| Veranstaltung: | 2. Ordentlicher Bundesfrauenrat 2025 |
|---|---|
| Tagesordnungspunkt: | G Thema Gewalt gegen Frauen mit Beschlussfassung |
| Antragsteller*in: | Ulle Schauws (KV Krefeld) |
| Status: | Eingereicht |
| Angelegt: | 11.09.2025, 17:28 |
A1: Häusliche Gewalt in familiengerichtlichen Verfahren sichtbar machen
Antragstext
Der Bundesfrauenrat von Bündnis 90/Die Grünen fordert die Grüne
Bundestagsfraktion auf, sich weiter für gesetzliche Reformen im Sorge- und
Umgangsrecht einzusetzen und den Druck auf die Regierung zu erhöhen. Bei der
Erarbeitung parlamentarischer Initiativen sollen folgende Punkte berücksichtigt
werden:
1. Sensibilisierung und Qualifizierung verbessern und ausweiten, z.B. durch
- Verpflichtende Sensibilisierung und Qualifizierung aller beteiligter
Professionen; (Richter*innen, Verfahrensbeistände, Jugendamt, Polizei,
Beratungsstellen etc.).
- Aufnahme des Themas häusliche Gewalt in Aus- und Weiterbildung sowie in
qualitativ und quantitativ ausreichende Fortbildungsprogramme.
2. Ausgestaltung von Gerichtsverfahren anzupassen und dabei die Einführung
folgender Maßnahmen zu prüfen:
- Einführung eines Wahlgerichtsstands im Rahmen des § 152 FamFG (vgl. § 211
Nr. 1 FamFG), um Rückschlüsse auf den Aufenthaltsort des gewaltbetroffenen
Elternteils und des Kindes zu vermeiden;
- Getrennte Anhörungen von Eltern und Kindern, um Sicherheit und
kindgerechte Beteiligung sicherzustellen (vgl. Leitlinien des Europarats
zur kindgerechten Justiz);
- Einführung einer verpflichtenden standardisierten Gefährdungsanalyse (z.
B. nach anerkannten Risikoinstrumenten), bevor über Umgang oder Sorge
entschieden wird;
- Verpflichtende Prüfung, ob Kontakte zwischen Kind und gewaltausübendem
Elternteil überhaupt zulässig sind („Umkehrvermutung“ bei häuslicher
Gewalt).
3. Ausgestaltung des Umgangsrecht zu reformieren und dabei sicherzustellen, dass
Umgang nur gewährt werden darf, wenn Sicherheit für Kind und gewaltbetroffenen
Elternteil gewährleistetist. Dazu gehört:
- Die Entwicklung sicherer Übergabemodelle, z. B. an neutralen Orten oder
durch begleitete Umgangskontakte mit speziell dafür qualifizierten
Fachkräften;
- Als Voraussetzungen für den Umgang in Fällen häuslicher Gewalt eine
Gewaltverzichtserklärung, die Verantwortungsübernahme und die
verpflichtende Teilnahme an einem fachspezifischen Beratungsangebot
und/oder einem sozialen Trainingskurs durch den gewaltausübenden
Elternteil einzuführen; (prüfen)
- Umfassendere Qualifizierung der Umgangsbegleitung / Umgangspflegschaften
durch verbindliche Standards für Qualifizierung in Bezug auf häusliche
Gewalt und Kinderschutz.
4. Interdisziplinäre Zusammenarbeit stärken, z.B. durch
-die Einrichtung verbindlicher interdisziplinärer Fallkonferenzen, um
Informationen zwischen Justiz, Jugendämtern, Frauen- und
Kinderschutzeinrichtungen besser abzustimmen.
5. Forschung und Datengrundlage verbessern, z.B. durch
- den Aufbau einer belastbaren Datenbasis durch regelmäßige Statistiken und
wissenschaftliche Erhebungen zur familiengerichtlichen Praxis im Kontext
häuslicher Gewalt.
Begründung
Häusliche Gewalt in familiengerichtlichen Verfahren reformieren, im Sinne der Istanbul Konvention konsequent berücksichtigen und getrenntlebende Frauen mit Kindern endlich umfassender vor Gewalt schützen.
