Veranstaltung: | 1. Ordentlicher Länderrat 2022 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 3 Transformation als Standortvorteil: Auf dem Weg zur klimaneutralen Industrie |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Länderrat |
Beschlossen am: | 30.04.2022 |
Eingereicht: | 30.04.2022, 18:10 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Transformation als Standortvorteil: auf dem Weg zur klimaneutralen Industrie und zur Energieunabhängigkeit
Beschlusstext
Für die deutsche und europäische Industrie ist die Überwindung der Abhängigkeit
von Kohle und Öl, von Gas und Uran die entscheidende Zukunftsfrage. Sie zu
beantworten, ist angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise und des russischen
Angriffskrieges gegen die Ukraine dringlicher denn je. Wladimir Putin hat die
globalisierte Welt in ihrer bisherigen Form ins Wanken gebracht und alte
Gewissheiten in Frage gestellt. Was bedeutet also internationale Friedens- und
Wirtschaftspolitik nach dem 24. Februar 2022?
Klar ist: Wir müssen uns auf eine neue friedens- und sicherheitspolitische sowie
außenwirtschaftliche Situation in Europa und der Welt einstellen. Es geht jetzt
um den kompletten ökonomischen Bruch mit Putins Russland. Im Falle von Russland
hat der Ansatz Wandel durch Handel zu einer gefährlichen Abhängigkeit geführt.
Das Geschäftsmodell basierend auf billigen russischen Fossilen auf Kosten
Dritter ist gescheitert. Gerade deshalb ist eine resiliente Wirtschaft so
wichtig – und auch von herausragender sicherheitspolitischer Bedeutung. Die
Auswirkungen des Krieges sind ein Weckruf; sie haben uns unsere Abhängigkeiten
von fossilen Energieträgern deutlich vor Augen geführt und erfordern dringend
die nochmalige Beschleunigung der nachhaltigen Transformation unseres
Energiesystems und unserer Wirtschaft.
Doch auch die weiteren großen Herausforderungen unserer Zeit sind durch den
Krieg nicht angehalten worden. Vielmehr haben sie sich wegen der
energiepolitisch volatilen Situation, wegen drohender kurz- bis mittelfristiger
Ausfälle etwa von Erdgas als Rohstoff und Energieträger noch einmal dynamisiert.
Im Kern bedeutet die aktuelle geopolitische Lage, dass wir die Transformation
zur klimaneutralen Produktion mit noch größerem Handlungsdruck und mit noch
schnellerem Tempo vorantreiben müssen. Für uns steht fest: Wer die
Transformation bremst, beschleunigt die die Krise.
Der letzte Bericht des Weltklimarats zeigt, dass die Weltgemeinschaft immer
tiefer in die Klimakrise zu rutschen droht. Wenn es uns als Menschheit nicht
gelingt, das Ruder herumzureißen, wird sich die Erde zum Ende dieses
Jahrhunderts nach aktuellem Verlauf um 3,2 Grad Celsius erwärmen – ein Szenario
mit katastrophalen Auswirkungen. Es gilt jetzt, so schnell wie möglich den Weg
hin zur Klimaneutralität zu beschreiten und die Erneuerbaren Energien konsequent
auszubauen.
Die industrielle Basis wird bei alledem auch in Zukunft das Rückgrat einer
starken, resilienten und innovativen Volkswirtschaft sein. Das bedeutet im
Umkehrschluss: Wenn wir nun endlich mit dieser Transformation beginnen und
sofort auf den Pariser Klimapfad zur Eindämmung der Erderwärmung auf 1.5°C
einschwenken, ist das eine große Chance für das Bestehen im internationalen
Wettbewerb um die Technologien von morgen. Nur so sichern wir den klimagerechten
Wohlstand.
Klimakrise und Coronapandemie, Biodiversitätskrise und Krieg in Europa: Die
Gleichzeitigkeit der aktuellen Krisen fordert die Unternehmen, die
Arbeitnehmer*innen und das ganze Land – im Verbund mit unseren europäischen
Partnern – auf nicht geahnte Weise. Wir setzen alles daran, Wertschöpfung und
gute Arbeitsplätze in dieser schwierigen Zeit zu erhalten. Und wir werden in der
Krise die strukturellen Veränderungen angehen, um gestärkt zu sein für die
kommenden Jahrzehnte. In einer Allianz aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
werden wir die wirtschaftlichen Weichen neu stellen. Dafür setzen wir auf eine
aktive und nachhaltige Industriepolitik, die bei Klimaschutz und Digitalisierung
vorangeht, unsere Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit stärkt – und die
planetaren Grenzen respektiert.
