Antrag EPW: | Kapitel 5: Voranbringen, was uns voranbringt: Innovation, Bildung und Kultur |
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Antragsteller*in: | BAG Frauen (dort beschlossen am: 07.10.2018) |
Status: | Behandelt |
Verfahrensvorschlag: | Übernahme |
Eingereicht: | 07.10.2018, 13:25 |
EP-V-01-256: Kapitel 5: Voranbringen, was uns voranbringt: Innovation, Bildung und Kultur
Antragstext
Von Zeile 255 bis 258:
Forschungs- und Innovationsförderung soll auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen von Klimawandel, Biodiversitätsverlust und, Ressourcenknappheit bis zursowie Krebs- und Demografie-Forschung bis hin zu Machtfragen, wie patriarchiale Strukturen, ausgerichtet werden. Das Nachfolgeprogramm „Horizon Europe“ muss dafür sorgen, dass neue Ideen schneller marktreif werden und der Technologietransfer in
In atemberaubender Geschwindigkeit greifen der wissenschaftliche und technische Fortschritt
aus und immer tiefer in unsere Leben ein. Die Digitalisierung prägt, wie wir arbeiten, wie
wir kommunizieren, wie wir denken, wie wir lernen, wie wir reden. Sie stellt die Wirtschaft
auf den Kopf und vieles in Frage. Es öffnet sich ein Raum von ungeahnten Möglichkeiten und
Herausforderungen: nicht nur, dass Roboter Rasen mähen und Post austragen, sondern auch,
dass sie unsere Eltern und Großeltern im Heim pflegen. Dass ferngesteuerte Maschinen die
Felder so passgenau düngen, dass keine Nährstoffüberschüsse mehr entstehen. Dass Roboter
Kriege führen und über Leben und Tod bestimmen. Neue Konzerne dominieren die Märkte, und
ihre handelbare Ware sind unsere persönlichen, intimsten Daten. Aus Forschungen werden neue
Techniken. Es entsteht neue Arbeit, alte geht verloren.
Vieles klingt verheißungsvoll, anderes scheint unheimlich, aber in jedem Fall ist es eins:
fundamental. Es ist deshalb an der Politik, die Veränderungen entlang der europäischen Werte
zu gestalten. Das bedeutet, Entwicklungen zu fördern, aber auch zu entscheiden, was man
zulassen will und wie Anwendungen zu regulieren sind. Sinnvoll geht das nur auf europäischer
Ebene. Wenn wir wissen wollen, nach welchen Kriterien Algorithmen bestimmen, wer wie viel
für einen Flug bezahlen muss oder wer in die engere Auswahl für Jobs kommt, dann wird das
kaum national möglich sein. Sonst läuft der strengere nationale Standard leer, weil in den
Nachbarländern ein niedrigerer gilt, und die in der Regel global agierenden Konzerne lachen
sich ins Fäustchen.
Europa dagegen ist eine Macht. Wenn die EU will, kann sie die digitale Welt zivilisieren.
Sie muss aus unserer Sicht Regeln für die Haftung von Maschinen schaffen, für die
Transparenz und Überprüfbarkeit von Algorithmen, sie muss die Diskriminierung durch
Suchmaschinen, Filter und Co. verbieten. Andererseits gilt es, die Chancen, die sich auftun,
wirklich zu nutzen: Schlüsseltechnologien fördern und den Nährboden für Start-ups schaffen.
Ein schlagkräftiges neues Forschungsprogramm auflegen, damit neue Ideen und
Zukunftstechnologien schneller marktreif werden und der Technologietransfer in die Praxis
beschleunigt wird. An neu zu gründenden europäischen Universitäten Wissen bündeln und so die
Innovationskraft vervielfachen.
Und für all das gilt: Die Freiheit von Wissenschaft und Forschung, genauso von Kunst muss
garantiert sein. Kultur und Kreativität müssen sich frei entfalten können, was angesichts
des Drucks, unter dem Kulturschaffende in Ländern wie Ungarn stehen, keine
Selbstverständlichkeit mehr ist.
Bildung ist dabei der Schlüssel, damit wir für die rasanten Änderungen gewappnet sind. Das
gilt für Kinder und Jugendliche genauso wie für Erwachsene. Wir wollen ein Recht auf
Weiterbildung und lebenslanges Lernen EU-weit verankern. Schüler*innen, Auszubildende und
Student*innen sollen Europa konkret erfahren können. Dafür etwa wollen wir das europäische
Erasmus-Programm massiv ausbauen, damit Europa nicht nur für Akademiker erlebbar wird. So
schaffen wir ein Europa als Raum der Kreativität und Innovation, ein Europa, das auf der
Höhe der Zeit ist und die Entwicklungen steuert, statt ihnen hinterherzulaufen.
5.1 Die Digitalisierung zum Wohl der Menschen steuern
Die Digitalisierung kann uns helfen, effizienter und damit ökologischer zu handeln,
Informationen leichter zu verbreiten und mehr Transparenz herzustellen. Wir wollen den
digitalen Wandel demokratisch, ökologisch und sozial gestalten. Wir wollen die Chancen
ergreifen, um Arbeit zu erleichtern, Krankheiten zu heilen, Verkehrsunfälle zu vermeiden und
Bildungschancen zu erhöhen, und Innovationen fördern.
Als Grüne haben wir in Europa mit der Datenschutzgrundverordnung, die wir maßgeblich mit auf
den Weg gebracht haben, einen internationalen Standard gesetzt und schon viel erreicht.
Bürger*innen müssen sich selbstbestimmt im digitalen Raum bewegen können. Das heißt vor
allem, über die eigenen Daten zu bestimmen.
Beim Datenschutz und bei der Daten- und der IT-Sicherheit kann Europa mit einheitlichen
Sicherheitsnormen voranschreiten und somit Wettbewerbsvorteile durch eine an unseren
Grundrechten orientierte Digitalpolitik erreichen. Gerade angesichts der zunehmenden
Bedeutung des „Internets der Dinge“ sind höchste Sicherheitsstandards essenziell, denn neue
digitale Angebote und Innovationen werden nur dann genutzt, wenn die Menschen ihnen auch
vertrauen.
Die Digitalisierung trifft auf eine Wirtschaft, in der mit ökologischen Langzeitschäden,
Investitions- und Nachfrageschwäche, zu starker Konzentration von Vermögen und zu großem
Ressourcenhunger einiges im Argen liegt. Insbesondere die Plattformökonomie mit ihren
Netzwerkeffekten schafft zunehmend Monopole und geschlossene Strukturen. Wir wollen Ordnung
in dieses System bringen. Dafür brauchen wir mehr Investitionen, damit unsere Wirtschaft
krisenfester und dynamischer wird. Dafür brauchen wir eine öffentliche Hand, die auch
gegenüber Konzernen durchgreifen kann, um für fairen Wettbewerb, den Schutz der
Verbraucher*innen und den Erhalt öffentlicher Güter zu sorgen.
Mit Digitalisierung Ökonomie und Ökologie zusammenführen
Wir wollen die Digitalisierung nutzen, um Ökonomie und Ökologie weiter zusammenzuführen. Sie
schafft enorme Chancen für Ökoeffizienz und Kreislaufwirtschaft. Mit Videokonferenzen lässt
sich Teamarbeit weltweit vernetzen und damit der CO2-Ausstoß durch Reisen reduzieren. Mit
intelligenten Stromnetzen und intelligent vernetzten Transportsystemen können wir unseren
Energieverbrauch reduzieren. Intelligente Stromnetze („smart grids“) und Zähler („smart
meters“) beschleunigen die Energiewende, und mit Carsharing und einer intelligenten
Verkehrssteuerung bringen wir die Verkehrswende voran. Dafür wollen wir ein europäisches
Förderprogramm, das sich exklusiv dem ökologischen Potenzial der Digitalisierung widmet und
die Ökoeffizienz in Unternehmen fördert.
Die Digitalisierung kann also zum ökologischen Umbau unserer Gesellschaft beitragen.
Gleichzeitig frisst sie aber auch Ressourcen und Energie. So werden wertvolle Rohstoffe
zunehmend für die Digitalisierung gebraucht und der Energiebedarf für digitale Prozesse
wächst jedes Jahr massiv. Expert*innen zufolge wird der digitale Energiebedarf 2040 die
weltweite Energieproduktion übersteigen, falls nicht umgesteuert wird. Deswegen wollen wir
prüfen, wie für energieintensive Prozesse, zum Beispiel die Blockchain, die Entwicklung
ökologischer Alternativen auf europäischer Ebene gefördert werden kann.
Wir wollen als Teil der europäischen Energiewende energiearme IT-Technik voranbringen und
eine europäische „Green IT“-Strategie auflegen. Diese Strategie soll die Forschung und
Entwicklung von ultraeffizienten Chips fördern und die europäische Halbleiterindustrie –
eine technologische Schlüsselbranche – in Richtung Nachhaltigkeit stärken. Darüber hinaus
setzen wir uns für „Green IT“-Kriterien bei der öffentlichen Vergabe und ein Label für
energieeffiziente, nachhaltige Rechenzentren ein. Gerade die europäische Verwaltung soll in
Zukunft „Green IT“-Systeme nutzen. Damit Fortschritte bei der Energie- und
Ressourceneffizienz von digitalen Technologien eine größere Verbreitung finden, wollen wir
vor allem Open-Hardware- und Open-Software-Lösungen unterstützen. Zahlreiche Projekte in
diesen Bereichen haben gezeigt, wie der Energieverbrauch und damit auch die Kosten gesenkt
werden können.
