Antrag: | Klimakrise: eine Frage globaler Gerechtigkeit |
---|---|
Antragsteller*in: | Bundesvorstand (dort beschlossen am: 24.10.2019) |
Status: | Geprüft |
Verfahrensvorschlag: | Übernahme |
Eingereicht: | 25.10.2019, 14:23 |
WKF-10 (ehm V-29)-357: Klimakrise: eine Frage globaler Gerechtigkeit
Antragstext
Von Zeile 357 bis 358 einfügen:
Für die adäquate humanitäre Unterstützung auch von Katastrophenvertriebenen wollen wir die internationale humanitäre Hilfe erhöhen und deren schnelle Koordinierung gewährleisten. Wir
Die Klimakrise führt zu einschneidenden Veränderungen in der Welt – schon heute. Für
Millionen von Menschen weltweit ist die Erderwärmung längst kein theoretisches Phänomen
mehr. Tagtäglich erleben sie die Zerstörung ihrer Gegenwart. Klimakrise bedeutet für sie
Wüstenbildung, Ernteverlust, Versalzung der Böden, Wasserknappheit, Überschwemmung oder
Hitzewelle. Extreme Wetterereignisse nehmen zu, Ökosysteme und Lebensgrundlagen werden
zerstört, Hunger und Armut verschärft.
Klimakrise, das ist aber auch der unermessliche Verlust von sicherem Zuhause, von Heimat,
von jahrtausendealten Kulturgütern. Die Zahl der Vertriebenen durch klimabedingte Ereignisse
hat sich seit den 70er-Jahren vervierfacht. Heute werden innerstaatlich mehr Menschen durch
umweltbedingte Katastrophen wie Fluten und Stürme als durch Gewalt und Konflikte vertrieben.
Das Internal Displacement Monitoring Centre geht in der Zeit von 2008 bis 2017 von
durchschnittlich mehr als 24 Millionen erstmals Vertriebenen pro Jahr aus. Tendenz:
steigend.
Mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens im Jahr 2015 und der Verabschiedung des
Regelbuches in Kattowitz hat die Staatengemeinschaft die Klimakrise als gemeinsame, globale
Herausforderung anerkannt und sich darauf verständigt, die Erderwärmung auf unter zwei Grad
Celsius und möglichst unter 1,5 Grad Celsius bis 2100 zu beschränken. Expert*innen zufolge
befinden wir uns momentan auf dem Weg hin zu einer Erderwärmung von mindestens 3,2 Grad
gegenüber vorindustrieller Zeit. Zahlreiche Schätzungen liegen deutlich höher. Bereits zwei
Grad Erderwärmung würden derweil ausreichen, um ganze Staaten wie das im Pazifik liegende
Tuvalu komplett verschwinden zu lassen.
Als – historisch wie aktuell – Hauptmitverursacher der Erderwärmung und als weltweit
einflussreiche Multiplikatoren kommt es vor diesem Hintergrund ganz entscheidend auf
Deutschland und die Europäische Union an. Die eigene, ambitionierte Umsetzung des Pariser
Klimaabkommens und der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung müssen oberste Priorität
erlangen. Wir müssen mit bestem Beispiel vorangehen, internationaler Vorreiter im
Klimaschutz werden und die globale Nachhaltigkeitsagenda spürbar beschleunigen. Das jüngst
verabschiedete, völlig unzureichende „Klimapaket“ und der erschreckende Mangel greifbarer
Ergebnisse im Rahmen des letzten High Level Political Forum zur Umsetzung der nachhaltigen
Entwicklungsziele haben erneut gezeigt: Die aktuelle Bundesregierung wird dem nicht
ansatzweise gerecht.
Dabei wird das Zeitfenster, in dem wir noch gegensteuern können, um die schlimmsten Folgen
der Klimakrise abzumildern, bedrohlich klein. Wir bleiben deshalb dabei: Deutschland muss
eine umfassende Kehrtwende in allen Sektoren einleiten, ein besonderes Augenmerk auf
Politikkohärenz und strukturelle Reformen legen – und auf den Kurs zur Einhaltung der
Pariser Klimaziele und der Nachhaltigkeitsziele einlenken.
