Änderungen von V-38 zu V-38 Beschluss (vorl.)
Ursprüngliche Version: | V-38 |
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Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 04.10.2019, 15:58 |
Neue Version: | V-38 Beschluss (vorl.) |
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Status: | Beschluss (vorläufig) |
Eingereicht: | 16.11.2019, 21:15 |
Titel
Antragstext
Von Zeile 1 bis 69:
Das Bundesfamilienministerium stellte 2016 in einer offiziellen Untersuchung fest, dass 3,3 % aller Menschen in Deutschland ein von ihrem Registerdaten-Geschlecht abweichendes soziales Geschlecht haben. 0,2 bis 2 % aller Menschen haben keine Übereinstimmung des augenfälligen Geschlechts mit dem erlebten Geschlecht. Im Rahmen medizinischer Normierung werden heute 49 unterschiedliche Formen körperlicher Entwicklungen diagnostiziert, die mit Intersexualität angesprochen werden. Zwischen 8.000 und 120.000.Menschen in Deutschland werden als intersexuell angesehen.
Demnach ist davon auszugehen, dass mehrere hunderttausend Menschen in Deutschland sich nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen geschlechtlichen Definition von "Mann" bzw. "Frau" identifizieren oder biologisch nicht eindeutig einer medizinischen "Normkategorie" von "männlich" oder "weiblich" zugeordnet werden können. Immer mehr Menschen sagen mittlerweile von sich, dass sie sich weder als "männlich" noch "weiblich" identifizieren und geben stattdessen eine selbstgewählte nicht-binäre Identität an.
Noch heute erfahren viele Betroffene Ausgrenzung, Diskriminierung und schlimmstenfalls Gewalt. Für uns ist klar: Das muss sich ändern.
Trans*, inter* and non-binary lives matter!
2.982 Morde an trans* und geschlechtsdiversen Personen sind zwischen 2008 und 2018 weltweit gemeldet worden, zwei dieser Fälle ereigneten sich in Deutschland. Laut Verbänden und Polizeistatistiken finden hierzulande jedes Jahr schätzungsweise hunderte gewaltvolle Übergriffe auf trans*, inter und nicht-binäre Personen statt. Statistiken berichten ebenfalls von erhöter Arbeitslosigkeit sowie Suizidraten, insbesondere unter Jugendlichen. Geschlechtszuweisende, kosmetische Operationen an inter* Kindern, die medizinisch nicht notwendig sind, wurden in verschiedensten Stellungnahmen zwar als Verstoß gegen das Menschenrecht und die körperliche Unversehrtheit gewertet, aber werden weiterhin in Deutschland praktiziert, obwohl die Folgen für Betroffene irreversibel und oftmals im späteren Leben traumatisierend sind. Problematisch ist das nicht nur, weil die Kinder oft zu jung sind, um überhaupt selbst eine Zu- oder Ablehnung zu einer Operation zu äußern, sondern auch, weil viele Eltern später angeben, schlecht beraten oder von Mediziner*innen unter Druck gesetzt worden zu sein.
Medizinisch nicht notwendige genitalverändernde Operationen an Kindern müssen endlich der Vergangenheit angehören. Für uns ist klar: Alle Menschen haben das Recht auf körperliche Unversehrtheit.
Geschlechtliche Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung!