Trennungen im Kontext von Partnerschaftsgewalt, insbesondere wenn Kinder betroffen sind, bergen erhebliche Risiken für alle Beteiligten. Nicht selten eskaliert die Gewalt in den Streitigkeiten um Sorge- und Umgangsrecht von Seiten des gewalttätigen (Ex-)Partners / (Ex-)Ehemanns erneut und setzt sich auch nach der Trennung fort. In Verfahren zum Sorge- und Umgangsrecht wird häusliche Gewalt bislang sehr oft nicht ausreichend berücksichtigt. Es wird zwischen der Paarbeziehungsebene (wo Gewalt vorkam) und der Elternebene (wo der Kontakt zum Kind weiter ermöglicht werden soll) getrennt. Es wird oft davon ausgegangen, dass die gemeinsame elterliche Sorge und der Umgang mit beiden Elternteilen grundsätzlich kindeswohldienlich sind.
Diese Annahme verkennt, dass häusliche Gewalt kein gewöhnlicher Trennungskonflikt ist. Vielmehr stellt sie einen massiven Risikofaktor für die Sicherheit und das Wohlergehen von Kindern und des gewaltbetroffenen Elternteils dar.
In der Praxis zeigen sich mehrere Problemlagen:
- Eskalationsrisiko: Besonders gefahrvoll sind die Situationen, in denen es um die Übergabe von Kindern geht. Hier kommt es oft zu Bedrohungen, Einschüchterungen oder erneuten Übergriffen oder es droht dazu zu kommen. Auch wenn z.B. Umgangspflegschaften (begleitende Personen) eingesetzt werden, kann das Risiko bestehen bleiben, da diese häufig nicht über die notwendige Qualifizierung und Kenntnisse zu den Dynamiken häuslicher Gewalt verfügen.
- Gefährdung durch Verfahrensabläufe: Gemeinsame Anhörungen der getrennten Paare oder verpflichtende Einigungen führen für die von der massiven häuslichen Gewalt Betroffene häufig zu unzumutbaren Belastungen oder Retraumatisierungen.
- Widerspruch zum Gewaltschutzgesetz: Umgangs- oder Sorgeregelungen können Schutzanordnungen aus dem Gewaltschutzgesetz faktisch entwerten, indem Kontaktverbote unterlaufen werden.
- Kindeswohlgefährdung: Gewalt in der Partnerschaft bedeutet auch Gewalt gegen Kinder. Studien belegen, dass bereits das Miterleben häuslicher Gewalt eine erhebliche Belastung darstellt und als Kindeswohlgefährdung einzuschätzen ist. Dennoch werden Kinder in Verfahren oft nicht ausreichend angehört oder unterstützt.
- Fehlende Datengrundlage: Es fehlen belastbare Statistiken und repräsentative Erhebungen über die familiengerichtliche Praxis im Umgang mit Fällen häuslicher Gewalt.
Die Istanbul-Konvention unterstreicht den Reformbedarf. Sie fordert, dass häusliche Gewalt in sorgerechtlichen Entscheidungen berücksichtigt wird (Art. 31 IK) und dass Schutz und Unterstützung von Kindern als Zeug*innen häuslicher Gewalt gewährleistet sind (Art. 26 IK). Zudem verbietet Art. 48 IK verpflichtende alternative Streitbeilegungsverfahren wie Mediation in Fällen häuslicher Gewalt.
Wir setzen uns dafür ein, dass das Sorge- und Umgangsrecht so ausgestaltet wird, dass es dem Wohlergehen aller Betroffenen dient. Dazu gehören:
- Schutz und Unterstützung des gewaltbetroffenen Elternteils,
- Kinderschutz und Kindeswohl der betroffenen Kinder und Jugendlichen,
- Verantwortungsübernahme und Konsequenzen für den gewaltausübenden Elternteil.
Unterstützer*innen
- Lena Gumnior
- Helge Limburg
- Misbah Khan
- Denise Loop
- Franziska Brantner
