Veranstaltung: | 44. Bundesdelegiertenkonferenz Bielefeld |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | BAG Demokratie und Recht (dort beschlossen am: 28.09.2019) |
Status: | Zurückgezogen |
Eingereicht: | 04.10.2019, 14:39 |
V-48 (ehm GP-02): Digitale Grundrechte
Antragstext
Digitale Grundrechte
Das Internet darf kein grundrechtsfreier Raum sein. Schon 1997 wies Lawrence Lessig darauf
hin, dass das Internet sowohl das Potential hat, eine große emanzipatorische Wirkung zu
entfalten, als auch das Potenzial, ein gigantisches Überwachungsinstrument zu werden. Immer
mehr Bürger*innen sind online auf verschiedenen Arten aktiv, das Internet ist für einige zu
einem transnationalen Lebensraum geworden.
Unterdessen haben sich beide Prophezeiungen bewahrheitet. Während in den ersten Jahren
zunächst ein enormer Raum der Freiheit entstanden ist, hat sich das Bild gewandelt, und in
den letzten Jahren ist das Internet immer mehr auch zu einem gigantischen
Überwachungsinstrument geworden. Diese Entwicklung ist weder naturgegeben noch unumkehrbar.
Sie ist auch weder allein auf staatliche Eingriffe oder auf wirtschaftliche Interessen
zurückzuführen. Allerdings kann und muss der Staat einen Rahmen setzen, um Freiheiten im
Internet sichern zu können.
Demokratisierung digitaler Infrastruktur
Während die dem Internet zugrunde liegende technische Infrastruktur schon seit Anbeginn eine
Art digitale Selbstorganisation gepflegt hat, gilt das für die Dienste mit Schnittstellen zu
den Nutzer*innen nicht. Diese digitalen Infrastrukturen sind derzeit hauptsächlich in der
Hand großer Konzerne. Sie kontrollieren dadurch nicht nur die Verwendung von Daten, sondern
auch, ob und wie Bürger*innen Zugang zu digitalen Diensten finden können. Wenn aber der
digitale Raum zu einem Lebensraum für die Bürger*innen wird, müssen diese auch die
Möglichkeit erhalten, diesen selbst zu gestalten und ihn nicht nur innerhalb der von
wirtschaftlichen Interessen definierten Möglichkeiten nutzen zu können. Zugänge zu dieser
Infrastruktur müssen zu einer gesellschaftlich getragenen Selbstverständlichkeit werden, und
Plattformen müssen die Möglichkeit bieten, dass Bürger*innen sich sowohl lokal als auch
digital organisieren und Einfluss auf die Plattformen nehmen können.
Räume der Freiheit
Während es unbestritten ist, dass es in der Offline-Welt Räume geben muss, in die weder der
Staat noch Unternehmen eingreifen dürfen, gibt es dieses Verständnis für digitale
Lebenswelten nicht in demselben Maße. Dabei können die Eingriffe mindestens das gleiche Maß
erreichen wie die intensivsten Maßnahmen offline. Eine Überwachung des Verhaltens von
Menschen ist dabei mit weit weniger Aufwand möglich und weitaus umfassender und tiefer in
die Intimsphäre eindringend möglich. Das gilt nicht nur für staatliche, sondern auch für
Eingriffe von Unternehmen. Datenschutz kann dabei nur ein Baustein für den Erhalt digitaler
Freiheit sein. Auch die Sicherheit technischer Geräte ist ein zentraler Baustein zur
Aufrechterhaltung digitaler Freiräume. Dies muss auch von staatlicher Seite gewährleistet
werden.
Das Bedürfnis nach Strafverfolgung und Gefahrenabwehr darf es dem Staat nicht ermöglichen,
entweder selbst oder durch die Nutzung von Daten von Unternehmen, unkontrolliert und
unbegrenzt in die Privatsphäre der Bürger einzudringen. Die höhere Intensität der Eingriffe
muss mit engeren Begrenzungen einhergehen. Daten, von denen die Bürger*innen nicht wissen,
dass sie vorhanden sind und deren Aussagekraft im Moment der Entstehung oder Zusammenführung
nicht erkennbar ist, dürfen nicht für Zwecke der Strafverfolgung genutzt werden.
Digitale Realität anerkennen
Viele Menschen haben einen Teil ihres Lebensmittelpunktes in digitalen Räumen. Große Teile
gesellschaftlicher Willensbildung und der dafür notwendigen Debatten spielen sich inzwischen
digital ab. Diese ermöglichen eine weitaus größere Beteiligung größerer
Bevölkerungsschichten als dies früher der Fall war. Diese demokratischen Potentiale müssen
besser für demokratische Prozesse nutzbar gemacht und vor Manipulationen geschützt werden.
