Veranstaltung: | 44. Bundesdelegiertenkonferenz Bielefeld |
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Tagesordnungspunkt: | WKF Wirtschaft, Klima, Finanzen |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Bundesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 15.11.2019 |
Eingereicht: | 09.01.2020, 15:40 |
Zukunftsfähig wirtschaften für nachhaltigen Wohlstand - Rahmen setzen für die sozial-ökologische Marktwirtschaft
Beschlusstext
Unser Wirtschaftssystem und unser Wohlstandsverständnis stehen vor dramatischen
Veränderungen. Dabei geht es um viel mehr als um eine konjunkturelle Flaute nach Jahren des
Booms. Viele der heutigen strukturellen Anreize zu produzieren, zu handeln und zu
konsumieren, stellen uns vor ökologische Probleme dramatischen Ausmaßes und befeuern sozial-
ökonomische Verteilungskrisen. Es geht um sehr grundsätzliche Herausforderungen.
Ein ungezügelter Natur- und Ressourcenverbrauch, die Abhängigkeit von Exportüberschüssen,
eine unzureichend regulierte Globalisierung, die Krise der Care-Arbeit, fehlende
Investitionen in die Zukunft: Die Krisen verdeutlichen, dass unser angestammtes
Wirtschaftsmodell so nicht mehr funktioniert. Der liberale Ökonom Nicolas Stern hat zu Recht
festgestellt: „Der Klimawandel ist der größte Fall von Marktversagen, den die Welt je
gesehen hat.“
Die enormen Wohlstandsgewinne kommen bei zu vielen nicht an und die Ungleichheit nimmt zu.
Globale Konzerne, die sich nationaler Rechtsetzung entziehen, und Finanzmärkte, die an
Stelle demokratischer Politik entscheiden, unter welchen Bedingungen wir Menschen leben. Das
alles höhlt nicht nur die Grundlagen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens aus und gefährdet
bei uns und in vielen anderen Ländern immer stärker das Vertrauen in demokratische Politik.
Es zerstört auch die ökonomischen Grundlagen unserer Gesellschaft. Gleichzeitig erschüttern
globale Handelskonflikte die Weltwirtschaft und die multilaterale Weltwirtschaftsordnung.
Der drohende Brexit sorgt zusätzlich für Verunsicherung in der EU. Das hat Folgen. Nach
Jahren des Booms zeichnet sich in Deutschland ein ernsthafter Abschwung der Konjunktur ab.
Jede Generation hat ihre Aufgabe. Wohlstand als Frage der Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit
neu zu definieren und die Politik darauf auszurichten, ist unsere. Wir müssen jetzt den Mut
haben, weitreichende Entscheidungen zu treffen, dafür leidenschaftlich in der ganzen Breite
der Gesellschaft zu werben und nicht verzagt nur in Trippelschritten zu denken.
Übergeordnetes Ziel ist eine ökologisch nachhaltige, gerechte und emanzipatorische Welt.
Diese drei Dimensionen sind Richtschnur für die Bewertung der Zukunftsfähigkeit unseres
Wirtschaft- und Finanzsystems. Sie bedingen einander und dürfen nicht gegeneinander
ausgespielt werden. Wir sind dabei nicht blind für Zielkonflikte, die in demokratischen
Aushandlungsprozessen gelöst werden müssen.
Konzepten wie „Wachstum“, „Effizienz“, „Wettbewerb“ und „Innovation“ wird derzeit ein
Selbstzweck zugestanden, anstatt sie als das zu betrachten, was sie sein sollten: Mittel zur
Erreichung von Wohlstand und Lebensqualität innerhalb der planetaren Grenzen. Wir aber
wollen die fundamental wichtigere Debatte um gesellschaftliche Ziele führen, denen diese
Mittel unterzuordnen sind. So wollen wir auch individuelle und gesellschaftliche Freiheit
neu beleben.
Richtig ausgestaltet schaffen wir die Grundlagen dafür, dass notwendige Innovationen in
Europa entwickelt und marktfähig gemacht werden und damit zukunftsfähige neue Arbeitsplätze
im Handwerk, in Startups, in der Dienstleistungsbranche und auch in traditionsreichen
Industrieunternehmen entstehen. Dazu gehören auch massive Investitionen, öffentlich wie
privat, um den immensen Investitionsstau in unserem Land zu begegnen, um mit Produktivität
und neuen Ideen die immensen Aufgaben beim Klimaschutz schnell und entschlossen anpacken zu
können.
Wir streben ein Wirtschafts- und Finanzsystem an, das die planetaren Grenzen einhält und
gleichzeitig menschliche Entfaltung garantiert – und zwar weltweit, über Grenzen hinweg und
für zukünftige Generationen. Ein zentrales Mittel dafür ist die sozial-ökologische
Neubegründung der Marktwirtschaft. Sie ist das Gegenmodell zu einem ungeregeltem
Kapitalismus und einem autoritären Staatskapitalismus. Für dieses zukunftsfähige Modell der
Marktwirtschaft ist mit der Gemeinwohlorientierung des Eigentums bereits die Grundlage
gelegt. Art. 20a GG verpflichtet zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Die
Sozialpflichtigkeit des Eigentums in Art. 14 Abs. 2 GG umfasst daher auch die Verpflichtung
auf die Einhaltung ökologischer Leitplanken. Wir streben ein Wirtschafts- und Finanzsystem
an, das die planetaren Grenzen einhält und gleichzeitig menschliche Entfaltung garantiert –
und zwar weltweit, über Grenzen hinweg und für zukünftige Generationen.
Den Weg dahin bereitet ein Green New Deal. Er schafft den neuen Ordnungsrahmen für faires,
ökologisches und nachhaltiges Wirtschaften. Er investiert mutig in die Zukunft. Er setzt
neue Kräfte für Kreativität und Innovationen frei. Er sorgt für sozialen Ausgleich und soll
zur Geschlechtergerechtigkeit beitragen. Er schafft die Grundlagen für einen nachhaltigen
Wohlstand, der nicht auf der Ausbeutung der Natur und einer fossilen Wirtschaftsweise
basiert, sondern den Mensch in den Mittelpunkt stellt.
Wir sind überzeugt, dass das freie und kreative Handeln von Menschen und die Dynamik eines
fairen Wettbewerbs und gesellschaftlicher Kooperation nachhaltigen Wohlstand und innovative
Problemlösungen schaffen können. Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, bietet die
Marktwirtschaft beste Voraussetzungen für sozial-ökologisches Wirtschaften. Die Kräfte von
Märkten und Kapital können beeindruckend sein - sie haben unsere Gesellschaften und unseren
Planeten in den letzten Generationen fundamental verändert. Märkte können Bedürfnisse und
Fähigkeiten in komplexen Gesellschaften zusammenbringen und viele Menschen konnten sich so
aus absoluter Armut befreien. Auch können Marktmechanismen zur Lösung mancher
gesellschaftlicher Probleme beitragen. Doch andererseits können sie auch große
Destruktivkräfte entwickeln: Anreize zur Ausbeutung nicht-erneuerbarer, zur Übernutzung
nachwachsender Rohstoffe sowie zur Ausbeutung der Arbeitskraft von Menschen gehen zu Lasten
von Ökosystemen und dem Wohl der Weltgemeinschaft. Konzentrationstendenzen auf Märkten
verkehren ihre positiven Aspekte ins Gegenteil.
Märkte funktionieren nur mit klaren Leitplanken. Doch dafür braucht es den gesamten
Instrumentenkasten aus Steuern-, Abgaben- und Ordnungsrecht sowie intelligenter öffentlicher
Forschungs- und Förderpolitik. Wir wollen die Leitplanken im Markt so setzen, dass er
zukunftsfähige Ergebnisse produziert. Im Wettbewerb soll erfolgreich sein, wer übergeordnete
gesellschaftliche Ziele nicht konterkariert, sondern sie durch die dezentrale Suche nach den
effizientesten Angeboten für Bedarfe befördert. Wir wollen die Besteuerung vom Faktor
„Arbeit“ auf die Faktoren „Ressourcen“ und „Kapital“ verlagern sowie externalisierte Umwelt-
und Sozialkosten internalisieren und damit in die Unternehmensbilanzierung ökologische und
soziale Werte einpflegen.
Der Markt kann allerdings nicht das alleinige Organisationsprinzip für das Wirtschaften in
einer Gesellschaft sein. Ein Großteil menschlicher Wirtschaftsbeziehungen erfolgt jenseits
von Märkten – über den Staat, in Haushalten oder gemeinschaftlich organisierten Bereichen.
Innovation und die Durchsetzung bester Ideen gibt es auch in kooperativen Systemen außerhalb
kapitalistischer Märkte. Produktion und Eigentum kann auch in anderen Formen jenseits von
Markt und Staat organisiert werden, etwa in Genossenschaften. Dazu bedarf es eine aktive
Förderung solcher Alternativen und eine Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für
ihre Ausweitung und Absicherung.
Technologische Entwicklung ist ein wesentlicher Baustein, um die genannten Ziele zu
erreichen. Statt eines blinden Strebens nach technischen Innovationen wollen wir diese
werte- und zielgeleitet gestalten und entsprechend fördern. Wir GRÜNE wollen einen
Fortschritt, der sich nicht an der bloßen Anzahl technischer Innovationen festmacht, sondern
daran, dass es eine konkrete Verbesserung der Lebensbedingungen für die Menschen und des
Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen gibt.
Ein Green New Deal, der die planetaren Grenzen unserer Erde einhält, erfordert radikales
Umsteuern und die Bereitschaft zu einem Kulturwandel, der Entfaltung nicht mit Konsum
gleichsetzt, sondern Freizeit, Bildung, Familie, Gemeinschaft und Gesundheit aufwertet.
Die Aufgabe besteht darin, die all diese Allokations- und Kooperationsprozesse der Zukunft
so auszurichten, dass sie den Menschen und der Natur dienen. Eigentum verpflichtet. Im
Mittelpunkt unser Wirtschaftspolitik stehen, nicht die Gewinne Einzelner, sondern das
Wohlergehen aller Bürger*innen und der Schutz der Umwelt. Dafür braucht es eine Politik, die
beherzt vorangeht. Wenn wir es gut machen, können wir die großen Herausforderungen jetzt
nutzen, um unsere Wirtschaft in Deutschland und in Europa auf Zukunft, Gemeinwohl und
nachhaltigen Wohlstand zu drehen. Deutschland kann hier eine Vorreiterrolle einnehmen und
vorleben, dass menschliche Entfaltung unter Einhaltung der planetaren Grenzen möglich ist.
Es wird gelingen
Unser Anspruch ist, dass Menschen sich entlang ihrer Vorstellungen in Freiheit und Würde
entfalten können. Das erfordert ein Wirtschaftssystem, das Unternehmensgeist ebenso fördert
wie es die Rechte von Beschäftigten schützt, nachhaltigen Wohlstand schafft, auf globale
Gerechtigkeit zielt, die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern überwindet und
gleichzeitig mit starken sozialen Institutionen Gerechtigkeit und Sicherheit garantiert.
Eine starke und zukunftsfähige Wirtschaft, starke staatliche Institutionen und ökologische
Leitplanken sowie ein starkes soziales Netz sind deshalb Grundbedingungen für die sozial-
ökologische Marktwirtschaft. Es bedarf auch einer ökonomischen Bildung für nachhaltige
Entwicklung, um diese Transformation zu realisieren und die Menschen zu befähigen, an der
Umsetzung der Ziele einer nachhaltigen Entwicklung lokal, national und global mitzuwirken.
Was Unternehmen, Arbeitnehmer*innen und Verbraucher*innen nicht brauchen, ist eine
wankelmütige Politik, die (zu) spät ihre Unterlassungen korrigiert und dann in hektischen
Aktionismus verfällt. Was sie brauchen, ist ein berechenbarer Weg in eine grundlegend neue
Welt.
Für Deutschland ist die Überwindung des Kohle- und Öl-Zeitalters ein entscheidender, ja ein
schicksalhafter Moment. Automobil, Chemie und Maschinenbau waren die Säulen des Erfolges der
deutschen Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten, aber sie müssen sich neu erfinden, um den
Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden. Dabei kann die deutsche Industrie
auf das bauen, was sie – und vor allem den Mittelstand – stark gemacht hat: ihre
Ingenieurskunst, ihre Kreativität, das mittelständische Tüftlertum, die Sozialpartnerschaft
mit den Gewerkschaften und ihre europäische und globale Orientierung.
Der Green New Deal für eine sozial-ökologische Neubegründung der Marktwirtschaft wird dann
erfolgreich sein, wenn er auf ein neues Bündnis aus Arbeit und Umwelt setzt. Ohne die
Beteiligung von Beschäftigten, Betriebsrät*innen und Gewerkschaften, ohne ihre Perspektive,
ihren immensen Wissensschatz und ihre Wirkmacht in Unternehmen gelingt der Aufbau einer
gemeinwohlorientierten Wirtschaftsordnung nicht. Wir wollen mit den Beschäftigten Seit an
Seit für den Wandel kämpfen.
Viele Unternehmen machen sich bereits auf den Weg dahin. Mittelständler*innen schalten ihre
Produktion auf Klimaneutralität um, Finanzinstitute entziehen sich dem Geschäft mit fossilen
Energien, IT-Unternehmen setzen auf Erneuerbare und Großkonzerne erweitern grüne
Produktportfolios. Die Industrie verlangt bereits ein überzeugendes, ökologisches
Modernisierungsprogramm für Deutschland. Die Technologien, Innovationen und Ideen sind da.
Die Politik muss jetzt liefern. Eine teils noch schweigende, immer lauter werdende Mehrheit
ist für eine positive, sozial-ökologische Gesellschaftsvision. Diese wollen wir in
politisches Gewicht ummünzen und werden den engen Schulterschluss mit
Wirtschaftsvertreter*innen, Bürger*innenbewegungen, Studierendenorganisationen,
Gewerkschaften und kritischen Forscher*innen suchen. Wir werden uns konsequent gegen die
Kräfte behaupten, die einer Transformation entgegen stehen.
Mit folgenden Maßnahmen wollen wir den Weg in eine sozial-ökologische Transformation ebenen:
1. Ein neuer Wohlstandsbegriff
Um den universalen Anspruch der Menschen auf Würde, Freiheit und Glücksstreben innerhalb der
planetaren Grenzen zu erfüllen, brauchen wir eine andere Form, Wohlstand zu messen. Unser
heutiges Wirtschafts- und Sozialsystem ist darauf angewiesen, dass die Wirtschaft stetig
wächst. Wächst sie nicht, drohen im heutigen System Wirtschaftskrisen und Arbeitslosigkeit,
geraten Staatshaushalt und Sozialversicherungen ins Ungleichgewicht und es verschärfen sich
gesellschaftliche Verteilungskonflikte. Klar aber ist: Ein ökologisch blindes
Wirtschaftswachstum und die ökologische Begrenztheit unseres Planeten stehen miteinander im
Konflikt. Dazu werden wir sowohl Wohlstand von Wachstum als auch Wachstum soweit möglich von
Ressourcenverbrauch entkoppeln. Wirtschaftswachstum ist nicht per se das Problem - der damit
einhergehende Verbrauch natürlicher Ressourcen, die Überlastung natürlicher Senken - wie zum
Beispiel Ozeane und Wälder - und die Ausbeutung billiger Arbeitskraft schon.
Maßgeblich ist daher, nach Maßgabe globaler Tragfähigkeitskriterien sowie ökologischer
Regenerations- und Belastungsgrenzen, dem ökonomischen Prozess Vorgaben für den maximalen
Verbrauch an nachwachsenden Ressourcen und die Inverkehrbringung fossiler Ressourcen zu
machen. Deswegen müssen wir unsere Systeme darauf vorbereiten auch wachstumsunabhängig
stabil zu bleiben.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist schon heute ein schlechter Indikator für Wohlstand und
Lebensqualität, es ist blind für die sozialen Folgen und die ökologischen Schäden unseres
Wirtschaftens. So werden etwa der Abbau von Ressourcen und die Zerstörung von Natur- und
Sozialkapital im BIP überhaupt nicht berücksichtigt. Während Unternehmen beispielsweise den
Rückgang von eigenen Bodenschätzen den Gewinnen gegenüberstellen und Abschreibungen
vornehmen, macht der Staat das bisher nicht. Auch Reparaturmaßnahmen von Umweltschäden
erscheinen im BIP als Steigerung, obwohl damit bestenfalls der Status quo wiederhergestellt
und unter dem Strich nichts gewonnen ist. Genauso wird die unbezahlte Sorgearbeit, die vor
allem von Frauen geleistet wird und eine unverzichtbare Grundlage unseres Wohlstands bildet,
derzeit bei der Wohlstandsmessung nicht berücksichtigt. Wir schlagen deshalb ein neues
Wohlstandsmaß und eine neue Form der Wirtschaftsberichterstattung vor, um neben den
ökonomischen auch ökologische, soziale und gesellschaftliche Entwicklungen zu messen und
Indikatoren dafür festzulegen.
Wir wollen damit Wohlstand in Deutschland und Europa zukünftig umfassender messen und den
Fortschritt beim ökologischen Umbau der Wirtschaft langfristig abbilden Auch für die
Unternehmen können davon innovative Impulse ausgehen. Wir wollen, dass öffentliche
Unternehmen mit gutem Beispiel voran gehen und an der Erarbeitung der integrieren
Berichterstattung als Pilotunternehmen mitwirken. Die von allen größeren privaten
Unternehmen in ihrem Jahresabschlusszu veröffentlichenden über Nachhaltigkeitsindikatoren
wie CO2-Emissionen wollen wir zukünftig für börsennotierte Unternehmen verpflichtend in die
Kommunikation ihrer Finanzergebnisse einfügen, um so den Dialog mit Investoren und der
Gesellschaft zu sozial-ökologischen Werten zu verstetigen. Bestehende Ausnahmen für nicht
börsennotierte Unternehmen sowie für viele Banken und Versicherer wollen wir abschaffen. Wir
wollen das Aktienrecht und die Bilanzierungsregeln so verändern, dass Aktiengesellschaften
sich von innen heraus verändern und auf eine langfristige, nachhaltige Entwicklung
ausrichten. Wir werden Aktiengesellschaften verpflichten, sich eine Nachhaltigkeitsstrategie
zu geben. Dadurch schaffen wir einerseits Transparenz, andererseits wird so erst möglich,
dass von einer Pflichtverletzung des Vorstandes abgesehen wird, wenn eine Entscheidung der
nachhaltigen Entwicklung des Unternehmens, nicht der kurzfristigen Gewinnerwartung dient.
Die nichtfinanziellen Ziele und Indikatoren sollten wie die finanziellen extern überprüft
und testiert werden. Langfristig wollen wir erreichen, dass diese ökologischen und sozialen
Werte auch entsprechend bepreist werden und so direkten Einfluss auf den wirtschaftlichen
Erfolg eines Unternehmens haben.
2. Die Wirtschaft klimaneutral machen1
Wir können unser Wirtschaften verändern, aber nicht unsere Abhängigkeit von einer intakten
Natur. Aus wissenschaftlicher Perspektive sind wir beim CO2-Ausstoß kurz davor, alle roten
Linien zu überschreiten, vor denen uns fast alle Forscher*innen warnen. Das hätte
gravierende Konsequenzen für uns, unsere Kinder und Enkel. Die Auswirkungen spüren wir schon
heute drastisch. Noch stärker betreffen sie jetzt schon Menschen im globalen Süden, obwohl
sie am wenigsten zu dem menschengemachten Klimawandel beigetragen haben. Politisch werden
die Klima- und Umweltauswirkungen unserer derzeitigen Wirtschaftsweise unsere Gesellschaften
fordern wie nie zuvor.