Wir setzen uns ambitionierte Ziele: Nordrhein-Westfalen als Kernland vieler
energieintensiver Grundstoffindustrien, die bislang auf fossiler Basis und damit
mit hohen Treibhausgasemissionen produzieren, kann mit uns Grünen die erste CO2-
freie Industrieregion Europas werden. Auf Bundesebene richtet die
Bundesregierung die Politik bereits konsequent auf das Ziel der Klimaneutralität
aus. Jetzt braucht es auch in Nordrhein-Westfalen eine Landesregierung, die
mitzieht.
Wir haben Schleswig-Holstein in den letzten beiden Legislaturperioden zum
absoluten Vorreiter der Energiewende gemacht. Schon heute machen die
Erneuerbaren Energien dort über 160% der Stromversorgung aus. Viele Unternehmen
arbeiten gerade daran, sich auf dieser Grundlage unabhängig von fossilen
Energien zu machen. Aus dem Klimaschutzprojekt Energiewende ist ein
Wirtschaftsbooster, aus den Erneuerbaren Energien ein Standortvorteil geworden.
Den gilt es, besonders in den nächsten 5 Jahren auszubauen. Wir kämpfen darum,
dass dieser Weg in Schleswig-Holstein unter grüner Führung weiter beschritten
werden kann; auch weil wir Schleswig-Holstein von Länderseite als
energiepolitischen Impulsgeber auf Bundesebene benötigen.
Klimaschutz schafft Wohlstand, Arbeitsplätze und Sicherheit
Die Märkte der Zukunft werden digital und klimaneutral sein – in der Region, in
Europa und weltweit. Für ein exportorientiertes Land ist es deshalb besonders
wichtig, früh und konsequent diesen Weg zu gehen und die Lösungen für eine
klimaneutrale Gesellschaft zu entwickeln, um auf dem internationalen Markt
weiterhin standhalten zu können. Auch unsere Bundesländer können international
Vorbilder sein, Nordrhein-Westfalen etwa als Vorreiter einer klimaneutralen
Industrie. Global muss Deutschland ein Zeichen setzen: Klimaneutraler Wohlstand
ist möglich. Diese Chancen gilt es, zu ergreifen, denn wer zaudert und zögert,
riskiert, den Anschluss zu verlieren.
Insbesondere die Grundstoffindustrien Stahl, Chemie und Zement sind auf große
Mengen Energie angewiesen. Als Industriezweig mit den höchsten
Treibhausgasemissionen produzieren sie zugleich Grundstoffe, die entscheidend
sind für viele weitere wichtige Branchen mit hoher Wertschöpfung – von der
Automobilindustrie über den Maschinenbau bis hin zur Bauindustrie. Die
Transformation dieser Branchen ist fundamental für das Erreichen der Klimaziele
und die Schaffung klimagerechten Wohlstands. Auch mit Blick auf einen möglichen
sofortigen Wegfall russischer Gasimporte treten wir in einen strategischen
Dialog mit der energieintensiven Industrie zur Umstellung und Flexibilisierung
von Produkten, Produktionsprozessen und Wärmebereitstellung. So kann die
notwendige „gesicherte Leistung“ schnell signifikant gesenkt werden und der
Energiebezug flexibel an die Erneuerbare Erzeugung angepaßt werden.
Wir sehen, dass sich die grüne Wende auf dem Finanzmarkt (Sustainable Finance)
auch immer stärker in Investitionsentscheidungen vor Ort niederschlägt und diese
an die Nachhaltigkeit von Produktionsweisen, Geschäftsmodellen oder der
Verfügbarkeit von Erneuerbaren Energien gekoppelt werden. So hat etwa der
Halbleiterhersteller Intel seine Standortentscheidung mit einem
Investitionsvolumen von 17 Mrd. Euro und 3000 neuen Arbeitsplätzen explizit
wegen seiner Nachhaltigkeitsziele von der Verfügbarkeit von grünem Strom
abhängig gemacht, genauso wie Tesla seine Standortwahl in Brandenburg mit bis zu
12000 Mitarbeitenden mit der Verfügbarkeit sauberer Energie begründet.
Vor diesem Hintergrund stehen wir für eine Politik, die fordert, führt und
verlässlich steuert. Nicht, weil der Staat besser wirtschaften kann, sondern
weil die Wirtschaft klare Verhältnisse und verlässliche politische
Rahmenbedingungen braucht. Wir machen Politik, die den Wandel unterstützt, statt
ihn zu behindern oder zu verschieben. Nur so haben Unternehmen
Planungssicherheit, richten ihre Produktion und Dienstleistungen auf
Klimaneutralität aus – und investieren in klimaneutrale Geschäftsmodelle und
Prozesse.
