Veranstaltung: | 44. Bundesdelegiertenkonferenz Bielefeld |
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Tagesordnungspunkt: | W-Buvo Wahl Bundesvorstand |
Antragsteller*in: | Annalena Baerbock (KV Potsdam) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 01.11.2019, 09:35 |
W-Buvo-05: Bewerbung: Annalena Baerbock
Bewerbungstext
Liebe Freundinnen und Freunde,
hiermit bewerbe ich mich bei Euch darum, auch in den kommenden zwei Jahren Eure Bundesvorsitzende sein zu dürfen. Zugleich möchte ich Euch von Herzen für die letzten beiden Jahre danken.
Wir haben – aufbauend auf der jahrelangen Arbeit von Vielen – drei Dinge erreicht, die ich gerne gemeinsam mit Euch ausbauen möchte:
- Ein starkes und solidarisches Miteinander,
- ein Ausgreifen in die Breite der Gesellschaft als Bündnispartei
- und politische Angebote, die gleichermaßen lebensnah, ambitioniert und umsetzbar sind.
Miteinander
Ob Kommunal-, Landtags- oder Europawahl - in zahlreichen Wahlkämpfen der letzten Monate haben wir nicht nur mit Leidenschaft und klarer inhaltlicher Linie gepunktet, sondern vor allem mit einer nahbaren Politik und einem starken Miteinander. Einem Miteinander, das unsere Vielfalt, die wir seit 40 Jahren leben, als Stärke begreift. So großartig unsere Erfolge bei der Europawahl, in den Kommunen sowie in Bayern und Hessen waren, so sehr haben mich persönlich die Landtagswahlkämpfe in Brandenburg, Sachsen und Thüringen berührt. Nicht nur, weil ich selbst dort lebe und weiß, wie hart es in den letzten Jahren war und auch immer noch ist, überall im Land sichtbar zu sein. Sondern weil ich einen solch solidarischen Wahlkampf, in dem unsere ganze Partei zusammen um jede einzelne Stimme gekämpft hat, noch nie erlebt habe. Egal, ob ich in Plauen, Wittstock oder Illmenau auf den Marktplatz kam – ein Mitglied aus München, Köln und Düsseldorf, Heidelberg und erst recht von der Grünen Jugend war auf jeden Fall schon da. Der Gedanke, der seit den 90ern in unserem Namen steckt, aber lange zu wenig Beachtung fand, den haben wir in diesem Jahr zu neuem Leben erweckt: Politische Ziele im Bündnis umzusetzen.
Bündnis der Vielen
An diesem Bündnis will ich weiter bauen. Denn die Herausforderungen, vor denen unser Land steht – der ökologische und digitale Umbau, Rechtsextremismus, der Abbau der Ungleichheit – sind zu groß und zu drängend, als dass wir sie als Partei alleine lösen könnten. Wir müssen im hier und heute verändern und dafür braucht es auch bei hohen Zuspruchswerten am Ende Mehrheiten im Parlament. Ja, unser Einsatz für Klimaschutz wird getragen von Schülerinnen und Schülern auf der Straße, von wagemutigen Unternehmer*innen, weitsichtigen Gewerkschaften, Bäuerinnen und Imkern, Ingenieuren und Forscherinnen, Pastorinnen und Umweltaktivisten, Denkerinnen und Dichtern. Aber um wirklich zu verändern, brauchen wir auch den Stahlarbeiter, die Pendlerin und andere von der Transformation direkt Betroffene, die bisher unserer Politik eher kritisch gegenüberstehen. Nicht alle, aber möglichst viele.
Weil wir hier leben
Bei all den großen Fragen unserer Zeit ist mir wichtig, dass wir das scheinbar Alltägliche nicht aus dem Blick verlieren. Dass man vom Dorf nicht in die Stadt kommt, weil es keinen Bus mehr gibt, den Alltag in der Kita, den Hautarzttermin, auf den man ein Jahr warten muss, die Nachbarin, die nur selten zu ihrer Enkelin fahren kann, weil sie sich das landkreisübergreifende Ticket nicht leisten kann. „Weil wir hier leben“ war für mich nicht nur eine sehr gelungene Kampagne von Tausenden unserer Kommunalas, sondern ist Verpflichtung für uns als Partei und gerade auch für den kommenden Bundesvorstand, die staatliche Infrastruktur, die sozialen Aufgaben in Dörfern und Städten und die kommunale Handlungsfähigkeit zu stärken. Wenn Frauen, die Schutz vor ihrem gewalttätigen Ehemann suchen, keinen Platz im Frauenhaus bekommen, wenn Spielplätze gesperrt werden, weil die Stadt in der Haushaltssicherung ist und die Schaukel nicht reparieren kann, wenn sich in einer Schule die „Hitlerjugend“ gründet, dann kann man die Kommunen nicht allein damit lassen. Dann ist auch Landespolitik und der Bund gefragt. Ich will, dass wir als Partei daran arbeiten, diese Blockaden in unserem föderalen System zu lösen, um gleichwertige Lebensverhältnisse in Nord und Süd, in Ost und West zu verwirklichen.