Nach Jahren des Stillstands ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, schnell und massiv in die
Infrastruktur zu investieren, die eine klimaneutrale Wirtschaft und Gesellschaft trägt. Um
zur klimaneutralen Wirtschaft zu kommen, müssen Bahn, Autos und Gebäude weitgehend
elektrifiziert werden. Für Lastwagen, Flugzeuge und Schiffe wird Wasserstoff eine zentrale
Rolle spielen, ebenso für die Stahlindustrie, die Zementindustrie und Teile der
Chemiebranche.
Die Energiewende muss dafür nach den Phasen der Markteinführung und Marktdurchdringung nun
in die dritte Phase geführt werden, in der sie die Wirtschaft flächendeckend mit
regenerativer Energie versorgt. Sie ist den Kinderschuhen entwachsen und muss im nächsten
Jahrzehnt via Sektorenkopplung die Bereiche Verkehr, Industrie und Wärme erschließen.
Gleichzeitig müssen Unternehmen drastisch Energie einsparen und effizienter verwenden sowie
CO2-lastige durch CO2-neutrale Produktionsverfahren ersetzen.
Dabei können wir darauf bauen, dass technische und gesellschaftliche Entwicklungen nicht
linear verlaufen, und dass wir effizienter oder besser werden können in einem Sprung aus dem
Gewohnten heraus. Und darauf, dass die Marktwirtschaft ihre volle innovative Kraft entfalten
kann, wenn wir die richtigen politischen Leitplanken setzen. Märkte sind ein mächtiges
Instrument, sie schaffen und zerstören in rasendem Tempo. Sie können verheerende Krisen
entzünden – Lehman Brothers lässt grüßen – und sie können gleichzeitig dafür sorgen, dass
binnen weniger Jahre das Smartphone auch in den entlegendsten Winkeln dieser Erde Menschen
miteinander verbindet. Märkte können, wenn die Anreize richtig gesetzt sind, eine grüne
Revolution entfachen, die unsere Vorstellungskraft auf die Probe stellen wird. Damit dies
geschieht, muss der Staat durch Ordnungspolitik, Preispolitik, Förder- und
Investitionspolitik den Rahmen so zu setzen, dass der Weg zum klimaneutralen Verhalten in
einem sozial-ökologisch gerahmten Markt rechtlich verbindlich und ökonomisch lohnend ist.
Wir wollen weg von einem System, das nur kurzfristige Renditen belohnt und stattdessen
Instrumente einsetzen, die eine langfristige und gesellschaftliche verantwortliche
Unternehmenspolitik fördert.
Ordnungsrecht bedeutet Planungssicherheit für die Unternehmen. Also die verlässliche
Vorgabe, dass Autos, Flugzeuge, Maschinen oder Kraftwerke ab einem bestimmten Datum kein
Treibhausgas mehr ausstoßen dürfen. Preispolitik schafft fairen Wettbewerb, weil die
Klimabilanz von Produkten zum Teil des Preises wird. Klimaschädliches Wirtschaften wird
teurer, klimafreundliches Verhalten billiger. Förder- und Investitionspolitik gibt
Starthilfen für neue Produkte und Produktionsweisen und verhilft ihnen über die Schwelle zur
Wirtschaftlichkeit. Und sie schafft über den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur die Basis
für ökologische Wirtschafts- und Lebensweise.
Ein Klimaschutzgesetz macht die Vorgaben
Das Klimaschutzgesetz ist das ordnungspolitische Herzstück. Ein solches Gesetz legt für alle
Wirtschaftsbereiche (Sektoren) verbindliche CO2-Minderungsziele und CO2-Minderungspfade
ebenso wie die dafür notwendigen Maßnahmen fest. Es garantiert eine dichte Kontrolle, ob die
Maßnahmen wirken, und sieht empfindliche Sanktionen bei einer Verfehlung der Ziele vor.
Ergänzt wird ein solches Klimaschutzgesetz durch weitere ordnungsrechtliche Vorgaben. Zum
Beispiel wollen wir, dass ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos neu zugelassen werden und
der Weg dorthin durch verbindliche Quoten für E-Autos bereitet wird. Auch der Umbau der
energieintensiven Unternehmen ließe sich über ansteigende Quoten zum Beispiel für
klimaneutralen Stahl in Autos oder auch Windrädern und Gebäuden nicht nur planungssicherer
gestalten, die Unternehmen hätten gerade mit Blick auf die weltweiten Überkapazitäten so
auch einen Wettbewerbsvorteil auf dem europäischen Markt.
CO2 muss einen Preis bekommen
Ein wirksamer CO2-Preis ist für uns der zweite Teil des nötigen Instrumentenmixes, den wir
zugleich klimapolitisch wirksam und sozial gerecht ausgestalten wollen. Nur so lassen sich
zügig ein stabiler, langfristig orientierter Investitionsrahmen schaffen und mit
marktwirtschaftlichen Mitteln Anreize zur Senkung des CO2-Ausstoßes und für eine Umstellung
von Produktionsweisen sowie für „Efficiency First“ beim Umgang mit Ressourcen setzen. Nur so
lässt sich das Potenzial auf einer für alle Marktteilnehmer transparenten Basis für einen
fairen Wettbewerb schaffen. Der CO2-Preis schafft Gerechtigkeit und steigert mittelfristig
auch die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt — denn Klimaschutz ist nicht nur notwendig,
sondern auch ein globaler Zukunftstrend.
Keine Steuermittel mehr für klimaschädliches Verhalten
Damit ökonomische Anreize ihr volles Potenzial entfalten können und zusätzliche finanzielle
Spielräume für Zukunftsinvestitionen entstehen, wollen wir umwelt- und klimaschädliche
Subventionen konsequent abbauen. Insgesamt betragen diese in Deutschland über 57 Milliarden
Euro. Staatliche Subventionen wie die Steuerbefreiung von Rohöl zur Plastikherstellung, dem
immer noch gewährten Beschaffungszuschuss für neue Ölheizungen oder die Nichtbesteuerung von
Kerosin wollen wir endlich beenden.
Investitionen in CO2-neutrale Industrieprozesse, insbesondere in den Bereichen
Metallproduktion (z.B. Stahl, Aluminium, Lithium), Chemie und Zement, lohnen meist erst bei
sehr hohen CO2-Preisen, die das europäische Emissionshandelssystem derzeit noch nicht
abbildet. Damit sich solche Investitionen für Unternehmen schon heute rechnen, wollen wir
den Unternehmen die Differenz zwischen dem aktuellen CO2-Preis und den tatsächlichen CO2-
Vermeidungskosten erstatten, welche ihnen durch die Investitionen in neue Verfahren und
Technologien entstehen (Carbon Contract for Difference). Die Kosten dafür können über eine
Klima-Umlage refinanziert werden, die auf die Endprodukte aufgeschlagen wird und die für
heimische Produkte und Importe gleichermaßen gilt. So rechnen sich diese Investitionen
sofort und es werden kurzfristige Wettbewerbsnachteile gegenüber Regionen ohne eine
entsprechende CO2-Bepreisung vermieden.
Förderpolitik gibt Starthilfe
Wir lassen die Unternehmen bei der ökologischen Transformation nicht allein und wollen sie
unterstützen. Für Investitionen in transformative, CO2-neutrale Industrieprozesse in den
Bereichen Stahl, Chemie oder Zement wollen wir deshalb bessere Abschreibungsmöglichkeiten
schaffen und Leuchtturmprojekte CO2-neutraler Verfahren und Prozesse gezielt fördern. Die
Basis zur Entwicklung solcher Verfahren ist die entsprechende Forschung. Weiterhin richten
wir die öffentliche Beschaffung konsequent klimaverantwortlich aus und schaffen so
Leitmärkte, die innovativen Unternehmen die notwendige Sicherheit geben, dass ihre Produkte
auch einen Markt finden, auf dem sie starten können.
Um den ökologischen Umbau zu fördern und gleichzeitig den sich anbahnenden
Wirtschaftsabschwung zu bekämpfen werden wir die degressive Abschreibung (AfA) zeitlich
befristet wieder einführen.
Plurale Bildung und Forschung ermöglichen
Für ein Verständnis der Herausforderungen der Zukunft, wie z.B. die Klimakrise, und die
Entwicklung von Lösungen brauchen wir in Forschung und Bildung Methoden- sowie
Theorienvielfalt und kritisches Hinterfragen normativer Annahmen. Das bedeutet
beispielsweise in den Wirtschaftswissenschaften, dass so genannte heterodoxe Ansätze – also
z.B. feministische und ökologische Ansätze – deutlich stärker gelehrt und beforscht werden.
Wir setzen uns dafür ein, dass das bei der Konzeption und Vergabe von Forschungs- und
Förderprogrammen berücksichtigt wird. Mehr Forschung und Bildung zu Postwachstumsökonomien
ist auch ein wichtiger Schlüssel für eine klimaneutrale Wirtschaft.
In die ökologische Infrastruktur investieren
Investitionen in Klimaschutz bedeutet vor allem: Auf- und Ausbau der Stromerzeugung aus
Erneuerbaren Energien und der dafür notwendigen Speicher und Stromnetze, Ausbau von
Bahninfrastruktur, von ÖPNV, Fahrrad- und Fußverkehrsinfrastruktur, aber auch Aufbau von
Ladeinfrastruktur für E-Mobilität sowie von Infrastruktur für erneuerbaren Wasserstoff.
Wärmenetze, energetische Gebäudesanierung und der Ersatz von Öl- und Gasheizungen benötigen
Unterstützung. Auch stehen die Rettung unserer Wälder, die Erhöhung von Deichen und die
Schaffung von mehr Überflutungsflächen für Flüsse, der Umbau zu einer klima- und
tierschutzgerechten Landwirtschaft an.
Allein die Bahn braucht mindestens drei Milliarden Euro pro Jahr, um die notwendige
Verlagerung des Verkehrs von der Luft und der Straße auf die Schiene stemmen zu können. Für
den Aufbau eines elektrischen Ladesäulennetzes brauchen wir ein Investitionsprogramm in Höhe
von 600 Millionen Euro. Unser Programm „Faire Wärme“, mit dem wir die energetische
Gebäudesanierung unterstützen wollen, umfasst 7 Milliarden Euro im Jahr. Dies sind nur drei
Beispiele. Insgesamt plädieren wir für zusätzliche öffentliche Investitionen in Höhe von 30
Milliarden pro Jahr.
Wettbewerbsfähigkeit sichern, Klimadumping verhindern
Neben den notwendigen Anreizen müssen wir bei Einführung von ordnungspolitischen
Klimamaßnahmen die europäische Industrie auch vor möglichen Nachteilen im internationalen
Wettbewerb mit Staaten ohne eine vergleichbare Klimaschutzpolitik schützen. Dies kann über
Grenzausgleichsmaßnahmen wie europäische Klimazölle, die auch auf Importe aufgeschlagen
werden, oder über einen Grundstoffausgleich, der Recycling und weniger energieintensive
Werkstoffe belohnt, geschehen. Auch die Finanzierung der zusätzlich notwendigen
Investitionskosten für saubere Technologien könnte in Zukunft ein Weg sein, anstatt
weiterhin kostenlose Zertifikate im Emissionshandel auszugeben.
Divestment: Kapital aus fossilen in grüne Geschäftsfelder lenken
Mit einer breit angelegten Divestmentstrategie wollen wir dafür sorgen, dass Anlagekapital
zukünftig Klimaschutz statt Klimazerstörung finanziert. Öffentliche Banken und
Versicherungen sollen Investitionen in die Dekarbonisierung der Wirtschaft umlenken und
umgehend aus klimaschädlichen Wirtschaftsproduktionen wie Kohle- oder Erdölindustrie
aussteigen. Damit auch Kleinanleger*innen von der grünen Finanzwende profitieren und ihr
Geld mit gutem Gewissen anlegen können, brauchen wir ein EU-Label für nachhaltige
Finanzprodukte mit starken ökologischen und sozialen Standards. Damit alle Anleger*innen
nachvollziehen können, ob Unternehmen ökologisch wirtschaften, werden wir entsprechende
Offenlegungspflichten einführen.
Neue Anlagerichtlinien für die öffentliche Hand, Fonds wie für die Beamt*innenpension oder
Rücklagen der Bundesanstalt für Arbeit sollen Nachhaltigkeits- und Klimaschutzkriterien
folgen. Der Bund kann dem Markt für nachhaltige Geldanlagen wichtige Impulse geben. Dafür
muss er seine Investitionen in Kohle-, Öl- und Gas-Konzerne, die Geschäfte auf Kosten des
Klimas machen, beenden.
Damit neben der Rendite auch die Klima- und Sozialverträglichkeit zur Grundlage von
Entscheidungen über Investitionen und Kreditvergaben gemacht werden, brauchen wir einen
verbindlichen europäischen Standard für Nachhaltigkeit, dessen Leitplanken die 17 UN-Ziele
Nachhaltigkeit (SDGs) sind, anhand dessen auch sozial-, geschlechter-, klima- und
umweltschädliche Wirtschaftsbereiche klar benannt werden können. Auf dieser Grundlage müssen
alle Finanzmarktakteure die Auswirkungen ihrer Investitionen offenlegen.
Klimarisiken, die in Konzern- und Bankbilanzen schlummern, sollten bei der Bewertung durch
Rating-Agenturen und die Finanzmarktaufsicht berücksichtigt werden, zum Beispiel durch
Klima-Stresstests für Banken und Versicherungen oder durch Aufschläge bei
Eigenkapitalanforderungen bei Finanzierungen, die hohe Klima und Umweltrisiken bergen.
3. Verwerten statt Verschwenden: Kreislaufwirtschaft als übergeordneter Rahmen
Die ökologische Wende kann nur gelingen, wenn wir nicht dauerhaft auf immer mehr Rohstoffe
angewiesen sind. So können Unternehmen Kosten in erheblichem Umfang einsparen und außerdem
können hunderttausende neue Jobs entstehen. Im Bereich Elektromobilität beispielsweise gibt
es großes Potenzial, um durch Recycling der Lithium-Ionen-Batterien einerseits den
ökologischen Fußabdruck zu verkleinern, andererseits den Bedarf an Rohstoffen zu senken.
Dafür müsste nur die EU-Batterierichtlinie reformiert werden.
Unser Ziel ist der parallele Aufbau einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft. Diese
basiert auf in sich geschlossenen Stoffkreisläufen. Der Kreislauf beginnt bereits bei der
Produktgestaltung. Produkte müssen so designt werden, dass die jeweiligen Einzelteile auch
wieder voneinander getrennt und sinnvoll wiederverwertet werden können. Dafür wollen wir
verbindliche Vorgaben in der EU-Ökodesign-Richtlinie schaffen. Wir wollen Abfallvermeidung-
und verwertung durch einen Mix aus Anreizen und Vorgaben stärken: Wir wollen Recyclingquoten
einführen, welche die tatsächlich im Kreislauf geführten Wertstoffe messen. Hersteller*innen
sollen zu einer festen Einsatzquote für recycelte Rohstoffe verpflichtet werden.
Die Rücknahme- und Verwertungspflicht bei Produkten wie Verpackungen, Elektro- und
Elektronikaltgeräten muss ausgeweitet und durch finanzielle Anreize gestärkt werden. Ein
solcher Anreiz ist die Weiterentwicklung der Lizenzentgelte für Verpackungen zu einer
Ressourcenabgabe, die gleichzeitig ökologische Verpackungen über einen Bonus fördert. Auch
Rücknahmeprämien für einzelne Produktgruppen wie beispielsweise Mobiltelefone können ein
möglicher Weg sein. Unser Ziel ist, bis 2030 alle Kunststoffprodukte kosteneffizient zu
recyceln oder wiederzuverwenden. Schließlich wollen wir die Forschung für Recycling-Prozesse
und die Substitution von Rohstoffen intensivieren.
4. Soziale Sicherung im ökologisch-sozialen Wandel neu denken
Sowohl durch den notwendigen ökologischen Umbau der Wirtschaft als auch die Digitalisierung
werden viele neue Arbeitsplätze entstehen, auf der anderen Seite fallen aber auch viele
Arbeitsplätze weg. Neue Qualifikationen werden benötigt, es entstehen aber auch
Unsicherheiten. Die Arbeitswelt wird durch die Digitalisierung bunter und vielfältiger. Für
die soziale Sicherung bedeutet dieser Wandel der Arbeit und des Arbeitsmarktes, dass sie
universeller werden muss. Je diverser die Arbeitswelt wird, desto mehr brauchen wir eine
soziale Sicherung, die sich nicht am Erwerbsstatus orientiert, sondern alle Bürger*innen
absichert, unabhängig davon, ob sie Vollzeit oder Teilzeit, abhängig oder selbstständig oder
auch gar nicht erwerbstätig sind, zumal es immer mehr Wechsel zwischen diesen
unterschiedlichen Beschäftigungsformen und mehr Erwerbsunterbrechungen, freiwillige und
unfreiwillige, geben wird.
Wir wollen deswegen die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung zu
Bürger*innenversicherungen weiterentwickeln, in die alle Bürger*innen auf alle
Einkommensarten einzahlen. Die Arbeitslosenversicherung sollte zu einer Arbeitsversicherung
für alle Erwerbstätigen, abhängig Beschäftigte wie Selbstständige, weiterentwickelt werden,
mit einem Recht auf Weiterbildung, das auch entsprechend sozial abgesichert sein muss, damit
sich insbesondere Menschen mit geringen Einkommen auch eine Weiterbildung leisten können.
Und wir wollen, dass in allen Lebenslagen das Existenzminimum garantiert wird. Deswegen
wollen wir eine Kindergrundsicherung einführen, eine Garantierente und eine
Garantiesicherung, mit der wir Hartz IV überwinden. Dabei geht es nicht nur um eine soziale
Abfederung der Veränderungen, sondern wir wollen die Menschen befähigen selbstbestimmt an
der Gesellschaft teilzuhaben und den ökologisch-sozialen Wandel kreativ und innovativ
mitgestalten zu können.
5. Gute und selbstbestimmte Arbeit – wir gestalten den Wandel der Arbeitswelt
Unsere Arbeitswelt wird sich in den kommenden Jahren vor allem durch die Digitalisierung
rasant und tiefgreifend verändern. Bekannte Tätigkeiten und Arbeitsplätze werden wegfallen
oder sich stark verändern, neue Arbeitsplätze und Berufe entstehen. Ob es in der Summe dann
vielerorts weniger Arbeitsplätze geben wird oder mehr, kann derzeit niemand verlässlich
vorhersagen. Klar ist jedoch, dass sich auch die Art, wie wir arbeiten werden, massiv
verändert. Unser Arbeiten wird flexibler, selbstorganisierter, auch kooperativer. Zugleich
erleben wir bereits heute neue Formen der Ausbeutung, Überforderung und Fremdbestimmung. Ein
großes Problem bedeutet daneben der bereits heute spürbare massive Fachkräftemangel – eine
Million Stellen sind unbesetzt. In den kommenden 15 Jahren wird die Zahl der Menschen im
erwerbsfähigen Alter ohne Einwanderung um sechs Millionen schrumpfen.
Für beide Entwicklungen – den Fachkräftemangel und die Veränderungen der Arbeitswelt – muss
sich die Bildungs- und Weiterbildungspolitik, die Arbeitsmarkt-, Einwanderungs- und
Integrationspolitik viel besser rüsten als bisher. Dies gilt auch für Selbstständige.
Zukunftsbildung ist der Schlüssel
Die Ausbildungsordnungen existierender Berufe müssen auf die Erfordernisse einer
nachhaltigen Gesellschaft hin überarbeitet werden (nachhaltige Berufsbilder). Das bedeutet
vor allem, dass Menschen die Möglichkeit haben müssen, sich weiterzubilden und neu zu
qualifizieren. Dafür brauchen sie Geld, Zeit und passende Angebote. Wir wollen einen
Rechtsanspruch auf Weiterbildung begründen. Das lebensbegleitende Lernen wird damit Teil des
öffentlichen Bildungsauftrags. Die bisherige Arbeitslosenversicherung wird dazu zu einer
Arbeitsversicherung umgebaut. So, wie wir in den beiden vergangenen Jahrhunderten damit
begonnen haben, uns gegen Krankheit oder Arbeitslosigkeit abzusichern, sollten wir im 21.
