenkundig: Es wird den einen großen internationalen Wurf zum Umgang
                                                                  mit klimabedingter Migration, Flucht und Vertreibung auf absehbare Zeit nicht geben. Wir
                                                                  machen uns deshalb dafür stark, dass Deutschland bestehende Arbeitsprozesse nach Kräften
                                                                  politisch und finanziell unterstützt, sich gegenüber anderen Staaten insbesondere aus dem
                                                                  Kreis der Industrieländer für diese Prozesse einsetzt, deren enge Anbindung an
                                                                  Zivilgesellschaft und Forschung sicherstellt sowie gemeinsam mit möglichst vielen weiteren
                                                                  Staaten bislang erarbeitete Empfehlungen und bestehende effektive Praktiken tatsächlich auch
                                                                  umsetzt. Unter anderem wollen wir die Empfehlungen aus dem Globalen Pakt für sichere,
                                                                  geordnete und reguläre Migration sowie dem Globalen Pakt für Flüchtlinge auf nationaler wie
                                                                  europäischer Ebene vorantreiben. Auch die Empfehlungen der Taskforce on Displacement wollen
                                                                  wir aufgreifen und in nationale wie europäische Politik integrieren.

                                                                    Sämtliche Projekte und Politiken zum Schutz von klimabedingt Vertriebenen müssen dabei einem
                                                                    menschenrechtsbasierten, partizipativen Ansatz folgen und die Rechte der besonders
                                                                    verletzlichen Menschen sicherstellen. Gerade weil Frauen und Mädchen, marginalisierte
                                                                    Gruppen und nicht zuletzt Indigene auf besondere Weise von der Klimakrise betroffen sind,
                                                                    wollen wir ihnen eine Schlüsselfunktion in der Bewältigung zukommen lassen. Durch ihre
                                                                    Lebenssituation sind sie oft die Ersten, die sich anpassen müssen, entwickeln das
                                                                    entsprechende Wissen und Können – was sie zu Expert*innen und Gestalter*innen eines
                                                                    nachhaltigen Wandels werden lässt.

                                                                      Auf dem Weg hin zu Lösungsansätzen ist auch die Selbstbestimmung der betroffenen Staaten
                                                                      essentiell. Der überwiegende Teil klimabedingter Migration, Flucht und Vertreibung findet
                                                                      jeweils innerhalb eines betroffenen Landes oder in der Region statt. Umso zentraler wird es
                                                                      sein, alle Debatten und Verhandlungen über eine vorausschauende und planbare Umsiedlung,
                                                                      über Versorgung und Integration, über regionale Lösungsansätze und Mechanismen gemeinsam mit
                                                                      den Betroffenen zu führen, Ownership sicherzustellen und die notwendige Finanzierung
                                                                      gemeinsam zu garantieren.

                                                                        Zugleich finden auch innerhalb und zwischen den einzelnen Arbeitsprozessen grundlegende
                                                                        Überlegungen statt, wie sich die vielen Multi-Stakeholder-Prozesse auf den unterschiedlichen
                                                                        Ebenen noch kohärenter koordinieren ließen. Dieses Ansinnen unterstützen wir ausdrücklich.
                                                                        Nicht etwa im Widerspruch zum bestehenden Bottom-up-Ansatz; auch nicht, um einzelne
                                                                        Initiativen institutionell zu binden; sehr wohl aber mit dem Ziel, dem Bereich
                                                                        klimabedingter Vertreibung die notwendige Aufmerksamkeit zu verschaffen sowie perspektivisch
                                                                        internationales Engagement und staatliche Verbindlichkeit auf Ebene aller
                                                                        Unterzeichnerstaaten der UN-Klimarahmenkonvention zu steigern. Vor diesem Hintergrund machen
                                                                        wir uns dafür stark, die Themenkomplexe „Schäden und Verluste“ sowie „klimabedingte
                                                                        Migration, Flucht und Vertreibung“ – und damit die Arbeit der Taskforce on Displacement im
                                                                        Rahmen der UNFCCC-Architektur – systematisch und in angemessenem Umfang auf der Tagesordnung
                                                                        der jährlichen UN-Klimakonferenzen zu verankern. Auch unterstützen wir die unter anderem von
                                                                        der Platform on Disaster Displacement geäußerte Idee, die Koordinierung innerhalb der
                                                                        Vereinten Nationen sowie zwischen deren Agenturen zusätzlich durch die Einberufung eines
                                                                        Sonderbeauftragen (Special Representative) beziehungsweise eines Sonderberaters (Special
                                                                        Advisor
                                                                        ) für klimabedingte Migration, Flucht und Vertreibung in der Struktur des UN-
                                                                        Generalsekretariats zu verbessern.