Das deutsche Staatswesen ist geprägt von Zweigeschlechtlichkeit. Erst das Transsexuellengesetz (TSG) von 1981 und die Einführung des dritten Geschlechtseintrags "divers", der infolge des BVerfG-Urteils von 2017 geschaffen wurde, rüttelten an dieser Tradition. Doch das TSG von 1981 findet heute nur noch in einer eingeschränkten Version Anwendung, da auch hier das BVerfG 2011 Teile des Gesetzes für verfassungswidrig erklärte. Bis zu diesem Zeitpunkt waren trans* Personen, die eine Personenstandsänderung (Änderung des Geschlechtseintrags) anstrebten gesetzlich gezwungen, sich einer "dauernd fortpflanzungsunfähig" machenden Operation, also einer Zwangssterilisation zu unterziehen. Der UN-Menschenrechtsrat sprach sich daher bei der letzten Überprüfung der Menschenrechtslage in Deutschland dafür aus, einen „Entschädigungsfonds für Personen einzurichten, die sich für eine Anerkennung ihres Geschlechts zwischen 1981 und 2011 zwangsweise sterilisieren lassen mussten oder nicht gewollte geschlechtsangleichende Behandlungen erfahren haben“. Doch CDU/CSU & SPD in der Bundesregierung lehnten diesen Entschädigungsfonds ab. Auch wenn Zwangssterilisationen heute keine Anwendung mehr finden, klagen Betroffene über die noch immer bleibenden langwierigen gerichtlichen Prozesse, deren Kosten sie selbst tragen müssen, sowie die im Rahmen der Vornamens- und Personenstandsänderung (VÄ/PÄ) einzuholenden psychiatrischen Gutachten. Diese Zwangsbegutachtung verstößt unserer Auffassung nach massiv gegen die geschlechtliche Selbstbestimmung. Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes spricht sich für die Abschaffung der Begutachtung und des gerichtlichen Verfahrens aus, da dieses die Betroffenen psychisch belastet und im Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht von trans* Personen steht.
Viele Länder (z.B. Malta, Portugal, Dänemark, Irland) haben mittlerweile fortschrittlichere Regelungen eingeführt, bei denen die Änderung von Namen und Geschlechtseintrag selbstbestimmt durch einen Antrag bei einer Behörde wie bspw. dem Standesamt erfolgt. Der im Frühjahr von der Bundesregierung vorgelegte Reformvorschlag für das TSG wurde einer lang geforderten fortschrittlicheren Regelung nicht nur nicht gerecht, sondern schlug die Einführung weiterer Hürden wie der Befragung der Ehepartner*innen und einer Sperrfrist für abgelehnte Anträge von drei Jahren vor.
Auch die Einführung des § 45b PStG in diesem Jahr muss in der jetzigen Ausgestaltung kritisch gesehen werden. Zwar gibt es nun in Deutschland eine sog. "Dritte Option" beim Geschlechtseintrag, die nach Vorlage eines ärztlichen Attestes über "Varianten der Geschlechtsentwicklung" beim Standesamt beantragt werden kann, doch so steht dieser Weg nicht allen Betroffenen offen.
Wir wollen uns für eine bürokratiearme Lösung einsetzen, die ohne Pathologisierung auskommt und allen Betroffenen offen steht. Für uns ist klar: Alle Menschen haben das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung.
Bündnis 90/Die Grünen erklärt sich solidarisch mit den Anliegen von trans*, inter* und nicht-binären Personen. Spätestens seit den Debatten um die Einführung der dritten Option ist einem breiteren Teil der Gesellschaft bewusst geworden, wie sehr ihre Menschenrechte noch immer verletzt werden.
Ob ein selbstbestimmter Personenstand, der ohne Pathologisierung auskommt, die Anerkennung der Elternschaft von trans* Personen, ein konsequenter Schutz gegen Diskriminierung und Gewalt, die konsequente Umsetzung eines Verbots von geschlechtszuweisenden und -anpassenden Operationen an intergeschlechtlichen Säuglingen und Kindern und nicht zuletzt der Weg in ein Staatswesen und eine Gesellschaft, die anerkennen, dass nicht alle Menschen Mann oder Frau sind und diese Identität nicht von Geburt an auf Lebenszeit fremdbestimmt werden kann. Es bleibt noch viel zu tun für die Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt!