Jahrhundert im Rahmen der Arbeitsversicherung eine Garantie auf Weiterbildung festschreiben.
Die Arbeitsversicherung sollte sowohl die Weiterbildungsberatung finanzieren als auch den
Lebensunterhalt in Weiterbildungsphasen absichern. Dazu gibt es während
arbeitsmarktbedingter Weiterbildungsphasen ein Weiterbildungsgeld, das höher ist als die
Absicherung bei Arbeitslosigkeit. Für alle, die keinen Anspruch auf Leistungen im Rahmen der
Arbeitsversicherung haben, schaffen wir ein Weiterbildungs-BAföG, damit kein Wunsch auf
berufliche Entwicklung am Geldbeutel scheitert.
Überall da, wo es vor Ort eine Arbeitsagentur gibt, wollen wir, dass zusätzlich
Bildungsagenturen geschaffen werden. Die Bildungsagenturen sind zentrale Anlaufstellen für
alle Menschen, die Interesse an Weiterbildung haben. Auch Arbeitgeber, insbesondere kleine
und mittlere Unternehmen, können sich in den Bildungsagenturen informieren, wenn sie
geeignete Weiterbildungsangebote für ihre Belegschaften oder Förderung suchen. Die
Bildungsagenturen sollen zum Herzstück von regionalen Bildungsnetzwerken werden, in denen
sich Arbeitsagenturen, Jobcenter, Volkshochschulen, Kammern, Berufs- und Hochschulen sowie
andere Weiterbildungsträger vernetzen, um flächendeckend und niedrigschwellig beste
Weiterbildung und Beratung anbieten zu können. Im Standardfall wird die Bildungsagentur von
der Bundesagentur für Arbeit organisiert. Kommunen sollen aber die Wahl haben, die
Organisation der Bildungsagentur selbst durchzuführen, insbesondere wenn es bereits starke
vor Ort gewachsene Kooperationsstrukturen gibt und wenn Qualitätsstandards eingehalten
werden. Auch die Möglichkeiten der Digitalisierung wollen wir für die Bildung weiter nutzen.
Dafür soll eine öffentliche und unabhängige digitale Plattform alle Fort- und
Weiterbildungsangebote bündeln. Das ermöglicht neue Zugänge für Menschen, die sich
weiterbilden wollen. Besondere Aufmerksamkeit widmen wir dabei Menschen, die besondere
Hindernisse überwinden müssen, um sich in die Arbeitswelt zu integrieren, etwa weil sie
nicht gut lesen und schreiben können.
Wir sehen es zudem als unsere Verantwortung, die Arbeitnehmer*innen insbesondere beim
ökologischen und digitalen Wandel mitzunehmen. Wir wollen dazu als eine wichtige Maßnahme
eine neue „Qualifizierungs-Kurzarbeit“ einführen, um so die Chancen der Beschäftigten und
der Betriebe im Strukturwandel vorausschauend zu verbessern. Die Phase der Kurzarbeit muss
konsequent für die Qualifizierung der Beschäftigten genutzt werden. Dabei wollen wir die
„Qualifizierungs-Kurzarbeit“ eng an die Sozialpartnerschaft koppeln und zwar durch
tarifliche Regelungen und Betriebsvereinbarungen. Denn Unternehmen, Gewerkschaften und
Betriebsräte können nur gemeinsam dem Strukturwandel die richtige Richtung geben.
Fachkräftemangel bekämpfen
Der Fachkräftemangel stellt für viele Unternehmen ein Problem dar. Wir wollen darauf
reagieren, indem wir nicht nur engagiert auf Qualifizierung und Weiterbildung setzen und die
Erwerbstätigkeit von Frauen weiter stärken. Gerade angesichts des demographischen Wandels
halten wir zusätzlich auch eine ambitionierte Einwanderungspolitik für dringend notwendig.
Das Fachkräftezuwanderungsgesetz der großen Koalition erfüllt diesen Anspruch nicht. Wir
wollen es überarbeiten und entbürokratisieren. Deutschland braucht ein echtes
Einwanderungsgesetz mit einem transparenten Punktesystem und der Möglichkeit eines
Spurwechsels. Gleichzeitig setzen wir uns für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und
höhere Löhne in bislang zu schlecht bezahlten Berufen ein. Das sind immer noch insbesondere
die mit hohem Frauenanteil. Mit passgenauen Angeboten für Spracherwerb und Aus- und
Weiterbildung wollen wir insbesondere geflüchtete Frauen besser in den Arbeitsmarkt
integrieren.
Für eine gerechte Aufteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit
Nach wie vor gilt Sorgearbeit in unserer Gesellschaft vielfach noch als „Privatsache“ und
spiegelt sich in den üblichen Wohlstandsmessungen nicht wieder. Dabei ist diese
Arbeitsleistung essentiell für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft und eine
funktionierende Wirtschaft. Immer noch werden diese Aufgaben zum Großteil von Frauen
geleistet, sei es in der Pflege oder in der Kinderbetretung. Mangelnde Vereinbarkeit von
Familie sowie Pflege und Beruf führt dabei häufig dazu, dass insbesondere die eigenständige
Absicherung von Frauen zu kurz kommt. Dies spiegelt sich in dem hohen Anteil von Frauen in
prekären Beschäftigungsverhältnissen und führt in der Konsequenz zu einem vielfach erhöhten
Altersarmutsrisiko.
Massive Investitionen in gute und verlässliche Kinderbetreuungs- und Bildungseinrichtungen
mit genügend Personal sind deshalb unerlässlich. Mit einer KinderZeit Plus wollen wir
außerdem Eltern zeitlich unterstützen und dazu beitragen, dass diese ihr Arbeitsvolumen in
der Erwerbsarbeit erhöhen können. Darüber hinaus wollen wir ein Gesetz für mehr
Zeitsouveränität für berufstätige Pflegende entwickeln und eine dreimonatige PflegeZeit Plus
pro zu pflegender Person einführen.
Neue Jobs
Wir haben große Engpässe dort, wo Menschen sich um Menschen kümmern: in der Pflege, der
Bildung, in der Kinder- und Altersbetreuung. Diese Jobs in der Sorge-Arbeit müssen ausgebaut
werden und brauchen endlich die Anerkennung, auch finanziell, die ihnen gemessen an ihrer
gesellschaftlichen Relevanz zusteht. Diejenigen, die sich um andere Menschen kümmern, dürfen
nicht beim Mindestlohn landen oder Probleme haben, sich eine Wohnung zu leisten.
Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung schätzt, dass mit stetigen
Investitionen in Nachhaltigkeit bis 2030 weltweit bis zu 170 Millionen neue Jobs geschaffen
werden können. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU)
geht davon aus, dass sich die Zahl der Arbeitsplätze in der Erneuerbaren-Energien-Branche in
Deutschland allein in den nächsten zehn Jahren auf mindestens 500.000 verdoppelt. Im
gesamten Bereich Umwelttechnik und Ressourceneffizienz sind bereits heute 1,5 Millionen
Menschen in Deutschland beschäftigt. Erwartet wird hier ein Anstieg von jährlich 6,7
Prozent. Für diese Zukunftsbranche brauchen wir also qualifizierte Maschinenbauer*innen,
Elektrotechniker*innen, Ingenieur*innen, Vertriebsmitarbeiter*innen, Bürokräfte – von der
Berufseinsteigerin bis zur erfahrenen Fachkraft.
Gute Arbeitsbedingungen
Gute Arbeitsbedingungen und eine faire Verteilung des Wohlstandes zwischen Arbeit und
Kapital auszuhandeln, ist zunächst Aufgabe der Sozialpartner. Wir wollen die kollektive
Selbstorganisation und Mitbestimmung wieder stärken und prekäre Erwerbstätigkeit überwinden.
Bei der öffentlichen Vergabe sollen im Einklang mit europäischem Recht die Unternehmen zum
Zug kommen, die einem Tarifvertrag angehören bzw. Tariflöhne zahlen. Zudem wollen wir es
leichter machen, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären. Die Bildung von
Betriebsräten werden wir erleichtern, indem Initiator*innen einen besonderen Schutz erhalten
und die Verhinderung von betrieblicher Interessenvertretung als klare Straftat angesehen und
verfolgt wird.
Wir wollen die Wirtschaft demokratischer gestalten. Das betrifft sowohl die Entscheidungen,
was und wie produziert wird, als auch die Rechte von Arbeitnehmer*innen im Betrieb. Deshalb
werden wir die betriebliche Mitbestimmung ausbauen. Auf dem Weg dorthin wollen wir, dass die
Betriebsräte bei der Personalplanung stärker eingebunden werden und bei der Weiterbildung
und der Beschäftigungssicherung ein echtes Vorschlags- und Initiativrecht bekommen. Die
paritätische Mitbestimmung in Aufsichtsrätensoll bereits ab einer Unternehmensgröße von
1.000 Beschäftigten voll greifen und die Mitbestimmungsrechte der
Arbeitnehmervertreter*innen bei strategischen Unternehmensentscheidungen im Aufsichtsrat
erweitert werden.
Der gesetzliche Mindestlohn war ein wichtiger Meilenstein für faire Arbeitsbedingungen. Wir
wollen Ausnahmen beim Mindestlohn streichen, die Kontrolle verbessern und zudem dafür
sorgen, dass er in Zukunft wirklich armutsfest ist. Deshalb wollen wir als Sofortmaßnahme
eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro, damit Vollzeiterwerbstätige von ihrer Arbeit
auch leben können. Wir wollen die Mindestlohnkommission reformieren und ihren
Entscheidungsspielraum stärken. Die Anpassung des Mindestlohns darf sich künftig nicht mehr
nur allein an der Tarifentwicklung orientieren. Wir wollen stattdessen gesetzlich verankern,
dass der Mindestlohn vor Armut schützen muss und damit deutlich über die Tarifentwicklung
hinaus steigen kann. Gleichzeitig sollen die Vertreter*innen der Wissenschaft in der
Mindestlohnkommission ein Stimmrecht erhalten.
Leiharbeit wollen wir stärker regulieren, für Leiharbeitskräfte soll ab dem ersten Tag die
gleiche Bezahlung wie für die Stammbelegschaft gelten sowie eine zusätzliche
Flexibilitätsprämie. Sachgrundlose Befristungen wollen wir abschaffen. Wir fordern ein
wirksames Entgeltgleichheitsgesetz mit einem Verbandsklagerecht für gleichen Lohn für
gleiche und gleichwertige Arbeit. Unser Ziel ist es, Minijobs in
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umzuwandeln und dafür zu sorgen, dass die
Beiträge durch Steuern und Abgaben sowie soziale Leistungen so aufeinander abgestimmt
werden, dass sich Erwerbsarbeit immer rechnet. Dabei darf die Belastung mit Steuern und
Abgaben nicht sprunghaft steigen. Und wir streiten dafür, Berufe aufzuwerten, die heute noch
meist von Frauen ausgeübt werden, beispielsweise in der Erziehung, der Pflege oder im
Gesundheitssystem, und sie besser zu bezahlen. Wir wollen, dass Arbeit auf Abruf nicht mehr
möglich ist, wenn die Tätigkeiten mit normalen Arbeitsverhältnissen erledigt werden können,
etwa über die Nutzung von Arbeitszeitkonten.
Die Regulierung von Arbeit wollen wir an die Herausforderung der Digitalisierung anpassen.
Dafür wollen wir die Abgrenzungskriterien zwischen abhängiger und selbstständiger
Beschäftigung eindeutiger und praxistauglicher regeln und den Arbeitnehmer*innen-Begriff neu
definieren. Ziel ist es, einerseits größere Planungssicherheit für Selbstständige
herzustellen und andererseits Scheinselbstständigkeit zu verhindern. Gleichzeitig ist es
notwendig, die nicht anderweitig abgesicherten Selbstständigen vor Altersarmut zu schützen.
Damit dies gelingt, wollen wir sie mit der Einführung einer Bürger*innenversicherung am
Solidarsystem der Rentenversicherung teilhaben lassen. Um sie dabei nicht finanziell zu
überfordern, sprechen wir uns für Flexibilität in der Beitragszahlung aus. Zudem werden wir
ausloten, in welchen Branchen und Bereichen der Selbstständigkeit gesetzliche
Schutzmechanismen, wie Mindesthonorare, Honorarordnungen und Umlageverfahren notwendig sowie
praktisch möglich sind. Gleichzeitig setzen wir uns dafür ein, dass bei der Auftragsvergabe
der öffentlichen Hand an Selbständige die Prinzipien der Planungssicherheit, des
Mindesteinkommens und der sozialen Absicherung berücksichtigt werden.
Durch Digitalisierung entsteht ein großes Potenzial, Arbeitszeit weiter zu verkürzen, sie
mit anderen Lebensbereichen besser zu vereinbaren und Arbeit umzuverteilen, sowohl Erwerbs-
als auch Sorge-Arbeit. Dabei ist uns besonders wichtig, dass es auch zu einer gerechteren
Aufteilung von Erwerbs- und Sorge-Arbeit zwischen den Geschlechtern kommt. Durch die
Digitalisierung wird es auch einfacher für die Beschäftigen, von zu Hause oder mobil an
wechselnden Orten (Coworking Spaces etc.) zu arbeiten. Wir werden Regelungen für ein Recht
auf Home-Office und mobiles Arbeiten einführen, wobei wir berücksichtigen, dass es
Berufsbilder gibt, bei denen dies nicht umsetzbar ist.
Home-Office und die Möglichkeit, mobil zu arbeiten, kann zur besseren Vereinbarkeit von
Familie und Beruf beitragen. Beides darf aber nicht dazu führen, dass Karrierechancen
beeinträchtigt werden oder dass es zu einer Abkopplung vom Rest der Belegschaft, sowie von
betrieblichen Abläufen oder Weiterbildungsmaßnahmen kommt. Arbeitnehmer im Home-Office,
unterwegs oder an wechselnden Arbeitsorten (Coworking Spaces etc.) müssen in Bezug auf den
Arbeitsschutz genauso geschützt sein wie bei der Arbeit an einem ständigen Betriebssitz. Es
darf keinen Zwang zum Home-Office oder mobilem Arbeiten geben. Wenn Arbeit besser ins Leben
passt, sind die Beschäftigten produktiver, weniger gestresst und engagierter. Auch der
wachsende Fachkräftebedarf kann so besser bewältigt werden.
Gleichzeitig nimmt uns die Automatisierung und Robotisierung monotone und repetitive
Aufgaben ab. Dies begrüßen wir als Chance auf Verringerung von menschlicher Arbeit. Dies
darf jedoch nicht zu einer weiteren Zunahme der Ungleichheit führen. Wir wollen politisch
sicherstellen, dass die Wohlstandsgewinne durch die Digitalisierung gerecht verteilt werden.
Wir brauchen nicht noch mehr Verfügbarkeit von Arbeitnehmer*innen rund um die Uhr. Zum
Schutz der Gesundheit braucht es auch im digitalen Zeitalter eine Grenze für die tägliche
Höchstarbeitszeit sowie ausreichende Ruhezeiten ohne Unterbrechung, wie es im Rahmen des
Arbeitszeitgesetzes vorgesehen ist. Wir wollen die Chancen der Digitalisierung nutzen und
mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten schaffen und fordern eine Wahlarbeitszeit
zwischen 30 und 40 Wochenstunden, denn so konnen auch 30-Stunden-Stellen als Vollzeitstellen
anerkannt werden. Damit wird die Vollzeit neu definiert und zu einem Arbeitszeitkorridor
umgestaltet und Arbeit gerechter verteilt. Auch bei flexiblen Arbeitszeiten ist darauf zu
achten, dass jede getätigte Stunde der Arbeitskraft dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben
wird. Dies gilt auch für Überstunden. Gleichzeitig ist für uns klar, dass jeder Mensch ein
würdevolles Leben verdient hat, weshalb wir Existentsicherung und Lohnarbeit in Zukunft
stärker entkoppeln wollen.
Ein Rückkehrrecht von Teilzeit-Beschäftigten auf ihre vorherige Stundenzahl ist notwendig,
damit sie beruflich wieder voll durchstarten können. Die von der großen Koalition
eingeführte Brückenteilzeit nur für große Betriebe genügt diesen Anforderungen bei weitem
nicht. Der überwiegende Teil der Beschäftigten (insbesondere Frauen) wird aufgrund der
Einschränkungen das Recht auf Rückkehr in Vollzeit nicht in Anspruch nehmen können. In
vielen Unternehmen herrscht eine nach wie vor ausgeprägte Präsenzkultur, bei der lange
Anwesenheit am Arbeitsplatz als besonderes Leistungskriterium gilt. Wir wollen, dass sich
Unternehmen in eine andere Richtung entwickeln: So ist es gerade für Menschen, die sich um
Kinder oder Angehörige kümmern, eine große Erleichterung, wenn Meetings im Zeitraum von ca.
9 bis 15 Uhr stattfinden.
Ebenso ist es gerade für Eltern wichtig, dass Modelle wie Job-Sharing und Führung in
Teilzeit möglich sind. Damit eben nicht immer nur die Personen befördert werden, die rund um
die Uhr verfügbar sind, und gleichzeitig diejenigen, die Sorge-Arbeit leisten, immer noch
vor allem Frauen, in der Einmal-Teilzeit-immer-Teilzeit-Falle landen. Wir wollen in einem
ersten Schritt mit Anreizen dafür sorgen, dass Unternehmen sich hier weiter entwickeln, und
auch die Spielräume bei öffentlichen Auftragsvergaben nutzen, um solche Unternehmen zu
fördern.
Wir wollen außerdem, dass die Hälfte der Plätze in den Führungspositionen von Unternehmen
mit Frauen besetzt werden. Deshalb braucht es verbindliche Frauenquoten für Aufsichtsräte
und vergleichbare Regelungen auch für Vorstände. Für Aufsichtsräte fordern wir eine 40-
Prozent-Quote für alle 3.500 börsennotierten oder mitbestimmten Unternehmen und
Sanktionsmöglichkeiten, wenn diese nicht eingehalten wird. Denn die Quote ist keine
Belastung für die Wirtschaft, sondern eine Chance wirklich die besten Köpfe in
Führungspositionen zu bekommen. Durch die Digitalisierung wird es auch einfacher für die
Beschäftigen, von zu Hause zu arbeiten. Wir werden deswegen ein Recht auf Home-Office
einführen.
Beschäftigte am Wohlstand beteiligen
Eine verbesserte Mitarbeiter*innenbeteiligung an Unternehmen kann sowohl dem
Fachkräftemangel als auch einer ungleichen Vermögensentwicklung entgegenwirken. Sie ist ein
Weg, um die Bevölkerung besser am gesellschaftlichen Produktivvermögen zu beteiligen.
Bislang sind wir im europäischen Vergleich jedoch Schlusslicht bei der
Mitarbeiter*innenbeteiligung. Wir wollen daher den steuerlichen Freibetrag für die
Überlassung von Mitarbeiter*innenbeteiligungen deutlich anheben. Außerdem wollen wir eine
Plattform schaffen, um Beispiele von erfolgreichen Beteiligungsmodellen besser zugänglich zu
machen und interessierten Unternehmen mehr Informationen bereit zu stellen.