                                                                          Klimabedingte Migration: sicher, selbstbestimmt, planbar

                                                                            Der Umgang mit Migration wird in Zeiten der Klimakrise zu einem ethischen Prüfstein für die
                                                                            internationale Staatengemeinschaft. Was für Migration im Allgemeinen gilt, gilt auch im
                                                                            Kontext der Klimakrise: Wir müssen Wege eröffnen, klimabedingte Migration sicher,
                                                                            selbstbestimmt und möglichst planbar zu gestalten. Ganz im Sinne von Artikel 13 der
                                                                            Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte setzen wir uns dafür ein, dass umweltinduzierte
                                                                            beziehungsweise klimabedingte Migration rechtzeitig, würdevoll, selbstbestimmt, sicher und
                                                                            vor allem legal ermöglicht wird – und dass den Betroffenen das Recht garantiert wird,
                                                                            innerhalb ihres Landes, in der Region und gegebenenfalls über die eigene Region hinaus
                                                                            umzusiedeln.

                                                                              Die Umsetzung des Globalen Paktes für sichere, geordnete und reguläre Migration ist da ein
                                                                              wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Insgesamt müssen sich Deutschland und Europa
                                                                              deutlich stärker engagieren – bilateral ebenso wie im Rahmen internationaler Kooperationen.
                                                                              Unter anderem haben wir deshalb ein Konzept für ein modernes Einwanderungsrecht mit
                                                                              Punktesystem vorgelegt und sprechen uns für eine vereinfachte, gegebenenfalls auch temporäre
                                                                              Arbeitsmigration aus – grundlegend und im Kontext der Klimakrise.

                                                                                Die internationale Staatengemeinschaft muss sich darauf einigen, wie sie mit dem erwartbaren
                                                                                Verlust ganzer Staatsgebiete umzugehen gedenkt. Wir machen uns dafür stark, dass
                                                                                entsprechende Debatten und Verhandlungen mit deutlich mehr Nachdruck geführt werden als
                                                                                bislang. Natürlich wird es auch hier darauf ankommen, eine frühzeitige und selbstbestimmte
                                                                                Umsiedlung zu ermöglichen. Aber es geht um viel mehr. Wenn absehbar ist, dass beispielsweise
                                                                                Inselstaaten im Pazifik vollständig verschwinden, müssen wir dringend festlegen, welche
                                                                                Konsequenzen daraus für die Gewässerhoheit entstehen, insbesondere aber, ob die bisherigen
                                                                                Bewohner*innen automatisch auch ihre Staatsangehörigkeit verlieren – und welche
                                                                                völkerrechtlichen Folgen das für sie und ihren Schutzanspruch mit sich bringt. Für uns hat
                                                                                es dabei oberste Priorität, dafür Sorge zu tragen, dass Staatenlosigkeit de facto und de
                                                                                jure
                                                                                verhindert wird.

                                                                                  Vor diesem Hintergrund wollen wir auch die Idee eines Klimapasses auf nationaler,
                                                                                  europäischer und internationaler Ebene vorantreiben, dessen individueller Ansatz den
                                                                                  Betroffenen ermöglicht, selbstbestimmt über ihre Migration zu entscheiden. Konkret böte der
                                                                                  Klimapass von der Erderwärmung existenziell bedrohten Personen die Option, Zugang zu Schutz
                                                                                  und letztlich staatsbürgergleichen Rechten in weitgehend sicheren Ländern zu erlangen – in
                                                                                  der Region, in Europa und weltweit. In einer ersten Phase sollte der Klimapass den
                                                                                  Bevölkerungen kleiner Inselstaaten, deren Staatsgebiet durch den Klimawandel unbewohnbar
                                                                                  werden wird, angeboten werden – um ihnen eine frühzeitige Umsiedlung in Würde zu ermöglichen
                                                                                  und dem Verlust grundlegender Rechte vorzubeugen. Als Aufnahmeländer stehen insbesondere
                                                                                  Staaten mit historisch oder gegenwärtig hohen Treibhausgasemissionen und somit großem Anteil
                                                                                  an der Erderwärmung in der Verantwortung.