Selbst im besten Fall aber – wenn also die Emissionen drastisch reduziert werden sollten –
werden weiterhin und vermehrt Menschen im Kontext der Klimakrise ihr bisheriges Zuhause
verlassen müssen, um überleben zu können. Entsprechend ist und bleibt es zwar
selbstverständlich unsere Priorität, die Klimakrise mit allen Mitteln einzudämmen und dafür
zu sorgen, dass möglichst wenige Menschen ihre bisherige Heimat überhaupt verlassen müssen.
Letzten Endes ist es aber auch unsere Aufgabe und Verantwortung als Industriestaaten, eine
Antwort auf die Phänomene klimabedingter Migration und Flucht zu geben.
Global gerecht handeln, Menschenrechte schützen
In vielfacher Hinsicht ist die Klimakrise eine Krise der globalen Gerechtigkeit: Während
sich auch bei uns die extremen Wetterereignisse verdichten, trifft die Klimakrise in erster
Linie den globalen Süden – und damit just jene Regionen dieses Planeten, die historisch
betrachtet am wenigsten zur Erderwärmung beigetragen haben. In den betroffenen Regionen
wiederum sind besonders jene betroffen, deren Existenz auf natürlichen Ressourcen beruht und
die die geringsten Möglichkeiten haben, sich vor Naturgefahren zu schützen oder auf
klimatische Veränderungen zu reagieren: Frauen, Kinder, Minderheiten.
Dabei wirkt die Klimakrise nicht nur unmittelbar auf die Lebensrealität vor Ort ein, sondern
verschärft bereits bestehende Probleme zum Teil erheblich. Konflikte um immer knappere
Ressourcen nehmen zu. Elementare Menschenrechte wie das Recht auf Nahrung, Wasser, Wohnen,
Bildung, Gesundheit, eine saubere Umwelt und ein Leben in Würde – Menschenrechte also, die
im globalen Süden ohnehin unter besonderem Druck stehen – werden infolge der Klimakrise
zunehmend verletzt.
Der klimapolitische Stillstand der Industrienationen ist somit auch deshalb nicht weiter
hinnehmbar, da der Status Quo zu einer steten Verletzung universeller Menschenrechte in
anderen Teilen der Welt führt. Im Umkehrschluss sind die konsequente, gender-responsive und
inklusive Umsetzung des Pariser Klimaabkommens und der Agenda 2030 für nachhaltige
Entwicklung nicht nur klima- oder entwicklungspolitisch geboten – sondern Ausdruck
historischer Verantwortung, globaler Gerechtigkeit und des Menschenrechtsschutzes zugleich.
Mit dem Pariser Klimaabkommen haben wir uns dem Ziel der Klimagerechtigkeit verpflichtet.
Auf Grundlage „gemeinsamer, aber unterschiedlicher Verantwortlichkeiten“ wurde vereinbart,
dass Länder mit großem ökologischem Fußabdruck entsprechend Verantwortung übernehmen und mit
den Ländern des globalen Südens nach gemeinsamen Lösungen suchen. Die konsequente
Implementierung der vereinbarten Maßnahmen ist also bei Weitem kein Almosen. Vielmehr stehen
wir – historisch, aber auch vertraglich – in der Verantwortung für Weltzusammenhänge, die
wir mitverursacht haben und weiterhin mit verursachen.
Das bedeutet dann auch, aktiv die Einhaltung und den Schutz der Menschenrechte einzufordern
und zu verteidigen. Beides nämlich – der Schutz der Menschenrechte und der Einsatz gegen die
Klimakrise – sind zwei Seiten derselben Medaille, führt die Klimakrise doch ebenso zu
Menschenrechtsverletzungen wie letztere die Anpassung an die Klimakrise erschweren. Die
Kriminalisierung von Menschen- und nicht zuletzt Frauenrechtsverteidiger*innen weltweit
erfordert eine gleichsam deutliche und spürbare Reaktion der internationalen
Staatengemeinschaft wie die systematische Verfolgung der derzeit besonders gefährdeten
Landrechts- und Umweltaktivist*innen.
Natürlicherweise kommt vor diesem Hintergrund dem UN-Menschenrechtsrat sowie bestehenden UN-
Sonderberichterstatter*innen – für Umwelt und Menschenrechte, für die Menschenrechte von
Migrant*innen, für die Menschenrechte von Binnenvertriebenen – eine entscheidende Rolle zu.
