Veranstaltung: | 43. Bundesdelegiertenkonferenz Leipzig |
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Tagesordnungspunkt: | EL Wahl Europaliste |
Antragsteller*in: | Sergey Lagodinsky (Berlin-Pankow KV) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 27.10.2018, 10:25 |
EL-26: Bewerbung: Sergey Lagodinsky
Bewerbungstext
Liebe Freundinnen, liebe Freunde,
mit achtzehn Jahren kam ich nach Deutschland. In einem Flüchtlingsheim in Schleswig-Holstein habe ich mir Deutsch beigebracht. Hinter mir hatte ich die Sowjetunion gelassen, wo ich aufgewachsen war. Aus dieser Zeit weiß ich, was Unfreiheit und soziale Nöte bedeuten. Europa wurde für mich zu einem Ort der Freiheit, die mir nicht in die Wiege gelegt wurde. Seitdem bin ich ein leidenschaftlicher Kämpfer für Demokratie, Bürgerrechte und Rechtsstaat. Um dieses Engagement für Europa parlamentarisch fortzusetzen, bitte ich um Euer Vertrauen bei meiner Bewerbung um einen aussichtsreichen Listenplatz.
Was Europa mir, einem eingewanderten jüdischen Kontingentflüchtling, damals bedeutete, ist das, was es uns allen bietet: eine Chance. Die EU ist eine Chance, die lange Geschichte des gegenseitigen Bekriegens zu beenden, unsere Umwelt zu bewahren, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu festigen. Eine Chance kann frau nutzen, eine Chance kann man vertun. Packen wir es an!
Dass Europas Rechtsstaatlichkeit in Gefahr ist, ist mittlerweile eine Floskel geworden. Keine Floskel ist diese Aussage für strafrechtlich verfolgte Obdachlose in Ungarn, für versetzte Richter*innen in Polen, für unrechtmäßig aus Deutschland abgeschobene Asylbewerber*innen. Es ist wenig verwunderlich, dass populistische und autoritäre Regierungen häufig den Klimawandel leugnen oder die Energiewende ausbremsen - zulasten von uns allen.
Als Verfassungsjurist habe ich daher sehr konkrete Vorschläge, für die ich von Brüssel aus kämpfen will, um die Rechtsstaatlichkeit in der EU zu sichern. Das Ziel ist zweierlei: bestehende Fehlentwicklungen zu korrigieren, zugleich aber der drohenden Ausbreitung der Demokratiefeindlichkeit in allen EU-Staaten, vorzubeugen. Resilienz unserer rechtsstaatlichen Systeme muss ein wichtiger Bestandteil unserer Politik werden: Wie stärken wir unseren Parlamentarismus und unsere Gerichtsbarkeit, wie garantieren wir Medienpluralismus, wie geben wir unseren Aktivist*innen die Gewissheit, dass sie sich nicht vor Sanktionen oder Anfeindungen fürchten müssen. Schon heute sind viele NGOs und ganze Universitäten gezwungen, Ungarn zu verlassen. Anti-nazistische Aktivist*innen werden in Teilen der Bundesrepublik angegriffen und eingeschüchtert. So darf nicht Europa von morgen аussehen!
Digitale Grundrechte, digitale Gerechtigkeit und digitale Nichtdiskriminierung zähle ich zum selbstverständlichen Bestandteil dieser Demokratieagenda. Wir brauchen Digitalisierung, um ökologische Wende zu schaffen, also reicht blosse Kritik nicht aus. Wir müssen die Rahmenbedingungen für neue Technologien von Anfang an aktiv mitgestalten, um bürgerrechtliche Standards zu sichern.