Digitalen Wandel in der Wirtschaft entschlossen vorantreiben
Europas Industrie steht mitten in einem bahnbrechenden Umbruch: Neue Technologien und
Innovationen fassen Fuß, neue Märkte entstehen und neue Wettbewerber treten auf. In
zahlreichen Zukunftstechnologien, wie der künstlichen Intelligenz oder autonomen Systemen,
befinden wir uns in einer Aufholjagd gegenüber anderen Weltregionen. Nur gemeinsam, mutig
und visionär kann Europa innovationsstärker werden.
Wir wollen, dass Europa kleine und mittlere Unternehmen und das Handwerk bei der
Digitalisierung unterstützt, sei es mit Beratungsangeboten oder Förderprogrammen.
Auch wollen wir, dass die jetzt schon an vielen Stellen etablierten und kommenden
Möglichkeiten der digitalisierten Arbeitswelt für mehr Freiheit der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer genutzt werden. Die digitale Arbeitswelt birgt aber auch Fallen: Unfreiwillige
Mehrarbeit, dauernde Verfügbarkeit und ständige digitale Leistungskontrolle werden
einfacher. Es braucht daher einen guten digitalen Arbeitsschutz für Beschäftigte und
Selbständige – sowohl gesetzlich wie tariflich. Dienstleistungsplattformen müssen sich ihrer
Verantwortung bei den Arbeitsbedingungen, der Mitbestimmung und der Entlohnung stellen. Um
Menschen eine Perspektive zu bieten, deren Arbeitsplatz im Zuge der Digitalisierung
wegfällt, wollen wir europäische Aus- und Weiterbildungsprogramme stärken. Dazu möchten wir
das Recht auf Weiterbildung europäisch verankern.
Wir wollen die Freiheit im Netz erhalten und gleichzeitig dafür sorgen, dass Künstler*innen
und Kulturschaffende für ihre Arbeiten vergütet werden. Statt einer automatischen Löschung
bzw. Filterung von Inhalten wollen wir ein digitales Urheberrecht, bei dem diejenigen, die
mit den Werken anderer Geld verdienen, diese auch angemessen dafür bezahlen. Illegale
Plattformen, die Filme, Texte, Fotos oder Musik anbieten, oft mit weiteren Fallen für die
Besucher*innen, sollen gelöscht werden – und nicht die Nutzer*innen mit zum Teil absurden
Forderungen abgemahnt werden. Auch Plattformanbieter, die mit der Attraktivität von
Kulturleistungen Geschäfte – etwa mittels Werbung – machen, müssen die Künstler*innen
entschädigen. Entsprechend soll ein Vergütungssystem entwickelt werden, das Klick-, Besuchs-
und Downloadzahlen vergütet, ohne dass dabei die Nutzer*innen selbst überwacht werden. Wir
übertragen so die Rechtsnormen der analogen Welt in die digitale. Es braucht ein
zukunftsfähiges Künstlervertragsrecht, bei dem die Kulturschaffenden selbst über die
Bedingungen ihrer Vergütung mitentscheiden können und nebenbei auch alternative
Vertriebswege gehen können. So erhalten wir die Remix-Kultur im Internet, hören auf,
Nutzer*innen zu kriminalisieren, und sichern Künstler*innen eine Vergütung für ihre
Leistungen.
Europäische Forschungsprogramme wollen wir stärken, um bahnbrechende digitale Technologien
zu entwickeln. Gerade bei der Unterstützung von künstlicher Intelligenz (KI) wollen wir
gesamteuropäisch vorangehen. Deswegen setzen wir uns für ein europäisches Zentrum für
künstliche Intelligenz ein.
Europa soll Vorreiterin im Datenschutz bleiben. Auf der Basis der Datenschutzgrundverordnung
(DSGVO) wollen wir deshalb innovative und datenschutzfreundliche Unternehmen als digitales
Alleinstellungsmerkmal Europas fördern und „Privacy by Design“ und „Data Protection made in
Europe“ zum Wettbewerbsvorteil machen. Dazu gehören Investitionen in technische
Datenschutzforschung und Anonymisierungstechnologien, insbesondere im Zusammenhang mit „Big
Data“ und Algorithmen. Die öffentliche Hand muss bei der IT-Sicherheit Vorreiter sein. Wir
wollen sichere europäische Cloud-Lösungen fördern und Vertrauen stärken, indem Unternehmen
zu regelmäßigen Sicherheitsupdates verpflichtet werden.
Nicht nur im Datenschutz braucht es einen gesamteuropäischen Ordnungsrahmen, sondern auch
für die von uns Verbraucher*innen genutzten Plattformen. Es soll möglich werden, zwischen
den verschiedenen Plattformen und Messenger-Apps wie Threema und WhatsApp zu kommunizieren.
Denn es ist äußerst unpraktisch, wenn die Menschen zig unterschiedliche Apps benötigen, um
mit verschiedenen Freund*innen in Kontakt zu treten. Außerdem müssen Nutzer*innen, die die
Plattform wechseln, künftig ihre Daten mitnehmen können. Auch digitale Unternehmen können
und müssen im Sinne der Nutzerinnen und Nutzer reguliert werden.
Damit Unternehmen und Verbraucher*innen von der Digitalisierung profitieren können, braucht
Europa eine flächendeckende digitale Infrastruktur. Ohne sie wird es keinen vollendeten
europäischen digitalen Binnenmarkt geben. Für die digitale Infrastruktur Glasfaser und 5G-
Mobilfunk gibt es Investitionslücken von hunderten Milliarden Euro. Deswegen setzen wir uns
für eine europäische Investitionsoffensive in die digitale Infrastruktur und für eine
Verbreitung öffentlicher WLAN-Netze ein.
Wir wollen, dass Investitionen aus Nicht-EU-Ländern durch eine Prüfung der Belange von
Sicherheit und der öffentlichen Ordnung („investment screening“) kritisch überprüft und ggf.
untersagt werden können.
Digitalisierung und Gleichheit: Schutz vor Diskriminierung
Große Fortschritte bei den digitalen Technologien und der Automatisierung stellen uns als
europäische Gesellschaft vor grundlegend neue Fragestellungen. In China sehen wir zum
Beispiel, wie digitale Technologien zur Massenüberwachung genutzt werden.
Immer stärker beruhen diese Technologien auf Algorithmen und künstlicher Intelligenz, die
zunehmend Entscheidungen für und über die Bürgerinnen und Bürger treffen. Wir Grünen wollen
möglicher Diskriminierung durch Algorithmen vorbeugen und verhindern, dass bestehende
gesellschaftliche Ungerechtigkeiten durch selbstlernende Systeme verstetigt werden. Zum
Beispiel ändern sich Preise für Flüge oder Einkäufe im Internet nutzerspezifisch. Wir wollen
die ethischen Implikationen neuer Technologien stärker erforschen und politisch
berücksichtigen. Wir wollen auf Europaebene rechtlich verankern, dass Algorithmen, die
automatisierte Entscheidungen über Menschen treffen, generell überprüfbar gemacht werden.
Wir fordern spezialisierte Schiedsstellen und ein erweitertes Verbandsklagerecht, um den
Schutz vor algorithmischer Diskriminierung zu gewährleisten. Gerade die europäischen
Antidiskriminierungsstellen müssen diesbezüglich stärker ausgestattet werden.
Es stellen sich aber auch Fragen, wie wer für eine Fehlentscheidung haftet, die durch einen
Algorithmus getroffen wurde. Die Diskussion über einen ethischen Rahmen für Roboter und
künstliche Intelligenz ist deshalb wahrscheinlich eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben. Wir
begrüßen, dass es seit kurzem eine europäische Expertenkommission gibt, die sich mit
grundsätzlichen ethischen und rechtlichen Fragen bezüglich Algorithmen, künstlicher
Intelligenz und digitalen Innovationen auseinandersetzt. Auch für andere autonome Systeme,
ob im Bereich der Mobilität, der Arbeit oder beim Militär, muss eine europäische
Digitalethik entwickelt werden. Wir fordern, dass diese Kommission konkrete Vorschläge für
einen Rechtsrahmen entwickelt.
Für uns als Grüne ist es jedoch noch wichtiger, dass die Diskussion um eine neue
Digitalethik als gesamtgesellschaftliche Debatte geführt wird. Wir wollen, dass die
Europäische Union bei dieser Frage innovativ vorangeht und nach dem Vorbild der irischen
„convention on the constitution“ Bürger*innen der EU auswählt, die die Fragen einer neuen
Digitalethik diskutieren und Vorschläge für eine neue Digitalethik für das Europäische
Parlament machen. Damit kann eine gute gesamtgesellschaftliche Debatte begonnen werden.
Digitalisierung und Freiheit: soziale Medien sozial machen
Wir als Grüne wollen erreichen, dass digitale Technologien das alltägliche Leben aller
Europäer*innen vereinfachen und den Menschen einen leichteren Zugang zu Informationen
ermöglichen.