Insbesondere die Möglichkeit zur Nutzung selbstgewählter digitaler Identitäten ist ein
Grundpfeiler der digitalen Freiheit. Die Sicherheit digitaler Räume darf nicht als Argument
vorgeschoben werden, selbstgewählte Identitäten einzuschränken.
So verstandene digitale Lebenswelten verdienen den gleichen Schutz wie analoge Lebenswelten.
Digitale Monopole brechen
Digitale Wirtschaftsformen zeichnen sich dadurch aus, dass zunehmende Größe der Unternehmen
durch Netzwerk- und Skaleneffekte immer größere Wettbewerbsvorteile bringen. Dadurch bilden
sich internationale Monopole oder Oligopole, die kaum mehr durch neue Geschäftsmodelle
herausgefordert werden können. Deren einzige Bedrohung sind noch größere Konkurrenten, die
sie ablösen oder aufkaufen.
Das Kartellrecht ist hier hoffnungslos überfordert, weil es weder die internationalen
Dimensionen beachten noch gewachsene Monopole verhindern kann.
Für die Bürger*innen führt sinkender Wettbewerb zu einer Verknappung des Angebots auf wenige
Produkte, die in großen Mengen produziert werden, während spezielle Bedürfnisse immer
schwieriger und nur zu immer höheren Kosten befriedigt werden können.
Es braucht daher mehr Interoperabilität und neue Möglichkeiten, große Konzerne aufzuspalten
und in miteinander konkurrierende Unternehmen zu verwandeln.
Digitale Grenzen verhindern
Digitale Lebenswelten zeichnen sich dadurch aus, dass sie unabhängig sind von territorialen
Beschränkungen. Diese Freiheit gilt es zu verteidigen und auszubauen. Die digitalen
Infrastrukturen sind so zu gestalten, dass transnationale Räume entstehen und unabhängig von
Aufenthaltsorten und Staatsangehörigkeiten genutzt werden können.
Die zunehmende Tendenz, das Internet entlang nationaler Grenzen zu segmentieren, darf nicht
weiter gefördert werden. Digitale Produkte, die dazu genutzt werden können, bedürfen einer
strengeren Exportkontrolle.
Algorithmenkontrolle
Algorithmen sind notwendige Bestandteile digitaler Lösungen und damit auch der digitalen
Lebenswelten. Eine Verteufelung von Algorithmen führt deshalb nicht weiter, ohne Algorithmen
kann es keine Software geben. Allerdings sind nicht alle Algorithmen nur technisch
notwendige Bestandteile der Software, aus denen die digitale Umwelt besteht. Sie haben
dadurch auch die Möglichkeiten, z. B. Verhalten oder den Zugang zu Informationen zu
beeinflussen. Deshalb müssen Algorithmen – auch von Privatunternehmen – einer öffentlichen
Kontrolle unterliegen, wenn es sich um grundrechtsrelevante, selbstlernende Systeme oder um
sonstige Eingriffe in Teilhabe- oder Freiheitsrechte handelt. Selbstlernende Systeme müssen
in regelmäßigen Abständen auf ihre Funktion überprüft werden, dies muss dokumentiert werden,
und diese Dokumentation muss öffentlich zur Verfügung und Überprüfung gestellt werden. Die
Aufsichtsbehörden sind so auszustatten, dass sie ihre Kontrollfunktion effektiv wahrnehmen
können.
Begründung
Für demokratische Teilhaberechte hat sich mit der zunehmenden Digitalisierung viel verändert. In der analogen Welt ist eine Beteiligung an gesellschaftlichen Diskursen weitestgehend unabhängig von technischen Voraussetzungen, die in Händen von Privatunternehmen liegen, möglich. Die digitale Welt verändert das fundamental. Die gesamte Infrastruktur befindet sich in der Hand von Privatunternehmen, die nur noch bedingt staatlichen Einflüssen unterliegen. Des Weiteren gibt es immer stärkere Bestrebungen, die dazu führen können, dass sich das Internet in nationale Teilnetze aufspaltet. Der Antrag soll eine Grundlage bieten, demokratische Kontrolle über die Infrastruktur erlangen zu können und gleichzeitig den Zugang zu den Infrastrukturen möglichst diskriminierungsfrei zu sichern.
Gleichzeitig versuchen die Staaten, Onlinekommunikation immer weiter zu überwachen und die Freiheiten im Internet weit stärker einzuschränken als dies in der analogen Welt denkbar wäre. Gesellschaftliche Diskursräume und eine weitgehende staatliche Überwachung der Aktivitäten der Bürger*innen vertragen sich allerdings nicht. Daher muss bei allen Maßnahmen der Wert der Freiheit mitgedacht werden.
weitere Antragsteller*innen
Änderungsanträge
- V-48 (ehm GP-02)-025 (Doris Wagner (München KV), Eingereicht)
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