Vielfalt als Wettbewerbsvorteil
Die Wertschätzung von Vielfalt am Arbeitsplatz verbessert die individuelle Teilhabe im Beruf
und fördert die Chancen- und Leistungsgerechtigkeit. Zur Vielfalt am Arbeitsplatz gehören
alle Facetten: Die Vielfalt der Geschlechter, der sexuellen Orientierung und geschlechtliche
Identität, die Inklusion von Menschen mit Behinderungen, die Vielfalt der Kulturen,
Religionen und der sozialen Herkunft. Unternehmen mit einer vielfältigen Belegschaft sind in
der Regel produktiver, kreativer und damit auch ökonomisch erfolgreicher.
Wir setzen uns dafür ein, dass die Anstrengungen privater und öffentlicher Arbeitgeber*innen
verstärkt und besser koordiniert werden. Für den Privatsektor wollen wir dies durch
Erfahrungsaustausch und Information stärken, moderiert und gefördert durch das
Bundeswirtschafts- und Bundesarbeitsministerium. Wir werben dafür, dass sich noch mehr
Firmen und öffentliche Stellen der Charta der Vielfalt anschließen. Im 21. Jahrhundert
erwarten wir von modernen und innovativen Unternehmen auch einen modernen und
professionellen Umgang mit Diversität: durch Diversitäts- und Gleichstellungsstrategien,
durch diversitätsorientierte Fortbildungsangebote, insbesondere auch für Führungskräfte,
sowie durch klare Beschwerde- und Interventionsstrukturen bei Diskriminierung und
sexualisierter Gewalt. Der öffentliche Dienst und öffentliche Unternehmen müssen mit gutem
Beispiel vorangehen. Dazu braucht es inklusive, faire und diskriminierungssensible
Bewerbungs- und Auswahlverfahren. Wir wollen uns dafür einsetzen, dass anonymisierte
Bewerbungsverfahren im öffentlichen Dienst und bei den staatlichen Unternehmen grundsätzlich
angewandt werden. Sie führen zu mehr Chancengerechtigkeit und senken die Bürokratiekosten.
Das Diskriminierungsverbot muss auch für Beschäftigte von Unternehmen gelten, die im
Eigentum von Religionsgemeinschaften stehen. Außerdienstliches Verhalten von Beschäftigten
einer Kirche, Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft, z.B. Wiederverheirateten und
LSBT*I*Q-Menschen, deren Tätigkeit nicht den Bereich der Verkündung umfasst, darf keine
arbeitsrechtlichen Auswirkungen, wie etwa eine Kündigung, zur Folge haben. Wir wollen
deshalb die Ausnahmen für die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften enger fassen und
damit den individuellen Rechten deutlich mehr Geltung verschaffen.
6. Eine neue Gründerzeit ermöglichen
Viele kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) treiben den ökologischen Wandel voran
und schreiben schon heute mit grünen Ideen schwarze Zahlen. Sie schaffen neue Arbeitsplätze,
die auch morgen noch bestehen. Wir wollen sie mit einem steuerlichen Forschungsbonus
unterstützen, die Chancen von ressourcensparenden und emissionsarmen Produkten und Verfahren
zu nutzen und sie mit einfacheren Abschreibungsregeln, Vereinfachungen bei der Umsatzsteuer
und guten Bedingungen für Mitarbeiterbeteiligungen entlasten. In Strukturwandelregionen
wollen wir die regionale Wirtschaftsförderung stärken, damit es lokal ansässigen Unternehmen
schnell gelingt, den neuen Marktanforderungen gerecht zu werden. Gerade die kleinen und
mittleren Unternehmen im Handwerk sind unverzichtbar. Sie realisieren die Energiewende,
sorgen für fachgerechte Wärmedämmung und sind regionaler Partner für die Landwirtschaft.
Damit Handwerksberufe wieder attraktiver werden setzen wir auf eine stärkere Tarifbindung
und branchenspezifische Mindestvergütungen. Die Handwerksbetriebe sollen bei der Ausbildung
und Gewinnung von Auszubildenden stärker beraten, unterstützt und begleitet werden. Durch
einen Rechtsanspruch auf einen schnellen Breitband-Internetanschluss sorgen wir dafür, dass
das Handwerk auch im ländlichen Raum online ist.
Gründer*innen fördern
Wir brauchen eine neue Gründer*innenwelle. Keine gute Idee darf an zu wenig Eigenkapital
scheitern. Wir fordern daher eine schnelle Einführung des unbürokratischen
Gründungskapitals, welches Gründer*innen einen Einmalbetrag bis maximal 25.000 Euro
sicherstellt, unter der Voraussetzung einer Wirtschaftlichkeitsprüfung. Das Gründungskapital
wird als zinsloses staatliches Darlehen ausbezahlt. Die Rückzahlung erfolgt flexibel und
orientiert sich am jeweiligen Unternehmensgewinn. Die Kriterien für das Exist-
Gründungsstipendium wollen wir aktualisieren und Diversität der Gründungsteams sowie
ökologische und gemeinwohlorientierte Innovationen besser berücksichtigen.
Frauen sind erfolgreiche Gründerinnen, bei Gründungen von Unternehmen jedoch
unterrepräsentiert. Nur 15 Prozent der Startups in Deutschland werden laut Female Founder
Monitor von Frauen gegründet. Bei einer solch niedrigen Quote entgeht Deutschland ein großes
Potenzial an innovativen Unternehmen. Öffentliche Fördergelder erreichen in der Regel eher
männliche als weibliche Gründer*innen, weshalb wir die Diversität des Gründungsteams zu
einem Evaluationskriterium für die Vergabe von öffentlichen Fördermitteln machen wollen Wir
schlagen zudem vor, einen staatlich geförderten Wagniskapitalfonds zu schaffen, der sich nur
an Gründerinnen richtet. Irland hat mit diesem Modell gute Erfahrungen gemacht. Nach einem
Zeitraum von fünf Jahren sollte überprüft werden, ob der Fonds einen nachhaltigen Effekt
hatte. Daneben sollten maßgeschneiderte Qualifizierungs- und Coachingmaßnahmen für Frauen,
die eine Gründung, Weiterentwicklung oder Übernahme kleiner Unternehmen anstreben finanziell
unterstützt werden, genauso wie Netzwerkorganisationen. Solche Plattformen können dazu
dienen, voneinander zu lernen, gemeinsam neue Geschäftsideen oder auch Interessen zu
entwickeln und umzusetzen.
Jede*r fünfte Gründer*in hat eine Einwanderungsgeschichte. Die migrantische Ökonomie ist zu
einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden. Deutschlandweit machen von Menschen mit
Migrationsgeschichte geführte Betriebe heute rund 20 Prozent aller Unternehmen aus. In
einigen Regionen des Landes liegt die Zahl deutlich höher. Damit leisten sie einen
entscheidenden Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung. Wir wollen, dass die Hürden bei
allen Instrumenten der Unternehmens- und Gründungsförderung für Menschen mit
Migrationshintergrund abgebaut werden. Förderung darf nicht vom Pass oder dem persönlichen
Hintergrund abhängen, Informationen müssen in verschiedenen Sprachen angeboten werden und
wir wollen ein zugeschnittenes Beratungsangebot für die migrantische Ökonomie schaffen.
Der Staat ist durch die öffentliche Beschaffung von Produkten und Dienstleistungen ein
wichtiger Impulsgeber für die Wirtschaft. Die öffentliche Hand kann durch die
Auftragsvergabe eine aktive Vorbild- und Lenkungsfunktion erfüllen, eine nachhaltige
Wirtschaftsweise stärken und Innovationen fördern. Wir wollen, dass Vergabeverfahren so
gestalten werden, dass der Bund im Rahmen seiner öffentlichen Auftragsvergabe und
Ausschreibungen Startups und jüngere Unternehmen, neue Technologien und innovative
Geschäftsmodelle stärker berücksichtigt. Dafür müssen Vergabeverfahren verschlankt und
schneller angelegt werden einschließlich zeitnaher Begleichung der Verbindlichkeiten
öffentlicher Auftraggeber und zügiger Entscheidungsverfahren, damit auch Startups mit
vergleichsweise kurzen Planungshorizonten sich gegenüber etablierten Unternehmen durchsetzen
können. Vergabelose sollten KMU-freundlich ausgeschrieben werden.
Wir fordern Startup-Zentren ähnlich der französischen Station F, die Gründer*innen den
notwendigen Arbeitsraum zur Verfügung stellen. Wir fordern zwei Jahre Befreiung von nicht
unbedingt nötigen Melde- und Berichtspflichten und wollen die Gründungsberatung und -
förderung aus einer Hand in „One-Stop-Shops“ ermöglichen, damit Gründer*innen Zeit zum
Gründen haben. Ausgründungen aus Hochschulen und Kooperationen von Gründer*innen und
Hochschulen sollen durch bessere Beratung und Betreuung gefördert werden. Die heutige
Gründungsförderung ist stark auf technologieorientierte Startups zugeschnitten. Wir wollen
die bestehenden Förderinstrumente neutraler ausgestalten und damit stärker als bisher zum
Beispiel sozial orientierte Unternehmen oder die Kreativwirtschaft fördern.
Wir wollen die freiwillige Arbeitslosenversicherung weitgehend für Selbständige öffnen und
erreichen, dass anderweitig nicht abgesicherte Selbständige in die gesetzliche
Rentenversicherung einbezogen werden. Und wir brauchen in Deutschland auch eine Kultur des
Scheiterns. Das Insolvenzrecht muss so gestaltet sein, dass es schneller Neuanfänge
ermöglicht.
Für die erfolgversprechendsten Startups wollen wir einen Europäischen Startup-Pass
einführen. Dieser soll ihnen die Möglichkeit geben, an allen europäischen Startup-
Förderprogrammen teilzunehmen und Unterstützung durch Inkubatoren zu erhalten. Sie sollen
außerdem breite Unterstützung durch Informationen und Beratung zur Rechtslage und zu
Patenten bis hin zu vereinfachten Visa für ausländische Mitarbeiter*innen des Startups
bekommen. Ausländischen Startups sollen neben einem Europäisches Startup-Visum auch Beratung
und finanzielle Unterstützung angeboten werden, damit sie sich in Europa ansiedeln.
Verwaltung effizienter und kooperativer gestalten
Zugleich kann die öffentliche Verwaltung innovativer und kooperativer werden. Wir fordern
daher ein deutsches GovTech-Programm nach dänischem Vorbild. Unser Ziel ist die vollständige
elektronische Abwicklung in der Verwaltung. Das spart Unternehmen, Bürger*innen und der
Verwaltung viel Zeit und Geld.
Wir wollen Regulierungen konsequent am Schutz ökologischer und sozialer Schutzziele
ausrichten. Insbesondere kleinere Unternehmen und den Mittelstand wollen wir gezielt von
unnötiger Regulierung entlasten. Für die Gründungsphase eines Unternehmens wollen wir
bestimmte Regulierungen ganz aussetzen. Genehmigungsverfahren wollen wir beschleunigen.
Entscheidend hierfür ist es, Beteiligungsverfahren bereits in frühen Planungsphasen
vorzusehen und die Behörden mit ausreichenden Ressourcen (z.B. Personal) für eine zügige
Planung auszustatten.
Wagnisse ermöglichen
Wir müssen nicht nur technologisch exzellent sein, sondern bahnbrechende Technologien auch
in neue Geschäftsmodelle, Märkte, Dienstleistungen und Produkte umwandeln können.
Fördermöglichkeiten und Netzwerke für Startups und junge Unternehmen können den Unterschied
zwischen einer guten Idee auf dem Flipchart und einem weltweit erfolgreichen Unternehmen
ausmachen.
Startup-Förderung braucht Anschubfinanzierung und eine starke Finanzierung in der
Wachstumsphase. Wir wollen mit einem öffentlichen Zukunftsfonds eine Investitionswelle im
Venture Capital Markt auslösen. Dieser Fonds soll als eine Art stille Teilhaber*in jungen
und wachsenden Startups das nötige Eigenkapital bereitstellen. Das verhindert, dass unsere
Startups auf ausländische Geldgeber angewiesen sind, aufgekauft werden und das
technologische Know-how ins Ausland fließt. Wir wollen den Unternehmen Fördermittel
möglichst in Form von Eigenkapital zur Verfügung stellen. Wenn Startups später einmal
verkauft werden sollten, führt dies dazu, dass die Fördermittel vom Käufer bezahlt werden.
Der Fonds soll mit Eigenkapital ausgestattet werden und sich dann weiteres Kapital günstig
am Finanzmarkt leihen. Seine Gewinne sollen vollständig das eigene Kapital weiter
aufstocken. Der Zukunftsfonds soll politisch unabhängig gemanagt werden. Unser unabhängig
verwalteter Bürger*innenfonds für eine stabile und rentable Anlagemöglichkeit soll in den
Zukunftsfonds investieren können und auch andere Investitionen im Venture-Capital-Bereich
finanzieren können. Über die Trennung von Zukunftsfonds und Bürger*innenfonds verhindern wir
problematische Interessenskonflikte zwischen industriepolitischen Zielen und dem
Bürger*innenfonds.
Auch Crowdfunding kann – vor allem wenn reward-basiert – neue Finanzierungsquellen für junge
Unternehmen erschließen. Wir wollen dafür sorgen, dass öffentliche Förderungen von
Gründungen und von Forschung mit Crowdfunding kombiniert werden können.
Gute Bedingungen für gute Ideen schafft auch der europäische Binnenmarkt mit über 500
Millionen Menschen, die sich daran beteiligen. Der Wagniskapitalmarkt der EU ist derzeit in
viele kleine nationale Märkte zersplittert. Wir wollen die nationalen Förderinstrumente
koordinieren und abstimmen. Wir wollen insbesondere europäische Wagniskapitalfonds aufbauen,
die schwerpunktmäßig Inovationen in strategischen Bereichen finanzieren, bspw.
Ressourceneffizienz, IT-Sicherheit oder Verwaltungsmodernisierung (Govtech). Die Strukturen
sollen so aufgebaut sein, dass nicht sofort alle Mitgliedstaaten sich beteiligen müssen,
sondern auch schon einzelne sich für solche Wagniskapitalfonds zusammenschließen können.
Dabei wollen wir auch Anreize schaffen, um neben dem ökologischen Potenzial der
Digitalisierung auch dessen soziales Potenzial zu heben. Startups und digitale Ökosysteme
können uns helfen, durch neue Technologien und Geschäftsmodelle umweltpolitische und
sozialpolitische Ziele zu erreichen. Wir GRÜNE wollen technischen Fortschritt, der sich an
dessen ökologischen und sozialen Effekten (SDGs) messen lässt.
7. Digital von der Null zur Eins werden
Die Digitalisierung birgt ungeheure Potentiale für mehr Ressourceneffizienz sowie die
Minimierung von Transportwegen und Lagerung durch den Aufbau dezentraler Strukturen der
Produktion und Versorgung. Entscheidend dafür sind auch die globale Vernetzung und der freie
Austausch von Produktionswissen zur Herstellung wohlfahrtssteigender Produkte und Dienste.
Diesen Wissensaustausch wollen wir gezielt befördern.
Gleichzeitig stellt uns die Digitalisierung durch den zu erwartenden hohen Verbrauch von
Energie und seltener Ressourcen vor gewaltige Herausforderungen. Ohne grundlegende Eingriffe
in das derzeitige Produktionsmuster wird die Digitalisierung den Raubbau an Natur und
Gesellschaft intensivieren – Extraktivismus on speed!
Die digitale Transformation muss daher sozial-ökologisch ausgestaltet werden. Hierfür muss
der Einfluss multinationaler Oligopole zugunsten von Selbstbestimmung und lokalem
Unternehmer*innentum eingeschränkt werden. Noch nicht industrialisierte Länder wollen wir
dabei unterstützen, die Möglichkeiten der Digitalisierung zu nutzen, um die Frühphase der
Industrialisierung möglichst zu überspringen.
Wir setzen uns für eine Politik der technologischen Souveränität Europas ein und plädieren
für eine starke europäische Digitalinfrastruktur. Anstatt sich zum Beispiel bei Cloud-
Diensten zwischen Amazon oder Alibaba entscheiden zu müssen, wollen wir eine eigene
europäische Cloud-Infrastruktur aufbauen. Diese soll unseren Unternehmen eine effiziente und
sichere Alternative zu den amerikanischen und chinesischen Anbietern sein.
Dabei setzen wir unsere Priorität auf die Stärkung der europäischen Halbleiterindustrie -
eine technologische Schlüsselbranche. Wir intensivieren die Zusammenarbeit im Bereich
Forschung und Entwicklung auf europäischer Ebene und stärken die Cluster nachhaltig. Ein
besonderes Augenmerk muss auch auf die Ressourcenwiederverwendung gelegt werden. In
Ostdeutschland haben wir einen der größten Standorte für die Halbleiterproduktion in Europa.
Wir wollen auf dieser Stärke aufbauen, indem wir die Forschung und Entwicklung von
ultraeffizienten Chips fördern und den Mikroelektronik-Cluster in Dresden stärken.
Vielfalt und Offenheit statt digitaler Monopole
Die Digitalisierung hat datenbasierte Plattform-Geschäftsmodelle hervorgebracht, die eine
Tendenz zum Monopol aufweisen. So erfordern es Wettbewerb und moderner Verbraucherschutz,
dass die Grundsätze der Interoperabilität – wie wir sie aus dem Mobilfunk kennen – auch bei
online-gestützten Angeboten gelten. Was heute bei Telefon, SMS und Mail selbstverständlich
ist, muss zum Beispiel auch bei Messenger-Diensten oder sozialen Netzwerken gewährleistet
werden, nämlich unkompliziert zwischen Anbietern und Plattformen kommunizieren und wechseln
zu können.
Auch digitale Großkonzerne müssen sich an das europäische Ordnungsrecht halten. Deshalb
setzen wir uns für eine faire Besteuerung digitaler Großkonzerne ein, die bisher von der
Bundesregierung verhindert wird.
Infrastrukturen sind eine öffentliche Aufgabe. Dieses Prinzip, das bei Stromnetzen oder
Straßen selbstverständlich ist, muss im digitalen Bereich neu ausgehandelt werden. Wenn
beispielsweise
Google seine dominierende Stellung bei Handy-Betriebssystemen oder Amazon seine beim Verkauf
über den Marketplace ausnutzt, müssen wir dem einen Riegel vorschieben. Den lokalen
Einzelhandel werden wir vor unfairem Dumpingwettbewerb von Amazon und Co. schützen. Ziel ist
es, privatisierte Marktplätze wieder öffentlich zugänglich zu machen. Außerdem werden wir
die Gebühren für Plattformen mit weitreichender Marktmacht regulieren, damit die Gewinne von
kleinen Unternehmen nicht von den Plattformbetreibern abgeschöpft werden können.
Google und Facebook dominieren mittlerweile den Markt für Onlinewerbung. Kaum ein
Unternehmen kann es sich noch leisten, nicht über sie online für die eigenen Produkte zu
werben. Ein solches Oligopol muss reguliert werden. Wir wollen in Europa eine gesetzliche
Grundlage für Onlinewerbung schaffen.
Standards für die datengetriebene Wirtschaft
Wir wollen einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen für datengetriebene
Geschäftsmodelle schaffen. Daten sind Schlüsselressource der digitalen Welt, insbesondere
für Technologien wie die künstliche Intelligenz. Diese Ressourcen wollen wir heben und wir
plädieren für eine anonymisierte Bereitstellung öffentlicher Daten, damit dadurch neue
Innovationen und Geschäftsmodelle entstehen. Open-Data ist die Grundvoraussetzung, damit
Startups, Unternehmen und Forschungseinrichtungen, aber auch Zivilgesellschaft diesen
Datenschatz für die Entwicklung innovativer Technologien und Bereitstellung öffentlicher
Dienstlesitungen nutzen können. Der Bundesregierung kommt dabei eine Führungsrolle zu, die
sie bisher nicht wahrnimmt. Sie muss Beispiel geben und bei Innovationen und neuen
technologischen Lösungen im Bereich des öffentlichen Sektors vorangehen.