Wir setzen uns dafür ein, dass Menschenrechtsverstöße im Kontext der Klimakrise nicht
zuletzt auf UN-Ebene noch sehr viel stärker in den Fokus rücken, genauer klassifiziert und
menschenrechtliche Entwicklungen im Kontext klimabedingter Migration und Flucht gezielter
beobachtet werden.
Zugleich setzen wir uns für eine völkerrechtliche Verankerung der UN-Leitprinzipien für
Wirtschaft und Menschenrechte ein. Der bisherige Ansatz, auf unternehmerische
Selbstverpflichtung zu setzen, ist gescheitert. Eine wirksame Ausrichtung globaler
Produktions- und Lieferprozesse auf die strikte Einhaltung der völkerrechtlich verbrieften
Menschenrechte – inklusive der Menschenrechte dritter Generation, insbesondere des Rechts
auf eine saubere Umwelt – setzt ein verbindliches UN-Rahmenwerk voraus. Vor diesem
Hintergrund bietet insbesondere der Binding-Treaty-Prozess auf Ebene der Vereinten Nationen
die konkrete Chance, ein globales und rechtsverbindliches Abkommen zu erreichen. Diesen
Prozess wollen wir unterstützen.
Resilienzaufbau und Anpassungsmaßnahmen verstärken, Schäden und Verluste kompensieren
Mit dem Pariser Klimaabkommen und der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung haben sich
Deutschland und andere Industrienationen dazu verpflichtet, die Gefahren für die
verletzlichsten Menschen abzuwenden und deren Widerstandskraft gegen die Erderwärmung
stärken zu helfen. Das bedeutet, von der Klimakrise besonders betroffene Länder technisch
wie finanziell zu unterstützen und sie nicht mit den Folgen der Erderwärmung allein zu
lassen. Deutschland und die Europäische Union sollten sich international dafür stark machen,
dass den vom Klimawandel betroffenen Menschen in ihren Heimatländern eine umfangreiche
internationale Unterstützung zur Anpassung an den Klimawandel und eine gerechte Kompensation
für entstandene Schäden zukommt.
Die bisher für den Green Climate Fund international zugesagten 100 Milliarden US-Dollar
jährlich ab 2020 decken nicht annähernd die bestehenden und zu erwartenden Bedarfe – umso
mehr, als ausdrücklich nur Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen abgedeckt sind, der
Ausgleich von Schäden und Verlusten (Loss and Damage) aber nicht. Wir setzen uns dafür ein,
dass die 100 Milliarden US-Dollar nicht nur sichergestellt, sondern aufgestockt werden,
explizit auch für Maßnahmen zur Prävention und Reduktion klimabedingter Vertreibung. Konkret
wollen wir den deutschen Beitrag zur internationalen Klimafinanzierung auf den fairen Anteil
von jährlich acht Milliarden Euro anheben und langfristig ohne Verrechnung mit der
Entwicklungszusammenarbeit darstellen. Dazu wollen wir jährlich 1,2 Milliarden Euro
zusätzlich für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit sowie 800 Millionen Euro für den
internationalen Klima- und Biodiversitätsschutz bereitstellen.
Zugleich wollen wir zusätzliche Mittel für Schäden und Verluste, unter anderem auch für
Umsiedlungen im Rahmen klimabedingter Migrationsbewegungen, bereitstellen. Dazu wollen wir
einen globalen Verursacherfonds zur fairen Lastenverteilung schaffen. Vorschläge
einschlägiger Expert*innen zu dessen teilweisen Finanzierung reichen von einer Climate
Damages Tax über eine international erhobene Abgabe auf Flugtickets bis hin zum anteiligen
Ertrag aus Steuern auf CO2, Finanztransaktionen oder Vermögen. Entsprechende Debatten gehen
nur schleppend voran; auch die Bundesregierung agiert, gemessen an der tatsächlichen
Dringlichkeit, sträflich zurückhaltend. Das wollen wir ändern. Wir wollen, dass sich
Deutschland proaktiv an einer zielgerichteten Debatte über die Einrichtung eines globalen
Verursacherfonds, über dessen Ausmaß, über eine Beitragsgewichtung gemäß Verursacherprinzip
sowie über mögliche Finanzierungsinstrumente beteiligt. Spürbarer Fortschritt auf diesem
komplexen Gebiet ist überfällig und dürfte entscheidend sein für die Frage, ob wir es als
internationale Staatengemeinschaft schaffen, die Erderwärmung nicht nur drastisch
einzudämmen, sondern unsere globale Antwort auf die Klimakrise solidarisch und gerecht
auszugestalten.
