Veranstaltung: | 44. Bundesdelegiertenkonferenz Bielefeld |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Bundesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 15.11.2019 |
Eingereicht: | 07.01.2020, 15:56 |
Lage im Persischen Golf deeskalieren, Nuklear-Abkommen mit dem Iran retten
Beschlusstext
Die Situation am Persischen Golf spitzt sich tagtäglich zu. Eine militärische Eskalation
scheint zunehmend wahrscheinlicher zu werden. Die angespannte Situation zwischen dem Iran
auf der einen Seite und den USA und Saudi-Arabien auf der anderen Seite verschärft sich
immer weiter. Illegale Festsetzungen von Tankern, die Verletzung internationalen Seerechts,
Angriffe auf wirtschaftlich existenzielle Einrichtungen, Abschuss von Drohnen, lähmende
Sanktionen, willkürliche Verhaftungen, Geiselhaft von DoppelstaatlerInnen provozieren
zunehmend eine militärische Eskalation. Verschärft wird dies von der Sprachlosigkeit beider
Seiten. Weder die USA und der Iran noch Iran und Saudi-Arabien haben derzeit funktionierende
Kommunikationslinien. Damit stünde auch einer nicht intendierten Eskalation nicht mehr viel
im Wege.
Eine solche würde den Nahen Osten massiv destabilisieren und hätte weit über die Grenzen der
von Konflikten so geplagten Region verheerende Folgen. So wäre das Ende des Abkommens nicht
nur der schnellste Weg für den Iran zur Atombombe. Mit Saudi-Arabien würde mindestens ein
anderer Staat im Nahen Osten nach der Bombe streben - eine nukleare Rüstungsspirale mit
unabsehbaren Folgen wäre die Konsequenz.
Iran - ein hochproblematischer Akteur
Die Islamische Republik Iran ist innen- wie außenpolitisch ein hochproblematischer Akteur.
Die Menschenrechtslage im Land ist verheerend, die aggressive Regionalpolitik zerstörerisch
und die Bedrohung der Existenz Israels inakzeptabel.
Irans Rolle bei der Stabilisierung der Herrschaft Bashar al-Assads hat maßgeblich zur
Verschlechterung der humanitären Lage in Syrien beigetragen. Auch in Libanon und im Irak
spielt der Iran eine imperialistische Rolle, die die Souveränität der Staaten untergräbt und
zur Vertiefung der innerislamischen Konfessionskonflikte beiträgt. In Jemen ist die
Unterstützung der illegitimen Machtübernahme durch die Houthis ein Beitrag zur Fortsetzung
des Konfliktes auf Kosten der Zivilbevölkerung. Zudem wird die Drohung der „Auslöschung
Israels“ von der Führung des Landes auf unerträgliche Art immer wieder bedroht - in
Anbetracht der militärischen Präsenz des Irans und seiner Alliierten in der Nachbarschaft
Israels eine sehr ernst zu nehmende Rhetorik.
Bei all den zahlreichen Herausforderungen, die Teheran darstellt, war eines der
relevantesten Schwierigkeiten auf diplomatischem Wege und auf absehbare Zeit gelöst. Das
Nukearabkommen mit dem Iran - offizieller Name: Joint Comprehensive Plan of Action (JCPoA).
Saudi-Arabien - ebenfalls ein hochproblematischer Akteur
Das Königreich Saudi-Arabien ist innen- wie außenpolitisch ebenso ein hochproblematischer
Akteur. Die Menschenrechtslage im Land ist verheerend, die aggressive Regionalpolitik
zerstörerisch und die weltweite Finanzierung von dschihadistischen Netzwerken inakzeptabel.
Die Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien ist katastrophal. Willkürliche Verhaftungen,
Folter und Einschüchterung von Kritiker*innen sind an der Tagesordnung. 2018 wurden im
Königreich 149 Menschen hingerichtet.
Genauso ist die hochproblematische Regionalpolitik Saudi-Arabiens, als zusätzlicher Treiber
einer militärischen Eskalation mit dem Iran nicht zu verkennen. Sie wirkt sogar über den
Mittleren Osten hinaus destabilisierend. So ist das Land federführend bei der Blockade des
Jemen, wodurch es ganz wesentlich für die - laut den Vereinten Nationen - derzeit größte
humanitäre Katastrophe der Welt mitverantwortlich ist. 24 Millionen Menschen sind in Jemen
derzeit aufgrund der Blockade auf humanitäre Hilfe angewiesen. Gegen das Nachbaremirat Katar
hat Saudi-Arabien ein Embargo verhängt, dessen Umstände und Begründung höchst fragwürdig
sind. Der Konflikt hat zu einer vollständigen Lähmung des Golfkooperationsrats geführt.
