Veranstaltung: | 2. Ordentlicher Diversitätsrat 2022 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 6 Selbstbestimmungsgesetz |
Antragsteller*in: | Ami Lanzinger (KV Erding) |
Status: | Zurückgezogen |
Eingereicht: | 26.08.2022, 13:27 |
B-02: Für ein Selbstbestimmungsgesetz - Mehr Rechte für inter*, trans*, nichtbinäre und agender Personen
Antragstext
Das TSG (Transsexuellengesetz) besteht seit den 80er-Jahren und wurde schon in einigen
Teilen als verfassungswidrig erklärt. Die bisherigen kleinen Änderungen seit Inkrafttreten
verbessern die Situation nur ungenügend. Langwierige und kostenintensive Gerichtsverfahren
gehören genauso zur Voraussetzung wie zwei Gutachten, die nicht nur eine Therapie erfordern,
sondern auch Persönlichkeitsrechte verletzen. Zudem ist das Gesetz nur anwendbar für trans*
Personen im binären Spektrum; nichtbinäre und agender Personen haben bisher keinen Zugang
dazu.
Eine Änderung des TSG ist nicht ausreichend. Daher soll es komplett durch ein neues Gesetz
ersetzt werden. Die Eckpunkte dafür wurden bereits im Juni 2022 vorgestellt. Es sieht vor,
dass Geschlechtseintrags- und Namensänderung einfach durch Eigenerklärung beim Standesamt
möglich sind. Dafür gibt es die vier Optionen männlich (m), weiblich (w), divers (d) und die
komplette Streichung des Geschlechtseintrags (x). Das Gesetz soll für trans*, nichtbinäre,
agender und inter* (INTA*) Personen anwendbar sein. Letztere müssen bisher noch zur
eidesstattlichen Erklärung ein ärztliches Attest vorlegen, das eine Variation der
Geschlechtsentwicklung bestätigt. Dies wird mit dem Selbstbestimmungsgesetz auch nicht mehr
nötig sein.
Zudem ist im Eckpunktepapier beschrieben, dass die Änderung von Name und Geschlechtseintrag
nach Ablauf von 1 Jahr Sperrfrist erneut möglich ist. Das Gesetz wird ergänzt um ein
Offenbarungsverbot und die Forderung nach mehr sachkundigen, ergebnisoffenen
Beratungsangeboten.
Das Gesetz soll laut dem vorgestellten Eckpunktepapier für Personen ab 18 Jahren gelten. Für
Personen unter 14 Jahren soll die Erklärung durch die Sorgeberechtigten abgegeben werden. Ab
14 Jahren kann die Erklärung selbst abgegeben werden, benötigt wird zusätzlich die
Zustimmung der Sorgeberechtigten. Wenn die Sorgeberechtigten nicht unterstützen, soll das
Familiengericht die Zustimmung, orientiert am Kindeswohl, ersetzen können. Im Beschluss des
GRÜNEN Parteitags 2019 sowie des GRÜNE JUGEND Bundeskongressen im Herbst 2019 wird klar die
rechtliche Geschlechtsmündigkeit ab 14 Jahren, analog zur Sexualmündigkeit, gefordert. An
dieser Stelle gilt also noch Nachbesserungsbedarf beim Gesetzentwurf im Gegensatz zum
Eckpunktepapier.
Auch ab 14 Jahren muss es ein Recht auf selbstständige Personenstands- und Namensänderung
geben. Denn schon vor der Volljährigkeit ist der richtige rechtliche Status ein essenzieller
Schutz der mentalen und körperlichen Gesundheit von INTA* Personen. Beispielsweise Schulen
und Lehrkräfte verweigern sich oft, den richtigen Namen oder Pronomen für ihre Schüler*innen
zu verwenden, was zu einem Zwangsouting oder der Vorgabe des falschen Geschlechts und Namens
zu sein führt. Mobbing und Diskriminierung für Betroffene sind die Folge. Dadurch brechen
INTA* Personen öfter die Schule ab und haben neben dem Leidensdruck dort einen schwereren
Start in Studium oder Berufsleben. Zudem beginnen viele Personen schon vor ihrem 18.
Geburtstag eine Ausbildung oder einen Nebenjob. Für diese ist die Änderung wichtig, um sich
nicht vor der neuen Arbeitsstelle outen zu müssen. Denn auch am Arbeitsplatz und im
Bewerbungsprozess werden INTA* Personen weiterhin strukturell benachteiligt.
Die Zustimmung der Sorgeberechtigten ist für viele junge INTA* Personen nicht
selbstverständlich. Beispielsweise unterstützt bei Kindern von Geschiedenen oft nur ein
Elternteil die Transition. Auch generell gibt es viele transfeindliche Sorgeberechtigte, die
keine Zustimmung erteilen würden. Die Alternative, vor das Familiengericht zu gehen, ist
allerdings für die meisten Jugendlichen keine Option. Besonders in der Altersspanne von 14
bis 17 Jahren wohnen die Kinder meist noch bei den Sorgeberechtigten und wollen die oft
sowieso schon angespannte Situation zu Hause nicht noch durch ein Gerichtsverfahren für sich
verschlechtern. In Jugendämtern fehlt es aktuell noch viel an Sensibilisierung und
Aufklärung zu queeren Themen, sodass hier Kindeswohlgefährdung nicht immer erkannt wird.
In bisherigen Antworten der Ministerien wird zudem betont, dass das Gesetz für alle in
Deutschland lebenden Menschen anwendbar sein soll, unabhängig davon, ob ein deutscher Pass
vorliegt. Zudem gab es einige Aussagen, dass die Kosten gering gehalten werden sollten. Die
aktuelle Beschlusslage der GRÜNEN und GRÜNEN JUGEND fordert die Änderung als kostenlosen
Verwaltungsakt.
Forderungen
Der Diversitätsrat unterstützt das Vorhaben der Ampel-Koalition, insbesondere des Familien-
und Justizministeriums, zur Ersetzung des diskriminierenden Transsexuellengesetzes (TSG)
durch ein Selbstbestimmungsgesetz und damit das Ende von staatlicher Pathologisierung und
Gutachtenpflicht.
Ergänzend zum Eckpunktepapier fordert der Diversitätsrat:
die Geschlechtsmündigkeit ab 14 Jahren und damit eigenständige Erklärung ohne
Mitsprache der Sorgeberechtigten
das Gesetz für alle in Deutschland lebenden Menschen anwendbar zu machen
die Änderung von Name und Geschlechtseintrag als kostenlosen Verwaltungsakt
Der Diversitätsrat nutzt das Votum und das ihm zustehende Rederecht, sollte es auf einem
Parteitag zu einer Debatte rund um dieses Gesetz kommen, entsprechend diesem Beschluss. Das
Rederecht soll von einer INTA* Person genutzt werden.
Zudem unterstützt der Diversitätsrat das Vorhaben, medizinische Versorgung für INTA*
Personen zu verbessern und diese leichter zugänglich zu machen.
Begründung
Am 30. Juni 2022 wurde durch Familien- und Justizministerium das Eckpunktepapier zum geplanten Selbstbestimmungsgesetz vorgestellt. Der Gesetzentwurf soll nach der Sommerpause zur weiteren Diskussion vorliegen und im vierten Quartal 2022 ins Kabinett gehen. Für die anstehende BDK im Herbst gibt es schon mindestens einen geplanten Antrag dazu, was bedeutet, dass es auch hier zur Debatte kommen könnte. Da das Gesetz INTA* Personen betrifft, fällt es in den Bereich der Vielfaltspolitik, für den der Diversitätsrat mit zuständig ist.
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