Auf dem Weg zur Klimaneutralität werden in den kommenden Jahren hunderttausende
neue Jobs entstehen – sogenannte Green Jobs. Gleichzeitig ist die ökologische
Transformation für viele Menschen und Unternehmen eine große Herausforderung.
Dort, wo sich Jobprofile grundlegend verändern, werden wir Unternehmen und
Beschäftigte auf dem Weg hin zu einem klimaneutralen Wirtschaftssystem
unterstützen und ihnen zur Seite stehen. Mit einer Überarbeitung der
Fachkräftestrategie werden wir dafür sorgen, dass die Potentiale von
Weiterbildung und Umschulungen stärker genutzt werden. Wir wollen zudem die
Erwerbsbeteiligung von Frauen, älteren Erwerbspersonen sowie Menschen mit
Behinderung weiter verbessern. Auch Arbeitskräftezuwanderung soll leichter
möglich werden.
Dabei sind Sozialpartnerschaft, Tarifverträge und Mitbestimmung zentral. Sie
sind unerlässlich für einen sozial-ökologischen Umbau der Industrie, für gute
Arbeit für alle. Deswegen wollen wir die betriebliche Mitbestimmung – gerade
auch dort, wo sie noch nicht so stark ausgeprägt ist – stärken und
Umgehungsmöglichkeiten verhindern. Noch in der laufenden Legislaturperiode
schaffen wir auf Bundesebene ein Tariftreuegesetz und erarbeiten weitere
Maßnahmen zur Stärkung der Tarifbindung.
Europäische Zusammenarbeit für erfolgreiche Maßnahmen zur CO2-Reduktion
Mit dem Abbau von Hürden bei der Nutzung von selbst erzeugtem erneuerbarem Strom
und einem zunehmenden Einsatz von grünem Wasserstoff treiben wir die
Dekarbonisierung der Prozesse voran. Klimaverträge (Carbon Contracts for
Difference), die die Differenz zwischen dem aktuellen CO2-Preis und den
tatsächlichen CO2-Vermeidungskosten finanzieren, sorgen für
Investitionssicherheit. Diese federn das Investitionsrisiko für die Unternehmen
ab und regen sie an, Milliarden in Klimaneutralität zu investieren. In der
Ampel-Koalition geben wir den Unternehmen durch die Erhöhung der Haushaltsmittel
für diese Klimaverträge nun endlich die politische und finanzielle
Verbindlichkeit, die lange fehlte – und deren Abwesenheit privatwirtschaftliche
Investitionen ausgebremst hat. Gleichzeitig schaffen wir durch Mindestquoten in
der öffentlichen Beschaffung sichere Absatzmärkte für klimafreundliche Produkte.
Für bestimmte Produkte mit hohen CO2-Emissionen, bei denen die europäischen
Herstellerunternehmen im globalen Wettbewerb stehen, soll es auf EU-Ebene einen
wirksamen Grenzausgleich für steigende CO2-Kosten geben. So erhalten wir die
Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie auch im Transformationsprozess.
Entsprechende CO2-intensive Produkte, die aus Regionen ohne äquivalente CO2-
Bepreisung kommen, sollen beim Import nach Europa einen dem europäischen
Emissionshandel entsprechenden Beitrag leisten. So wird für einen fairen
Ausgleich im internationalen Handel gesorgt, Klimadumping verhindert und Anreize
gesetzt, auch in anderen Weltregionen wirksame Klimaschutzmaßnahmen zu
ergreifen.
Wir unterstützen daher grundsätzlich den Vorschlag der EU-Kommission und des
Rates, ein Grenzausgleichssystem (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) als
wirksames Schutzinstrument vor Emissionsverlagerung (Carbon Leakage) einzuführen
und das bisherige System freier Zuteilungen im ETS zu ersetzen.