Dabei müssen wir aber auch sicherstellen, dass anonyme Daten nicht nachträglich durch die
Verknüpfung mit anderen Informationen einzelnen Personen zugeordnet werden können. Solange
dies nicht gewährleistet werden kann, darf es keine weiteren Pflichten zum Datenaustausch
geben. Keinesfalls dürfen deanonymisierte Daten zur Grundlage von Geschäftsmodellen oder
staatlichen Prognosen werden, weil dies tief in die Grundrechte der Menschen eingreift.
Dafür wollen wir mehr Forschung und Standardsetzung zu Anonymisierung von Daten und zur
Nutzung synthetischer Daten sowie klare Regelungen gegen Deanonymisierung, die auch
strafbewehrter Verbote einschließen.
Gerade im industriellen Bereich braucht es neue Ansätze, um eine kooperative Nutzung nicht
personenbezogener oder nicht-personenbeziehbarer Daten zum Beispiel aus Entwicklungs- und
Fertigungsprozessen vor allem im Sinne Kleiner und Mittelständischer Unternehmen
rechtssicher zu gestalten. Dies kann über die Schaffung von klaren gesetzlichen Vorgaben für
kooperative und dezentrale Datenpools und Datentreuhandmodelle geschehen, die treuhänderisch
nach klaren gesetzlichen Vorgaben organisiert, eine gemeinsame und durch Kartellbehörden
überprüfbare Nutzung dieser Daten ermöglichen. Entsprechende Ausgestaltungsmöglichkeiten für
Treuhandmodelle oder auch Ansätze für Datenspenden, zum Beispiel von Einzelpersonen, wollen
wir möglichst zeitnah gemeinsam mit den relevanten Akteuren erarbeiten und erste
Modellprojekte anstoßen.
Der Realität globaler Datenmonopole weniger Konzerne und der ausufernden digitalen
Überwachung und Auswertung der Daten durch staatliche Stellen wollen wir mit einem
engmaschigen Datenschutz und internationaler Regulierung begegnen. So, wie wir mit der
Datenschutzgrundverordnung unseren europäischen Rechtsrahmen in der digitalen Welt stärken
konnten, an die sich andere halten müssen, wollen wir auch ethische, gesellschaftliche und
sicherheitspolitische Grundregeln für intelligente Maschinen und algorithmische
Entscheidungssysteme auf EU-Ebene etablieren. Dazu gehören Regeln bezüglich der Haftung,
Transparenz, Nicht-Diskriminierung und Überprüfbarkeit algorithmischer Entscheidungen sowie
essentielle IT-Sicherheitsstandards.
IT für grüne Ziele nutzen
Wir wollen die Digitalisierung nutzen, um Ökonomie und Ökologie weiter zusammenzuführen. Die
Digitalisierung schafft enorme Chancen für Ökoeffizienz und Kreislaufwirtschaft. Dafür
wollen wir ein EU-Förderprogramm, das sich exklusiv dem ökologischen Potenzial der
Digitalisierung widmet und die Ökoeffizienz in Unternehmen fördert. Die Digitalisierung kann
zum ökologischen Umbau unserer Gesellschaft beitragen. Wenn wir nicht handeln, besteht aber
das Risiko, dass die Digitalisierung zum Treiber von Klimakrise und Umweltzerstörung wird.
Derzeit werden wertvolle Rohstoffe zunehmend für die Digitalisierung gebraucht und der
Energiebedarf für digitale Prozesse wächst jedes Jahr massiv. Expert*innen zufolge wird der
digitale Energiebedarf bis zum Jahr 2040 die weltweite Energieproduktion übersteigen, wenn
wir nicht umsteuern.
Wir wollen als Teil der Energiewende energiearme IT-Technik voranbringen und eine
europäische „Green-IT“-Strategie auflegen. Darüber hinaus setzen wir uns für „Green-IT“-
Kriterien bei der öffentlichen Vergabe und ein Label für energieeffiziente, nachhaltige
Rechenzentren ein. Denn gerade die Digitalisierung bietet auch ein erhebliches Potenzial für
den Klimaschutz und zur Einsparung von Treibhausgasen und Ressourcen.
Allein durch die Digitalisierung könnten die globalen CO2-Emissionen bis 2030 gegenüber
jetzigen Prognosen um 20 Prozent sinken. Studien gehen von 15 bis 20 Prozent
Energieeinsparung durch Gebäude-Klimamanagementsysteme aus. Um 25 bis 30 Prozent könnte der
Energieverbrauch der Industrie durch IT-gesteuerte Prozessoptimierung sinken, indem
Maschinen intelligent miteinander vernetzt werden. Dieses Potenzial wollen wir konsequent
nutzen.
Bei großen Unternehmen ist es längst selbstverständlich, dass Videokonferenzen in vielen
Fällen Reisen per Bahn oder Flugzeug ersetzen. Das spart Zeit und Kosten, entlastet die
Mitarbeitenden und schont zugleich die Umwelt. Home Office-Regelungen sorgen dafür, dass
Wegstrecken zur Arbeit und damit CO2-Emissionen eingespart werden können. Mit den
selbstfahrenden Autos von morgen bietet sich durch Vernetzung, Carsharing und zusätzlich
flexible öffentliche Nahverkehrsangebote gerade im ländlichen Raum die Chance, viele
Privatfahrten im Auto zu ersetzen. Die Digitalisierung kann die Energiewende in Form
intelligenter Netze unterstützen oder dabei helfen, Transportketten zu optimieren und etwa
Leerfahrten zu verhindern.
IT-Sicherheit für die Industrie
Es braucht dringend ein umfassendes Paket zur Stärkung der IT-Sicherheit unserer Industrie.
Dies umfasst die Einrichtung eines europäischen Forschungsverbunds für IT-Sicherheit, in dem
das Nationale Forschungszentrum in Darmstadt integraler Teil wird, um die Entwicklung von
Technologien und industriellen Fähigkeiten im Bereich der IT-Sicherheit zu fördern. Außerdem
wollen wir ein in allen Mitgliedstaaten anerkanntes EU-weites Zertifizierungssystem für
Produkte und Dienstleistungen sowie umfassende Beratungsangebote einführen.
8. Die Technik von morgen entwickeln
Um den Wirtschaftsstandort Deutschland in die Zukunft zu führen müssen wir auch für
Forschung, Entwicklung und Bildung die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Innovationen
entstehen in Ökosystemen, die von Kooperationen, Trans- und Interdisziplinarität und
Kreativität geprägt sind. Es geht darum, Kooperationen zu fördern, die Arbeit in isolierten
Fach-Communities aufzubrechen, Wissen zu teilen und von der Erfindung nahtlos in die
Umsetzung zu kommen.
Wir fordern daher mehr Forschungsplattformen, an denen sich insbesondere Hochschulen, freie
Forschungsinstitute, zivilgesellschaftliche Organisationen, einzelne Interessierte und
Unternehmen beteiligen, miteinander kooperieren, Wissen austauschen und Kreativität
entwickeln können. Darüber hinaus sind Reallabore und Experimentierräume in der Forschung
ein geeignetes Instrument, damit bahnbrechende neue Innovationen gemeinsam entwickelt und in
der Umsetzung getestet werden können. Um die inter- und transdisziplinäre Forschung zu
fördern, soll „Horizon Europe“ gestärkt werden. Zusätzlich soll für die Entwicklung neuer
Technologien und der Technikfolgenabschätzung eine eigene Förderlinie eingerichtet werden.
Alle heute genutzten Technologien beruhen auf öffentlicher Grundlagenforschung. Auch in
Europa und Deutschland sollte die öffentliche Hand massiv investieren, gerade da, wo Märkte
versagen: bei risikoreicher Forschung, öffentlicher Infrastruktur, Sprunginnovationen. Für
diese Jahrhundertaufgabe müssen deutsche und europäische Förderprogramme ambitionierter,
risikofreudiger und agiler werden. Es geht uns dabei um einen gezielt agierenden, proaktiven
und unternehmerischen Staat, der unternehmerisches Risiko eingeht und als Leadinvestor ein
innovationsfreundliches Umfeld auch für private Unternehmen und ihre Ideen schafft.
Dabei legen wir besonderen Wert auf die Freiheit von Forschung und Lehre. Hochschulen und
insbesondere die Grundlagenforschung funktionieren nicht nach unternehmerischer Logik.
Gerade disruptive Innovationen können davon profitieren. Grundlagenforschung ohne Blick auf
eine unmittelbare (wirtschaftliche) Verwertbarkeit ist ebenso wichtig und notwendig, wie es
Forschungsprogramme zu drängenden gesellschaftlichen Fragestellungen sind. Deshalb setzen
wir uns ein für eine solide Grundfinanzierung unddemokratische Selbstorganisation der
Hochschulen und Wissenschaftsfreiheit in Verantwortung.
In Zukunftstechnologien und digitale Infrastruktur investieren
Europäische Kooperation ist die Grundvoraussetzung, um die Herausforderungen des 21.
Jahrhunderts in Bezug auf Technologie und gesellschaftliche Veränderungen im Rahmen der
Klimakrise bestehen zu können. Wir wollen deswegen wieder intensiv in den Wissens- und
Innovationsstandort Europa investieren und die Mittel des kommenden europäischen
Forschungsrahmenprogramms auf 120 Milliarden Euro aufstocken. Damit wollen wir ein
schlagkräftiges Nachfolgeprogramm zu „Horizon 2020“ etablieren, das besonders die
Grundlagenforschung und die Wissenschaftsfreiheit inter- und transdisziplinär fördert,
wohlwissend, dass eine Gesellschaft technisches und Orientierungswissen benötigt, um
erfolgreich die Zukunft bewältigen zu können.
Es bleibt daher ein Fehler, dass die Bundesregierung die Vorschläge vom französischen
Präsidenten, eine europäische Agentur für Sprunginnovationen und ein deutsch-französisches
KI-Zentrum zu etablieren, nicht angenommen und ernsthaft verfolgt hat. Stattdessen hat die
große Koalition eine allein national ausgerichtete Agentur für Sprunginnovationen etabliert.
Wir fordern, dass diese nun zumindest mit den europäischen Institutionen und Initiativen eng
verzahnt wird. Auch sind die geplanten 500.000 Euro Förderung für ein virtuelles deutsch-
französisches KI-Netzwerk viel zu wenig, um die besten Forscher*innen zusammenzubringen und
tatsächlich Synergien zu etablieren.
Schnelles Netz ist die Grundlage für alles – Industrie, Mobilität, Landwirtschaft, digitale
Verwaltung, Teilhabe, ökonomischer Erfolg. Für Unternehmen ist der Breitbandausbau eine
harte Standortfrage. Und oftmals sind es gerade die ländlichen Regionen, die von schnellem
Internet abgehängt sind. Von der flächendeckenden Grundversorgung, die die Bundesregierung
versprochen hatte, sind wir weit entfernt. Für die digitale Infrastruktur Glasfaser und 5G-
Mobilfunk gibt es erhebliche Investitionslücken.
Wir lassen uns beim Ausbau der 5G-Netze vom Vorsorgeprinzip leiten. Wir fordern daher die
Veröffentlichung der Ergebnisse bereits durchgeführter Studien zu Auswirkungen von 5G, die
aus öffentlichen Mitteln ganz oder teilweise finanziert wurden und rufen auch die
Unternehmen auf, ihre eigenen Untersuchungen vollumfänglich zu veröffentlichen. Wir
unterstützen die Überprüfung und ggf. Erarbeitung geeigneter Prüf- und Messverfahren über
Auswirkungen durch hochfrequente Sende- und Empfangsanlagen oberhalb 20 GHz und die
Erstellung verbindlicher Grenzwerte durch das Bundesamt für Strahlenschutz. Wir setzen uns
für eine EU-weite Abstimmung zu diesen Fragen ein und fordern ein möglichst einheitliches
Vorgehen in den Mitgliedstaaten.
Damit der Glasfaserausbau zügig vorankommt und die Versorgung mit schnellem Internet bis zu
jeder Haustür (FTTB) im ganzen Land sichergestellt wird, brauchen wir eine solide
Finanzierung. Dafür wollen wir öffentliche Breitbandgesellschaften für den Glasfaserausbau
im ländlichen Raum gründen, in die der Bund mindestens den Erlös des Verkaufs seiner
Telekom-Aktien einbringt. Zusätzlich werden wir bei Netzregulierung, insbesondere bei neuen
Ausschreibungen von Frequenzen darauf achten, dass die Netzbetreiber harte Verpflichtungen
unterschreiben, auch entlegene ländliche Regionen zu versorgen.
Neue Wege bei Forschung & Entwicklung
Für die Lösung von Zukunftsfragen brauchen wir eine starke Wissenschaft. Deshalb wollen wir
die Wissenschaft bei der Digitalisierung unterstützen. Die freie Zugänglichkeit,
Nachvollziehbarkeit und Verständlichkeit von Wissen ist dabei ein zentraler Baustein für
eine innovative und zugleich am Gemeinwohl orientierte Wirtschaft. Wir wollen unter
Berücksichtigung von Datenschutz freie Inhalte (in Forschung und Lehre), insbesondere Open
Access-Publikationen, und bei Forschungsdaten (Open Science Data) besonders fördern. Wir
wollen Initiativen der Wissenschaft fördern, Ergebnisse breit in die Gesellschaft zu
kommunizieren und den Zugang und die Verständlichkeit von Wissen über kreative und neue
kommunikative Wege zu erleichtern. Neben Vorträgen, Citizen Science und Science Slams bilden
auch (Forschungs-)Museen, Reallabore und öffentliche Veranstaltungen an
Forschungseinrichtungen wichtige Brücken zwischen Bürger*innen und Forschenden.
KMUs sollen bei der Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsoffensive eine größere Rolle
zugemessen werden, die wir durch steuerliche Förderung von Forschung und Entwicklung
unterstützen wollen. Ferner wollen wir eine breite Verfügbarkeit von Basisinnovationen
ermöglichen und dafür Open-Source-Lösungen fördern, insbesondere wenn diese von öffentlichen
Forschungseinrichtungen entwickelt werden. Wir finden es wichtig bei Forschungsanliegen
stärker NGOs und andere zivilgesellschaftliche Akteur*innen zu berücksichtigen. Dafür
brauchen wir z.B. mehr Reallabore und einen breiteren öffentlichen Dialog bei der
Formulierung von Forschungsfragen.
Eine faire Ausgestaltung des internationalen Rechtssystems muss verhindern, dass Patente und
sonstige geistige Eigentumsrechte (etwa auf HIV-Präparate, Saatgut oder tradiertes Wissen)
sozial schädlich genutzt werden und wirtschaftliche Entwicklung behindern. Investitionen aus
Drittstaaten müssen zum Aufbau von lokalem Wissen und hochwertigeren Anteilen an der
globalen Wertschöpfung beitragen. Ein möglichst großer Teil dieser Technologien sollte in
Formen offenen Wissens (Open Design, Open Source, Open Data, Creative Commons) entwickelt
werden und allen Menschen zur Verfügung stehen.
9. Gleichwertige Lebensverhältnisse in Ost und West, Stadt und Land
Gemeinsam können wir dafür sorgen, dass Stadt und Land, dass strukturschwache und
wirtschaftsstarke Regionen nicht weiter auseinanderdriften. In den deutschen Kommunen klafft
eine öffentliche Investitionslücke bei der Infrastruktur von 138 Milliarden Euro. So viel
Geld fehlt in Kitas, Straßen, Brücken oder Spielplätzen, allein um die Substanz zu erhalten.
Viele Kommunen können das nicht finanzieren. Damit werden wir unserer Verpflichtung nach
gleichwertigen Lebensverhältnissen nicht überall im Land gerecht, was vor allem
strukturschwache Regionen, gerade in Ostdeutschland, betrifft.
Bund und Länder sollen in die Lage versetzt werden, strukturschwache Regionen besser zu
unterstützen, so dass die regionale Daseinsvorsorge überall gewährleistet ist. Das kann über
eine neue Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Daseinsvorsorge“ erfolgen. Wir wollen auch
Kompetenzagenturen schaffen, welche die Kommunen bei der Planung von Investitionen und dem
Abruf von Fördermitteln unterstützt. Eine Förderung über alle Regionen hinweg führt oft
dazu, dass stärkere Regionen aufgrund ihrer funktionierenden Infrastruktur und Verwaltung
die Mittel als erstes beantragen und bekommen, während die schwächeren Regionen dann das
Nachsehen haben. Wir wollen die Förderung auf die wirklich strukturschwachen Regionen
ausrichten und dabei auch Geschlechteraspekte bei der Ausgestaltung der regionalen
Daseinsvorsorge berücksichtigen. Die beste Förderung hilft nicht, wenn die Mittel nicht dort
ankommen, wo sie wirksam werden sollen.
Wir wollen die aktuelle Förderung von ihrer Projektorientierung hin zu Prozessen ausrichten,
damit Projekte vor Ort langfristig gesichert sind und das Engagement der Leute vor Ort
nachhaltig gefördert wird. Daneben soll ein Altschuldenfonds Kommunen mit hohen Altschulden
neue Spielräume eröffnen, indem der Bund einen Teil der Schulden übernimmt, aber auch die
Verantwortung der Länder zum Tragen kommt sowie berücksichtigt wird, dass einige
Landesregierungen dies bereits aus eigener Kraft getan haben. Der Bund kann sich zu sehr
niedrigen – momentan sogar negativen – Zinsen finanzieren, und so den Kommunen wieder Luft
zum Atmen verschaffen. Außerdem werden wir die Kommunen bei den Sozialausgaben entlasten und
prüfen, wie Länder und Kommunen ihr Schuldenmanagement verbessern und in den Genuss der
günstigten Zinskonditionen des Bundes kommen können. Die regionale Wirtschaftsförderung
wollen wir neu ausrichten und Regionen, die einen starken Strukturwandel zu bewältigen
haben, mehr in den Blick nehmen. Entscheidend für die Ansiedlung von Unternehmen ist nicht
der Scheck vom Staat, sondern eine exzellente Infrastruktur und gut ausgebildete Fachkräfte
vor Ort. Wo es keinen Datenhighway gibt, kann sich heute kein Unternehmen mehr ansiedeln.
Für die Lausitz hieße das zum Beispiel, dass man von den kleinen Orten schnell nach Cottbus
kommen kann, und von Cottbus schnell mit der Bahn nach Berlin, Wroclaw oder Warschau.
Schnelles Internet und das digitale Büro würden es mit einem Arbeitsplatz in Berlin
ermöglichen, an der mecklenburgischen Seenplatte zu wohnen. Gute Bahnverbindungen würden die
gelegentliche, zügige Fahrt zur Firma erlauben. Wir wollen die regionalen Zentren stärken
und zu Ankerpunkten in den Regionen mit breitem Angebot an öffentlichen und kulturellen
Dienstleistungen machen. Dies wollen wir in Grenzregionen auch grenzüberschreitend und
europäisch gestalten. Wir wollen auch Universitäten und Fachhochschulen ansiedeln bzw.
erweitern, denn sie können einen Wissenstransfer in die lokale Wirtschaft organisieren.
Gleichzeitig bringen die gut ausgebildeten Studierenden eigene Geschäftsideen mit oder sind
künftige Fachkräfte für die lokale Wirtschaft. So kann es auch gelingen, junge Zugewanderte
zu motivieren, etwa in die Uckermark oder nach Ostsachsen zu ziehen.
10. Mit einer gemeinsamen Industriestrategie die Stärke des europäischen Binnenmarktes
nutzen
Der Kern einer guten Industriepolitik liegt in der Stärkung der eigenen Innovationskraft,
nicht in der Abwehr von Konkurrenz. Trotzdem ist es wichtig, dass Deutschland und Europa
faire Regeln entwickeln und diese dann nach innen und außen durchsetzen.