Mit Facebook, Twitter und Co. ist ein digitaler öffentlicher Raum entstanden. Lange Zeit war
damit ein Optimismus verbunden, dass der einzelne Mensch durch die sozialen Medien nicht
mehr bloßer Informations-Empfänger, sondern auch Sender und Multiplikator von Informationen
werden kann und so mehr Freiheit und Aufklärung erreicht wird. In Diktaturen und Autokratien
bieten in der Tat verschiedene internetbasierte Anwendungen Oppositionellen die Chance, sich
zu vernetzen und Inhalte zu verbreiten, die in der kontrollierten Presse verschwiegen
werden.
Auf der anderen Seite müssen wir aber feststellen, dass die digitale Welt von Diktaturen und
autoritären Regimes zur Festigung ihrer Herrschaft genutzt wird. Hass, Lügen und
Unwahrheiten verbreiten sich so leicht wie nie. Auch die völkisch-nationalistische Rechte
organisiert und koordiniert sich über Social Media und nutzt Online-Plattformen für ihre
Hetze gegen Antifaschist*innen, demokratische Politiker*innen, Geflüchtete und Minderheiten.
Die Verifikation und Filterung von Quellen und Informationen durch professionelle
Journalist*innen entfällt, wenn Nutzer*innen alles einfach direkt in sozialen Medien
verbreiten. Durch die Macht der Lügen und Unwahrheiten bröckelt der gesellschaftliche
Zusammenhalt. Um dem entgegenzuwirken, wollen wir den investigativen Journalismus genauso
stärken wie die Medienbildung in Schule und Weiterbildung, damit sich Bürgerinnen und Bürger
kritisch mit den Wirkungsweisen und Dynamiken sozialer Medien auseinandersetzen können.
Gleichzeitig braucht es europäische Regeln für soziale Medien. Da sie eine neue digitale
Öffentlichkeit geschaffen haben, können wir die Definition, was auf den Plattformen erlaubt
ist und was nicht, nicht alleine den Betreiber*innen überlassen, sondern müssen dies
politisch regeln. Bis heute ist völlig unklar, nach welchen Kriterien manche Algorithmen
Inhalte anzeigen und wem was gezeigt wird. Das ist intransparent und verhindert einen
selbstbestimmten Umgang mit dem Internet.
Wer GRÜN wählt, stimmt für
- ein Verbot von Diskriminierungen durch Algorithmen und eine Verpflichtung zu deren
Transparenz,
- den europaweiten Ausbau digitaler Infrastruktur,
- Regeln für soziale Medien, damit wir Hass und Hetze wirksam entgegentreten können.
5.2 Europäische Forschung fördern und Start-ups stärken
Forschung und Entwicklung bilden die Basis, um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen
und unser Leben noch lebenswerter zu gestalten. Ein vertiefter, dynamischer und weltoffener
Forschungsraum in Europa ist von zentraler Bedeutung.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich die Europäische Union zum Ziel gesetzt, weltweit
führender Innovations- und Forschungsstandort zu werden. Bisher bleibt dieses Ziel
unerreicht. Vielmehr konnten die USA ihre Führungsrolle behaupten und China konnte die EU
bei der Höhe der Investitionen in Forschung und Entwicklung überholen. Dies spiegelt sich in
der Entwicklung neuer Technologien wider.
Wir wollen Europa als Forschungs- und Entwicklungsregion unterstützen. Besonders im Bereich
der Digitalisierung und Robotik, der Biotechnologie und Nanotechnologie finden derzeit
rasante Entwicklungen statt, und Europa muss aufpassen, weltweit den Anschluss nicht zu
verlieren.
Die Freiheit von Wissenschaft und Forschung ist ein zentraler Wert demokratischer
Verfassungen. Ihre Grenzen liegen in der Menschenwürde, bei tierethischen Prinzipien und
dort, wo hohe Umweltrisiken entstehen. Welche Erkenntnisse und Ergebnisse wir nutzen wollen,
muss immer gesellschaftlich verhandelt werden. Die europäische Forschungslandschaft besteht
heute noch zu sehr aus einem Flickenteppich nationaler Forschungsprogramme, ineffizienten
Doppelungen und einer massiven Spaltung zwischen forschungsstarken und forschungsschwachen
Mitgliedstaaten. Und das in einer Zeit, in der angesichts der zahlreichen globalen
Herausforderungen sowie des Drucks populistischer Kräfte auf die Wissenschaftsfreiheit mehr
internationale und europäische Zusammenarbeit dringend notwendig ist. Einzeln für sich haben
die Mitgliedstaaten nicht die finanzielle Durchschlags- und internationale Strahlkraft
entwickelt, die es im globalen Wettlauf der Innovationen braucht. Dafür benötigt es einen
ganzheitlichen Ansatz. Noch immer wird das selbstgesetzte Ziel, 3 % des BIP für Forschung
und Entwicklung zu investieren, verfehlt. Noch immer werden Forschungsmilliarden in den
Kernfusionsreaktor ITER fehlgeleitet. Noch immer scheitern viele kleine und mittlere
Unternehmen an einer Teilnahme an den EU-Forschungsprogrammen, weil die Hürden zu hoch, zu
kompliziert, zu bürokratisch sind. Und noch immer bleiben viele gute Ideen aus der
Spitzenforschung auf der Strecke oder werden in anderen Regionen zu Geld gemacht, weil sie
nicht in den Markt umgesetzt werden.
Ein neues Forschungsprogramm ab 2020
Der Zeitpunkt, um dies zu ändern, ist genau richtig. Das aktuelle europäische
Forschungsrahmenprogramm „Horizon 2020“ läuft aus. Jetzt können wir ein schlagkräftiges
Nachfolgeprogramm auf die Beine stellen, das die europäische Forschungslandschaft vernetzt,
Schlüsseltechnologien fördert, den Nährboden für innovative Start-ups schafft und die
angewandte Forschung und Grundlagenforschung stärkt. Forschung muss dabei Hand in Hand mit
sozialen Innovationen gehen.
Forschungs- und Innovationsförderung soll auf die großen gesellschaftlichen
Herausforderungen von Klimawandel, Biodiversitätsverlust und, Ressourcenknappheit bis zursowie
Krebs- und Demografie-Forschung bis hin zu Machtfragen, wie patriarchiale Strukturen, ausgerichtet werden. Das Nachfolgeprogramm „Horizon Europe“
muss dafür sorgen, dass neue Ideen schneller marktreif werden und der Technologietransfer in
die Praxis beschleunigt wird. Für umweltverträgliche Zukunftstechnologien wollen wir die
Markteinstiegsphase beschleunigen. Die Umwidmung ziviler Forschungsmittel für die
Rüstungsforschung lehnen wir strikt ab.
Forschung wird aber nicht nur durch bessere materielle Ausstattung attraktiv, sondern auch
durch ein attraktives Umfeld und soziale Faktoren, wie eine gute Kinderbetreuung. Wir wollen
in allen EU-Mitgliedsländern faire statt prekäre Karrierewege für Wissenschaftler*innen
schaffen, damit sie uns erhalten bleiben. Echte Wissenschaftsfreiheit setzt eine solide
Grundfinanzierung voraus, so dass nicht nur für Unternehmen lukrative Forschungsgebiete
bestehen, sondern auch Grundlagen- und kritische Forschung langfristig in der EU eine Heimat
haben: Das muss durch die Förderpolitik gesichert werden.
Schutz für bedrohte Wissenschaftler*innen
Mit großer Sorge sehen wir, dass international zunehmend politischer Druck auf
Wissenschaftler*innen ausgeübt wird. Die Wissenschaftsfreiheit ist ein demokratisch
verbrieftes Grundrecht. Wenn in der Türkei mehrere tausend Wissenschaftler*innen aus
politischen Gründen entlassen oder verhaftet werden, wenn in Ungarn Universitäten bedroht
werden, dann ist das eine dramatische Abkehr von der Wissenschaftsfreiheit. Wir setzen uns
dafür ein, dass Wissenschaftler*innen, die wegen ihrer Tätigkeit verfolgt werden und ihr
Land verlassen müssen, in der EU Schutz finden und ihre Forschung frei fortführen können. Es
ist daher unser Ziel, dass die EU einen europäischen „Fonds für verfolgte
Wissenschaftler*innen“ einrichtet, aus dem Forschungsaufenthalte an Universitäten,
Hochschulen und weiteren Forschungseinrichtungen für solche Gastwissenschaftler*innen
finanziert werden können. In mehreren grün mitregierten Bundesländern haben wir mit einem
solchen Fonds schon erste Erfolge erzielt. Zudem kommt dadurch auch neue, inspirierende
wissenschaftliche Expertise nach Europa. Dies stärkt den Wissenschaftsstandort, aber auch
den Ruf und das Ansehen Europas als Kontinent des politisch gelebten Humanismus.
Rückenwind für Start-ups
Gerade den Pionieren – den Start-ups – wollen wir Rückenwind geben und dafür sorgen, dass
sie mit frühzeitigen Finanzierungsprogrammen und Infrastruktur unterstützt werden.