Wir werden den weiteren Gesetzgebungsprozess konstruktiv begleiten, damit der
Grenzausgleich WTO-konform ausgestaltet wird, Exporte aus der EU berücksichtigt,
die notwendigen Anreize zur Transformation setzt und dabei gleichzeitig einen
fairen Wettbewerb auf den internationalen Märkten sicherstellt.
Ein CO2-Grenzausgleichsmechanismus wird umso stärker, je mehr Länder sich
beteiligen. Wir streben deshalb eine Zusammenarbeit mit internationalen Partnern
beim Grenzausgleich an, mit der Vision, langfristig einen großen Handelsraum für
klimaneutrale Produkte zu schaffen.
Die industrielle Revolution der Dekarbonisierung muss europäisch zum
Erfolgsmodell werden. Wenn Deutschland allein seine Industrie modernisiert, wird
langfristig der Unterschied in der Wettbewerbsfähigkeit einzelner
Mitgliedsstaaten zu groß – und damit zur Gefahr für den gemeinsamen Binnenmarkt
und die Europäische Union. Deswegen soll es auch auf europäischer Ebene einen
Rahmen für Klimaverträge geben. Bessere Marktbedingungen und damit
Investitionssicherheit wollen wir durch gemeinsame Standards erreichen, zum
Beispiel durch ein Label für klimaneutrale Produkte und klare Vorgaben in der
europäischen Ökodesign-Richtlinie.
Für eine grüne Transformation der Industrie brauchen wir eine gesicherte
Versorgung mit (kritischen) Rohstoffen und strategischen Gütern wie etwa
Halbleitern, damit etwa der Ausbau der Erneuerbaren Energien gelingen kann.
Dafür wird eine genuine EU- Strategie benötigt, die auf Kreislaufwirtschaft,
Diversifikation von Handelspartnern und starken Investitionen in Forschung und
Entwicklung basiert. Der von der Kommission vorgeschlagene Chips Act bietet sich
als ein möglicher Ansatzpunkt an.
Energieunabhängigkeit mit Erneuerbaren, Effizienz und Einsparungen
Die Sicherheit der Energieversorgung ist essentiell für die Zukunftsfähigkeit
der Industrie. Der wichtigste Schlüssel dazu ist der schnellerer Ausbau der
Erneuerbaren Energien, das Ende unserer Abhängigkeit von russischen
Energiequellen und der Komplettausstieg von fossilen Energieträgern. Wir wollen
bis 2035 zu 100% Erneuerbare Energien. Nur so kann die Importabhängigkeit von
fossilen Rohstoffen überwunden und Energiesicherheit erreicht werden. Wir haben
in der Bundesregierung mit dem Osterpaket ein Ausbauprogramm für die
Erneuerbaren Energien inklusive der Beschleunigung von Planungsprozessen auf den
Weg gebracht, das es seit der Einführung des EEG im Jahr 2000 so noch nicht
gegeben hat.
Wir übernehmen Verantwortung für die Versorgungssicherheit. Dabei kann sich der
Bund auf die Unterstützung von Schleswig-Holstein verlassen, das einen deutlich
höheren Anteil Erneuerbarer Energien bereitstellt, als es dessen Anteil an der
Bundesfläche entspricht, und mindestens 10% der bundesweit an Land
erforderlichen Strommenge aus Erneuerbaren Energien erzeugen will. Dafür wollen
wir erreichen, dass das Land künftig 3% seiner Fläche für die Windenergie an
Land zur Verfügung stellt.
Genauso verstärken wir bundesweit die Anstrengungen zum Energiesparen und zur
Erhöhung der Energieeffizienz drastisch. Die Zeiten von billigem, pipeline-
gebundenem russischem Gas sind unwiderruflich vorbei. Nichts, auch nicht grüner
Wasserstoff, wird Kohle, Öl und insbesondere Gas eins zu eins ersetzen. Mit dem
zweiten Entlastungspaket wurden zur Erhöhung der Energieeffizienz wichtige
Weichen im Gebäudesektor gestellt. So gilt ab 2023 im Neubau der
Effizienzstandard 55; ab 2024 muss jede neue Heizung mit 65% Erneuerbaren
Energien betrieben werden. Kurzfristig wollen wir zudem durch eine breit
getragene Energiesparkampagne im Bestand mit einfachen Maßnahmen Wärmebedarfe
verringern.
