Veranstaltung: | 43. Bundesdelegiertenkonferenz Leipzig |
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Tagesordnungspunkt: | EL Wahl Europaliste |
Antragsteller*in: | Janos Kendernay (.) |
Status: | Zurückgezogen |
Eingereicht: | 05.11.2018, 14:33 |
EL-38: Bewerbung: Janos Kendernay
Bewerbungstext
Keine Spaltung Europas!
Liebe grüne Freundinnen und Freunde!
Ich gehöre zur Generation 1989. Zu jener Generation, für die der Umbruch in Europa ein einschneidendes Erlebnis war. Geboren in Budapest in 1966 habe ich den Fall der Mauer in Ost-Berlin als Student an der Humboldt Universität hautnah miterlebt. Im Jahre 1990 bin ich nach Ungarn zurückgekehrt und in den diplomatischen Dienst eingetreten. Es war damals eine spannende, eine hochpolitische Zeit – und vor allem eine Zeit des Aufbruchs. Nach dem Regimewechsel begannen wir damit, ein unabhängiges und demokratisches Ungarn aufzubauen. Unser Ziel, unsere Vision war es, in Ungarn den europäischen Integrationsprozess voranzutreiben und das Land unter das Dach eines freien Europas zu führen.
Seitdem sind drei Jahrzehnte vergangen. Und wenn ich auf Ungarn, auf mein Heimatland und auch auf den Zustand der EU blicke, fühle mich tief betrübt – und auch betrogen. Betrogen, weil in Ungarn Egoismus, Nationalismus, Gewalt und Korruption an der Tagesordnung sind. Und betrübt, weil die europäische Einheit in Gefahr ist, weil wir Frieden und Stabilität riskieren, weil wir den Wohlstand und Sicherheit von Millionen von Menschen aufs Spiel setzen.
Zentrales Anliegen aller europäisch denkenden und handelnden Demokraten muss daher sein: Wir dürfen eine Spaltung Europas nicht tolerieren.
Wir dürfen nicht zuschauen, wie diese Spaltung weiter vorangetrieben wird. Und wir müssen uns ganz vehement gegen jede Form des Nationalismus stellen – auch weil wir weiter für das kämpfen, was vor 30 Jahren begann. Das sehe ich als zentrale Aufgabe der neuen Legislaturperiode im Europäischen Parlament.
Wir Grünen stehen dabei besonders in der Verantwortung. Für uns besteht die größte Herausforderung darin, Antworten auf drängende Fragen der Globalisierung zu finden. Dabei müssen wir sehr genau abwägen, wie wir unser Kernthema Ökologie sinnvoll ausbalancieren. Denn die Renationalisierung der Politik ist eine Reaktion auf die Globalisierung, eine gefährliche Reaktion, vor der wir jedoch nicht die Augen verschließen dürfen. Im Nationalismus, in der Rückkehr zum Nationalstaat sehen inzwischen viele einen Ausweg aus einer aus ihrer Sicht unkontrollierten Globalisierung, die massive Auswirkungen auf gesellschaftlichen und sozio-ökonomischen Verhältnisse hat. Das beobachten wir schon seit einigen Jahren in Mittel- und Osteuropa, doch diese Haltung breitet sich mit neuer Dynamik nach Westen aus und bedroht damit ganz Europa. „Europa“ wird dabei ganz klar als Feindbild gesehen Mit Parolen wie „Souveränität oder Europa“ artikuliert sich ein Protest gegen Europa, gegen unsere gemeinsamen Errungenschaften und Erfolge.
Meine Überzeugung ist jedoch, dass die Herstellung der Demokratie eines EU Mitgliedstaates nicht primäre Aufgabe des Europäischen Parlaments ist. Allerdings muss von Seiten der EU ganz klar gegen jeglichen Verstoß gegen Grundwerte und auch gegen die Zersplitterung der gemeinsamen Normen vorgegangen werden, bei einer gleichzeitigen Stärkung der Gemeinschaft.