Insbesondere Frauen wollen wir bei der Gründung von Unternehmen und bei der
Forschungsförderung unterstützen. Für die erfolgversprechendsten Start-ups fordern wir einen
„Europäischen Startup Pass“. Dieser soll ihnen die Möglichkeit geben, an allen europäischen
und nationalen Start-up-Förderprogrammen teilzunehmen und Unterstützung durch sogenannte
Inkubatoren, also Einrichtungen, die sie auf dem Weg in die Selbständigkeit begleiten, zu
erhalten. Sie sollen außerdem breite Unterstützung durch Informationen und Beratung zur
Rechtslage und zu Patenten bis hin zu vereinfachten Visa für ausländische Mitarbeiterinnen
des Start-ups bekommen. Um die europäische Start-up-Landschaft weiter zu fördern und zu
stärken, wollen wir auch mit den Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung
dafür sorgen, dass in jedem EU-Mitgliedsland ein One-Stop-Shop für Start-ups mit
niedrigschwelliger Beratung verfügbar ist. Diese niedrigschwelligen Beratungen wollen wir
untereinander vernetzen, damit die europäische Start-up-Szene weiter zusammenwächst. Jungen
Menschen wollen wir durch ein Förderprogramm für Start-ups dabei helfen, Jobs zu schaffen,
wo kaum noch welche zu finden sind.
Auch erfolgversprechende nichteuropäische Start-ups wollen wir für Europa gewinnen. Dafür
fordern wir ein „Europäisches Startup Visum“, ähnlich dem französischen „Tech Ticket“. Neben
dem Visum sollen ausländischen Start-ups auch Beratungsangebote und finanzielle
Unterstützung angeboten werden, damit sie sich in Europa ansiedeln.
Wer GRÜN wählt, stimmt für
- ein neues Forschungsprogramm, das angewandte und Grundlagenforschung gleichsam in den
Blick nimmt,
- Wissenschaftsfreiheit und den Schutz von bedrohten Wissenschaftler*innen,
- eine Gründerförderung durch einen Start-up-Pass und durch Start-up-Visa.
5.3 Bildung europäisch leben
Wir wollen grenzüberschreitende Bildungsangebote. In einem anderen europäischen Land die
Schule zu besuchen, zu studieren oder eine Ausbildung oder Praktika zu machen, dort zu leben
und zu lernen, hat heute schon für Millionen Menschen die europäische Gemeinschaft konkret
erfahrbar gemacht. Wenn der Austausch über nationale Grenzen hinweg zu einem
selbstverständlichen Bestandteil der Bildungsbiografie aller Unionsbürger*innen wird, ist
ein wichtiger Schritt zur Stärkung der europäischen Gemeinschaft geschafft. Bisher reicht
der Horizont von Bildungspolitik jedoch viel zu oft nur bis zur Landes- oder Staatsgrenze.
Bildungserfahrungen im Ausland sind viel zu oft noch ein Privileg für Akademiker*innen und
Menschen mit guten Einkommen.
Wir wollen auf der europäischen Ebene in allen Bildungsbereichen die Vernetzung und
gemeinsame Arbeit in Projekten der „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ fördern. So
erreichen wir, dass sich viele aktiv an der Gestaltung einer ökologisch verträglichen,
wirtschaftlich leistungsfähigen und sozial gerechten Gesellschaft beteiligen und somit das
Zusammenleben in Europa gestärkt wird.
Jugendfreiwilligendienst in Europa garantieren
Wir stehen für ein Europa der engagierten Zivilgesellschaft. Wir wollen das große Engagement
gerade von jungen Europäerinnen und Europäern in der Gesellschaft für und mit anderen
fördern und unterstützen.
Allen jungen Menschen in Europa, die sich für die Gesellschaft in Form eines freiwilligen
Dienstes für ein Jahr engagieren möchten, müssen dies auch können. Deswegen setzen wir uns
für eine europaweite Garantie ein. Sowohl der europäische als auch die nationalen Dienste
müssen so ausfinanziert sein, dass auch Jugendliche aus Elternhäusern mit geringem Einkommen
diese Möglichkeit nutzen können. Dafür wollen wir 1 Million Plätze im europäischen
Freiwilligendienst schaffen und über Erasmus+ hinaus zusätzliche europäische Mittel zur
Finanzierung einsetzen.
Erasmus für alle
Das europäische Austauschprogramm Erasmus ist ein Markenzeichen und eine der großen
Erfolgsgeschichten Europas. Es hat in den 30 Jahren seines Bestehens die Biografien vieler
junger Europäer*innen geprägt. Der Freiheitsraum Europa wurde so für Millionen Menschen Teil
ihres Lebensgefühls.
Wir wollen, dass alle jungen Menschen in der EU unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern und
von der Schule, die sie besuchen, während ihrer Schulzeit, Ausbildung oder ihres Studium die
Chance haben, an einem Austausch mit dem europäischen Ausland teilzunehmen. Dazu möchten wir
das Erasmus-Programm massiv ausbauen, für Schüler*innen, Auszubildende und Studierende.
Beim Schulaustausch wollen wir Erasmus+ einfacher zugänglich machen. Zu detaillierte
Voraussetzungen, wie zum Beispiel das Kriterium, dass an dem Austausch junge Menschen aus
mehreren Ländern und nicht nur aus zwei Ländern teilnehmen müssen, stellen unnötige Hürden
dar. Statt absurd überbürokratisierter Programme wie Move2Learn, Learn2Move, die auf nur ca.
5.000 Teilnehmer*innen EU-weit pro Jahr ausgelegt sind, wollen wir breit zugängliche,
einfache und pauschalierte Antrags- und Förderverfahren für Schulen, so dass die Programme
wirklich genutzt werden können.
Nach wie vor erreichen die Angebote zu wenige Azubis und junge Arbeitnehmer*innen. Dabei
sind Auslandspraktika in der beruflichen Aus- und Weiterbildung eine hervorragende
Möglichkeit, interkulturelle und zusätzliche fachliche Kompetenzen zu erwerben. Hier geht
also noch mehr: Wir wollen das Informationsangebot verbessern, Antrags- und
Anerkennungsverfahren einfacher gestalten und passgenaue Unterstützungsangebote einrichten.
Das bisherige Ziel der EU, der Hälfte eines Jahrgangs von Studierenden einen
Auslandsaufenthalt in einem anderen europäischen Land zu ermöglichen, wurde noch nicht
erreicht. Um in die Welt zu gehen, braucht man eine soziale Absicherung. Daher wollen wir
Risiken und Barrieren, die der Mobilität von Studierenden im Wege stehen, ausräumen und eine
soziale Staffelung der Erasmus-Unterstützung verbindlich machen. Sie kann für weniger
wohlhabende Studierende bis zu einem Vollstipendium reichen.
Eine europäische Gesellschaft braucht Europäische Universitäten
Wir Grünen unterstützen die Idee der Gründung Europäischer Universitäten. Hochschulen sind
eine europäische Erfindung, sie prägen Geistesleben, Wissenschaft und Kultur unseres
Kontinents seit Jahrhunderten. Aufgabe einer Europäischen Universität ist es, eine ganz
Europa umfassende wissenschaftliche Bildung zu verankern und die Verknüpfung bislang
national geprägter Wissenschaftsdisziplinen zu fördern. In Lehre und Forschung bündelt sie
vorhandene Kräfte und Kompetenzen mit dem Anspruch, zu den besten Hochschulen der Welt zu
gehören.
Institutionelles Vorbild bzw. Kern für Europäische Universitäten können das Europäische
Hochschulinstitut in Florenz, die Europa-Universität Viadrina oder bestehende Kooperationen,
wie zum Beispiel der Hochschulverbund Eucor – The European Campus – sein. Dort arbeiten fünf
Universitäten am Oberrhein bereits seit Jahrzehnten zusammen und kooperieren in vier
strategisch bedeutenden Forschungsschwerpunkten.
Wer GRÜN wählt, stimmt für
- Ausbau des europäischen Freiwilligendienstes,
- Erasmus-Programm für alle,
- Europäische Universitäten,
- sozial-ökologische Bildungsprogramme.
5.4. Europas Kulturreichtum mehren
Wir wollen europaweit die Investitionen in Kultur und Kunst ausweiten und den
Kulturaustausch zwischen Europa und der Welt fördern.
Europa hat in seiner wechselhaften und oft dramatischen Geschichte ein kulturelles
Verständnis ausgeprägt, das weit über seine Grenzen hinaus eine hohe Anziehungskraft
entfaltet. Die Dichte der Theaterlandschaft, seine vielfältige Musik, bildende Kunst und
Literatur, seine Museen, Bibliotheken und Architektur formen in ihrem historischen
Bewusstsein und in immer wieder neuen Gestaltungen kulturelle Bezugspunkte in unseren
Städten und Gemeinden. Wir wollen eine europäische Kulturpolitik, die die vielen regionalen
kulturellen Ausprägungen seiner 500 Millionen Bewohner*innen lebendig hält. Gleichzeitig
wollen wir die Idee einer gemeinsamen Kultur durch die Reflexion der europäischen Aufklärung
und die wechselseitige Neugier auf kulturelle Werte der Nachbarn durch eine Förderung
grenzüberschreitender Kulturprojekte auch mit anderen Regionen dieser Welt fördern. Eine
lebendige Kulturpolitik, die Vielfalt und Innovation zulässt und fördert, ist eine wichtige
Grundlage zur Weiterentwicklung der Demokratie in Europa.
Wir wollen den europäischen Film – vor allem regionale Produktionen – stärken, durch
Filmförderung künstlerische Qualität befördern und den Vertrieb europäischer Filme und die
Entwicklung qualitativ hochwertiger Computerspiele stärker unterstützen.