Die Beschleunigung der Energiewende ist dabei auch eine Frage der nationalen und
europäischen Sicherheit. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Aufbau von
Infrastrukturen für die verlässliche Energie- und Rohstoffversorgung der Zukunft
ist von überragendem öffentlichem Interesse. In der Bundesregierung arbeiten wir
intensiv daran, das Tempo etwa über die Beschleunigung von Planungs- und
Genehmigungsverfahren weiter zu erhöhen und entwicklen eine Speicherstrategie.
Kurzfristig können wir Wind- und Solarstrom mehr nutzen, indem wir die
Voraussetzungen dafür schaffen, dass er weniger häufig abgeregelt wird. Das
stärk zugleich Bürger*innenenergie, Mieter*innenstrom und EnergySharing auf
Basis von Erneuerbaren.
Neben guten Rahmenbedingungen für die Windkraftindustrie wollen wir die
Photovoltaik-Produktion in Europa wieder neu ansiedeln. Es darf nicht sein, dass
in der EU zwar die neusten Solarzellen entwickelt, aber nicht hier gebaut
werden. Daher werden wir eine europäische Industrialisierungsoffensive (IPCEI)
für die Solarproduktion auf den Weg bringen. Die gleichen Anstrengungen müssen
wir auch mit Blick auf Wärmepumpen und serielles Sanieren unternehmen.
Um die Energie-Abhängigkeit von Russland in schnellem Tempo zu beenden, benötigt
es allerdings auch kurzfristige Maßnahmen zur Diversifizierung. Wir
unterstützen, dass die Bundesregierung unter Hochdruck und in enger Abstimmung
mit unseren europäischen Nachbarn neue LNG-Terminals errichtet. Wichtig ist,
dass hier locked-in-Investitionen verhindert werden und die Terminals daher
wasserstoff-ready sind. Zudem braucht es eine ambitionierte
Erdgasausstiegsstrategie. Wir stellen rechtlich sicher, dass Gasspeicher in
Zukunft immer ausreichend gefüllt sind. Dazu hat der Deutsche Bundestag auf
Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums ein Gesetz zur verpflichtenden
Einspeicherung von Gas beschlossen. Zudem muss gewährleistet sein, dass
Kohlekraftwerke als Backup zur Verfügung stehen. Am Kohleausstieg bis 2030
halten wir weiterhin fest. Wir müssen schnellstmöglich raus aus den fossilen
Energieträgern, aber bis wir dort sind, werden wir eine diversifizierte
Versorgung sicherstellen.
Auf dem Weg zur globalen Klimaneutralität werden wir diejenigen Länder
unterstützen, für die der Wandel noch härter zu stemmen ist.
Klimaneutralität in der Industrie mit Grüner Technologie
Die energieintensive Stahlindustrie verursacht rund 30% der deutschen Industrie-
Emissionen. Zugleich ist sie eine Schlüsselindustrie für unsere Volkswirtschaft
und für funktionierende Wertschöpfungsketten. Nordrhein-Westfalen ist der
wichtigste Standort der Stahlindustrie in Deutschland und Europa.
Die deutsche Stahlindustrie ist bereits weltweit führend bei der Entwicklung von
Technologien für eine CO2-arme Stahlproduktion. Deutsche Anlagen und Stahlwerke
gehören zu den energieeffizientesten weltweit. Darauf müssen wir aufbauen und
die nächsten Schritte gehen. So wie ein Großteil der Emissionen und des
Energieverbrauchs in der Industrie liegen, können auch dort die größten
Einsparungen realisiert werden. Wir setzen uns für den Erhalt einer
nachhaltigen, innovativen und wettbewerbsfähigen Stahlindustrie in Deutschland
und damit vor allem in Nordrhein-Westfalen ein.
Wir unterstützen die Stahlindustrie in der anstehenden Transformation und
schaffen klare Rahmenbedingungen auf Bundes- wie auf Landesebene, damit die
Umstellung auf wasserstoffbasierte Verfahren gelingen und klimafreundlicher
Stahl am Standort Deutschland wettbewerbsfähig produziert werden kann. Projekte
wie das von thyssenkrupp steel und der Steag, für das spätestens im kommenden
Jahr die Investitionsentscheidung für eine 520MW-Elektrolyse-Anlage fallen wird,
wären hier wegweisend.