Der europäische Binnenmarkt ist der größte gemeinsame Wirtschaftsraum der Welt. Kein großes
globales Unternehmen kann es sich leisten, auf diesem riesigen Markt nicht vertreten zu
sein. Den Europäischen Binnenmarkt müssen wir nutzen, um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und
faire Spielregeln zu stärken, anstatt uns von nationalen Interessen auseinanderdividieren zu
lassen.
Wer auf dem europäischen Markt mitspielen will, muss den europäischen Regeln folgen. Mit der
Datenschutzgrundverordnung haben wir gezeigt, wie das geht. Entweder halten sich Unternehmen
daran, oder ihnen wird der Zugang zum Markt verwehrt. Mittlerweile macht die DSGVO
international Karriere.
Die Europäische Union muss dafür als starke und geeinte Akteurin gemeinsame Standards für
eine zukunftsfähige Wirtschaft entwickeln – statt Empfängerin der strategischen
Entscheidungen anderer zu sein. Wenn die USA auf einen finanzmarktgetriebenen Kapitalismus
und China auf autoritären Staatskapitalismus setzt, dann müssen wir uns nicht entscheiden,
sondern darauf eine europäische Antwort geben: mit einem Green New Deal für die sozial-
ökologische Marktwirtschaft.
Europa braucht eine gemeinsame Industriepolitik, deren Kern in der Stärkung der eigenen
Innovationskraft und der Durchsetzung von fairen Spielregeln für die Wirtschaft liegt – nach
innen wie nach außen. Ihre Ziele und Instrumente sollen sich an der Notwendigkeit einer
sozial-ökologischen Transformation der Wirtschaft orientieren. So kann der europäische
Binnenmarkt, auch aufgrund seiner Größe, zum Leitmarkt für die Welt werden.
Eine Industriestrategie zur Stärkung von Innovation und Nachhaltigkeit
Eine Industriestrategie muss in erster Linie Innovationen in Deutschland und Europa aktiv
vorantreiben, zum Beispiel durch ordnungspolitische Leitplanken und öffentliche Aufträge,
welche die Nachfrage nach neuen Technologien stimulieren. Sie soll dabei insbesondere auch
den ökologischen Wandel der Wirtschaft unterstützen, durch Maßnahmen wie eine langfristige
Klimaschutzstrategie, einen europaweiten CO2-Mindestpreis, oder die Förderung industrieller
Leuchtturmprojekte mit dem Ziel, Treibhausgasemissionen in den energieintensiven Branchen
abzubauen. Finanzmärkte müssen so reguliert werden, dass sich nachhaltige Investitionen
auszahlen und nicht benachteiligt werden. Auch die europäischen Investitionsprogramme müssen
auf Nachhaltigkeit getrimmt werden.
Eine Industriestrategie soll auch dafür sorgen, dass europäische Kräfte bei künstlicher
Intelligenz gebündelt werden und öffentliche Investitionen in europäische Gemeingüter
getätigt werden, wie in die Verkehrs-, Telekommunikations- und Energieinfrastruktur.
Rechtswidriger Steuerumgehung und Steuerbetrug erteilen wir eine Absage, denn auch
Unternehmen müssen sich angemessen an der Finanzierung öffentlicher Aufgaben beteiligen.
Auch gerechte Arbeitsbedingungen, Mindeststandards bei der sozialen Absicherung und eine
europäische Rückversicherung für die nationalen Arbeitslosenversicherungssysteme müssen Teil
einer solchen sozial-ökologischen Industriestrategie sein.
Wettbewerbsverzerrungen bekämpfen
Gegenüber staatlich subventionierten Monopolisten aus China und unregulierten
Digitalkonzernen aus den USA muss eine europäische Industriestrategie fairen Wettbewerb auf
dem europäischen Markt sicherstellen, zum Beispiel durch eine Weiterentwicklung der Anti-
Dumping- und Anti-Subventionsinstrumente, eine Reform der WTO und eine Schärfung der Regeln
im Kartellrecht. Auch muss die Europäische Union Wettbewerbsverzerrungen bei öffentlichen
Aufträgen stärker ahnden können. Ein Weg könnte sein, im Vergaberecht die Möglichkeiten zu
schaffen, Angebote aus Ländern, die ihre Firmen subventionieren, mit einem Aufschlag zu
versehen und auch bei Nicht-EU-Bietern hohe Arbeits- und Umweltstandards zu berücksichtigen.
Mittelfristig sollte das Prinzip der Gegenseitigkeit (Reziprozität) für Drittstaaten gelten,
damit es zu gleichen Wettbewerbsbedingungen kommen kann. Außerdem braucht es eine
europäische Antwort darauf, wie damit umzugehen ist, wenn zum Beispiel chinesische
Unternehmen europäische aufkaufen, ihnen dann de facto umsonst Kredite zukommen lassen und
dadurch den Wettbewerb verzerren.
Kontrolle über kritische Infrastruktur
Ausländische Direktinvestitionen in Schlüsseltechnologien und kritische Infrastruktur
sollten besser überwacht werden. Der neue europäische Screening-Mechanismus für
Direktinvestitionen sollte in die deutsche Außenwirtschaftsordnung integriert und konsequent
angewandt werden. Denn wenn wir keine Kontrolle mehr über unsere kritische Infrastruktur
haben, haben wir ein riesiges Sicherheitsproblem, sind abhängig und im schlimmsten Fall
erpressbar.
Die fortschreitende Digitalisierung macht die bessere Überwachung von ausländischen
Direktinvestitionen in Schlüsseltechnologien und den Schutz der kritischen Infrastruktur
notwendig.
Der neue europäische Screening-Mechanismus für Direktinvestitionen sollte in die deutsche
Außenwirtschaftsordnung integriert und konsequent angewandt werden. Sichere digitale
Infrastrukturen sind längst systemrelevant. Mit Blick auf die konkret anstehende
Entscheidung zu 5G stellen wir fest, dass Huawei die Kriterien des derzeit vorliegenden IT-
Sicherheitskatalogs bislang nicht erfüllt hat und deshalb zumindest in besonders
sicherheitsrelevanten Netzen nicht zugelassen werden darf. Die Diskussion hat gezeigt, wie
groß die Versäumnisse der Bundesregierung sind, gerade wenn es um den Schutz besonders
kritischer Infrastrukturen geht. Sie hat gezeigt, dass es weiterhin klarer rechtlicher
Vorgaben für den Einsatz und die Überprüfbarkeit von Hard- und Software, neuer
Haftungsregelungen, des verstärkten Einsatzes von Open Source und Open Hardware und
unabhängiger Aufsichtsstrukturen dringend bedarf – fernab einzelner Anbieter und auch für
europäische Firmen. Nur hierdurch ist das Ziel zu erreichen, IT-Sicherheit effektiv zu
erhöhen, Abhängigkeiten von einzelnen Anbietern zu reduzieren und die digitale Souveränität
für Europas Bürger*innen und seine Unternehmen zu verfolgen.
Regulatorische Macht für sozial-ökologische Ziele
Auch global sollten wir Europäer*innen Regeln setzen und dazu unser gesamtes europäisches
Schwergewicht in die Waagschale werfen. Wer in Europa Produkte verkaufen will, muss fair
produzieren. Die Produktion muss im Einklang mit den Klimazielen von Paris stattfinden.
Menschen- und Arbeitsrechte und der Schutz der Umwelt müssen geachtet werden. Dafür braucht
es Handelsabkommen, die ökologische und soziale Standards gegenüber Handelspartnern
einklagbar machen und ein Lieferkettengesetz, das Transparenz und menschenrechtliche
Sorgfaltspflichten für Unternehmen rechtsverbindlich macht. Wir wollen den Einsatz neuer
Technologien fördern, die die Zwischenstufen im Produktionsprozess nachvollziehbar machen.
So verhindern wir zum Beispiel, dass bei uns Produkte verkauft werden, deren Vorprodukte mit
Kinderarbeit in Afrika hergestellt wurden.
Den Euro zur Leitwährung machen
Kaum ein Land in der EU profitiert so stark von der gemeinsamen Europäischen Währung.
Anstatt sich als Exportnation zu feiern, sollte Deutschland zum Wohle und Wohlstand aller
daher besonders in die Stärkung der Eurozone investieren.
Die wirtschaftliche Stärke Europas wird zentral davon abhängen, ob wir die Währungsunion
vollenden. Bis jetzt verlassen wir uns fast vollständig darauf, dass die Europäische
Zentralbank die Kohlen aus dem Feuer holt. Das darf nicht so bleiben. Dazu kommt, dass eine
Währungsunion ohne makroökonomische Ausgleichsmechanismen auf Dauer nicht gut funktionieren
kann. Daher wollen wir eine gemeinsame Fiskalpolitik für die Eurozone, die im Abschwung
beherzt gegensteuern, die Wirtschaft stabilisieren und europäische Gemeingüter finanzieren
kann. Investitionen des gemeinsamen Haushalts sollten für europäische Gemeingüter wie den
Klimaschutz, den Ausbau der erneuerbaren Energien, Kommunikation und Internet oder die
Schieneninfrastruktur eingesetzt werden. Ein solches Eurozonenbudget, das stabilisiert und
investiert, sollte mindestens ein Prozent der Wirtschaftsleistung der teilnehmenden Staaten
umfassen, um makroökonomisch wirksam zu sein. Es könnte sich auch über europaweite Steuern
wie eine Digitalkonzernsteuer, eine Finanztransaktionssteuer oder einen Teil einer
harmonisierten europäischen Körperschaftssteuer finanzieren.
Kaum ein Land in der EU profitiert so stark von der gemeinsamen Europäischen Währung.
Anstatt sich als Exportnation zu feiern, sollte Deutschland zum Wohle und Wohlstand aller
daher besonders in die Stärkung der Eurozone investieren. Zur Vollendung der Währungsunion
braucht es nicht nur eine gemeinsame Fiskalpolitik, sondern erstens einen großen Markt für
sichere europäische Anleihen und zweitens einen glaubwürdigen Rahmen für das gemeinsame
Krisenmanagement. Für den Ausbau der paneuropäischen Infrastruktur wie zum Beispiel
grenzüberschreitender Strom- oder Bahnnetze ist es sinnvoll, gemeinsame europäische Anleihen
zu schaffen, über die ein Teil dieser Investitionen im Rahmen des Eurozonenhaushalts und
perspektivisch auch des EU-Haushalts über Kredite finanziert werden kann.
So kann es uns gelingen, den Euro zu einer globalen Leitwährung auszubauen. Das ist nicht
nur eine Frage der wirtschaftlichen Stabilität, sondern es ist auch eine zentrale Frage
europäischer Souveränität und unserer außenpolitischen Handlungsfähigkeit.
Gleichzeitig wollen wir sicherstellen, dass Europa seine Krisen selbst lösen kann. Dafür
wollen wir den Europäischen Rettungsschirm ESM zu einem vollwertigen Europäischen
Währungsfonds weiterentwickeln, im EU-Recht verankern und der demokratischen Mitbestimmung
und Kontrolle durch das Europäische Parlament unterwerfen. Für eine wirksame
Krisenbekämpfung muss auch die Bankenunion vollendet werden. So stellen wir sicher, dass
Banken in Zukunft einheitlich, europäisch, und nicht zu Lasten der Steuerzahler abgewickelt
werden. Dafür benötigen wir zum einen ein glaubwürdiges Abwicklungsregime inklusive einer
robusten Letztsicherung für den gemeinsamen Abwicklungsfonds. Zum andern braucht es dafür
eine gemeinsame europäische Einlagensicherung. Sie sollte als Rückversicherung ausgestaltet
sein, damit die europäische Sicherung erst eingreift, wenn die nationale überfordert ist.
Die deutschen Sparkassen und Genossenschaftsbanken können so weiter auf ihre bewährten
Institutssicherungssysteme setzen. Schließlich sollte auch und gerade Deutschland mit seiner
eigenen Fiskalpolitik viel stärker zu einem guten Funktionieren der Eurozone beitragen.
Für einen Ausgleich von makroökonomischen Ungleichgewichten innerhalb Europas und zur
Stärkung der europäischen Nachfrage muss Deutschland aktiv seinen überbordenden
Leistungsbilanzüberschuss reduzieren und den europäischen Partnern mehr Luft zum Atmen
lassen, und darf nicht zu einer einseitigen und spaltenden Sparpolitik zurückkehren. Um dies
zu erreichen wollen wir in Deutschland für faire Löhne besonders am unteren Ende der
Einkommensskala sorgen und die Investitionen hochfahren. Auf EU-Ebene setzen wir uns für die
Einführung einer europäischen Arbeitslosen-Rückversicherung als automatischen Stabilisator
ein.
11. Fairer Wettbewerb statt Machtwirtschaft
Wettbewerb ist Grundlage der Marktwirtschaft und Motor des Fortschritts. Ein starkes
Kartellrecht, das fairen Wettbewerb sichert und die Konzentration wirtschaftlicher Macht
begrenzt, ist nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für das Funktionieren der
Demokratie wesentlich. Es hält Märkte offen und sorgt dafür, dass sich die beste Idee
durchsetzt und nicht stets der Platzhirsch. Fehlt der Wettbewerb, können Monopolisten hohe
Gewinne auf Kosten der Verbraucher*innen machen und Startups in ihrer Entwicklung behindern.
Eine exzessive Marktkonzentration geht einher mit der Konzentration von Vermögen und erhöht
die Ungleichheit. Und wer Märkte kontrolliert, kann auch politische Kontrolle ausüben und
Spielregeln mitbestimmen. Das Wettbewerbsrecht braucht ein Update. Digitale Geschäftsmodelle
ändern Geschäftsbeziehungen und Wettbewerbsdynamik. Nutzer*innen zahlen für viele Dienste im
Internet nicht mit Geld, sondern mit Daten. Netzwerkeffekte machen einzelne Plattformen zu
Giganten mit riesigen Datenschätzen. Ihre Marktmacht können sie missbrauchen, um
Datenschutzbestimmungen abzusenken, Geschäftspartner*innen Preise zu diktieren oder
Konkurrent*innen auszubooten.
Wir wollen marktbeherrschende digitale Plattformen streng regulieren. Wenn sie anderen
Firmen den Marktzugang verwehren oder absurde Konditionen verlangen, müssen die
Kartellbehörden hart dagegen vorgehen. Damit die europäische Wettbewerbspolitik den
Anforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht wird, brauchen wir ein eigenständiges,
europäisches Kartellamt mit angemessenen Mitteln und Personal. Unter dem Dach dieses
Kartellamtes soll eine europäische Digitalaufsicht etabliert werden, die als politisches
Frühwarnsystem für kritische Marktmachtkonzentrationen und verbraucherschädigendes Verhalten
fungiert, dabei insbesondere große Plattformmärkte und natürliche, digitale Monopole
reguliert und sanktionsbewährte Kooperations- sowie Transparenzpflichten aussprechen kann.
Heute muss die Kartellaufsicht den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nachweisen,
um ein Unternehmen entflechten zu können. Das ist in der Regel kaum möglich. Wir treten
daher dafür ein, dass Unternehmen auch unabhängig von einem Missbrauch aufgespalten werden
können, wenn ihre Marktmacht zu groß und zum Problem für Wirtschaft und Gesellschaft wird.
Das Facebook-Monopol ist beispielsweise so ein Fall. Wir wollen Instagram, Facebook und
WhatsApp wieder entflechten. Indem wir die Grundsätze der Interoperabilität, wie sie heute
bei Telefon, SMS und Mail selbstverständlich sind, auf Messenger-Dienste übertragen, wollen
wir den Markteintritt neuer Anbieter erleichtern und den Wettbewerb um die besten
Datenschutzbestimmungen entfachen.
Wir GRÜNE wollen, dass das Wettbewerbsrecht im Sinne der europäischen Verträge angewandt
wird. Umweltschutz und die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung müssen dabei
berücksichtigt werden. Die Fusionen von Bayer und Monsanto sowie weiterer Agrochemiekonzerne
sind zum Beispiel nicht nur für den Wettbewerb problematisch, sondern auch für die Umwelt.
Fehlende Sortenvielfalt, Pestizideinsatz und Artensterben sind die Folgen.
Außerdem sollte bei der Fusionskontrolle die Hohe Vertreter*in für Außen- und
Sicherheitspolitik einbezogen und um eine sicherheitspolitische Einschätzung gebeten werden.
Wer fairen Wettbewerb will, muss Verstöße wirksam juristisch ahnden. Der Abgasskandal hat
einmal mehr gezeigt, wie Unternehmen versuchen, fairen Wettbewerb durch Betrug zu umgehen.
Wir GRÜNE wollen solch gemeinwohlschädliches Verhalten strikt ahnden. Wir wollen eine
gesetzliche Regelung, welche die bessere Verfolgung und Sanktionierung von Straftaten
ermöglicht, die aus Unternehmen heraus begangen werden. Dabei muss der Staat seine Gesetze
und Verordnungen konsequent durchsetzen. Des Weiteren sollen identifizierte Gesetzeslücken
geschlossen werden. Der Abgasskandal ist auch ein Beispiel dafür, dass er das nicht immer
tut – denn er wurde erst durch die jahrelange Kumpanei von Autoindustrie, Aufsichtsbehörden
und Politik möglich. Und um den Einfluss von Lobbyist*innen und Interessengruppen auf den
Bundestag offenzulegen, wollen wir ein verpflichtendes öffentliches Lobbyregister
einrichten. Wer als Hinweisgeber unethisches oder strafbares Verhalten in der Wirtschaft
aufdeckt, handelt im Interesse des Gemeinwohls und braucht rechtlichen Schutz vor Sanktionen
und wirtschaftlichen Nachteilen. Damit solche Missstände frühzeitig aufgedeckt und
abgestellt werden, brauchen wir zudem klare und sichere Meldewege für Whistleblower*innen.
Wir wollen solche sicheren und anonymen Meldewege für digitale und analoge Daten bei
öffentlichen Aufsichts- und Strafverfolgungsstellen einrichten und bekannt machen.
Bisher gibt es in Deutschland und Europa keine finanziellen Entschädigungen für die vom
Dieselskandal Betroffenen. Für Einzelne ist es oft viel zu schwer, das geltende Recht auch
zur Geltung zu bringen. So weigern sich etwa Fluggesellschaften, Entschädigungsansprüchen
nachzukommen. Auch auf unseren Druck hin ist es gelungen, in Deutschland erstmals
Musterfeststellungsklagen zu ermöglich. Sie sind aber unzureichend, denn immer noch muss
jede*r Betroffene einzeln klagen. Daher wollen wir endlich Gruppenklagen ermöglichen, um das
Prozessrisiko auf viele Schultern zu verteilen.
12. Faire Welthandels- und Währungsordnung schaffen
Uns geht es um eine Re-Regulierung der Globalisierung. Die vergangenen Jahre haben gezeigt:
Eine unregulierte Globalisierung führt zur Ausbeutung von Menschen und Umwelt und
beschleunigt die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Die Wohlstandsgewinne aus
internationalem Handel sind ungleich verteilt. Rechtsextremist*innen und Nationalist*innen
benutzen die berechtigte Kritik an Fehlentwicklungen der Globalisierung, um einen Rückfall
in den Nationalismus zu propagieren. Das ist die falsche Antwort. Wir stellen eine
freiheitliche und weltoffene Antwort dagegen. Richtig genutzt kann eine gute Handelspolitik
Umweltschutz, Klimaschutz, Menschenrechte, Arbeitnehmer*innenrechte und
Wirtschaftsinteressen in Balance bringen. Und so die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen
erhalten, im globalen Süden Gerechtigkeit schaffen und Demokratieverdrossenheit bekämpfen.