Wer GRÜN wählt, stimmt für
- europaweite Investitionen in Kultur und Kunst,
- die Förderung des europäischen Kulturaustauschs,
- die Förderung des europäischen Films,
- die Förderung der europäischen Computerspiel-Entwicklung.
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Forschungs- und Innovationsförderung soll auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen von Klimawandel, Biodiversitätsverlust und, Ressourcenknappheit bis zursowie Krebs- und Demografie-Forschung bis hin zu Machtfragen, wie patriarchiale Strukturen, ausgerichtet werden. Das Nachfolgeprogramm „Horizon Europe“ muss dafür sorgen, dass neue Ideen schneller marktreif werden und der Technologietransfer in
In atemberaubender Geschwindigkeit greifen der wissenschaftliche und technische Fortschritt
aus und immer tiefer in unsere Leben ein. Die Digitalisierung prägt, wie wir arbeiten, wie
wir kommunizieren, wie wir denken, wie wir lernen, wie wir reden. Sie stellt die Wirtschaft
auf den Kopf und vieles in Frage. Es öffnet sich ein Raum von ungeahnten Möglichkeiten und
Herausforderungen: nicht nur, dass Roboter Rasen mähen und Post austragen, sondern auch,
dass sie unsere Eltern und Großeltern im Heim pflegen. Dass ferngesteuerte Maschinen die
Felder so passgenau düngen, dass keine Nährstoffüberschüsse mehr entstehen. Dass Roboter
Kriege führen und über Leben und Tod bestimmen. Neue Konzerne dominieren die Märkte, und
ihre handelbare Ware sind unsere persönlichen, intimsten Daten. Aus Forschungen werden neue
Techniken. Es entsteht neue Arbeit, alte geht verloren.
Vieles klingt verheißungsvoll, anderes scheint unheimlich, aber in jedem Fall ist es eins:
fundamental. Es ist deshalb an der Politik, die Veränderungen entlang der europäischen Werte
zu gestalten. Das bedeutet, Entwicklungen zu fördern, aber auch zu entscheiden, was man
zulassen will und wie Anwendungen zu regulieren sind. Sinnvoll geht das nur auf europäischer
Ebene. Wenn wir wissen wollen, nach welchen Kriterien Algorithmen bestimmen, wer wie viel
für einen Flug bezahlen muss oder wer in die engere Auswahl für Jobs kommt, dann wird das
kaum national möglich sein. Sonst läuft der strengere nationale Standard leer, weil in den
Nachbarländern ein niedrigerer gilt, und die in der Regel global agierenden Konzerne lachen
sich ins Fäustchen.
Europa dagegen ist eine Macht. Wenn die EU will, kann sie die digitale Welt zivilisieren.
Sie muss aus unserer Sicht Regeln für die Haftung von Maschinen schaffen, für die
Transparenz und Überprüfbarkeit von Algorithmen, sie muss die Diskriminierung durch
Suchmaschinen, Filter und Co. verbieten. Andererseits gilt es, die Chancen, die sich auftun,
wirklich zu nutzen: Schlüsseltechnologien fördern und den Nährboden für Start-ups schaffen.
Ein schlagkräftiges neues Forschungsprogramm auflegen, damit neue Ideen und
Zukunftstechnologien schneller marktreif werden und der Technologietransfer in die Praxis
beschleunigt wird. An neu zu gründenden europäischen Universitäten Wissen bündeln und so die
Innovationskraft vervielfachen.
Und für all das gilt: Die Freiheit von Wissenschaft und Forschung, genauso von Kunst muss
garantiert sein. Kultur und Kreativität müssen sich frei entfalten können, was angesichts
des Drucks, unter dem Kulturschaffende in Ländern wie Ungarn stehen, keine
Selbstverständlichkeit mehr ist.
Bildung ist dabei der Schlüssel, damit wir für die rasanten Änderungen gewappnet sind. Das
gilt für Kinder und Jugendliche genauso wie für Erwachsene. Wir wollen ein Recht auf
Weiterbildung und lebenslanges Lernen EU-weit verankern. Schüler*innen, Auszubildende und
Student*innen sollen Europa konkret erfahren können. Dafür etwa wollen wir das europäische
Erasmus-Programm massiv ausbauen, damit Europa nicht nur für Akademiker erlebbar wird. So
schaffen wir ein Europa als Raum der Kreativität und Innovation, ein Europa, das auf der
Höhe der Zeit ist und die Entwicklungen steuert, statt ihnen hinterherzulaufen.
5.1 Die Digitalisierung zum Wohl der Menschen steuern
Die Digitalisierung kann uns helfen, effizienter und damit ökologischer zu handeln,
Informationen leichter zu verbreiten und mehr Transparenz herzustellen. Wir wollen den
digitalen Wandel demokratisch, ökologisch und sozial gestalten. Wir wollen die Chancen
ergreifen, um Arbeit zu erleichtern, Krankheiten zu heilen, Verkehrsunfälle zu vermeiden und
Bildungschancen zu erhöhen, und Innovationen fördern.
Als Grüne haben wir in Europa mit der Datenschutzgrundverordnung, die wir maßgeblich mit auf
den Weg gebracht haben, einen internationalen Standard gesetzt und schon viel erreicht.
Bürger*innen müssen sich selbstbestimmt im digitalen Raum bewegen können. Das heißt vor
allem, über die eigenen Daten zu bestimmen.
Beim Datenschutz und bei der Daten- und der IT-Sicherheit kann Europa mit einheitlichen
Sicherheitsnormen voranschreiten und somit Wettbewerbsvorteile durch eine an unseren
Grundrechten orientierte Digitalpolitik erreichen. Gerade angesichts der zunehmenden
Bedeutung des „Internets der Dinge“ sind höchste Sicherheitsstandards essenziell, denn neue
digitale Angebote und Innovationen werden nur dann genutzt, wenn die Menschen ihnen auch
vertrauen.
Die Digitalisierung trifft auf eine Wirtschaft, in der mit ökologischen Langzeitschäden,
Investitions- und Nachfrageschwäche, zu starker Konzentration von Vermögen und zu großem
Ressourcenhunger einiges im Argen liegt. Insbesondere die Plattformökonomie mit ihren
Netzwerkeffekten schafft zunehmend Monopole und geschlossene Strukturen. Wir wollen Ordnung
in dieses System bringen. Dafür brauchen wir mehr Investitionen, damit unsere Wirtschaft
krisenfester und dynamischer wird. Dafür brauchen wir eine öffentliche Hand, die auch
gegenüber Konzernen durchgreifen kann, um für fairen Wettbewerb, den Schutz der
Verbraucher*innen und den Erhalt öffentlicher Güter zu sorgen.
Mit Digitalisierung Ökonomie und Ökologie zusammenführen
Wir wollen die Digitalisierung nutzen, um Ökonomie und Ökologie weiter zusammenzuführen. Sie
schafft enorme Chancen für Ökoeffizienz und Kreislaufwirtschaft. Mit Videokonferenzen lässt
sich Teamarbeit weltweit vernetzen und damit der CO2-Ausstoß durch Reisen reduzieren. Mit
intelligenten Stromnetzen und intelligent vernetzten Transportsystemen können wir unseren
Energieverbrauch reduzieren. Intelligente Stromnetze („smart grids“) und Zähler („smart
meters“) beschleunigen die Energiewende, und mit Carsharing und einer intelligenten
Verkehrssteuerung bringen wir die Verkehrswende voran. Dafür wollen wir ein europäisches
Förderprogramm, das sich exklusiv dem ökologischen Potenzial der Digitalisierung widmet und
die Ökoeffizienz in Unternehmen fördert.
Die Digitalisierung kann also zum ökologischen Umbau unserer Gesellschaft beitragen.
Gleichzeitig frisst sie aber auch Ressourcen und Energie. So werden wertvolle Rohstoffe
zunehmend für die Digitalisierung gebraucht und der Energiebedarf für digitale Prozesse
wächst jedes Jahr massiv. Expert*innen zufolge wird der digitale Energiebedarf 2040 die
weltweite Energieproduktion übersteigen, falls nicht umgesteuert wird. Deswegen wollen wir
prüfen, wie für energieintensive Prozesse, zum Beispiel die Blockchain, die Entwicklung
ökologischer Alternativen auf europäischer Ebene gefördert werden kann.
Wir wollen als Teil der europäischen Energiewende energiearme IT-Technik voranbringen und
eine europäische „Green IT“-Strategie auflegen. Diese Strategie soll die Forschung und
Entwicklung von ultraeffizienten Chips fördern und die europäische Halbleiterindustrie –
eine technologische Schlüsselbranche – in Richtung Nachhaltigkeit stärken. Darüber hinaus
setzen wir uns für „Green IT“-Kriterien bei der öffentlichen Vergabe und ein Label für
energieeffiziente, nachhaltige Rechenzentren ein. Gerade die europäische Verwaltung soll in
Zukunft „Green IT“-Systeme nutzen. Damit Fortschritte bei der Energie- und
Ressourceneffizienz von digitalen Technologien eine größere Verbreitung finden, wollen wir
vor allem Open-Hardware- und Open-Software-Lösungen unterstützen. Zahlreiche Projekte in
diesen Bereichen haben gezeigt, wie der Energieverbrauch und damit auch die Kosten gesenkt
werden können.