Die damit einhergehende Lagerbildung strahlt auch destabilisierend in andere Konflikte in
Nordafrika, dem Jemen und dem Horn von Afrika aus und heizt dort existierende Konflikte
zusätzlich an. In Libyen unterstützt das Königreich General Khalifa Haftar, der die von der
internationalen Gemeinschaft gestützte Regierung in Tripolis bekämpft. Darüber hinaus
stellte sich Saudi-Arabien während des sogenannten Arabischen Frühlings - unter anderem auch
mit militärischen Mitteln - vielfach gegen die in zahlreichen Staaten, wie etwa in Bahrain,
begonnenen Demokratisierungsprozesse.
Das Atomabkommen retten
Durch den einseitigen Ausstieg der USA aus des Iran-Nuklearabkommen im Mai 2018 durch US-
Präsident Trump, dreht sich die Eskalationsspirale zunehmend weiter und droht, den Vertrag
als zentrales rüstungskontrollpolitisches Instrument in seiner Gesamtheit zusammenbrechen zu
lassen. Auch die Regierung Netanjahu hat aktiv gegen den Verhandlungsprozess gearbeitet und
damit zur Schwächung des Atomabkommens beigetragen. Seit dem Ausstieg Washingtons wurden von
US-Seite unilateral die Wiedereinführung und Verstärkung von nationalen Sanktionen
beschlossen. Ziel ist es Iran – bisher ohne Erfolg - im Rahmen einer Politik des „maximalen
Drucks“ zu weitreichenden Konzessionen, mit Blick auf sein ballistisches Raketenprogramm
sowie sein regionales Verhalten und einem neuen, allumfassenden Abkommen zu bewegen.
Das Iran-Nuklearabkommen ist das Ergebnis jahrelanger internationaler Bemühungen, durch
diplomatische Mittel den Streit um das iranische Nuklearprogramm beizulegen und eine atomare
Bewaffnung Irans zu verhindern. Durch seine Verpflichtungen im Verbund mit einem
präzedenzlosen Transparenzregime, überwacht durch die Internationale Atom- und
Energiebehörde (IAEA), wurde bisher erfolgreich das Risiko einer atomaren Bewaffnung Irans
auf ein beherrschbares Maß reduziert. Vor vier Jahren wurde die Vereinbarung mit der
Resolution 2231 vom VN-Sicherheitsrat angenommen und ist damit der rechtsverbindliche
Rahmen, auf den die internationale Staatengemeinschaft verpflichtet wurde. In seiner
Resolution fordert der Sicherheitsrat alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen auf,
geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Umsetzung der Vereinbarung zu unterstützen und
gleichzeitig Maßnahmen zu unterlassen, welche der Umsetzung der Verpflichtungen aus dem
Iran-Nuklearabkommen entgegenstehen. Der einseitige Ausstieg der USA und die Verhängung
unilateraler US-Sanktionen stehen dazu in Opposition. Neben der regelbasierten
internationalen Ordnung steht damit auch ein zentrales Rüstungskontrollregime unter
Beschuss.
Ein Ende des Iran-Nuklearabkommens würde nicht nur eine Katastrophe für die Region mit
unüberschaubaren Konsequenzen einer möglichen Aufrüstungsspirale und eines nuklearen
Wettrüstens bedeuten - sondern würde auch ein fatales Signal der Unverlässlichkeit und damit
Verhandlungs- und Vereinbarungsunfähigkeit an Staaten wie Nordkorea senden, welche durch
diplomatischen und wirtschaftlichen Druck von ihrem Drang nach Atomwaffen abgebracht werden
sollen.
Der Iran-Nuklearabkommen versprach Iran für eine Aussetzung seines Nuklearprogramms
Sanktionserleichterungen und damit einhergehende wirtschaftliche Entwicklung. Obwohl sich
die anderen Parteien der Vereinbarung - Russland, China, Frankreich, Großbritannien und
Deutschland - gegen die US-amerikanische Linie gestellt haben reichen ihre bisherigen
Bemühungen um Sanktionserleichterungen im Rahmen des Iran-Nuklearabkommens nicht aus: Durch
die Dominanz des US-Dollars im Welthandels- und Finanzsystem und die Bedeutung des US-
Marktes für europäische, aber auch chinesische Banken und Unternehmen ist die US-Regierung
in der Lage, durch unilateral verhängte Sanktionen auch nicht-US basierte Unternehmen unter
Druck zu setzten.