Die demokratischen Kräfte in den einzelnen Mitgliedstaaten benötigen eine klare Unterstützung, für die Lage in ihren Heimatländern tragen sie jedoch selbst die Verantwortung. Europa ist kein à-là-Carte-Menü, das sich jeder selbst nach Gutdünken zusammenstellen kann. Es gibt gemeinsame Werte, es gibt eine gemeinsame Verpflichtung, und dazu gehört auch, dass ein Demokratie-Defizit nirgends zugelassen werden darf. Denn sonst wird sich das Projekt Europa, das wir wollen, das wir anstreben, vor unseren Augen zerbrechen.
Die Einheit Europas zu bewahren – das ist auch der Grund, weshalb ich bei Euch, bei den Grünen/Bündnis 90 für die Europawahlen kandidiere möchte.
Ich setze auf die Kooperation und Partnerschaft mit euch – und das auch im Namen und mit Unterstützung vieler Freunde der grünen Familie aus meinem Heimatland. Das sind Menschen, die an Europa glauben und den Glauben daran nicht verlieren wollen. Es sind gerade diese Europäer, die in Ländern wie Ungarn leben, die Hoffnung machen sollten – und die unser aller Unterstützung benötigen.
Ich möchte meinen Beitrag für ein besseres, für ein demokratisches Europa leisten. Vor allem aber möchte ich mich für ein soziales Europa engagieren. Für ein Europa, das auf dem Gedanken der Solidarität basiert. Ich bin davon überzeugt, dass das der richtige Weg ist, um die Spaltungen innerhalb der EU abzuwenden. Um ein soziales Europa zu gestalten, brauchen wir zwingend einen gesamteuropäischen Ansatz.
Fest steht, dass wir dabei unsere Werte und Rechte nicht preisgeben dürfen. Wir können unsere europäische Demokratie nur gemeinsam bewahren und verteidigen. Und von uns Grünen muss weiterhin ein klares proeuropäisches Signal ausgehen – und wir müssen uns ganz klar zu unserer politischen Verantwortung in Europa bekennen.
Ohne uns kann es in Europa nicht besser werden!
LMP in Ungarn
Die Grünen in Ungarn befinden sich in einer kritischen Lage. Zehn Jahren der Gründung der Partei haben wir politisch noch wenig Gewicht, obwohl wir bei den Wahlen im April einen Stimmzuwachs verzeichnen konnten. Insgesamt gesehen sind wir etwas desillusioniert, vor allem im Hinblick auf die Zweidrittel-Mehrheit der amtierenden Regierung.
Der Erfolg der Grünen in Deutschland, sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene ist etwas, das auch uns Mut macht. Auch wenn die gesellschaftlichen und sozioökonomischen Verhältnisse nicht mit Ungarn zu vergleichen sind. Aber unsere Zielsetzung ist und bleibt identisch:
Ein nachhaltiges Europa mitzugestalten.
Die Ausgangslage der ungarischen Grünen ist schwierig: Eine Energiewende steht aus, wir kämpfen permanent gegen eine Kultur der Korruption und Korruptionsmechanismen – und stehen täglich vor der Herausforderung, die europäische Werte einer liberalen Zivilgesellschaft zu verteidigen, in erster Linie natürlich die Meinungs- und Pressefreiheit sowie das Recht auf Bildung. Vor allem gilt es auch, die Abwanderung von Wissen zu stoppen. In den letzten paar Jahren haben mehrere Zehntausende Menschen das Land verlassen, aus ökonomischen, aber vor alle auch aus politischen Gründen, die meisten von ihnen sind Akademiker und leben jetzt in Großbritannien (350.000) und in Deutschland. Allein in Deutschland leben heute mehr als 190.000 Ungarn (Zahlen von 2016) 2001 waren es nur 56.000.
Viele der Abgewanderten zählten zu unserer Wählerschaft. Laut Exit-Pools in London hätten wir bei den Wahlen im April 2018 rund 20 Prozent der Stimmen erhalten. Jedoch können sich die wenigsten Exil-Ungarn an den Wahlen beteiligen, das ungarische Wahlsystem ermöglicht Auswandern nicht, per Post oder digital ihre Stimme abzugeben. Man muss schon in der Nähe einer Botschaft leben, um sich irgendwie an den Wahlen zu beteiligen.