                                                                                    Regionale Lösungsansätze müssen gestärkt sowie technisch und finanziell unterstützt werden,
                                                                                    bis hin zu lokalen Vereinbarungen über Mobilität und Rechtsschutz von Saisonarbeiter*innen,
                                                                                    Nomad*innen oder Viehtreiber*innen. Da es häufig Frauen und Kinder sowie Alte sind, die in
                                                                                    sozioökonomisch unterversorgten Regionen zurückbleiben, sollten sich auch Deutschland und
                                                                                    die Europäische Union im Rahmen ihrer Programme zur Stärkung von Anpassung und Resilienz
                                                                                    gezielt für alternative Einkommensmöglichkeiten und entsprechende Fortbildungsmaßnahmen
                                                                                    stark machen.

                                                                                      Klimabedingte Flucht: Versorgung sicherstellen, Schutzlücken schließen

                                                                                        Schon heute trägt die Klimakrise dazu bei, dass die Konkurrenz um knappe Ressourcen zunimmt,
                                                                                        bestehende Konflikte befeuert oder neue ausgelöst werden. Dadurch können Situationen
                                                                                        entstehen, die einer Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechen – und
                                                                                        damit internationales Asylrecht begründen.

                                                                                          Zugleich nehmen Naturkatastrophen wie Fluten und Stürme in Intensität, Ausmaß und Häufigkeit
                                                                                          zu – auch infolge der Klimakrise. Der Zusammenhang zu Erderwärmung und Klimakrise ist
                                                                                          komplex, aber wissenschaftlich anerkannt. Menschen aber, die vor plötzlichen
                                                                                          Extremwetterereignissen fliehen, sei es nun temporär oder dauerhaft, fallen bislang in eine
                                                                                          völkerrechtliche Schutzlücke. Insgesamt fällt im Kontext der Klimakrise nur ein Bruchteil
                                                                                          der Fluchtbewegungen unter den etablierten Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention. Das
                                                                                          entsprechende Vakuum müssen wir dringend auf anderem Wege füllen.

                                                                                            Mit Blick auf die Situation von Binnenvertriebenen machen wir uns vor diesem Hintergrund für
                                                                                            die konsequente Umsetzung der UN-Leitlinien betreffend Binnenvertreibung (Guiding Principles
                                                                                            on Internal Displacement
                                                                                            ) stark, die ausdrücklich auch Fälle von „natürlichen oder vom
                                                                                            Menschen verursachten Katastrophen“ und damit auch Extremwetterereignisse abdecken – und die
                                                                                            Betroffenen explizit „vor der zwangsweisen Rückführung an einen Ort oder Neuansiedlung an
                                                                                            einem Ort“ schützen, „an dem ihr Leben, ihre Sicherheit, ihre Freiheit und/oder ihre
                                                                                            Gesundheit gefährdet wären“.

                                                                                              Insgesamt entfalten aktuell regionale flüchtlingspolitische Ansätze die größte, wenn auch
                                                                                              weiterhin begrenzte Schutzwirkung auf Betroffene. Diese Ansätze wollen wir unterstützen,
                                                                                              darauf wollen wir aufbauen. Die Afrikanische Flüchtlingskonvention beispielsweise sieht
                                                                                              Flüchtlingsschutz auch nach Ereignissen vor, die eine „erhebliche Störung der öffentlichen
                                                                                              Ordnung“ mit sich bringen. Auch die lateinamerikanische Cartagena Declaration erweist sich
                                                                                              vom Wortlaut her auf Extremwetterereignisse anwendbar.