Ebenso wird es darauf ankommen, effektiven Rechtsschutz für diejenigen zu ermöglichen, die
durch die Folgen der Klimakrise konkrete Schäden und Verluste erleiden – insbesondere,
solange die Verursacherstaaten selbst nicht bereit sind, ausreichende finanzielle Mittel für
den Umgang mit Loss and Damage zur Verfügung zu stellen. Deshalb setzen wir uns für die
Stärkung des Rechtswegs und des Instruments der Klimaklagen ein, unter anderem indem wir
finanzielle Mittel für Pionierklagen und strategische Prozessführung bereitstellen. Auch
wollen wir die Debatte um Klimarisikoversicherungen aktiv vorantreiben und dazu beitragen,
diese gemäß Verursacherprinzip auszugestalten und in ein breiteres Konzept zur
Risikominimierung einzubetten.
Schließlich wollen wir im Rahmen von Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe
gezielt Risikoregionen auf klimatische Veränderungen und den Katastrophenfall vorbereiten
helfen. Unter anderem wollen wir in Frühwarnsysteme investieren und Partnerländer dabei
unterstützen, die Schaffung eines erhöhten Bewusstseins für umwelt- und klimapolitische
Belange im Bildungs- und Ausbildungswesen voranzutreiben. Außerdem setzen wir uns dafür ein,
dass Maßnahmen zur Risikominderung in den jeweiligen nationalen Systemen verankert und mit
wirksamen Rechtsvorschriften untermauert werden.
Migration, Flucht und Vertreibung im Kontext der Klimakrise
Selbst, wenn wir es schaffen sollten, die Ziele von Paris vollumfänglich einzuhalten, bleibt
die Erderwärmung eine Realität. Menschen werden gezwungen sein, umzusiedeln – weil ihr Boden
vertrocknet, weil durch den steigenden Meeresspiegel ihre Häuser unterspült werden, weil der
nahegelegene Staudamm unter der Last der schmelzenden Gletscher zu bersten droht. Die
Internationale Organisation für Migration (IOM) definiert klimabedingte Migrant*innen vor
diesem Hintergrund als „Personen oder Personengruppe, die aufgrund plötzlicher oder
fortschreitender deutlicher Veränderungen der ihr Leben beeinflussenden Umwelt- und
Lebensbedingungen gezwungen sind oder sich veranlasst sehen, ihre Heimat zu verlassen, sei
es zeitweise oder permanent, und die sich innerhalb ihres Heimatlandes oder über dessen
Grenzen hinaus bewegen“.
Wie viele Menschen letztlich betroffen sein werden, ist schwer zu erfassen. Aktuelle
Schätzungen variieren stark. Denn erstens wissen wir nicht, wie hoch die Erderwärmung
letztlich ausfallen wird. Zweitens hängt vieles davon ab, wie verletzlich Menschen im
jeweiligen Einzelfall gegenüber Klimaveränderungen sind – und wie gut sie sich daran
anpassen können. Drittens erfolgt Migration, so es denn tatsächlich dazu kommt, in den
seltensten Fällen aus nur einem, trennscharf zu ermittelndem Grund. Persönliche Erwägungen,
Umweltaspekte und die Klimakrise stehen in einem komplexen Verhältnis zueinander. Umwelt-
und Klimaveränderungen verlaufen oft schleichend, was die Ermittlung einer konkreten
Kausalität weiter erschwert. Und es muss auch nicht jede Entscheidung, sein Zuhause zu
verlassen, endgültig sein. Kurzum: Klimabedingte Migration ist ein komplexer Prozess.
