Veranstaltung: | 43. Bundesdelegiertenkonferenz Leipzig |
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Tagesordnungspunkt: | EL Wahl Europaliste |
Antragsteller*in: | Reinhard Bütikofer (Berlin-Mitte KV) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 27.10.2018, 10:37 |
EL-27: Bewerbung: Reinhard Bütikofer
Bewerbungstext
Liebe Freundinnen und Freunde,
die Europawahl im Mai 2019 wird wichtiger als alle, die bisher stattfanden. Da der europäische Status quo mehr und mehr erschüttert wird, geht es bei der Europawahl um eine grundlegende Richtungsentscheidung. Findet die Europäische Union den Weg zu einem neuen Aufbruch? Schaffen wir es, das Versprechen Europas zu erneuern, wie es in unserem Wahlprogramm heißt? Oder gewinnen die zerstörerischen Kräfte, die Geister des Nationalismus, der Ausgrenzung, des Extremismus und des Autoritarismus die Oberhand? Es zählt dabei nicht nur, wer wie viele Sitze erringt, sondern welche Perspektive europäische Dynamik entwickelt. Nicht nur als deutscher Grüner, auch als Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei bin ich überzeugt, dass wir in diese Wahl mit dem Anspruch gehen können, Europas Zukunft mitzuprägen. Europa braucht Grün.
Vielfältig und vielgestaltig sind die Risiken und Bedrohungen, denen wir uns gegenüber sehen. Sie gefährden das europäische Einigungsprojekt. Sie reichen bis zur Infragestellung von Rechtsstaat, Demokratie, sozialem Zusammenhalt, ökologischer Zukunftsfähigkeit sowie wirtschaftlicher Stabilität. Die bloße Verteidigung des Status quo bietet keinen Ausweg. An Europa zu verzweifeln, dazu gibt es für uns Grüne keinen Grund. Auch angesichts der dramatischen Herausforderungen ist eine bessere Zukunft möglich! Wir wollen die vorhandenen positiven Energien aufgreifen und uns mit ihnen verbünden. „Hoffnung statt Angst“ gilt auch auf europäischer Ebene!
700.000 Demonstrantinnen und Demonstranten in London gegen den Brexit; 240.000 bei der #unteilbar-Demonstration in Berlin; 50.000 bei der Demonstration gegen die Abholzung des Hambacher Waldes; 100.000 unter Europafahnen in Bukarest gegen Korruption; große Mobilisierung für Frauenrechte in Polen; das sind Bewegungen, die hoffnungsvoll stimmen. Gleichzeitig bezeugen Eurostat-Umfragen, dass die Zustimmung zur EU in Deutschland heute so hoch ist wie seit 1983 nicht mehr. Ähnliches gilt für fast alle EU-Länder. Und die europäische Politik steht auch nicht still. Wir Grüne haben im Europäischen Parlament zum Beispiel Erfolge erkämpft für's Klima, für den Datenschutz, für fairere Löhne, gegen industrielle Massentierhaltung, gegen Steuerflucht. Zur Verteidigung des Rechtsstaates hat die Europäische Kommission im Dezember 2017 ein sogenanntes Artikel 7-Verfahren gegen Polen eingeleitet. Das Europäische Parlament seinerseits hat im September ein entsprechendes Verfahren gegenüber Ungarn auf den Weg gebracht. Und der Europäische Gerichtshof hat gerade erst per einstweiliger Anordnung der polnischen Regierung untersagt, einfach ein Drittel der Verfassungsrichter aus dem Amt zu kegeln. Im jahrzehntealten Konflikt zwischen Griechenland und Mazedonien/FYROM um den Namen dieser ehemaligen jugoslawischen Republik, der bis jetzt noch den kleinsten Schritt Mazedoniens in Richtung EU-Mitgliedschaft blockiert hatte, gab es jüngst einen vielversprechenden Durchbruch. Gegen die handelspolitischen Zumutungen aus Washington hat die EU, weil sie bei dem Thema mit einer Stimme sprach, dem Make-America-Great-Again-Präsidenten Grenzen gesetzt. Selbst über die beschämende außenpolitische Zersplitterung gegenüber der vom totalitären chinesischen Regime betriebenen Politik des „Teile und Herrsche“ kommt die EU durch ihre neue Konnektivitätsstrategielangsam etwas hinaus. Dass es gelungen ist, die Russlandsanktionen aufrechtzuerhalten, ist auch kein kleiner Erfolg der EU.
Aber in vielen Bereichen kommen wir in der EU derzeit nicht wirklich voran: nicht bei der Flüchtlings- und Migrationspolitik; nicht bei der notwendigen gemeinsamen Industriepolitik; nicht bei der sozialen Dimension Europas, die mehr sein muss als ein Lippenbekenntnis; nicht beim verlässlichen Schutz der Minderheiten, etwa der Sinti und Roma; nicht bei einer fairen Handelspolitik gegenüber Afrika; nicht bei einer Energiepolitik, die in ihrer Entschiedenheit der Radikalität entspricht, mit der der Klimawandel unsere ganze Zivilisation bedroht; nicht beim Ringen um mehr Demokratie gegen wuchernden Lobbyeinfluss. Eben deswegen brauchen wir ja fundamentale Veränderungen in der EU. Doch die Energie ist da, mit der man diese großen Aufgaben angehen kann. Sie ist erneuerbar. Sie muss geweckt, sichtbar gemacht, ans Wort gebracht, vernetzt, mobilisiert und konzentriert werden. Das ist unsere Grüne Aufgabe. Mit radikaler Analyse, klaren Visionen und pragmatischem Herangehen.