Digitalen Wandel in der Wirtschaft entschlossen vorantreiben
Europas Industrie steht mitten in einem bahnbrechenden Umbruch: Neue Technologien und
Innovationen fassen Fuß, neue Märkte entstehen und neue Wettbewerber treten auf. In
zahlreichen Zukunftstechnologien, wie der künstlichen Intelligenz oder autonomen Systemen,
befinden wir uns in einer Aufholjagd gegenüber anderen Weltregionen. Nur gemeinsam, mutig
und visionär kann Europa innovationsstärker werden.
Wir wollen, dass Europa kleine und mittlere Unternehmen und das Handwerk bei der
Digitalisierung unterstützt, sei es mit Beratungsangeboten oder Förderprogrammen.
Auch wollen wir, dass die jetzt schon an vielen Stellen etablierten und kommenden
Möglichkeiten der digitalisierten Arbeitswelt für mehr Freiheit der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer genutzt werden. Die digitale Arbeitswelt birgt aber auch Fallen: Unfreiwillige
Mehrarbeit, dauernde Verfügbarkeit und ständige digitale Leistungskontrolle werden
einfacher. Es braucht daher einen guten digitalen Arbeitsschutz für Beschäftigte und
Selbständige – sowohl gesetzlich wie tariflich. Dienstleistungsplattformen müssen sich ihrer
Verantwortung bei den Arbeitsbedingungen, der Mitbestimmung und der Entlohnung stellen. Um
Menschen eine Perspektive zu bieten, deren Arbeitsplatz im Zuge der Digitalisierung
wegfällt, wollen wir europäische Aus- und Weiterbildungsprogramme stärken. Dazu möchten wir
das Recht auf Weiterbildung europäisch verankern.
Wir wollen die Freiheit im Netz erhalten und gleichzeitig dafür sorgen, dass Künstler*innen
und Kulturschaffende für ihre Arbeiten vergütet werden. Statt einer automatischen Löschung
bzw. Filterung von Inhalten wollen wir ein digitales Urheberrecht, bei dem diejenigen, die
mit den Werken anderer Geld verdienen, diese auch angemessen dafür bezahlen. Illegale
Plattformen, die Filme, Texte, Fotos oder Musik anbieten, oft mit weiteren Fallen für die
Besucher*innen, sollen gelöscht werden – und nicht die Nutzer*innen mit zum Teil absurden
Forderungen abgemahnt werden. Auch Plattformanbieter, die mit der Attraktivität von
Kulturleistungen Geschäfte – etwa mittels Werbung – machen, müssen die Künstler*innen
entschädigen. Entsprechend soll ein Vergütungssystem entwickelt werden, das Klick-, Besuchs-
und Downloadzahlen vergütet, ohne dass dabei die Nutzer*innen selbst überwacht werden. Wir
übertragen so die Rechtsnormen der analogen Welt in die digitale. Es braucht ein
zukunftsfähiges Künstlervertragsrecht, bei dem die Kulturschaffenden selbst über die
Bedingungen ihrer Vergütung mitentscheiden können und nebenbei auch alternative
Vertriebswege gehen können. So erhalten wir die Remix-Kultur im Internet, hören auf,
Nutzer*innen zu kriminalisieren, und sichern Künstler*innen eine Vergütung für ihre
Leistungen.
Europäische Forschungsprogramme wollen wir stärken, um bahnbrechende digitale Technologien
zu entwickeln. Gerade bei der Unterstützung von künstlicher Intelligenz (KI) wollen wir
gesamteuropäisch vorangehen. Deswegen setzen wir uns für ein europäisches Zentrum für
künstliche Intelligenz ein.
Europa soll Vorreiterin im Datenschutz bleiben. Auf der Basis der Datenschutzgrundverordnung
(DSGVO) wollen wir deshalb innovative und datenschutzfreundliche Unternehmen als digitales
Alleinstellungsmerkmal Europas fördern und „Privacy by Design“ und „Data Protection made in
Europe“ zum Wettbewerbsvorteil machen. Dazu gehören Investitionen in technische
Datenschutzforschung und Anonymisierungstechnologien, insbesondere im Zusammenhang mit „Big
Data“ und Algorithmen. Die öffentliche Hand muss bei der IT-Sicherheit Vorreiter sein. Wir
wollen sichere europäische Cloud-Lösungen fördern und Vertrauen stärken, indem Unternehmen
zu regelmäßigen Sicherheitsupdates verpflichtet werden.
Nicht nur im Datenschutz braucht es einen gesamteuropäischen Ordnungsrahmen, sondern auch
für die von uns Verbraucher*innen genutzten Plattformen. Es soll möglich werden, zwischen
den verschiedenen Plattformen und Messenger-Apps wie Threema und WhatsApp zu kommunizieren.
Denn es ist äußerst unpraktisch, wenn die Menschen zig unterschiedliche Apps benötigen, um
mit verschiedenen Freund*innen in Kontakt zu treten. Außerdem müssen Nutzer*innen, die die
Plattform wechseln, künftig ihre Daten mitnehmen können. Auch digitale Unternehmen können
und müssen im Sinne der Nutzerinnen und Nutzer reguliert werden.
Damit Unternehmen und Verbraucher*innen von der Digitalisierung profitieren können, braucht
Europa eine flächendeckende digitale Infrastruktur. Ohne sie wird es keinen vollendeten
europäischen digitalen Binnenmarkt geben. Für die digitale Infrastruktur Glasfaser und 5G-
Mobilfunk gibt es Investitionslücken von hunderten Milliarden Euro. Deswegen setzen wir uns
für eine europäische Investitionsoffensive in die digitale Infrastruktur und für eine
Verbreitung öffentlicher WLAN-Netze ein.
Wir wollen, dass Investitionen aus Nicht-EU-Ländern durch eine Prüfung der Belange von
Sicherheit und der öffentlichen Ordnung („investment screening“) kritisch überprüft und ggf.
untersagt werden können.
Digitalisierung und Gleichheit: Schutz vor Diskriminierung
Große Fortschritte bei den digitalen Technologien und der Automatisierung stellen uns als
europäische Gesellschaft vor grundlegend neue Fragestellungen. In China sehen wir zum
Beispiel, wie digitale Technologien zur Massenüberwachung genutzt werden.
Immer stärker beruhen diese Technologien auf Algorithmen und künstlicher Intelligenz, die
zunehmend Entscheidungen für und über die Bürgerinnen und Bürger treffen. Wir Grünen wollen
möglicher Diskriminierung durch Algorithmen vorbeugen und verhindern, dass bestehende
gesellschaftliche Ungerechtigkeiten durch selbstlernende Systeme verstetigt werden. Zum
Beispiel ändern sich Preise für Flüge oder Einkäufe im Internet nutzerspezifisch. Wir wollen
die ethischen Implikationen neuer Technologien stärker erforschen und politisch
berücksichtigen. Wir wollen auf Europaebene rechtlich verankern, dass Algorithmen, die
automatisierte Entscheidungen über Menschen treffen, generell überprüfbar gemacht werden.
Wir fordern spezialisierte Schiedsstellen und ein erweitertes Verbandsklagerecht, um den
Schutz vor algorithmischer Diskriminierung zu gewährleisten. Gerade die europäischen
Antidiskriminierungsstellen müssen diesbezüglich stärker ausgestattet werden.
Es stellen sich aber auch Fragen, wie wer für eine Fehlentscheidung haftet, die durch einen
Algorithmus getroffen wurde. Die Diskussion über einen ethischen Rahmen für Roboter und
künstliche Intelligenz ist deshalb wahrscheinlich eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben. Wir
begrüßen, dass es seit kurzem eine europäische Expertenkommission gibt, die sich mit
grundsätzlichen ethischen und rechtlichen Fragen bezüglich Algorithmen, künstlicher
Intelligenz und digitalen Innovationen auseinandersetzt. Auch für andere autonome Systeme,
ob im Bereich der Mobilität, der Arbeit oder beim Militär, muss eine europäische
Digitalethik entwickelt werden. Wir fordern, dass diese Kommission konkrete Vorschläge für
einen Rechtsrahmen entwickelt.
Für uns als Grüne ist es jedoch noch wichtiger, dass die Diskussion um eine neue
Digitalethik als gesamtgesellschaftliche Debatte geführt wird. Wir wollen, dass die
Europäische Union bei dieser Frage innovativ vorangeht und nach dem Vorbild der irischen
„convention on the constitution“ Bürger*innen der EU auswählt, die die Fragen einer neuen
Digitalethik diskutieren und Vorschläge für eine neue Digitalethik für das Europäische
Parlament machen. Damit kann eine gute gesamtgesellschaftliche Debatte begonnen werden.
Digitalisierung und Freiheit: soziale Medien sozial machen
Wir als Grüne wollen erreichen, dass digitale Technologien das alltägliche Leben aller
Europäer*innen vereinfachen und den Menschen einen leichteren Zugang zu Informationen
ermöglichen.
Mit Facebook, Twitter und Co. ist ein digitaler öffentlicher Raum entstanden. Lange Zeit war
damit ein Optimismus verbunden, dass der einzelne Mensch durch die sozialen Medien nicht
mehr bloßer Informations-Empfänger, sondern auch Sender und Multiplikator von Informationen
werden kann und so mehr Freiheit und Aufklärung erreicht wird. In Diktaturen und Autokratien
bieten in der Tat verschiedene internetbasierte Anwendungen Oppositionellen die Chance, sich
zu vernetzen und Inhalte zu verbreiten, die in der kontrollierten Presse verschwiegen
werden.