Deshalb profitiert der Iran nun nicht mehr wirtschaftlich von den internationalen
Sanktionserleichterungen: Das Land kann kaum mehr Öl exportieren, europäische Unternehmen
haben sich aus Angst vor US-Restriktionen zurückgezogen, der Handel ist eingebrochen, es
gibt kaum mehr Finanzkanäle. Nicht einmal mehr Medikamente und humanitäre Güter können
aufgrund von Selbstreglementierung und Übererfüllung von Unternehmen und fehlenden
Bankverbindungen geliefert werden - auch wenn die Güter gar nicht von US-Sanktionen erfasst
sind.
Teheran testet nun zunehmend Grauzonen bei der Erfüllung seiner nukleartechnischen
Verpflichtungen aus, nachdem sich das Land laut Berichten der IAEO bis Juni vollumfänglich
an diese gehalten hatte. Im Juni 2019 hat Iran, wie von der IAEO bestätigt – schrittweise
begonnen, Uran über die unter des Iran-Nuklearabkommens festgelegten Obergrenze
anzureichern. Hiermit sollen die Unterzeichnerstaaten unter Druck gesetzt werden: Falls das
Land nicht vom Iran-Nuklearabkommen wie vereinbart profitiere, sehe Teheran keinen Nutzen
darin, sich weiter an den Vertrag zu halten, so die Botschaft. Die bisherigen iranischen
Maßnahmen deutet aber daraufhin, dass man in Teheran weiter eine Verhandlungslösung
anstrebt.
Deeskalation jetzt!
Nichts desto trotz droht die Lage im persischen Golf militärisch zu eskalieren. Wir treten
für die Freiheit der Schifffahrt ein. Die Konflikte in der Straße von Hormos und im
Persischen Golf angesichts der extrem volatilen Lage nicht ausufern zu lassen muss höchste
Priorität haben. Die Beteiligung an der US-geführten Mission „Sentinel“ im Persischen Golf
lehnen wir ab, da diese keinen deeskalativen Charakter hat. Für uns gelten die UN-Charta und
das Völkerrecht. Wir werden Einsätzen der Bundeswehr nur auf Grundlage der UN-Charta und mit
einem Mandat der Vereinten Nationen nach Kapitel VI oder VII der UN-Charta zustimmen.
Gerade in Zeiten, in denen die internationale Ordnung zunehmend unter Druck gerät, braucht
es eine Bundesregierung, die gemeinsam mit ihren europäischen Partner*innen auf alle
denkbaren diplomatischen und politischen Kanäle unmissverständlich auf Deeskalation zwischen
allen beteiligten Parteien hinwirkt. Darüber hinaus sind alle VertragspartnerInnen des JCPoA
durch die VN-Resolution 2231 dazu aufgefordert, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den
Fortbestand der Vereinbarung und seine Umsetzung zu unterstützen.
Wir fordern die Bundesregierung insofern dazu auf die wirtschaftlichen Voraussetzungen für
einen Erhalt des Abkommens zu schaffen. Dazu gehört der Aufbau alternativer Zahlungswege für
legitime Geschäfte mit dem Iran, der Erhalt iranischer Möglichkeiten zum Ölexport und
Angebote zur Unterstützung des Irans beim Aufbau von Infrastruktur, die den Iraner*innen zu
Gute kommen, vor allem bei den Erneuerbaren Energien, der prekären Wasserversorgung und im
Falle von humanitären Notlagen. Das Paradebeispiel dafür ist die Handelsplattform INSTEX.
Weil der Iran wegen des Drucks der USA vom weltweiten Transaktionssystem Swift abgekoppelt
wurde, ist es im den Menschen im Land im Grunde unmöglich, Geschäfte mit dem Ausland
abzuwickeln, also Geld zu transferieren. Auch humanitäre Güter können im Iran nicht mehr
gekauft werden. So mangelt es mittlerweile sogar an dringend notwendigen Medikamenten für an
Krebs erkrankte Kinder. Zudem hat die sanktionsbedingte Isolation der iranischen Wirtschaft
zu einer massiven ökonomischen Depression geführt, unter der nur die korrupten wohlhabenden
Kleptokrat*innen nicht leiden. Auch ist diese Wirtschaftskrise laut dem Flüchtlingswerk der
Vereinten Nationen (UNHCR) die Hauptursache für den Anstieg der Flüchtlingszahlen in der
Türkei. Über zwei Millionen afghanische Flüchtlinge bekommen im Iran nicht mehr ausreichend
Hilfe und finden keine Jobs mehr. Da die Sicherheitslage in Afghanistan ihnen den
Rückkehrweg versperrt, machen sich immer mehr auf den Weg nach Europa.
Unser Kerninteresse im Sinne der nuklearen Abrüstung ist es das JCPoA aufrecht zu erhalten.