Der Bund und die Länder stellen insgesamt mehr als acht Mrd. Euro für die
wichtigen Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse zu Wasserstoff („IPCEI
Wasserstoff“) bereit. Damit sollen bis 2030 rund 12,8 Mio. Tonnen pro Jahr an
CO2-Emissionen eingespart werden. Das ist ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz,
für die Wettbewerbsfähigkeit und für Arbeitsplätze der Zukunft. Besonders
wichtig sind dabei die Projekte zur Umstellung auf klimaneutrale Produktion von
grünem Stahl auf Basis von Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien. Alle in
Deutschland tätigen Stahlunternehmen erhalten Fördermittel aus dem IPCEI. Die
Projekte bilden die gesamte Wertschöpfungskette ab.
Außerdem können im Förderprogramm „Dekarbonisierung in der Industrie“
Investitionen der Stahlindustrie gefördert werden. Zugleich arbeitet die
Bundesregierung an einem deutlichen Ausbau der nationalen Wasserstoff-
Erzeugungskapazitäten und der relevanten Infrastruktur, etwa Pipelines zum
Transport.
Für uns hat die Versorgungssicherheit der Industrie mit grünem Wasserstoff
absolute Priorität. Mit einer Ausbauoffensive für Erneuerbare Energien und
gezielter Förderung bauen wir die heimische Produktion von grünem Wasserstoff
auf. Gleichzeitig werden wir die notwendigen Importinfrastrukturen für grünen
Wasserstoff mit Hochdruck entwickeln und nachhaltig gestalten. Dabei wollen wir
das Potential für wettbewerbsfähigen Wasserstoff aus Deutschland, der EU und dem
europäischen Kontinent maximal nutzen, indem wir die Erneuerbaren sowie die
Elektrolysekapazitäten und innereuropäische Pipelines ambitioniert ausbauen, und
gleichzeitig den Zugang zu grünem Wasserstoff auf dem Weltmarkt erschließen,
u.a. auch durch einen weiteren Ausbau des Programms H2Global und weiterer
Energiepartnerschaften auf Augenhöhe mit Partnerländern in Regionen, in denen
die klimatischen Bedingungen für die Produktion von Wasserstoff auf erneuerbarer
Basis besonders günstig sind.
Wie in der Stahlproduktion gibt es auch in anderen Grundstoffindustrien viele
Prozesse, bei denen eine direkte Elektrifizierung nicht möglich ist. Für diese
Fälle ist grüner Wasserstoff die Lösung, um dennoch Klimaneutralität zu
erreichen. Zusätzlich können Wasserstoff und seine Derivate wie Ammoniak – etwa
in Brennstoffzellen – einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten.
Aber nur grüner Wasserstoff aus Erneuerbarer Energie bringt einen wirklichen
Vorteil für das Klima. Deswegen sind Wasserstoff und der Ausbau von Wind- und
Solarenergie untrennbar miteinander verbunden. Aktuell gibt es allerdings weder
ausreichend viele Anlagen zur Herstellung von grünem Wasserstoff aus Ökostrom
noch ausreichend Strom aus Erneuerbaren Energiequellen. Wer den
Industriestandort erhalten und umbauen will, muss deshalb die 1000-Meter-
Abstandsregel in Nordrhein-Westfalen und die 10H-Regel in Bayern hinter sich
lassen – und den Ausbau aller Erneuerbaren überall offensiv voran treiben.
Auch in Zukunft wird grüner Wasserstoff weltweit ein knappes Gut sein. Daher
setzen wir uns im Sinne der Energieeffizienz dafür ein, dass er vorrangig dort
zum Einsatz kommt, wo die CO2-Einsparung am größten ist oder es keine
technologischen oder wirtschaftlichen Alternativen gibt. Das ist neben der
Industrie – insbesondere der Chemie-, Stahl- und Zementindustrie – vor allem der
Flug- und Schiffsverkehr. Die nationale Wasserstoffstrategie überarbeiten wir
entsprechend.
Transformation zur Kreislaufwirtschaft auch in der Chemieindustrie
Die chemische Industrie stellt einen großen Anteil an der Wertschöpfung in
Deutschland und hat eine lange Tradition. Sie schafft sichere Arbeit für rund
500.000 Menschen; allein in Nordrhein-Westfalen sind es fast 100.000
Beschäftigte. Zudem hängen eine Vielzahl weiterer Branchen und
Produktionsbereiche mit der chemischen Industrie zusammen, da sie für viele
Prozesse benötigte Stoffe herstellt. Um die Chemieindustrie auf dem 1,5-Grad-
Pfad zu unterstützen, gehen wir die zentralen Herausforderungen beherzt an.