Auf der anderen Seite müssen wir aber feststellen, dass die digitale Welt von Diktaturen und
autoritären Regimes zur Festigung ihrer Herrschaft genutzt wird. Hass, Lügen und
Unwahrheiten verbreiten sich so leicht wie nie. Auch die völkisch-nationalistische Rechte
organisiert und koordiniert sich über Social Media und nutzt Online-Plattformen für ihre
Hetze gegen Antifaschist*innen, demokratische Politiker*innen, Geflüchtete und Minderheiten.
Die Verifikation und Filterung von Quellen und Informationen durch professionelle
Journalist*innen entfällt, wenn Nutzer*innen alles einfach direkt in sozialen Medien
verbreiten. Durch die Macht der Lügen und Unwahrheiten bröckelt der gesellschaftliche
Zusammenhalt. Um dem entgegenzuwirken, wollen wir den investigativen Journalismus genauso
stärken wie die Medienbildung in Schule und Weiterbildung, damit sich Bürgerinnen und Bürger
kritisch mit den Wirkungsweisen und Dynamiken sozialer Medien auseinandersetzen können.
Gleichzeitig braucht es europäische Regeln für soziale Medien. Da sie eine neue digitale
Öffentlichkeit geschaffen haben, können wir die Definition, was auf den Plattformen erlaubt
ist und was nicht, nicht alleine den Betreiber*innen überlassen, sondern müssen dies
politisch regeln. Bis heute ist völlig unklar, nach welchen Kriterien manche Algorithmen
Inhalte anzeigen und wem was gezeigt wird. Das ist intransparent und verhindert einen
selbstbestimmten Umgang mit dem Internet.
Wer GRÜN wählt, stimmt für
- ein Verbot von Diskriminierungen durch Algorithmen und eine Verpflichtung zu deren
Transparenz,
- den europaweiten Ausbau digitaler Infrastruktur,
- Regeln für soziale Medien, damit wir Hass und Hetze wirksam entgegentreten können.
5.2 Europäische Forschung fördern und Start-ups stärken
Forschung und Entwicklung bilden die Basis, um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen
und unser Leben noch lebenswerter zu gestalten. Ein vertiefter, dynamischer und weltoffener
Forschungsraum in Europa ist von zentraler Bedeutung.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich die Europäische Union zum Ziel gesetzt, weltweit
führender Innovations- und Forschungsstandort zu werden. Bisher bleibt dieses Ziel
unerreicht. Vielmehr konnten die USA ihre Führungsrolle behaupten und China konnte die EU
bei der Höhe der Investitionen in Forschung und Entwicklung überholen. Dies spiegelt sich in
der Entwicklung neuer Technologien wider.
Wir wollen Europa als Forschungs- und Entwicklungsregion unterstützen. Besonders im Bereich
der Digitalisierung und Robotik, der Biotechnologie und Nanotechnologie finden derzeit
rasante Entwicklungen statt, und Europa muss aufpassen, weltweit den Anschluss nicht zu
verlieren.
Die Freiheit von Wissenschaft und Forschung ist ein zentraler Wert demokratischer
Verfassungen. Ihre Grenzen liegen in der Menschenwürde, bei tierethischen Prinzipien und
dort, wo hohe Umweltrisiken entstehen. Welche Erkenntnisse und Ergebnisse wir nutzen wollen,
muss immer gesellschaftlich verhandelt werden. Die europäische Forschungslandschaft besteht
heute noch zu sehr aus einem Flickenteppich nationaler Forschungsprogramme, ineffizienten
Doppelungen und einer massiven Spaltung zwischen forschungsstarken und forschungsschwachen
Mitgliedstaaten. Und das in einer Zeit, in der angesichts der zahlreichen globalen
Herausforderungen sowie des Drucks populistischer Kräfte auf die Wissenschaftsfreiheit mehr
internationale und europäische Zusammenarbeit dringend notwendig ist. Einzeln für sich haben
die Mitgliedstaaten nicht die finanzielle Durchschlags- und internationale Strahlkraft
entwickelt, die es im globalen Wettlauf der Innovationen braucht. Dafür benötigt es einen
ganzheitlichen Ansatz. Noch immer wird das selbstgesetzte Ziel, 3 % des BIP für Forschung
und Entwicklung zu investieren, verfehlt. Noch immer werden Forschungsmilliarden in den
Kernfusionsreaktor ITER fehlgeleitet. Noch immer scheitern viele kleine und mittlere
Unternehmen an einer Teilnahme an den EU-Forschungsprogrammen, weil die Hürden zu hoch, zu
kompliziert, zu bürokratisch sind. Und noch immer bleiben viele gute Ideen aus der
Spitzenforschung auf der Strecke oder werden in anderen Regionen zu Geld gemacht, weil sie
nicht in den Markt umgesetzt werden.
Ein neues Forschungsprogramm ab 2020
Der Zeitpunkt, um dies zu ändern, ist genau richtig. Das aktuelle europäische
Forschungsrahmenprogramm „Horizon 2020“ läuft aus. Jetzt können wir ein schlagkräftiges
Nachfolgeprogramm auf die Beine stellen, das die europäische Forschungslandschaft vernetzt,
Schlüsseltechnologien fördert, den Nährboden für innovative Start-ups schafft und die
angewandte Forschung und Grundlagenforschung stärkt. Forschung muss dabei Hand in Hand mit
sozialen Innovationen gehen.
Forschungs- und Innovationsförderung soll auf die großen gesellschaftlichen
Herausforderungen von Klimawandel, Biodiversitätsverlust und, Ressourcenknappheit bis zursowie
Krebs- und Demografie-Forschung bis hin zu Machtfragen, wie patriarchiale Strukturen, ausgerichtet werden. Das Nachfolgeprogramm „Horizon Europe“
muss dafür sorgen, dass neue Ideen schneller marktreif werden und der Technologietransfer in
die Praxis beschleunigt wird. Für umweltverträgliche Zukunftstechnologien wollen wir die
Markteinstiegsphase beschleunigen. Die Umwidmung ziviler Forschungsmittel für die
Rüstungsforschung lehnen wir strikt ab.
Forschung wird aber nicht nur durch bessere materielle Ausstattung attraktiv, sondern auch
durch ein attraktives Umfeld und soziale Faktoren, wie eine gute Kinderbetreuung. Wir wollen
in allen EU-Mitgliedsländern faire statt prekäre Karrierewege für Wissenschaftler*innen
schaffen, damit sie uns erhalten bleiben. Echte Wissenschaftsfreiheit setzt eine solide
Grundfinanzierung voraus, so dass nicht nur für Unternehmen lukrative Forschungsgebiete
bestehen, sondern auch Grundlagen- und kritische Forschung langfristig in der EU eine Heimat
haben: Das muss durch die Förderpolitik gesichert werden.
Schutz für bedrohte Wissenschaftler*innen
Mit großer Sorge sehen wir, dass international zunehmend politischer Druck auf
Wissenschaftler*innen ausgeübt wird. Die Wissenschaftsfreiheit ist ein demokratisch
verbrieftes Grundrecht. Wenn in der Türkei mehrere tausend Wissenschaftler*innen aus
politischen Gründen entlassen oder verhaftet werden, wenn in Ungarn Universitäten bedroht
werden, dann ist das eine dramatische Abkehr von der Wissenschaftsfreiheit. Wir setzen uns
dafür ein, dass Wissenschaftler*innen, die wegen ihrer Tätigkeit verfolgt werden und ihr
Land verlassen müssen, in der EU Schutz finden und ihre Forschung frei fortführen können. Es
ist daher unser Ziel, dass die EU einen europäischen „Fonds für verfolgte
Wissenschaftler*innen“ einrichtet, aus dem Forschungsaufenthalte an Universitäten,
Hochschulen und weiteren Forschungseinrichtungen für solche Gastwissenschaftler*innen
finanziert werden können. In mehreren grün mitregierten Bundesländern haben wir mit einem
solchen Fonds schon erste Erfolge erzielt. Zudem kommt dadurch auch neue, inspirierende
wissenschaftliche Expertise nach Europa. Dies stärkt den Wissenschaftsstandort, aber auch
den Ruf und das Ansehen Europas als Kontinent des politisch gelebten Humanismus.
Rückenwind für Start-ups
Gerade den Pionieren – den Start-ups – wollen wir Rückenwind geben und dafür sorgen, dass
sie mit frühzeitigen Finanzierungsprogrammen und Infrastruktur unterstützt werden.
Insbesondere Frauen wollen wir bei der Gründung von Unternehmen und bei der
Forschungsförderung unterstützen. Für die erfolgversprechendsten Start-ups fordern wir einen
„Europäischen Startup Pass“. Dieser soll ihnen die Möglichkeit geben, an allen europäischen
und nationalen Start-up-Förderprogrammen teilzunehmen und Unterstützung durch sogenannte
Inkubatoren, also Einrichtungen, die sie auf dem Weg in die Selbständigkeit begleiten, zu
erhalten. Sie sollen außerdem breite Unterstützung durch Informationen und Beratung zur
Rechtslage und zu Patenten bis hin zu vereinfachten Visa für ausländische Mitarbeiterinnen
des Start-ups bekommen. Um die europäische Start-up-Landschaft weiter zu fördern und zu
stärken, wollen wir auch mit den Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung
dafür sorgen, dass in jedem EU-Mitgliedsland ein One-Stop-Shop für Start-ups mit
niedrigschwelliger Beratung verfügbar ist. Diese niedrigschwelligen Beratungen wollen wir
untereinander vernetzen, damit die europäische Start-up-Szene weiter zusammenwächst. Jungen
Menschen wollen wir durch ein Förderprogramm für Start-ups dabei helfen, Jobs zu schaffen,
wo kaum noch welche zu finden sind.