Entsprechend unterschiedlich sind aktuelle Modellrechnungen. Die jüngste Studie des UN-
Klimarats (IPCC) geht davon aus, dass selbst beim Erreichen des zwei-Grad-Ziels bis zum Jahr
2050 bis zu 280 Millionen Menschen vertrieben werden, innerhalb ihres jeweiligen Landes und
über die Grenzen hinaus. Die Weltbank wiederum geht in ihrer Groundswell-Studie aus dem Jahr
2018 von einem Szenario von 140 Millionen klimabedingt Vertriebenen allein in Sub-Sahara-
Afrika, Südasien und Südamerika bis 2050 aus. Allerdings legt sie auch dar, dass circa 80
Prozent der Vertreibung durch ambitionierte Minderung und Anpassung vermeidbar seien. In
jedem Fall wird es darauf ankommen, die bestehenden Datenlücken auf dem Gebiet der
klimabedingten Migration, Flucht und Vertreibung bestmöglich zu schließen und entsprechende
Forschungsvorhaben zu unterstützen – gerade auch mit Blick auf komplexe Phänomene wie
Migrationsbewegungen infolge schleichender Umweltveränderungen. Dafür machen wir uns stark.
Gleichzeitig gibt es Situationen, die sich deutlich klarer darstellen lassen. Insbesondere
die Bewohner*innen tiefergelegener Inselstaaten, vor allem im Pazifik, sind mit der
Notwendigkeit einer mittelfristigen Umsiedlung sehr direkt konfrontiert. Erderwärmung
bedeutet für sie nicht nur den Verlust von materiellen Gütern und Staatsgebiet, womöglich
gar von de facto oder de jure Staatsangehörigkeit; die Klimakrise wird mit allerhöchster
Wahrscheinlichkeit auch hohe finanzielle Kosten verursachen – und die Aufgabe von heiligem
Land und traditioneller Lebensweise, von Kultur und Souveränität bewirken. All das gilt es,
frühzeitig und planbar anzugehen. Das Unvermeidbare wird nicht vermieden werden, indem wir
uns einer vorausschauenden Reaktion verweigern.
Die Unterscheidung und Analyse unterschiedlicher Formen klimawandelbedingter
Wanderungsbewegungen jedenfalls sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass wir adäquate
Instrumente und Politiken entwerfen. Insbesondere wird es darauf ankommen, dass wir
Möglichkeiten vorausschauender Planung für die Betroffenen schaffen; dass diese also
selbstbestimmt und frühzeitig über eine mögliche Umsiedlung entscheiden können; dass es aber
auch Orte gibt, an denen sie sich niederlassen können. Andererseits wird es natürlich auch
zu Situationen plötzlicher Flucht im Kontext der Klimakrise kommen, nach Stürmen oder
Überschwemmungen zum Beispiel – die erwiesenermaßen durch die Klimakrise verstärkt oder
beschleunigt werden.
Erste konkrete Fallbeispiele unterstreichen vor diesem Hintergrund die Komplexität und
Vielschichtigkeit klimabedingter Migration, Flucht und Vertreibung. In Äthiopien
beispielsweise spricht das Auswärtige Amt von fast drei Millionen Binnenvertriebenen.
Darunter seien nach Schätzungen rund eine halbe Million aufgrund von klimatischen Faktoren,
primär infolge anhaltender Dürre geflohen. Andere Expert*innen gehen hingegen von circa 1,4
Millionen Menschen aus, die im Kontext der Klimakrise vertrieben wurden.
In jedem Fall wirkt die Klimakrise in Äthiopien wie ein Multiplikator bereits bestehender
Probleme und Konflikte; sie interagiert mit anderen Faktoren auf vielfache Weise und führt
zu wechselseitiger Verstärkung. Nichtstun ist keine Option. Die internationale Gemeinschaft,
allen voran die Industriestaaten müssen Antworten finden auf Fragen von Verantwortlichkeit
und Schutzbedarfen, von globaler Gerechtigkeit, von völkerrechtlichen Handlungsoptionen. Wir
wollen uns dieser Mammutaufgabe stellen.