Von Zeile 83 bis 85:
- Die konsequente Umsetzung eines Verbots von geschlechts- bzw.genitalverändernden Operationen an nicht zustimmungsfähigenKindern (wie sie bspw. häufig an inter* Kindern erfolgen)
- Die konsequente Umsetzung eines Verbots von geschlechtszuweisenden und -anpassenden Operationenan intergeschlechtlichen Säuglingen und Kindern
In Zeile 89:
- Aufklärungs- & Sensibilisierungsprogramme
anan öffentlichen Einrichtungen
Von Zeile 91 bis 92:
- binären Kindern & Jugendlichen sowie ein institutioneller Leitfaden für den
rerespektvollen Umgang mit betroffenen Kolleg*innen & Angestellten
Von Zeile 98 bis 123:
Das machen wir als Grüne Partei:
Auch für uns als Partei ist klar, dass trans*, inter* und nicht-binäre Personen mehr Sichtbarkeit und politische Teilhabe in unseren Strukturen verdienen. Das Recht auf Gleichbehandlung unabhängig vom Geschlecht ist elementarer Bestandteil Grüner Programmatik. Wir Grüne wollen allen Menschen unabhängig von Ihrem Geschlecht eine gleichberechtigte Teilhabe sowohl in der Gesellschaft als auch in unserer Partei ermöglichen. Dazu wollen wir alte patriarchale Denkmuster durchbrechen. In diesem Zusammenhang kann die durch den Bundesvorstand angestoßene Reform des Frauenstatuts auf der BDK 2019, in der die bisherige paritätische Quotierung mit Männern und Frauen durch sog. "Frauenplätze" und "offene Plätze", die allen Mitgliedern (also auch "Nicht-Männern") offen stehen, ersetzt werden soll, als ein erster Schritt hin zu mehr Sichtbarmachung und Beteiligungsmöglichkeiten für trans*, inter* und nicht binäre Personen in unserer Partei gesehen werden.
Darüber hinausgehende Maßnahmen sollen in den nächsten Monaten in einem offenen und transparenten Prozess diskutiert werden. Die neu eingerichtete AG Vielfalt, die sich mit der Sichtbarmachung und Repräsentanz gesellschaftlicher Vielfalt in unserer Partei auseinandersetzt, soll im Rahmen ihrer Tätigkeit auch den Aspekt geschlechtliche Vielfalt behandeln. Weitergehend sollen sich der Bundesfrauenrat und QueerGrün (insbesondere der QueerGrün AG TINO) der Thematik widmen. Dabei ist möglichst auch der Austausch mit trans* und inter* Verbänden sowie der Wissenschaft und juristischen Expert*innen zu suchen.
Bei dem Prozess sollen in den Gremien Vorschläge entwickelt werden, wie wir geschlechtliche Vielfalt in unserer Partei angemessen sichtbar machen und in unseren Parteistatuten zukünftig berücksichtigen wollen. Auf Basis dieser Vorarbeit in den Gremien soll auf der nächsten Bundesdelegiertenkonferenz 2020, auf der die Ergebnisse der AG Vielfalt vorgestellt und Maßnahmen zur Vielfaltsförderung zur Abstimmung gestellt werden, auch ein Reformvorschlag für das Frauenstatut zur Abstimmung gestellt werden, der die Situation von trans*, inter* und nicht-binären Personen in der Partei aufgreift.
Das machen wir als Grüne Partei:
Auch für uns als Partei ist klar, dass trans*, inter* und nicht-binäre Personen mehr Sichtbarkeit und politische Teilhabe in unseren Strukturen verdienen. Das Recht auf Gleichbehandlung unabhängig vom Geschlecht ist elementarer Bestandteil Grüner Programmatik. Wir Grüne wollen allen Menschen unabhängig von Ihrem Geschlecht eine gleichberechtigte Teilhabe sowohl in der Gesellschaft als auch in unserer Partei ermöglichen. Dazu wollen wir alte patriarchale Denkmuster durchbrechen.
Deshalb fordern wir den Bundesvorstand auf in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Trans*Inter*Non-Binary (TINO) von QueerGrün, bei dem die fachliche Kompetenz für geschlechtliche Vielfalt angesiedelt ist unter Einbeziehung weiterer Gremien wie dem Bundesfrauenrat und der AG Vielfalt, einen Prozess zu starten, um die Berücksichtigung von trans*, inter* und nicht-binäre Menschen zu stärken.
In diesem Prozess sollen Satzungen, Richtlinien etc. der Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN überarbeitet werden, so dass trans*, inter* und nicht-binäre Menschen berücksichtigt werden und weitere Maßnahmen zur Förderung entwickelt werden. Insbesondere ist hierbei auf den Personenstand „divers“ und auf Menschen ohne Geschlechtseintrag einzugehen. Binärgeschlechtliche Stellen sollen durch Formulierungen ersetzt werden, die alle Menschen berücksichtigen.