Auch erfolgversprechende nichteuropäische Start-ups wollen wir für Europa gewinnen. Dafür
fordern wir ein „Europäisches Startup Visum“, ähnlich dem französischen „Tech Ticket“. Neben
dem Visum sollen ausländischen Start-ups auch Beratungsangebote und finanzielle
Unterstützung angeboten werden, damit sie sich in Europa ansiedeln.
Wer GRÜN wählt, stimmt für
- ein neues Forschungsprogramm, das angewandte und Grundlagenforschung gleichsam in den
Blick nimmt,
- Wissenschaftsfreiheit und den Schutz von bedrohten Wissenschaftler*innen,
- eine Gründerförderung durch einen Start-up-Pass und durch Start-up-Visa.
5.3 Bildung europäisch leben
Wir wollen grenzüberschreitende Bildungsangebote. In einem anderen europäischen Land die
Schule zu besuchen, zu studieren oder eine Ausbildung oder Praktika zu machen, dort zu leben
und zu lernen, hat heute schon für Millionen Menschen die europäische Gemeinschaft konkret
erfahrbar gemacht. Wenn der Austausch über nationale Grenzen hinweg zu einem
selbstverständlichen Bestandteil der Bildungsbiografie aller Unionsbürger*innen wird, ist
ein wichtiger Schritt zur Stärkung der europäischen Gemeinschaft geschafft. Bisher reicht
der Horizont von Bildungspolitik jedoch viel zu oft nur bis zur Landes- oder Staatsgrenze.
Bildungserfahrungen im Ausland sind viel zu oft noch ein Privileg für Akademiker*innen und
Menschen mit guten Einkommen.
Wir wollen auf der europäischen Ebene in allen Bildungsbereichen die Vernetzung und
gemeinsame Arbeit in Projekten der „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ fördern. So
erreichen wir, dass sich viele aktiv an der Gestaltung einer ökologisch verträglichen,
wirtschaftlich leistungsfähigen und sozial gerechten Gesellschaft beteiligen und somit das
Zusammenleben in Europa gestärkt wird.
Jugendfreiwilligendienst in Europa garantieren
Wir stehen für ein Europa der engagierten Zivilgesellschaft. Wir wollen das große Engagement
gerade von jungen Europäerinnen und Europäern in der Gesellschaft für und mit anderen
fördern und unterstützen.
Allen jungen Menschen in Europa, die sich für die Gesellschaft in Form eines freiwilligen
Dienstes für ein Jahr engagieren möchten, müssen dies auch können. Deswegen setzen wir uns
für eine europaweite Garantie ein. Sowohl der europäische als auch die nationalen Dienste
müssen so ausfinanziert sein, dass auch Jugendliche aus Elternhäusern mit geringem Einkommen
diese Möglichkeit nutzen können. Dafür wollen wir 1 Million Plätze im europäischen
Freiwilligendienst schaffen und über Erasmus+ hinaus zusätzliche europäische Mittel zur
Finanzierung einsetzen.
Erasmus für alle
Das europäische Austauschprogramm Erasmus ist ein Markenzeichen und eine der großen
Erfolgsgeschichten Europas. Es hat in den 30 Jahren seines Bestehens die Biografien vieler
junger Europäer*innen geprägt. Der Freiheitsraum Europa wurde so für Millionen Menschen Teil
ihres Lebensgefühls.
Wir wollen, dass alle jungen Menschen in der EU unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern und
von der Schule, die sie besuchen, während ihrer Schulzeit, Ausbildung oder ihres Studium die
Chance haben, an einem Austausch mit dem europäischen Ausland teilzunehmen. Dazu möchten wir
das Erasmus-Programm massiv ausbauen, für Schüler*innen, Auszubildende und Studierende.
Beim Schulaustausch wollen wir Erasmus+ einfacher zugänglich machen. Zu detaillierte
Voraussetzungen, wie zum Beispiel das Kriterium, dass an dem Austausch junge Menschen aus
mehreren Ländern und nicht nur aus zwei Ländern teilnehmen müssen, stellen unnötige Hürden
dar. Statt absurd überbürokratisierter Programme wie Move2Learn, Learn2Move, die auf nur ca.
5.000 Teilnehmer*innen EU-weit pro Jahr ausgelegt sind, wollen wir breit zugängliche,
einfache und pauschalierte Antrags- und Förderverfahren für Schulen, so dass die Programme
wirklich genutzt werden können.
Nach wie vor erreichen die Angebote zu wenige Azubis und junge Arbeitnehmer*innen. Dabei
sind Auslandspraktika in der beruflichen Aus- und Weiterbildung eine hervorragende
Möglichkeit, interkulturelle und zusätzliche fachliche Kompetenzen zu erwerben. Hier geht
also noch mehr: Wir wollen das Informationsangebot verbessern, Antrags- und
Anerkennungsverfahren einfacher gestalten und passgenaue Unterstützungsangebote einrichten.
Das bisherige Ziel der EU, der Hälfte eines Jahrgangs von Studierenden einen
Auslandsaufenthalt in einem anderen europäischen Land zu ermöglichen, wurde noch nicht
erreicht. Um in die Welt zu gehen, braucht man eine soziale Absicherung. Daher wollen wir
Risiken und Barrieren, die der Mobilität von Studierenden im Wege stehen, ausräumen und eine
soziale Staffelung der Erasmus-Unterstützung verbindlich machen. Sie kann für weniger
wohlhabende Studierende bis zu einem Vollstipendium reichen.
Eine europäische Gesellschaft braucht Europäische Universitäten
Wir Grünen unterstützen die Idee der Gründung Europäischer Universitäten. Hochschulen sind
eine europäische Erfindung, sie prägen Geistesleben, Wissenschaft und Kultur unseres
Kontinents seit Jahrhunderten. Aufgabe einer Europäischen Universität ist es, eine ganz
Europa umfassende wissenschaftliche Bildung zu verankern und die Verknüpfung bislang
national geprägter Wissenschaftsdisziplinen zu fördern. In Lehre und Forschung bündelt sie
vorhandene Kräfte und Kompetenzen mit dem Anspruch, zu den besten Hochschulen der Welt zu
gehören.
Institutionelles Vorbild bzw. Kern für Europäische Universitäten können das Europäische
Hochschulinstitut in Florenz, die Europa-Universität Viadrina oder bestehende Kooperationen,
wie zum Beispiel der Hochschulverbund Eucor – The European Campus – sein. Dort arbeiten fünf
Universitäten am Oberrhein bereits seit Jahrzehnten zusammen und kooperieren in vier
strategisch bedeutenden Forschungsschwerpunkten.
Wer GRÜN wählt, stimmt für
- Ausbau des europäischen Freiwilligendienstes,
- Erasmus-Programm für alle,
- Europäische Universitäten,
- sozial-ökologische Bildungsprogramme.
5.4. Europas Kulturreichtum mehren
Wir wollen europaweit die Investitionen in Kultur und Kunst ausweiten und den
Kulturaustausch zwischen Europa und der Welt fördern.
Europa hat in seiner wechselhaften und oft dramatischen Geschichte ein kulturelles
Verständnis ausgeprägt, das weit über seine Grenzen hinaus eine hohe Anziehungskraft
entfaltet. Die Dichte der Theaterlandschaft, seine vielfältige Musik, bildende Kunst und
Literatur, seine Museen, Bibliotheken und Architektur formen in ihrem historischen
Bewusstsein und in immer wieder neuen Gestaltungen kulturelle Bezugspunkte in unseren
Städten und Gemeinden. Wir wollen eine europäische Kulturpolitik, die die vielen regionalen
kulturellen Ausprägungen seiner 500 Millionen Bewohner*innen lebendig hält. Gleichzeitig
wollen wir die Idee einer gemeinsamen Kultur durch die Reflexion der europäischen Aufklärung
und die wechselseitige Neugier auf kulturelle Werte der Nachbarn durch eine Förderung
grenzüberschreitender Kulturprojekte auch mit anderen Regionen dieser Welt fördern. Eine
lebendige Kulturpolitik, die Vielfalt und Innovation zulässt und fördert, ist eine wichtige
Grundlage zur Weiterentwicklung der Demokratie in Europa.
Wir wollen den europäischen Film – vor allem regionale Produktionen – stärken, durch
Filmförderung künstlerische Qualität befördern und den Vertrieb europäischer Filme und die
Entwicklung qualitativ hochwertiger Computerspiele stärker unterstützen.
Wer GRÜN wählt, stimmt für
- europaweite Investitionen in Kultur und Kunst,
- die Förderung des europäischen Kulturaustauschs,
- die Förderung des europäischen Films,
- die Förderung der europäischen Computerspiel-Entwicklung.
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