Bestehende internationale Prozesse unterstützen, Ownership und Koordinierung sicherstellen
Im Bereich der klimabedingten Migration, Flucht und Vertreibung bestehen international
bereits unterschiedlichste politische Prozesse, Plattformen und Mechanismen. Innerhalb der
internationalen Klimaarchitektur gibt es den Warschau-Mechanismus für Verluste und Schäden,
der im Rahmen der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) eine Taskforce on Displacement eingerichtet
hat. Diese hat erste Empfehlungen schon vorgelegt. Ein Mitglied der Taskforce wiederum ist
die Platform on Disaster Displacement als eine staatengeleitete Plattform mit Sitz in Genf,
die mit verschiedenen Stakeholdergruppen mögliche Lösungsansätze im Bottom-up-Verfahren
entwickelt sowie zur Verbesserung der globalen Datenlage und -analyse beiträgt. Sie hat sich
insbesondere der Förderung des Austauschs bestehender guter Praktiken zwischen beteiligten
Staaten und Akteur*innen verschrieben, die Katastrophenvertriebenen bereits seit Jahren
freiwillig und basierend auf solidarisch-humanitären Erwägungen grenzüberschreitend Aufnahme
und Schutz gewähren. Dabei treibt die Plattform die Umsetzung der Empfehlungen der Agenda
for the Protection of Cross-Border Displaced Persons in the Context of Disaster and Climate
Change, also der Nansen-Schutzagenda international voran und setzt sich beispielsweise dafür
ein, dass deren Ansätze in internationalen Verträgen verankert werden.
Wir werten es als großen Fortschritt, dass im Dezember 2018 der Komplex klimabedingter
Migration, Flucht und Vertreibung im Globalen Pakt für sichere, geordnete und reguläre
Migration sowie im Globalen Pakt für Flüchtlinge aufgenommen wurde. Bedauerlicherweise
bleibt die Umsetzung dieser Vereinbarungen für die Vertragsstaaten nur freiwillig, der
internationale Wille dazu zögerlich. Wir sprechen uns für eine konsequente Implementierung
und eine angemessene finanzielle wie strukturelle Unterstützung auch durch die deutsche
Bundesregierung aus.
Eines jedenfalls ist offenkundig: Es wird den einen großen internationalen Wurf zum Umgang
mit klimabedingter Migration, Flucht und Vertreibung auf absehbare Zeit nicht geben. Wir
machen uns deshalb dafür stark, dass Deutschland bestehende Arbeitsprozesse nach Kräften
politisch und finanziell unterstützt, sich gegenüber anderen Staaten insbesondere aus dem
Kreis der Industrieländer für diese Prozesse einsetzt, deren enge Anbindung an
Zivilgesellschaft und Forschung sicherstellt sowie gemeinsam mit möglichst vielen weiteren
Staaten bislang erarbeitete Empfehlungen und bestehende effektive Praktiken tatsächlich auch
umsetzt. Unter anderem wollen wir die Empfehlungen aus dem Globalen Pakt für sichere,
geordnete und reguläre Migration sowie dem Globalen Pakt für Flüchtlinge auf nationaler wie
europäischer Ebene vorantreiben. Auch die Empfehlungen der Taskforce on Displacement wollen
wir aufgreifen und in nationale wie europäische Politik integrieren.
Sämtliche Projekte und Politiken zum Schutz von klimabedingt Vertriebenen müssen dabei einem
menschenrechtsbasierten, partizipativen Ansatz folgen und die Rechte der besonders
verletzlichen Menschen sicherstellen. Gerade weil Frauen und Mädchen, marginalisierte
Gruppen und nicht zuletzt Indigene auf besondere Weise von der Klimakrise betroffen sind,
wollen wir ihnen eine Schlüsselfunktion in der Bewältigung zukommen lassen. Durch ihre
Lebenssituation sind sie oft die Ersten, die sich anpassen müssen, entwickeln das
entsprechende Wissen und Können – was sie zu Expert*innen und Gestalter*innen eines
nachhaltigen Wandels werden lässt.
Auf dem Weg hin zu Lösungsansätzen ist auch die Selbstbestimmung der betroffenen Staaten
essentiell. Der überwiegende Teil klimabedingter Migration, Flucht und Vertreibung findet
jeweils innerhalb eines betroffenen Landes oder in der Region statt. Umso zentraler wird es
sein, alle Debatten und Verhandlungen über eine vorausschauende und planbare Umsiedlung,
über Versorgung und Integration, über regionale Lösungsansätze und Mechanismen gemeinsam mit
den Betroffenen zu führen, Ownership sicherzustellen und die notwendige Finanzierung
gemeinsam zu garantieren.
Zugleich finden auch innerhalb und zwischen den einzelnen Arbeitsprozessen grundlegende
Überlegungen statt, wie sich die vielen Multi-Stakeholder-Prozesse auf den unterschiedlichen
Ebenen noch kohärenter koordinieren ließen. Dieses Ansinnen unterstützen wir ausdrücklich.