                                                                                                Insbesondere die von der Afrikanischen Union aufgelegte Kampala-Konvention aber betrachten
                                                                                                wir als inspirierende Blaupause, da sie den Umgang mit Vertriebenen im Kontext der
                                                                                                Klimakrise aufgreift sowie Rechte und Garantien zugunsten von Binnengeflüchteten
                                                                                                festschreibt. Die mangelhafte Ratifizierung der Kampala-Konvention ist ein Missstand, den
                                                                                                nicht zuletzt Deutschland in seinen Beziehungen zu den Mitgliedstaaten der Afrikanischen
                                                                                                Union stets thematisieren sollte.

                                                                                                  Vereinzelt geäußerten Vorschlägen, die Genfer Flüchtlingskonvention als solche zwecks
                                                                                                  Überarbeitung zu öffnen, stellen wir uns gemeinsam mit zahlreichen flüchtlingspolitischen
                                                                                                  Institutionen und Initiativen entgegen. Der Erarbeitung eines gesonderten Protokolls
                                                                                                  wiederum stehen wir nicht prinzipiell ablehnend gegenüber, erachten die Chance einer
                                                                                                  zeitnahen Einigung angesichts komplexer Definitions- und Umsetzungsfragen allerdings als
                                                                                                  äußerst gering.

                                                                                                    Für die adäquate humanitäre Unterstützung auch von Katastrophenvertriebenen wollen wir die
                                                                                                    internationale humanitäre Hilfe erhöhen und deren schnelle Koordinierung gewährleisten. Wir
                                                                                                    setzen uns für eine frühzeitige Übergangshilfe und einen schnellen Wiederaufbau vor Ort ein,
                                                                                                    damit Dörfer und Städte, damit Infrastruktur insgesamt rasch und entlang lokaler
                                                                                                    Schwerpunktsetzung wieder aufgebaut werden können.

                                                                                                      Katastrophenvertriebene brauchen eine existenzsichernde Unterstützung, um ihnen die Chance
                                                                                                      auf einen würdevollen Neuanfang zu geben. Das Gleiche gilt für Rückkehrer*innen. Wir
                                                                                                      schlagen vor, die notwendigen Mittel über den globalen Verursacherfonds zu generieren.
                                                                                                      Beispiele wie Uganda, wo Geflüchteten der Zugang zu Ackerland ermöglicht wurde, zeigen
                                                                                                      eindrücklich, wie wenig es bisweilen braucht, um das Ankommen zu erleichtern – und letztlich
                                                                                                      auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der aufnehmenden Region spürbar zu fördern.

                                                                                                        Zusätzlich wollen wir gemäß den Empfehlungen des Globalen Paktes für sichere, geordnete und
                                                                                                        reguläre Migration die Kategorie des subsidiären Schutzes im Rahmen der EU-
                                                                                                        Anerkennungsrichtlinie (2011/95/EU) auf Katastrophenvertriebene ausweiten. Zugleich wird es
                                                                                                        nationale Lösungen benötigen. Unter anderem wollen wir deshalb die Familienzusammenführung
                                                                                                        wieder stärken und die im Schengen-Kodex vorgesehene Möglichkeit humanitärer Visa
                                                                                                        konsequenter nutzen – was letztlich auch den Betroffenen klimabedingter Flucht zugutekommen
                                                                                                        könnte. Grundsätzlich wollen wir großzügige und verlässliche Aufnahmekontingente über das
                                                                                                        Resettlement-Programm des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) ermöglichen:
                                                                                                        Deutschland und die anderen EU-Staaten sollten ihren Anteil an dem jährlichen, vom UNHCR
                                                                                                        ermittelten Resettlement-Bedarf entsprechend ihrer Wirtschaftskraft erfüllen.