Schon bei der Unterzeichnung des Nuklearabkommens war klar, dass es nicht perfekt sein
konnte, sondern ein Kompromiss war, und vor allem ein wichtiger vertrauensbildender Schritt.
Ebenso war klar, dass weder das Raketenprogramm des Iran, noch dessen aggressive
Regionalpolitik, die Drohungen gegen Israel und die dramatische Menschenrechtslage im
eigenen Land Teil dieses Abkommens waren. Es hat sich gezeigt, dass alle diese Probleme
durch das Abkommen selbst noch nicht geringer wurden. Doch ebenso klar ist: ohne das
Abkommen wird es noch weniger Möglichkeiten geben, diese Probleme anzusprechen und
anzugehen.
Es braucht eine Nahostpolitik, die den Mut hat, den gescheiterten amerikanischen Ansatz des
„maximalen Drucks“ zurückzuweisen und neue Wege zum Frieden aufzuzeigen. Eine Nahostpolitik,
die die Äquidistanz zu Iran und Saudi-Arabien sucht, statt die Lage der vielen Menschen in
Not - etwa in Jemen – mit unverantwortlichen Rüstungsexporten gar noch weiter zu
verschlechtern.
Wir fordern deshalb, dass
die Bundesregierung und die EU sich weiter im Rahmen ihrer GASP (Gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik) zusammen mit den übrigen Parteien der Vereinbarung China und
Russland dafür einsetzen, die Wiener Nuklearvereinbarung als zentrales
rüstungskontrollpolitisches Instrument zu bewahren.
sich auf allen Ebenen für eine Deeskalation am Persischen Golf einzusetzen. Dazu
gehört auch die Unterstützung direkter Gespräche zwischen Iran auf der einen Seite und
USA und Saudi-Arabien auf der anderen Seite.
die Bundesregierung alle praktikablen Maßnahmen ergreift, um wirtschaftliche
Aktivitäten, die nach europäischem Recht legal sind, abzusichern und den Handel mit
Iran aufrecht zu erhalten. Der Handels- und Zahlungsmechanismus INSTEX, dessen
Ausgestaltung und Funktionalität weiter vorangetrieben und ausgeweitet werden muss,
ist ein erster wichtiger Schritt, damit Iran wie in der Vereinbarung angelegt
wirtschaftlich von Sanktionserleichterungen profitieren kann. Weitere Maßnahmen müssen
aber folgen. Eine Möglichkeit sind beispielsweise staatlich abgesicherte,
multilaterale Investitionsprogramme für Entwicklungsprojekte, die unmittelbar der
iranischen Bevölkerung zugutekommen.
die EU sich stärker mit den anderen Vertragspartnern abstimmt, wann eine „significant
non-performance“ Irans mit Blick auf seine nukleartechnischen Verpflichtungen
vorliegen würde, und sich deutlich gegenüber Iran positioniert, um eine sukzessive
Aushöhlung der Vereinbarung zu verhindern und damit seine Funktion zu bewahren.
die amerikanische Iran-Politik des „maximalen Drucks“ zurückzuweisen. Dazu gehört auch
eine Verstärkung des „Blocking Statuts“ der Europäischen Union, um europäische
Unternehmen gegen die völkerrechtswidrigen sogenannten „Sekundärsanktionen“ der USA zu
wappnen. Dass wir in der EU nicht in der Lage sind, Maßnahmen durchzusetzen, wenn die
USA das nicht wollen, kann nicht im Sinne unserer europäischen Friedens- und
Sicherheitsinteressen sein. Es untergräbt unsere wirtschaftliche und politische
Souveränität und die Glaubwürdigkeit der europäischen Außenpolitik.
Iran und Saudi-Arabien einen Ausbau der Kooperation im Bereich der Erneuerbaren
Energien anbieten.
Eine Konferenz zu veranstalten, in der die Staaten der Nahen Ostens die Möglichkeit
bekommen, bei den massiven regionalen Umwelt-Herausforderungen, allen voran
Wassermangel und Luftverschmutzung, Kooperationsformen auszuloten.
klar und deutlich die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien und im Iran anzusprechen und
dabei im Schwerpunkt die Freilassung aller politischen Gefangenen einzufordern.
sich für die Rechte der Zivilgesellschaften in der gesamten Region einzusetzen und den
Kontakt untereinander zu förden. Dazu gehört auch eine Visa-Politik, die den
internationalen Austausch ermöglicht und nicht wie bisher stranguliert.
die Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien und in anderen Staaten, die am Jemen-Krieg
beteiligt sind, endlich zu beenden.
die humanitäre Hilfe für die Menschen im Jemen auszubauen und sich für eine
Untersuchung der von allen Parteien begangenen Kriegsverbrechen einzusetzen.