Meine Vision
Ich möchte mich für ein modernes, faires und gesundes Ungarn engagieren, ein Land, das von Innovation und Kreativität geprägt ist. Ein Land, in dem sich Menschen geachtet und verstanden fühlen – und das sich als Teil eines freien und demokratischen Europas versteht. Auf europäischer Ebene stehe ich für eine gemeinsame Zukunft, nicht für ein rückwärtsgewandtes Denken.
Sondern für ein Europa der Vernunft und der Nachhaltigkeit.
Meine Diplomarbeit an der Humboldt-Universität habe ich über die skandinavisch-deutschen, kulturell-politische und literarische Wechselbeziehungen des 19. Jahrhunderts geschrieben. Mir schien es damals zu banal, über die deutsch-ungarischen Beziehungen zu schreiben. Das hat sich geändert. Ich sehe es als meine Aufgabe, politisch zu handeln und meinen Teil zur der Gestaltung der Zukunft beizutragen.
Meine Kandidatur für 2019 und auch meine Rückkehr nach Deutschland nach 30 Jahren haben für mich einen symbolischen Charakter. Denn heute stehen wir wieder vor einer Wende. Und es liegt an uns, dass diese Wende eine positive Wende wird. Oder um es so zu sagen:
Zu verteidigen gibt es viel, zu verbessern, noch mehr.
Mit meiner mitteleuropäischen Identität, die auf meiner ungarndeutschen Herkunft und meinen Wurzeln beruht, sehe ich mich als stolzer Europäer. Und das will ich bleiben, auch in dem Auge meiner Kinder. Ich lehne jegliche Form von Gewalt ab, sei es verbal oder körperlich. Ich betrachte mich selbst auch als Feminist, habe mich während meiner Karriere im diplomatischen Dienst aber auch auf Parteiebene für Chancengleichheit eingesetzt.
Fast drei Jahrzehnten im Bereich internationale Beziehungen und europäischer Zusammenarbeit tätig 1992 war ich der erste ungarische Diplomatenpraktikant bei der Europäischen Kommission. In der Folge dann Jahrzehnte lang aktive Mitarbeit am Integrationsprozess Ungarns. Zuletzt tätig im Europäischen Auswärtigen Dienst.
Während meiner Karriere habe ich mich mit den Themen: Justiz und Inneres, Bildung, Kultur, audiovisuelle Medien, regionale Zusammenarbeit Nord Afrika und Naher Osten, Erweiterungsfragen und Western-Balkan, - Energie und Klimaschutz beschäftigt.
Aus Protest gegen die politischen Verhältnisse in meinem Heimatland und die Neuausrichtung der Außenpolitik der Regierung wurde ich politisch aktiv und habe den diplomatischen Dienst nach fast drei Jahrzehnten verlassen. Der Grünen Ungarns, der Partei LMP (Politik sollte anders sein) bin ich im Jahr 2014 beigetreten. Seit Mai dieses Jahres bin ich Mitglied des Vorstandes der Partei, u.a. war ich Mitglied des Präsidiums des Politischen Rates und bin seit einigen Jahren der außenpolitische Sprecher der LMP. Ich habe zwei Arbeitskreisen mitgegründet: Europa und Ökopolitik, die ich beide jetzt auch leite und koordiniere. Seit vier Jahren bin ich auch Mitglied des Vorstandes der Partei Gruppe Ausland.
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Über mich persönlich:
Geboren in Budapest in 1966. Verheiratet, zwei studierende Kinder, drei Hunden davon zwei geretteten Hunden.
Studium an der Humboldt Universität zu Berlin, 1985-1990
PhD Studium in Budapest, 2006-2009, 2017- (Sicherheitspolitik, Terrorismus Bekämpfung und Prävention)
Diplomaten- Laufbahn 1990-2018 (Budapest, Brüssel)