                                                                                                          Klimapolitik: international, feministisch, intersektional

                                                                                                            Gerade Frauen und Mädchen leiden überdurchschnittlich unter den klimatischen Veränderungen.
                                                                                                            Sie stehen nicht nur größeren Risiken und Hürden entgegen, sondern werden vielfach auch
                                                                                                            durch gesellschaftlich-kulturelle Normen und Rollenbilder strukturell benachteiligt. Sie
                                                                                                            haben häufig einen ungleichen Zugang zu Ressourcen wie Zeit und Geld, zu Bildung und
                                                                                                            gesundheitlicher Versorgung, zu Beschäftigungsmöglichkeiten und Landrechten. Darunter leiden
                                                                                                            Resilienz ebenso wie Anpassungsfähigkeit – ein Zustand, der im Zusammenhang der Klimakrise
                                                                                                            umso benachteiligender wirkt und konkrete Menschenrechtsverletzungen zur Folge hat.

                                                                                                              Ähnliches gilt für Minderheiten und marginalisierte Gruppen. Im brasilianischen
                                                                                                              Amazonasgebiet beispielsweise leben fast 400 indigene Völker, die auf das intakte Ökosystem
                                                                                                              ökonomisch und kulturell angewiesen sind. Schätzungen zufolge sind bereits 150 Millionen
                                                                                                              Indigene von den Folgen des Klimawandels betroffen. Sehr häufig leben sie in sensiblen
                                                                                                              Ökosystemen wie kleinen Inselstaaten oder Atollen im Pazifik, in tropischen Regenwäldern, in
                                                                                                              arktischen Regionen, im Hochland der Anden und des Himalaya oder in den Wüstengebieten
                                                                                                              Afrikas; in Lebenswelten also, die stärker und unmittelbarer von der Klimakrise betroffen
                                                                                                              sind als andere.

                                                                                                                Unsere Klimapolitik ist deshalb nicht nur internationalistisch, sondern zugleich
                                                                                                                feministisch und intersektional. Sie fasst die besondere Situation von Frauen und Mädchen,
                                                                                                                zugleich aber auch die Belange marginalisierter Gruppen ins Auge und nutzt die herausragende
                                                                                                                Rolle all dieser Akteur*innen. Gerade weil Frauen und marginalisierte Gruppen auf besondere
                                                                                                                Weise von der Klimakrise betroffen sind, kommt ihnen eine Schlüsselfunktion in der
                                                                                                                Bewältigung zu. Im Umkehrschluss heißt das: Klimaschutz und Klimaanpassungsmaßnahmen sind
                                                                                                                stets auch Gelegenheit, bestehende Strukturen der Ungleichheit – bezogen auf die Verteilung
                                                                                                                von Macht und Ressourcen, zum Beispiel – aufzubrechen und damit mehr Gerechtigkeit,
                                                                                                                gleichwertige Lebensverhältnisse und Gleichberechtigung zu schaffen.

                                                                                                                  Unser prioritäres Ziel ist es, neben der eigentlichen Eindämmung der Klimakrise deren
                                                                                                                  humanitäre Auswirkungen so gering wie möglich zu halten. Für uns leitet sich aus dem
                                                                                                                  Verursacherprinzip konkrete, globale Verantwortung ab. Ambitionierter Klimaschutz, die
                                                                                                                  Steigerung von Resilienz sowie ein vorausschauendes, am Menschen und seinen Bedürfnissen
                                                                                                                  orientiertes Handeln sind dabei nicht nur Ausdruck von Klimagerechtigkeit, sondern ebenso
                                                                                                                  Voraussetzung einer weltweiten Friedensdividende. Auch in unserer Klimapolitik stellen wir
                                                                                                                  deshalb den Menschen in all seiner Würde und mit all seinen Rechten in den Mittelpunkt. Der
                                                                                                                  stete Blick auf das Wissen und die Belange der besonders verletzlichen Menschen und
                                                                                                                  marginalisierte Gruppen ist bei alledem kein beliebiger, sondern der Schlüssel schlechthin,
                                                                                                                  um nachhaltige und friedliche Strukturen in Zeiten der Klimakrise zu festigen.

                                                                                                                    Wir sind überzeugt: Eine gleichberechtigte, gendergerechte Gesellschaft hat bessere
                                                                                                                    Aussichten, ihre Umwelt zu schützen und die Klimakrise zu überwinden. Die Klimakrise ist
                                                                                                                    nicht genderneutral; unsere Gegenmaßnahmen dürfen es auch nicht sein.

                                                                                                                    Gehe zu Zeile:
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