Verändern statt nur Versprechen
Die Wahl in Thüringen hat unterstrichen, wie sehr die demokratische Landschaft im Umbruch ist. Wie stark sich die Polarisierung verhärtet. Die Angst vor Neuem nimmt zu und wird in Filterblasen geschürt. Und das in einer Zeit, in der sich so viel verändern muss, um Halt zu geben, um zu einem gerechten und nachhaltigen Wohlstand zu kommen. Das wird uns als Partei der Veränderung noch gehörig fordern.
Aber wer versucht, dem Wiedererstarken von Populismus und Nationalismus mit einer weitgehenden Veränderungsstarre zu begegnen, kommt nicht weit. Wer sich auf die Verwaltung des Status quo beschränkt, überlässt in einer vollvernetzten Welt die gestalterische Macht der globalisierten Wirtschaft und autoritären Regimen.
Die Überzeugung, dass unsere Zukunft gestaltbar ist, braucht es gerade in einer Zeit, in der die Versprechen von einfachen Lösungen immer lauter werden. Einfache Lösungen gibt es nicht. Weder in der Außenpolitik noch in der Klima- oder Wirtschaftspolitik. Gute Politik ist anstrengend. Sie macht Fehler. Sie braucht Kompromisse. Gute Politik gibt es nur in den Grenzen der freiheitlichen Demokratie.
Das gilt vor allem für unser Kernfeld der Klimapolitik: Egal, ob beim weiteren Ausbau der Windkraft, dem Recycling von Elektrobatterien oder einer Wasserstoffstrategie. Mit Überschriften und großen Worten kommen wir nicht weiter. Wirksame Klimapolitik heißt, das Problem an der Wurzel zu packen und mit realistischen Vorschlägen unser Wirtschaftssystem zu ändern. Daher bin ich wirklich stolz darauf, dass wir auf diesem Parteitag gemeinsam als Partei mit den BAGen, den Landesminister*innen und der Bundestags- und Europafraktion ein umfassendes Paket zur Klimaneutralität unserer Industriegesellschaft vorlegen, mit dem wir nicht nur fordern, sondern sehr konkret und konsequent sagen, wie es gehen kann.
Standhaft bleiben
Zugleich ist klar: Je erfolgreicher wir werden, desto härter wird der Gegenwind. Wir kennen das schon aus der Vergangenheit. So wie die Generation, auf deren Schultern wir stehen, den Atomausstieg, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das Biosiegel, die eingetragenen Lebenspartnerschaften, ein neues Staatsbürgerrecht oder das „Nein“ gegen den Irakkrieg durchgesetzt hat, müssen wir jetzt beweisen:
Wir setzen um. Auch wenn es unbequem wird.
Gerade wenn uns der Wind direkt ins Gesicht bläst: Lassen wir uns nicht verunsichern. Lasst uns gerade dann umso stärker in das direkte Gespräch gehen. Lasst uns reflektiert und konstruktiv bleiben und dennoch zu unseren Werten und Konzepten stehen.
Liebe Freundinnen und Freunde, vor zwei Jahren auf dem Parteitag, stand auf der Leinwand unseres Parteitages: "Und das ist erst der Anfang". Wir als Partei haben das nicht nur versprochen, sondern ich glaube auch geliefert. Und ich verspreche Euch, wenn Ihr Robert und mir die Chance dazu gebt: Wir haben noch lange nicht fertig.
Ich bitte um Euer Vertrauen.
Herzliche Grüße
38 Jahre alt und wohnhaft in Potsdam ++ Mutter zweier Kinder ++ Völkerrechtlerin, LL.M. ++ seit 2018 Bundesvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ++ seit 2013 Bundestagsabgeordnete aus Brandenburg ++ Mitglied im Parteirat von 2012 bis 2015 ++ Landesvorsitzende in Brandenburg von 2009 bis 2013 ++ Mitglied im Vorstand der Europäischen Grünen Partei von 2009 bis 2012 ++ Sprecherin der BAG Europa von 2008 bis 2013 ++