Bündnis 90/Die Grünen sehen in Fragen der Gleichstellungspolitik das Geschlechterspektrum (cis* Frauen, cis* Männer, trans* Frauen, trans* Männer, intergeschlechtliche Menschen, nicht-binäre Menschen) und die reale Diskriminierungssituation dieser Gruppen als Grundlage ihrer Politik. Das bisher als Grundlage dienende binäre Geschlechtermodell ist faktisch, wissenschaftlich und rechtlich unzureichend - es bildet nicht die Gesamtbevölkerung ab. Die Grüne Partei leitet einen innerparteilichen Bildungsprozess im Dialog mit dem AK Trans*Inter*Non-Binary (TINO) von QueerGrün ein, der es alle Menschen ermöglicht, ein positives Verständnis für Menschen jenseits binärer Geschlechtlichkeit zu entwickeln. Weiter fordern wir den Bundesvorstand dazu auf, diese notwendigen Überarbeitungen auch auf Landes- und Kreisebene zu unterstützen. Die Ergebnisse des oben genannten Prozesses sollen auf der Bundesdelegiertenkonferenz 2020, vor- und zur Abstimmung gestellt werden.
Begründung
Von Zeile 124 bis 156 löschen:
Um das Recht auf Gleichbehandlung unabhängig vom Geschlecht in allen gesellschaftlichen Bereichen umzusetzen, ist trotz der gleichstellungspolitischen Erfolge der letzten Jahrzehnte noch viel zu tun. Das Frauenstatut sichert seit über dreißig Jahren gleichberechtigte politische Teilhabe und Sichtbarkeit von Frauen in unserer Partei und ist auch weiterhin notwendig.
In der bisher gültigen Form des Frauenstatuts ist von einer "paritätischen Besetzung" (50/50) durch "Männer" und "Frauen" die Rede. Es folgt einem streng binären und wissenschaftlich nicht mehr haltbaren Geschlechterbild und führt dazu, dass Menschen mit dem Geschlechtseintrag "divers" de facto gar keine Möglichkeit finden, in diesem System unterzukommen. Das Bundesverfassungsgericht hat im Oktober 2017 festgestellt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch die geschlechtliche Identität derjenigen schützt, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen. Am 22.12.2018 ist das geänderte Personenstandsrecht in Kraft getreten, womit die Möglichkeit geschaffen wurde den Geschlechtseintrag „divers“ zu wählen. Damit wurde der wissenschaftliche Fakt, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, auch rechtlich anerkannt. Dies wird weitreichende Auswirkungen in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens haben. Auch wir Grüne müssen in unseren Parteistauten die Realität geschlechtlicher Vielfalt abbilden.
Über das Geschlecht und die Geschlechtszugehörigkeit kann nur jeder Mensch selbst Auskunft geben. Als Menschenrechtspartei machen wir Grüne uns stark für das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung frei von medizinischer oder rechtlicher Pathologisierung und Stigmatisierung. Mit der jetzigen Reform des Frauenstatuts machen wir das deutlich, in dem wir klarstellen, dass dieses für alle Frauen gilt. Das heißt, dass trans Frauen selbstverständlich auch auf Frauenplätzen kandidieren dürfen, unabhängig vom derzeitigen amtlichen Personenstand der jeweiligen Person. Dies ist ein erster Schritt zur Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt.
Inwieweit die Regelung, dass trans männer, nicht-binäre und inter* Personen zusammen mit Männern auf den offenen Plätzen kandidieren sollen, der Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt gerecht wird, ist zu klären.
Geschlechtliche Vielfalt ist für viele ein sehr neues und komplexes Thema. Wir wollen dabei Frauen, trans*, inter* und nicht-binäre Personen nicht gegeneinander ausspielen oder auseinander dividieren. Allein zur Aufklärung und zur Förderung von Akzeptanz von geschlechtlicher Vielfalt lohnt es sich diesen Diskussionsprozess zu führen.