Vor lauter Selbstbeschäftigung mit der EU dürfen wir nicht über Bürgerrechte und Freiräume östlich und südlich der Unionsgrenzen vergessen: in den Ländern der östlichen Partnerschaft, in Russland oder der Türkei. Europa lebt und funktioniert nicht in einem luftleeren Raum. Gute Beziehungen zu unseren Nachbarn bedeuten, dass wir die dortige Situation kennen, aufmerksam verfolgen, Kontakte auch in schwierigsten Zeiten nicht abreißen lassen. Solidarität mit Menschen, Klartext mit Regierungen – das muss unser Credo gegenüber unseren Nachbarn bleiben. Ich bin im Kontakt mit vielen Betroffenen aus diesen Ländern. Sie erwarten, dass Europa über eigene Grenzen hinaus denkt und handelt. Unser Einsatz für Bürgerrechte endet nicht an unseren Grenzen. Dafür stehe ich!
Stets wichtig für mich: In der EU müssen europäische Chancen gerecht unter Allen verteilt sein, egal welcher Herkunft, Religion oder Weltanschauung wir sind. Wir brauchen eine Vielfalt, die befähigt, aber auch eine Vielfalt, die zusammenhält. Aus Erfahrungen als aktive Stimme in der jüdischen und migrantischen Community Deutschlands und als Mitgestalter des jüdisch-muslimischen Dialogs, weiß ich um die Wichtigkeit der Solidarität im Kampf gegen Hass jeglicher Couleur. Ob Islamfeindlichkeit, Antiziganismus, Rassismus, religiöser Extremismus oder Antisemitismus – Einzelkampf bringt wenig, Allianzen bringen viel! Zugleich muss diese Vielfalt klug und aktiv gemanagt werden: Klare Chancen, klare Regeln und viel Freude an Pluralität – dafür trete ich seit Jahren ein und will es künftig auf europäischer Ebene tun.
All diese Vorhaben sind wenig wert, wenn wir als Partei nicht diejenigen mitnehmen, um die es geht: Europäer*innen selbst. Dafür müssen wir in Dialog und Austausch mit Bürger*innen treten: prinzipientreu, aber vorurteilslos. Diskussionen mit Menschen außerhalb der eigenen politischen Blase sind für mich seit Jahren ein selbstverständlicher Bestandteil meines Engagements: ob mit russischsprachigen Wähler*innen, mit Menschen im Osten der Bundesrepublik, mit Religiösen oder Säkularen, mit EU-Fans oder EU-Skeptiker*innen. Als Grüner und als leidenschaftlicher Europäer führe ich diese Gespräche wertegeleitet, aber stets auf Augenhöhe. Ich rede Tacheles, aber ich baue Brücken. Mein Fazit: Auch wenn wir nicht alle überzeugen werden, können wir viele nachdenklich machen, indem wir zeigen, dass es sich lohnt, über ein gerechtes, ökologisches und demokratisches Europa zu diskutieren. Auch das ist eine Aufgabe, der ich mich als Abgeordneter annehmen will.
Als Referatsleiter bei der Heinrich-Böll-Stiftung bin ich für sieben Büros in der EU, den USA und der Türkei zuständig sowie für ein Team in Berlin. Durch Unterstützung unserer Partner*innen in diesen Regionen gelingt es uns, viel zu bewegen. Doch ich merke auch, wie wir als Zivilgesellschaft an die Grenzen des Machbaren stoßen, weil der EU-Motor stottert. Um dies zu ändern, ist parlamentarische Mitgestaltung notwendig. Daher will ich im EU-Parlament mit anpacken.
Dafür bitte ich Euch um Eure Unterstützung!
Bei Fragen stehe ich Euch stets und gerne zur Verfügung:
Email: info@lagodinsky.de
www.lagodinsky.de
Twitter: @SLagodinsky
Dr. Sergey Lagodinsky
Referatsleiter EU/Nordamerika, Heinrich-Böll-Stiftung
Rechtsanwalt
Publizist (Süddeutsche, taz, Deutschlandfunk u.ä.)
Ausbildung: Rechtswissenschaften (Göttingen), Public Administration (Harvard), Promotion (HU Berlin)
- 2011 Eintritt BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN nach Austritt aus SPD wegen Thilo Sarrazin
- Vorsitzender KV Pankow (2013-14)
- Bundestagskandidat (2013)
- Mitglied Parteikommission „Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat“ (2013-15)
- Delegierter auf verschiedenen Ebenen