Neben der sicheren Versorgung mit Erneuerbarer Energie wollen wir eine
Kreislaufwirtschaft etablieren, die u.a. auf eine massive Ausweitung des
Recyclings setzt. Unser Ziel ist eine Chemie ohne Abfälle mit weitgehend
geschlossenen Stoffkreisläufen, um die deutsche Industrie auch unabhängiger von
Rohstoffimporten zu machen. Hierzu passen wir den bestehenden rechtlichen Rahmen
an, definieren klare Ziele und überprüfen abfallrechtliche Vorgaben und
Sammelmöglichkeiten. In einer „Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie“ bündeln
wir bestehende rohstoffpolitische Strategien, entwickeln diese weiter und
unterstützen die Vorschläge der Europäischen Kommission für ökologische
Produktstandards (Ökodesign-Richtlinie) sowie einheitliche
Nachhaltigkeitsstandards. Anforderungen an Produkte müssen europaweit
ambitioniert und einheitlich festgelegt werden. Produkte dürfen keine umwelt-
und gesundheitsschädlichen Substanzen enthalten und müssen langlebig und
wiederverwendbar, recycelbar und möglichst reparierbar sein. Wir unterstützen
die Einführung eines digitalen Produktpasses, um Informationen über die Produkte
leicht und überall verfügbar zu machen.
Wir streben darüber hinaus Quoten und Benchmarks für Rohstoffe aus
Recyclingprozessen sowie den Energieverbrauch für bestimmte Prozesse an. Diese
müssen durch Maßnahmen für Importprodukte flankiert werden. Es ist entscheidend,
dass Maßnahmen wie etwa Quoten zu einer Schaffung von funktionierenden Märkten
für recycelte (kritische) Rohstoffe führen. Diese dürfen nicht in Konkurrenz zu
primären Rohstoffmärkten stehen.
Klima- und sozialgerechter Strukturwandelin den Kohleregionen
Durch den beschlossenen Ausstiegspfad aus der Kohle bis 2030 und das absehbare
Ende der Kohleverstromung ist der Strukturwandel im Rheinischen Revier, in den
Kohleregionen Ostdeutschlands und den Standortkommunen der Steinkohlekraftwerke
in vollem Gang. Wir wollen, dass er auch klima- und sozialgerecht gestaltet
wird. So schaffen wir neuen Wohlstand, bieten Sicherheit und erhalten
Lebensqualität. Wir begreifen die Gestaltung des Wandels als
gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Um Regionen und insbesondere die dort
ansässigen kleinen und mittleren Unternehmen zu unterstützen, wollen wir daher
regionale Transformationscluster auflegen.
Auch die Beschäftigten wollen wir auf dem Weg hin zu einem klimaneutralen
Wirtschaftssystem in den Strukturwandelregionen unterstützen, vor allem, wenn
sich Jobprofile grundlegend verändern oder Arbeitsplätze bedroht sind. Die
Beschäftigten etwa in der Kohleindustrie haben unglaublich viel geleistet.
Niemand von ihnen wird ins Bergfreie fallen. Deswegen braucht es in der
ökologischen Transformation ein noch viel besseres Angebot an Weiterbildung und
Qualifizierung. Mit einer Qualifizierungsoffensive wollen wir die Menschen durch
den Strukturwandel begleiten und so auch dem Fachkräftemangel in vielen
Bereichen begegnen, denn wir brauchen tatkräftige und qualifizierte Menschen für
die ökologische Transformation.
Der Weiterbildung kommt im Transformationsprozess eine Schlüsselrolle zu.
Deswegen hat sich die Ampel das ambitionierteste Weiterbildungsprogramm aller
bisherigen Bundesregierungen aufgelegt. Diejenigen, die neue Perspektiven oder
Qualifizierung benötigen, unterstützen wir mit dem neuen, an das
Kurzarbeitergeld angelehnten Qualifizierungsgeld. Damit können Unternehmen im
Strukturwandel unterstützt, ihre Beschäftigten durch Qualifizierung im Betrieb
gehalten und Fachkräfte gesichert werden.
Auch wollen wir vor Ort mehr Mitspracherechte für die Zivilgesellschaft und
Räume für den gesellschaftlichen Austausch schaffen. Denn der
Strukturwandelprozess muss breit getragenen und von den Menschen vor Ort
gemeinsam gestaltetet werden können.