Wir brauchen aber auch einen Globalen Green New Deal. Denn unsere Ökonomien und unsere
Ökosysteme hängen voneinander ab. In einer globalisierten Welt sind nicht nur die Krisen
global, auch die Lösungen müssen global sein. Das bedeutet nicht abzuwarten, bis andere
vorangehen. Gerade die wohlhabenden und technologisch hoch entwickelten Staaten müssen den
Weg für eine grüne Wende im globalen Maßstab ebnen.
Europa hat mit dem größten Binnenmarkt der Welt etwas zu bieten – und wir wollen dieses
Angebot mit einer klaren Aufforderung zu progressiver Politik verbinden. Den Zugang zu
unseren Märkten gewähren wir nur bei Einhaltung sozial-ökologischer Mindeststandards.
Dadurch werden positive Auswirkungen auf Arbeitnehmer*innen weltweit entstehen. Wenn
Regierungen wirtschaftspolitische Maßnahmen ergreifen wollen, um das Pariser Klimaabkommen,
die VN-Menschenrechtskonventionen oder die Ziele der Agenda 2030 zu erfüllen, dürfen diese
nicht durch Handelsverträge oder Investitionsschutzklagen erschwert oder gar konterkariert
werden. Bestandteil von Verträgen sollte sein, dass alle Handelspartner*innen sich
verpflichten, den bei ihnen tätigen oder ansässigen Unternehmen eine menschenrechtliche
Sorgfaltspflicht im Sinne der VN Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte
aufzuerlegen.
Doch hierfür brauchen wir eine Neuausrichtung der EU-Handelspolitik. Das Mercosur-Abkommen,
das die EU unter anderem mit Brasilien abschließen will, ist das letzte fatale Beispiel
einer Agenda, die Liberalisierung und Deregulierung in den Mittelpunkt stellt. Wir
kritisieren die hochproblematischen Konzernschiedsgerichte in Verträgen wie bei TTIP, CETA
oder JEFTA, die auf der anderen Seite keine effektiven Schutzmechanismen für Klima, Umwelt,
Menschenrechte, Arbeitnehmer*innen und Verbraucher*innen enthalten. Der brennende Amazonas
führt uns diese fatale Logik mehr als deutlich vor Augen, denn die zwischen der EU und den
Mercosur-Staaten vereinbarten Handelserleichterungen für Rindfleisch wirken für den
Regenwald wie ein Brandbeschleuniger. Wir wollen einen Importstopp von Agrarprodukten aus
gerodeten Gebieten des Amazonas sowie von Palmöl aus dem indonesischen Regenwald.
Mittlerweile wird auch immer mehr europäischen Regierungen klar, dass die
Nachhaltigkeitsklauseln im Abkommen zahnlos sind und für das Klima, den Regenwald und die
dort heimischen Indigenen keinen ausreichenden Schutz bieten, da es keinen wirkungsvollen
Sanktionsmechanismus gibt, durch den Handelserleichterungen zurückgenommen werden könnten.
Wir GRÜNE lehnen dieses Abkommen wie auch CETA und JEFTA in ihrer bisherigen Form ab, denn
trotz einzelner Verbesserungen erfüllen sie die Bedingungen an fairen Handel nicht. Deswegen
wollen wir, dass sich die Bundesregierung im Rat für einen Stopp der Ratifizierung des
jetzigen
Mercosur-Abkommens und für Nachverhandlungen mit einem neuen Mandat einsetzt. Außerdem ist
es an der Zeit für ein Bündnis für fairen Handel – aufbauend auf den Korrekturen, die es
nach der umfassenden Kritik gerade auch der Zivilgesellschaft bereits gegeben hat und die
auch einige europäische Regierungen zum Umdenken gebracht haben.
Die EU sollte dabei in erster Linie auf Reformen der multilateralen Handelsregeln sowie auf
einen gemeinsamen plurilateralen Vertrag setzen, der weltweit Standards für fairen, offenen,
geschlechtergerechten und ökologischen Handel etabliert mit dem Ziel, die Globalisierung
gerecht zu gestalten. Bilaterale Handelsverträge können Zwischenschritte sein. Dafür müssen
diese aber offen für andere Handelspartner und so ausgestaltet sein, dass sie in ein
globales Welthandelssystem integrierbar sind. Der Fokus muss in Zukunft auf
Handelsliberalisierungen liegen, die sich positiv auf die nachhaltige Entwicklung auswirken.
Starke Regeln für faire Märkte gehören dabei zum Kern von Handelsabkommen. Das beinhaltet
zentrale internationale Abkommen wie die ILO-Kernarbeitsnormen oder das Pariser
Klimaschutzabkommen. Handelserleichterungen könnten somit auch wieder aufgehoben werden,
wenn ein Handelspartner zum Beispiel den Klimavertrag von Paris aufkündigt oder dessen Ziele
nicht einhält. Das gleiche gilt für den Verstoß gegen Menschenrechte und auch für die Nicht-
Einhaltung von Mindeststandards für Umwelt und Arbeit.
Das Vorsorgeprinzip wollen wir zum Schutz von Umwelt und Verbraucher*innen für alle Teile
von Handelsverträgen geltend machen. Parlamente dürfen durch Regeln zur regulatorischen
Zusammenarbeit in Handelsabkommen nicht umgangen oder geschwächt werden. Faire
Handelspolitik lässt den Staaten, Regionen und Kommunen Freiräume, um Dienstleistungen so zu
organisieren und zu regulieren, wie sie das für richtig halten.
Statt einseitiger Sonderklagerechte für private Investoren (ISDS/ICS) setzen wir uns für
einen ständigen internationalen Handelsgerichtshof ein, vor dem auch Betroffene klagen
können, wenn Unternehmen gegen Investorenpflichten im Bereich der grundlegenden
Menschenrechte, Sozial- oder Umweltstandards verstoßen. Die zugrundeliegenden Regeln, die
Unternehmensklagen ermöglichen, müssen eng begrenzt werden, um bspw. Klagen gegen Fracking-
Verbote oder den Atom-Ausstieg auszuschließen.
Lieferkettengesetz einführen
Damit Menschenrechte und Umwelt in internationalen Lieferketten nicht länger unter die Räder
geraten, wollen wir gesetzliche Regeln zu Transparenz und Sorgfaltspflichten für Unternehmen
einführen. Das beinhaltet, dass die EU nachvollziehbare entwaldungsfreie Lieferketten
verbindlich durchsetzt. So kann bei Bruch von internationalen Verträgen und Verpflichtungen
ein Importstopp von Agrarprodukten wie zum Beispiel für Soja und Rindfleisch aus gerodeten
Gebieten des Amazonas verhängt werden. In der öffentlichen Beschaffung sollte Deutschland
mit gutem Beispiel voran gehen und nur noch Produkte aus nachweislich entwaldungsfreien
Lieferketten einkaufen.
Transnationale Unternehmen, die in Deutschland tätig sind, wollen wir dafür haftbar machen,
wenn sie innerhalb ihrer Produktions- und Ressourcenketten an Menschenrechtsverletzungen
beteiligt sind. Wenn Unternehmen nachweislich fahrlässig gehandelt oder bewusst ihre
Sorgfaltspflichten misachtet haben, sollen Betroffene diese in Deutschland zivilrechtlich
belangen können. Das Beispiel Frankreich zeigt, dass dies möglich ist. Unternehmen müssen
entlang ihrer Lieferketten soziale und ökologische Mindeststandards einhalten und vor allem
müssen diese transparent sein, sodass klar ist, unter welchen Bedingungen Produkte
produziert wurden. Kriege, Menschenrechtsverletzungen und Ausbeutung dürfen nicht durch
Produkte finanziert werden, die in der EU verkauft werden. Produkte, die soziale und
ökologische Mindeststandards nicht einhalten, wollen wir nicht in unseren Supermarktregalen
sehen. Wir wollen eine konsequente Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und
Menschenrechte.
Und wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich endlich aktiv am Prozess der
Vereinten Nationen zur Erreichung eines völkerrechtlichen Abkommens (UN Binding Treaty
Prozess) beteiligt, mit dem transnationale Konzerne und andere Wirtschaftsunternehmen für
Menschenrechtsverstöße zur Verantwortung gezogen werden sollen.
Wir fordern, dass in allen Handelsabkommen der EU soziale und ökologische Standards für
Unternehmen, die Produkte in die EU importieren, rechtsverbindlich verankert werden. So
sorgen wir zum Beispiel dafür, dass Smartphones, deren Rohstoffe mit Kinderarbeit im Kongo
geschürft wurden, Jeans, deren Produktion Flüsse in Bangladesh vergiftet haben oder auch
Rindfleisch aus gerodeten Gebieten des Amazonas nicht mehr länger auf den Europäischen Markt
gelangen. Daraus resultierende Importbeschränkungen stellen sicher, dass durch die
Marktmacht des größten Binnenmarkts der Welt ökologische und soziale Verbesserungen entlang
der Lieferkette international durchgesetzt werden.
Handel nicht auf Kosten der Ärmsten
Entwicklungschancen für wirtschaftlich schwächere Länder müssen durch Handelsabkommen
vergrößert statt verkleinert werden. Dazu gehören wirksame Klauseln zum Schutz sensibler
Wirtschaftsbereiche, die Erlaubnis für Exportsteuern auf Rohstoffe, die Förderung regionaler
Integration, Technologietransfer und eine angemessene Besteuerung wirtschaftlicher
Aktivität. Menschenrechte und Entwicklungschancen müssen Vorrang vor reinen
Handelsinteressen haben. Deshalb ist eine gewisse asymmetrische Ausgestaltung von Verträgen
zum Vorteil wirtschaftlich schwächerer Länder, aber auch in unserem Interesse.
Gerade die Industrieländer werden von einer stabilen Entwicklung im globalen Süden, die den
Menschen Chancen, Perspektiven und Bildung gibt, ökonomisch, friedenspolitisch und
klimapolitisch profitieren. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen sind dafür
kontraproduktiv. Gleichzeitig fordern wir, dass die EU ihre Zölle auf verarbeitete Produkte
aus Entwicklungsländern senkt oder abschafft, um die Produktion vor Ort zu fördern. Wir
wollen die regionale Integration von Entwicklungsländern fördern. Und wir bevorzugen die
Welthandelsorganisation und multilaterale Abkommen gegenüber bilateralen Handelsabkommen, da
die Interessen insbesondere ärmerer Länder ansonsten drohen, unter die Räder zu geraten.
Entwicklungschancen für rohstofffördernde Länder
Bei Gewinnung, Verarbeitung und Nutzung von Bodenschätzen geht es auch um
Entwicklungschancen für die rohstofffördernden Länder. Der überproportionale Verbrauch von
Rohstoffen in den Industrieländern gibt uns nicht das Recht auf überproportionalen Zugang.
Nur eine faire Verteilung gewährleistet auch eine langfristig friedliche Zukunft. Daher
setzen wir auf internationale und kooperative Lösungsansätze. Häufig geht der Abbau von
Rohstoffen mit gravierenden Menschenrechtsverletzungen einher. Die EU-Verordnung zu
Konfliktmineralien tritt 2021 in Kraft und ist ein wichtiger Schritt, um den schlimmsten
Verbrechen Einhalt zu gebieten. Wir setzen uns dafür ein, die Verordnung auszuweiten, denn
bisher sind nur vereinzelte Rohstoffe abgedeckt. Gleichzeitig ergeben sich auch Vorteile,
wenn der Zugang zu und der Handel mit Rohstoffen stabil und langfristig ist. Voraussetzung
dafür ist, dass die menschenrechtlichen, sicherheits-, umwelt- und demokratiepolitischen
Konsequenzen mitberücksichtigt und dafür jeweils Standards geschaffen werden. Diese müssen
auf verschiedenen Ebenen ansetzen: im Herkunftsland, bei Investor*innen und Unternehmen, im
Verbraucherland und auf internationaler Ebene.
Sichere und stabile Weltwährungsordnung schaffen
Nachdem in den 1970er Jahren das internationale Währungssystem „Bretton Woods“ aufgekündigt
wurde – es regelte die internationalen Finanz- und Wechselkursbeziehungen – waren die
Staaten nicht bereit, eine neue gemeinsame Ordnung zu etablieren. Stattdessen ließen die
großen Industrienationen ihre Wechselkurse weitgehend frei schwanken und die internationalen
Finanzinstitutionen setzten sich für einen unbeschränkten internationalen Kapital- und
Finanzverkehr ein. Regelmäßige Währungs- und Finanzkrisen haben seitdem die Welt erschüttert
und vor allem weniger entwickelte Länder wurden durch spekulative Kapitalflüsse in ihrer
Entwicklung immer wieder zurückgeworfen. Gleichzeitig sind die globalen
Handelsungleichgewichte explodiert und stellen einen neuen Herd der Instabilität dar. Wir
wollen international im Rahmen der G20 eine Diskussion über ein neues System stabilisierter
Wechselkurse anregen. In der Überzeugung, dass wir so Spekulation eindämmen, Entwicklung und
Handel fördern und Handelsungleichgewichte abbauen könnten.
Für die ärmsten Länder der Welt ist die öffentliche Entwicklungsfinanzierung zentral. Wir
streben eine Weltwährungsordnung an, die es nicht nur den wohlhabenden Ländern ermöglicht,
langfristige Investitionen auch langfristig und damit verlässlich zu finanzieren. Dafür
müssen kurzfristige, spekulative Finanzströme reguliert, verteuert und notfalls auch
verboten werden. Wir müssen uns gegen spekulative Attacken auf Staaten und ihre Währungen
absichern. Dafür braucht es globale öffentliche Institutionen. Hier sind aber keine
kurzfristigen Erfolge zu erwarten. Um dennoch schnell zu einer Veränderung zu kommen, wollen
wir, dass die Europäische Zentralbank die Auswirkungen ihrer Politik auf Entwicklungsländer
berücksichtigt und diese unterstützt. Entwicklungsländern, die durch ungerechtfertigte
Währungsspekulationen unter Druck geraten, soll sie zur Seite springen können, sofern es mit
den geldpolitischen Zielen vereinbar ist. Hierfür könnten zum Beispiel Devisenswap-
Vereinbarungen oder Art. 219 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
(AEUV) zur Festlegung von Wechselkurspolitiken genutzt werden.
Die globale Transformation bedeutet vor allem in ärmeren Ländern massive Investitionen.
Diese nachhaltig, sozial-ökologisch und auf lokale Bedürfnisse ausgerichtet bereitzustellen,
muss ein zentrales Ziel der globalen Finanzierungsarchitektur sein.
Die multilateralen Finanzinstitutionen IWF, Weltbank und regionale Entwicklungsbanken können
beim Erreichen der globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs) und dem weltweiten sozial-
ökologischen Umbau eine entscheidende Rolle spielen. Wir wollen Ländern verlässlichen Zugang
zu Finanzierung der Transformationsprozesse gewähren. Dabei muss die Weltgemeinschaft für
globale Allmenden (etwa das Klima, Biodiversität, Wälder) auch im Sinne der “gemeinsamen,
aber differenzierten Verantwortung” Lastenteilung ermöglichen. Dazu gehört derzeit ganz
konkret ihr Engagement konsequent am Pariser Klimaabkommen auszurichten. Wir dürfen sie
nicht aus der Verantwortung entlassen, selbst zu einer stabilen, nachhaltigen und
armutsmindernden globalen Finanzarchitektur beizutragen.
Um die notwendigen Kredite nicht zu finanziellen Bumerangs zu machen, braucht es ein
geordnetes Staateninsolvenzverfahren bei Überschuldung in Fremdwährung. Nur ein System, das
die Interessen der Gläubiger*innen und Schuldner*innen austariert, führt zu adäquater
Kreditversorgung und nachhaltiger Lösung von Überschuldungskrisen. Dabei spielen die
aktuelle Regierungsführung und das Schuldenmanagement eine zentrale Rolle. Genauso wie
korrupte Schuldnerregierungen durch Schuldenerlass nicht nachträglich für Fehlinvestitionen
belohnt werden dürfen, muss „Geierfonds“ durch kollektive vereinbarte Regeln das Einklagen
von Schulden verwehrt werden.
Wir setzen uns aktiv gegen Steuersümpfe und für eine nachhaltige Finanzierung des
Gemeinwohls ein. Eine Vielzahl ärmerer Länder sind entgegen jeglicher Logik
“Nettokreditgeber” – das heißt das Geld, das ihnen über Kapital- und Steuerflucht verloren
geht, übersteigt die Summe aus Direktinvestitionen, Rücküberweisungen und
Entwicklungszahlungen. Wir unterstützen daher eine aggressive Vorgehensweise gegen die
organisierte Ausbeutung über Steuersümpfe und das Bankgeheimnis. Außerdem müssen wir Staaten
dabei unterstützen, solide Steuersysteme aufzubauen.
13. Stabile und nachhaltige Finanzmärkte und sichere Anlagen
Der Finanzsektor sollte eine zentrale Grundlage für die Ermöglichung realwirtschaftlicher
Aktivitäten und damit der Vielfalt unserer Lebensentwürfe sein. Heute nimmt er diese
positive Funktion oft nicht wahr. Daher brauchen wir klare und effektive Regeln, die die
globale Finanzmarktarchitektur auf diese Aufgabe fokussiert. Dazu zählen Zahlungsverkehr,
Kreditvergabe, Sparmöglichkeiten, Investitionsfinanzierung, Absicherungsgeschäfte und
internationale Handelsunterstützung. Dabei gilt es, seine Funktion als Dienstleister
gegenüber allen Bevölkerungsgruppen sicherzustellen und die Fähigkeit zum Umgang mit
Finanzdienstleistungen staatlich zu fördern („financial inclusion“).
Banken und Finanzmärkte sollen dazu dienen, Bürger*innen attraktive Sparmöglichkeiten
anzubieten und Investitionen zu finanzieren. Mit geeigneten Regulierungen und einer
umfassenden Finanztransaktionssteuer wollen wir reine Spekulationsgeschäfte und vor allem
den Hochfrequenzhandel unattraktiv machen. Nicht genutztes Guthaben auf so genannten
nachrichtenlosen Konten, wollen wir nutzen, um einen Fonds zu schaffen, der zielgerichtet in
nachhaltige und soziale Innovationen investiert, sofern keine Erbansprüche vorhanden sind.
Dazu brauchen wir ein datenschutzrechtlich konformes Verfahren zur Erfassung dieser Konten,
deren Guthaben andernfalls in den Besitz der Banken übergehen.
Lokal agierende kleine und mittelgroße Banken in Deutschland, und immer stärker auch wieder
im Rest der EU, stellen für die meisten Firmen die Kreditversorgung sicher. In Deutschland
hat sich das Drei-Säulen-Modell aus Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Privatbanken
bewährt. Deshalb wollen wir das Lokalbankenprinzip in ganz Europa stärken. Öffentliche
Banken sind dem Gemeinwohl in besonderer Weise verpflichtet und sollten Fragen der nicht-
finanziellen Berichterstattung zu sozialen, ökologischen und ökonomischen Faktoren eine
Vorreiterrolle einnehmen. Sparkassen sollen Gemeinwohlberichte erstellen und transparenter
werden, was die Offenlegung von Gehältern angeht.
Mit einem Regulierungssystem aus klaren, harten aber deutlich weniger komplexen Regeln
werden kleine Banken entlastet. Unsere europäische Schuldenbremse für Banken - eine
ungewichtete Eigenkapitalquote von zehn Prozent - stellt sicher, dass genügend
Sicherheitspolster vorhanden sind. Unter EZB-Bankenaufsicht stehende systemrelevante Banken
müssen zudem zusätzliches Eigenkapital aufbauen, das sich am Risiko des Geschäftsmodells
orientiert. Zusätzlich wird allen Banken ein prozentual höherer Beitrag zu den
Einlagensicherungsfonds auferlegt, der die Größe und das Risiko der Bankbilanz
berücksichtigt. Großbanken müssen kleiner werden. Durch ein effektives Trennbankensystem,
hohe Eigenkapitalanforderungen und eine vollendete Bankenunion werden sie nicht mehr das
Finanzsystem gefährden können. Die Rettung von Banken mit Geld der Steuerzahler*innen gehört
dann der Vergangenheit an.