Die traditionellen Volksparteien, Christdemokratie und Sozialdemokratie, werden voraussichtlich in der Europawahl erheblich verlieren, das Status quo-Lager wird geschwächt werden. Das Lager der autoritären Populisten, der Nationalisten, der Anti-Europäer - zum Teil sind ja offene Faschisten und Rassisten dabei - wird wohl erfolgreicher sein als vor fünf Jahren. An uns liegt es, das dritte Lager stark zu machen, das Lager der Proeuropäer, die mit ihrem Engagement diesem historischen Projekt dadurch Vitalität verleihen, dass sie den notwendigen progressiven und ökologischen Wandel vorantreiben! Wir sind dabei nicht nur auf uns alleine angewiesen, wir können Bündnisse bilden und mit denjenigen zusammenarbeiten, die diese Grundrichtung „Pro Europa, Pro Reform“ teilen. Darum bemühen wir uns gerade in Ländern, in denen Grüne für sich alleine bei der Europawahl vielleicht nicht erfolgreich wären: in Italien, in Polen, in Bulgarien, in Slowenien, in der Tschechischen Republik, in Kroatien, in der Slowakei, auch mit den Regionalisten, die derzeit schon zur Grüne/EFA-Fraktion gehören. Mehr Grüne Abgeordnete aus mehr Ländern und dazu hoffentlich eine ganze Reihe bunter Kräfte darüber hinaus können nach der Europawahl die dynamische Allianz sein, die sich der Renationalisierung und der Rechtsverschiebung entgegenstellt und Europa weiterentwickelt. Dafür will ich mit Euch kämpfen.
Meine Beiträge sollen einerseits im Bereich der Europäischen Grünen Partei liegen und andererseits die thematische Schwerpunktsetzung fortführen, der ich in den letzten Jahren gefolgt bin.
Ich mache mit großer Lust Industriepolitik und sehe in ihr eine große Chance für Grün. Meine Themen reichen von Kreislaufwirtschaft über Wettbewerbspolitik, Divestment, Greening Finance, Rohstoff-Effizienz, Durchsetzung ökologischer und sozialer Standards in Handelsverträgen, Digitalisierung der Industrie, Cyber-Sicherheit bis zum Kampf gegen Nord Stream 2, gegen Dumping-Importe und bis zum Investment Screening. Mit unserem Konzept der ökologischen Transformation haben wir Grüne viel zu bieten. Und wir werden mehr und mehr in der Industrie gehört.
Außenpolitik ist mein zweites Standbein und dabei vor allem die Beziehungen mit den USA und mit China. Ich will nicht, dass die Europäische Union die Rolle einer dritten Supermacht anstrebt, wie das die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini propagiert. Europa muss mehr für die gemeinsame Sicherheit tun, ja, aber ich will weiter dagegen streiten, dass im europäischen Budget und in der Entwicklungspolitik das Primat des Militärischen die Konfliktprävention und die zivile Konfliktbearbeitung verdrängt. Die EU muss in Zukunft auch gemeinsam dafür sorgen, dass keine Waffenexporte und Überwachungstechnologien an Diktatoren gehen oder an Länder, die sich im Krieg befinden. Europa soll als Hort des Multilateralismus, der Menschenrechte und der Orientierung an den Sustainable Development Goals wirken. Es geht dabei ganz stark darum, die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Ländern international, nicht zuletzt im Rahmen der UNO, zu verstärken.
Liebe Freundinnen und Freunde,
Demokratien sind erfahrungsgemäß langsam, wenn sie sich durch große Gefahren herausgefordert sehen. Das gilt nach Innen wie nach Außen. Seit Jahren haben wir Grüne kritisiert, dass die Reaktionen auf die vielfältigen Herausforderungen halbherzig waren. Heute sehen wir, dass sich die Stimmung zu ändern beginnt. Seien wir Grüne diejenigen, die die europäische Mobilisierung der Demokratinnen und Demokraten mit aller Kraft unterstützen und mit unserer Grünen Politik eine konstruktive Zukunftsorientierung anbieten.
Ich bitte um euer Vertrauen für eine erneute Kandidatur, um daran mitzuwirken.
Euer Reinhard
Persönlich:
- Geboren 1953 in Mannheim
- 3 erwachsene Töchter
- Verheiratet mit Renée Krebs
Politisch:
- Seit 1984 Grünes Mitglied
- 1984 – 1988 Stadtrat in Heidelberg
- 1988 – 1996 MdL Baden-Württemberg
- 1997 – 1998 Landesvorsitzender Ba-Wü
- 1998 – 2002 Polit. Bundesgeschäftsführer
- 1999 – 2002 Vorsitz Grundsatzkommission
- 2002 – 2008 Bundesvorsitzender
- Seit 2009 im Europäischen Parlament
- Seit 2012 Ko-Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei
www.reinhardbuetikofer.eu
Twitter: @bueti