Mit den Möglichkeiten der Digitalisierung können neue Akteure auf den Finanzmärkten
entstehen bzw. wachsen. Sie machen für viele den Finanz- und Zahlungsverkehr einfacher und
schneller und bieten neue Anlagemöglichkeiten. Wir wollen hier klare Wettbewerbsregeln
schaffen, in welchen weder Banken noch große Tech-Unternehmen ihre dominante Stellung nutzen
können, um unliebsame Konkurrenten und Innovationen zu behindern. Die Einführung eines E-
Euros bietet Chancen beim Zahlungsverkehr und für neue innovative Dienstleistungen. Diese
von den Zentralbanken des Eurosystems eingeführte elektronische Währung soll auch vielen
Menschen im Alltag als einfaches, sicheres und bequemes Zahlungsmittel dienen. Privates Geld
wie etwa der von Facebook geplante Libra hingegen würde kein Problem lösen, aber potentiell
viele neue schaffen. Eine Verdrängung kleiner Unternehmen über die Währung eines Konzerns,
die Anhäufung von Zahlungsverkehrsdaten bei einem Unternehmen mit ohnehin schon
problematischer Datenmacht und die Aushöhlung des staatlichen Geld- und Währungsmonopols
lehnen wir ab und werden Libra nicht zulassen.
Versicherungen und Pensionsfonds stecken derzeit in finanziellen Problemen, weil sich ihre
Zinserwartungen nicht erfüllt haben. Die große Koalition hat widerholt Maßnahmen
eingeläutet, um die Krise der Versicherer einseitig auf Kosten der Kunden zu lösen. Diese
Politik lehnen wir entschieden ab. Wir werden im Falle einer Schieflage einer Versicherung
eine faire Lastenverteilung zwischen den Eigentümer*innen der Unternehmen und den Kund*innen
gewährleisten. Das Volumen des Sicherungsfonds Protektor ist im Falle einer Krise viel zu
gering. Um Abhilfe zu schaffen, muss das Volumen des Fonds deutlich erhöht werden. Auch
sollte ein europäisches Rückversicherungssystem eingeführt werden. Außerdem werden wir es
nicht mehr gestatten, dass die Unternehmen Versicherungsverträge ohne die Zustimmung der
Kund*in weiterverkaufen.
Die Finanzberatung muss sich grundlegend wandeln. Durch Provisionen kommt es heute dazu,
dass Anleger*innen nicht die passenden Produkte empfohlen werden, sondern die mit den
höchsten Provisionen. Mit dem schrittweisen Übergang zur Honorarberatung – die Kund*in zahlt
die Beratung also nicht mehr indirekt über die Provision, sondern direkt an die Berater*in,
dafür ist das Produkt dann günstiger – wird sich die Qualität der Beratung verbessern und
sich das Berufsbild der Berater*innen wandeln. Als Zwischenschritt sollen Finanzinstitute
Verträge mit Beitragskalkulationen inklusive und exklusive Provisionen bereitstellen.
Der Finanzsektor ist entscheidend für mehr Klimaschutz. Klimarisiken, die in Konzern- und
Bankbilanzen schlummern, sollten bei der Bewertung durch Rating-Agenturen und die
Finanzmarktaufsicht berücksichtigt werden, zum Beispiel durch Klima-Stresstests für Banken
und Versicherungen oder durch Aufschläge bei Eigenkapitalanforderungen zu Finanzierungen,
die hohe Klima- und Umweltrisiken bergen. Besonders Finaninstitute in öffentlicher Hand, wie
deutsche und europäische Förderinstitute, aber auch öffentlich-rechtliche Sparkassen müssen
ihre Investitionen in Kohle-, Öl- und Gas-Konzerne, die Geschäfte auf Kosten des Klimas
machen, beenden. Zudem müssen staatliche Garantien in der Exportförderung im Einklang mit
dem Pariser Klimaabkommen stehen.
Die Europäische Zentralbank kann ebenfalls einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Sie sollte
Klimaschutzziele bei der Entscheidung berücksichtigen, welche Vermögenswerte sie als
Sicherheit akzeptiert und welche sie im Rahmen der quantitativen Lockerung ankauft.
Ein Bürger*innenfonds für stabile und rentable Anlagemöglichkeiten
Damit die Bevölkerung in Deutschland mehr von den volkswirtschaftlichen Gewinnen der
Wirtschaft profitieren kann, schlagen wir die Errichtung eines Bürger*innenfonds vor. Er
soll all den Bürger*innen eine Beteiligung an Wohlstandsgewinnen sichern, deren Einkommen zu
klein sind, um selbst Vermögen in Aktien, Immobilien oder anderen Werten anzusparen. In den
Bürger*innenfonds zahlt jede Bürger*in automatisch einen bestimmten Teil seines Einkommens
ein. So stellen wir für den Fonds eine hohe Anlagesumme sicher und senken damit die
Verwaltungskosten. Wer aber andere Formen der Anlage bevorzugt, kann der Einzahlung in den
Bürger*innenfonds einfach widersprechen (Opt-out). Um Fehler von Riester zu vermeiden, wird
der Fonds keine Zinsgarantien gewähren, weil sie die Rendite mindern. Sicherheit werden wir
stattdessen über eine breit gefächerte, diversifizierte, nachhaltige und langfristige
Anlagestrategie gewährleisten. Der Bürger*innenfonds bietet also Menschen, die kleine
Ersparnisse haben, eine risikoarme und vor allem extrem preiswerte Anlageform. Auch die
Wirtschaft wird von diesem Fonds profitieren. Denn es tritt ein gewünschter Nebeneffekt ein:
Das Kapital ist nicht von einer kurzfristigen Renditeerwartung getrieben, sondern einer
nachhaltigen Anlageentwicklung verpflichtet.
14. Gemeinwohlorientierte Unternehmen stärken
Im Bereich der sozialen und technischen Infrastruktur (Gesundheit, Bildung, Energie, Wasser,
Transport), in deren Rahmen für das Leben der Bürger*innen grundlegende Güter und
Dienstleistungen zur Verfügung gestellt werden, muss dem öffentlichen Sektor eine wichtige
Funktion zukommen. Die Privatisierung öffentlicher Unternehmen im Bereich der öffentlichen
Pflichtaufgaben der Daseinsvorsorge lehnen wir ab, die Ausbreitung kommerzieller Träger
wollen wir begrenzen. Außerdem muss die Gemeinwohlorientierung von Unternehmen gestärkt
werden.
Viele Unternehmen engagieren sich bereits jetzt für ökologische und soziale Ziele. Immer
mehr Unternehmen schreiben diese gesellschaftlichen Ziele parallel zum wirtschaftlichen
Erfolg verbindlich fest. Diese ökonomische Bürger*innenbewegung werden wir systematisch
stärken. Unser Ziel ist eine Gründungswelle neuer Genossenschaften und von sozial-ökologisch
inspirierten Unternehmen. Dabei wollen wir auch eine Unternehmensrechtsform ermöglichen, die
eine vollständige Vermögensbindung (asset-lock) erlaubt, so dass das Unternehmen nicht mehr
von Vermögenseigentümer*innen sondern von Verantwortungseigentümer*innen gehalten wird.
Öffentliche Finanzierungsprogramme der Wirtschaftsförderung, Informationsangebote für
Gründer*innen und Beratungsangebote für Unternehmen werden wir systematisch für alle
Unternehmungen öffnen. So wollen wir auch Genossenschaften, Social Startups und Vereine
stärken, die wirtschaftlich aktiv sind.
Die Unternehmen der sozialen und solidarischen Ökonomie brauchen attraktive Rechtsformen.
Eine vereinfachte, allgemeinverständliche Mustersatzung für Genossenschaften wollen wir in
Zusammenarbeit mit den Genossenschaftsverbänden breit zugänglich machen. Kleine
Genossenschaften werden wir von einschlägigen Auflagen des Handelsrechts entlasten. Die
Überarbeitung der Rechtsformen soll ermöglichen, dass Unternehmen der solidarischen Ökonomie
sichtbarer werden und dadurch in Deutschland und in Europa besser vertreten sind.
Sozialgenossenschaften sollen künftig nicht mehr durch ein faktisches Kombinationsverbot von
bezahlter und ehrenamtlicher Arbeit behindert werden. In eine gesetzliche Reserve
eingestellte Gewinne wollen wir von der Körperschafts- und Gewerbesteuer freistellen. So
stärken wir die Eigenkapitalbasis und Investitionsfähigkeit von Genossenschaften. Auf
europäischer Ebene setzen wir uns für ein Label von Produkten aus der sozialen und
solidarischen Ökonomie ein. Wer keinen Gewinn machen will, ist auf eine günstige
Finanzierung angewiesen. Wir wollen Sozialunternehmen diese bereitstellen, zum Beispiel über
Kreditprogramme der öffentlichen Förderbanken.
So unterstützen wir die Förderung kooperativer und regionaler Unternehmensformen und damit
die Stärkung lokaler Wirtschaftsstrukturen stärkt. Damit begünstigen wir engere Beziehungen
zwischen Konsumierenden und Produzierenden und regionalisieren Wertschöpfungsketten.
Zugleich gilt es, den Bürgerenergiegenossenschaften die regulativen Fesseln abzunehmen,
damit sie wieder zu kraftvollen Akteuren der Energiewende werden. Wir wollen die EU-
Richtlinie über den Elektrizitätsbinnenmarkt so wirtschaftsfreundlich in deutsches Recht
übersetzen, dass die Bürger*innenenergie umfassend gestärkt wird. Beim Mieter*innenstrom
wollen wir hinderliche Preisvorgaben abschaffen, um dezentrale Investitionen in Erneuerbare
zu ermöglichen.
Viele Unternehmen engagieren sich im Rahmen der Gemeinwohlökonomie. Wir wollen, dass auch
Unternehmen im Bundesbesitz Gemeinwohlbilanzen erstellen oder in die Finanzbericht
integrierte sozial-ökologische Kriterien gleichwertig mit den finanziellen Kriterien
berichten. Eine Verankerung von Gemeinwohlbilanzen oder der integrierten Bilanzierung von
sozial-ökologischen Kriterien wollen wir über die CSR (Corporate Social Responsibility-)
Richtlinie hinaus im europäischen und deutschen Recht verankern. Auch heutige
gewinnorientierte Rechtsformen wie die Aktiengesellschaft sollen sich per Mehrheitsbeschluss
künftig andere Ziele geben können als die Maximierung des Profits, ohne dass sie dem Risiko
ausgesetzt sind, dass Minderheitsgesellschafter*innen dagegen klagen.
15. Investitionen solide und gerecht finanzieren
Wir wollen die öffentlichen Investitionen deutlich steigern. Ein Land, in dem jede achte der
insgesamt 40.000 Brücken marode ist, das weniger Geld in Bildung steckt als fast all seine
Nachbarländer, das für seine Funklöcher berüchtigt ist statt berühmt für seine Smartphones,
ein solches Land lebt von vergänglicher Substanz. Es wird dauern, die politischen Vorzeichen
auf Vernunft zu drehen. Umso wichtiger ist es, jetzt damit zu beginnen. Investitionen
schaffen öffentliche Güter. Sie kosten Geld, aber wenn in das Richtige, Zukunftsfähige
investiert wird, schaffen sie Wohlstand. Jede Ausgabe, die der Staat so tätigt, führt in der
Wirtschaft zu Einnahmen und es werden Jobs geschaffen. Für einen Euro, den wir klug
investieren, kann unsere Wirtschaftsleistung um deutlich mehr als einen Euro steigen. Eine
stärkere Investitionspolitik steht dabei auch im Zeichen der Generationengerechtigkeit, denn
zukünftige Generationen haben nichts davon, wenn sie in ein paar Jahrzehnten zwar mit einer
Schwarzen Null, aber auch einer vollkommen kaputt gesparten Infrastruktur dastehen.
Wir wollen diese Investitionen finanzieren, indem wir Fehlanreize abstellen, Gelder
umschichten und gezielt Investitionen über Kredite ermöglichen. Wir unterscheiden dabei
zwischen einmaligen Investitionen und dauerhaften Ausgaben. Diese dauerhaften Ausgaben zum
Beispiel für Bildung und Gerechtigkeit sind für den sozialen Ausgleich und den Zusammenhalt
der Gesellschaft essenziell. Diese dauerhaften Ausgaben wollen wir durch laufende
Steuereinnahmen, eine gerechtere Besteuerung von Vermögen und die Bekämpfung von
Steuerbetrug und -umgehung gegenfinanzieren.
Bisher scheitern Investitionsprogramme auch an mangelnden Kapazitäten in der Bauwirtschaft
oder in den Planungsabteilungen des öffentlichen Dienstes. Unsere Investitionspolitik ist
deshalb verlässlich und langfristig angelegt, so dass sowohl die private Bauwirtschaft als
auch der öffentliche Dienst wieder mehr Kapazitäten aufbauen können. Wir investieren
dauerhaft und nachhaltig.
Investitionsgesellschaften gründen
Viele Investitionen schaffen werthaltige Wirtschaftsgüter, mit denen sich Einnahmen erzielen
lassen. Eine Stromleitung erzielt Einnahmen durch den durchgeleiteten Strom. Das gleiche
gilt analog für Ladeinfrastruktur für Elektroautos, Breitband für Internet und vieles
andere. Um diese Investitionen effizient durchzuführen, werden wir sie jeweils in
öffentlichen Investitionsgesellschaften bündeln, darüber finanzieren und stringent managen.
Damit werden wir nachhaltige Werte für die nächste Generation schaffen, die sich auch
wirtschaftlich rechnen, insbesondere in Zeiten von Nullzinsen, ja mitunter sogar negativer
Zinsen.
Die grundgesetzlichen Regelungen zur Schuldenbremse sehen vor, dass die Verschuldung von
öffentlichen Gesellschaften wie zum Beispiel der Bahn, Wohnungsbaugesellschaften oder
öffentlichen Krankenhäusern nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Das gleiche
gilt für die neu zu gründenden Investitionsgesellschaften. Daher werden wir sie aus dem
Investitionsfonds mit genügend Eigenkapital ausstatten, damit sie sich wie jedes private
Unternehmen auch am Finanzmarkt selbst zusätzliches Kapital besorgen können. Der Bund gibt
für diese Kreditaufnahme eine Staatsgarantie. So könnte der Bund zum Beispiel eine
Ladesäulengesellschaft neu gründen, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben für
Wohnungsneubau und Gebäudesanierung eine Kreditaufnahme erlauben und die Verschuldungsgrenze
bei der Deutsche Bahn erhöhen. Good Governance und demokratische Beteiligung sollen für
Transparenz und Kontrolle sorgen. Die Regierung muss steuern können und für Parlament und
Öffentlichkeit müssen Entscheidungen und Mittelverwendung transparent sein. Die
Privatisierung dieser Gesellschaften wollen wir dauerhaft ausschließen, damit öffentliches
Vermögen auch öffentlich bleibt.
Die Begrenzung der Staatsschulden mit Investitionen in Infrastruktur kombinieren
Es war richtig, dass sich Deutschland Regeln gegeben hat, die dafür sorgen, dass es nicht zu
exzessiver Verschuldung der öffentlichen Hand kommt. Sie haben – gemeinsam mit der
Geldpolitik der Europäischen Zentralbank – geholfen, die Verschuldung einzudämmen. In
Deutschland ist die Schuldenquote so von 80 Prozent auf unter 60 Prozent der
Wirtschaftsleistung zurückgegangen. An diesem Erfolg wollen wir festhalten.
Aber nicht nur Schulden im Haushalt sind Schulden. Wenn wir jetzt nicht in Bildung,
Innovation und Forschung sowie in Maßnahmen zum Klimaschutz investieren, verspielen wir
unseren zukünftigen Wohlstand. Außerdem würden die Finanzmärkte, die immer auch sichere
Anlagemöglichkeiten wie Staatsanleihen brauchen, bei einem immer geringeren Schuldenstand
nicht mehr stabil funktionieren, weil ihnen sichere Anlagemöglichkeiten fehlen. Wir wollen
daher die Schuldenbremse im Rahmen der europäischen Stabilitätskriterien weiterentwickeln
und sie mit einer verbindlichen Investitionsregel verknüpfen. Wenn der Bund mehr investiert
als sein Vermögen an Wert verliert – wenn er also neue Werte schafft – soll dies auch durch
die Platzierung von neuen Anleihen finanziert werden können. Die öffentlichen Investitionen
sollen mindestens so hoch sein, dass sich das öffentliche Vermögen nach Abnutzung und
Wertverlusten mindestens im Gleichklang mit der Wirtschaftsleistung bewegt.
Diese Möglichkeit ist für Deutschland entsprechend den europäischen Vorgaben daran gebunden,
dass die öffentliche Schuldenquote unterhalb der Maastricht-Marke von 60 Prozent des BIP
liegt und das strukturelle Defizit maximal ein Prozent der Wirtschaftsleistung beträgt.
Durch diese Beschränkungen ist sichergestellt, dass die Schuldenquote sogar weiter fallen
würde. Das gilt umso mehr, als dadurch zusätzliche Nachfrage und damit wirtschaftliche
Entwicklung entsteht. Gerade im Falle eines bevorstehenden Abschwungs halten wir diese
Möglichkeit für sinnvoller als etwa pauschale Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen, denn
diese würden den Abschwung noch verschärfen. Das wäre das Gegenteil einer nachhaltigen
Finanzpolitik.
Durch unseren Vorschlag dürfte der Bund im Durchschnitt etwa 35 Milliarden Euro pro Jahr
Kredite aufnehmen. Diese Gelder wollen wir in einen Bundesinvestitionsfonds überführen, der
als Sondervermögen im Bundeshaushalt nicht der Jährlichkeit des Haushalts unterliegt. Er
kann dann zweckgebunden investieren und auch eine stärkere antizyklische Wirkung entfalten.
Um den Investitionsfonds abzusichern und sauber zu implementieren, streben wir eine Änderung
des Grundgesetzes an.
Für eine optimale Steuerung von Staatsschulden und Investitionen erhalten Länder und
Kommunen einen verbindlich vereinbarten Anteil aus den Mitteln des Bundes-Investitionsfonds,
an dem alle Länder partizipieren und selbst entscheiden können, für welchen der vorgegebenen
investiven Zwecke sie die Mittel einsetzen.
Es ist richtig, dass die Maastricht-Kriterien die Staatsverschuldung auch auf europäischer
Ebene begrenzen. Bei der anstehenden Reform wollen wir die Anreize für staatliche
Investitionen im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts verbessern. Zum Beispiel indem
Investitionsausgaben bei der Berechnung der Defizitquoten ähnlich wie private Investitionen
über mehrere Jahre abgeschrieben werden können. Damit stärken wir öffentliche Investitionen
gerade in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs. Außerdem unterstützen wir Bestrebungen,
die Europäische Investitionsbank in eine Bank für Investitionen für die sozial-ökologische
Transformation umzubauen und setzen uns für einen stärkeren europäischen Haushalt ein. Wir
kommen beim Klimaschutz, bei Innovationen und dem sozialen Zusammenhalt besser und schneller
gemeinsam voran. Dafür sind wir auch bereit, einen größeren deutschen Beitrag für diesen
europäischen Mehrwert zu verteidigen.
1 Wir beschreiben im Antrag „Handeln – und zwar jetzt“ ausführlich unseren Maßnahmenplan für
einen radikal realistischen und sektorenübergreifenden Klimaschutz.