Nicht etwa im Widerspruch zum bestehenden Bottom-up-Ansatz; auch nicht, um einzelne
Initiativen institutionell zu binden; sehr wohl aber mit dem Ziel, dem Bereich
klimabedingter Vertreibung die notwendige Aufmerksamkeit zu verschaffen sowie perspektivisch
internationales Engagement und staatliche Verbindlichkeit auf Ebene aller
Unterzeichnerstaaten der UN-Klimarahmenkonvention zu steigern. Vor diesem Hintergrund machen
wir uns dafür stark, die Themenkomplexe „Schäden und Verluste“ sowie „klimabedingte
Migration, Flucht und Vertreibung“ – und damit die Arbeit der Taskforce on Displacement im
Rahmen der UNFCCC-Architektur – systematisch und in angemessenem Umfang auf der Tagesordnung
der jährlichen UN-Klimakonferenzen zu verankern. Auch unterstützen wir die unter anderem von
der Platform on Disaster Displacement geäußerte Idee, die Koordinierung innerhalb der
Vereinten Nationen sowie zwischen deren Agenturen zusätzlich durch die Einberufung eines
Sonderbeauftragen (Special Representative) beziehungsweise eines Sonderberaters (Special
Advisor) für klimabedingte Migration, Flucht und Vertreibung in der Struktur des UN-
Generalsekretariats zu verbessern.
Klimabedingte Migration: sicher, selbstbestimmt, planbar
Der Umgang mit Migration wird in Zeiten der Klimakrise zu einem ethischen Prüfstein für die
internationale Staatengemeinschaft. Was für Migration im Allgemeinen gilt, gilt auch im
Kontext der Klimakrise: Wir müssen Wege eröffnen, klimabedingte Migration sicher,
selbstbestimmt und möglichst planbar zu gestalten. Ganz im Sinne von Artikel 13 der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte setzen wir uns dafür ein, dass umweltinduzierte
beziehungsweise klimabedingte Migration rechtzeitig, würdevoll, selbstbestimmt, sicher und
vor allem legal ermöglicht wird – und dass den Betroffenen das Recht garantiert wird,
innerhalb ihres Landes, in der Region und gegebenenfalls über die eigene Region hinaus
umzusiedeln.
Die Umsetzung des Globalen Paktes für sichere, geordnete und reguläre Migration ist da ein
wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Insgesamt müssen sich Deutschland und Europa
deutlich stärker engagieren – bilateral ebenso wie im Rahmen internationaler Kooperationen.
Unter anderem haben wir deshalb ein Konzept für ein modernes Einwanderungsrecht mit
Punktesystem vorgelegt und sprechen uns für eine vereinfachte, gegebenenfalls auch temporäre
Arbeitsmigration aus – grundlegend und im Kontext der Klimakrise.
Die internationale Staatengemeinschaft muss sich darauf einigen, wie sie mit dem erwartbaren
Verlust ganzer Staatsgebiete umzugehen gedenkt. Wir machen uns dafür stark, dass
entsprechende Debatten und Verhandlungen mit deutlich mehr Nachdruck geführt werden als
bislang. Natürlich wird es auch hier darauf ankommen, eine frühzeitige und selbstbestimmte
Umsiedlung zu ermöglichen. Aber es geht um viel mehr. Wenn absehbar ist, dass beispielsweise
Inselstaaten im Pazifik vollständig verschwinden, müssen wir dringend festlegen, welche
Konsequenzen daraus für die Gewässerhoheit entstehen, insbesondere aber, ob die bisherigen
Bewohner*innen automatisch auch ihre Staatsangehörigkeit verlieren – und welche
völkerrechtlichen Folgen das für sie und ihren Schutzanspruch mit sich bringt. Für uns hat
es dabei oberste Priorität, dafür Sorge zu tragen, dass Staatenlosigkeit de facto und de
jure verhindert wird.
Vor diesem Hintergrund wollen wir auch die Idee eines Klimapasses international
vorantreiben, dessen individueller Ansatz den Betroffenen ermöglicht, selbstbestimmt über
ihre Migration zu entscheiden. Konkret böte der Klimapass von der Erderwärmung existenziell
bedrohten Personen die Option, Zugang zu Schutz und letztlich staatsbürgergleichen Rechten
in weitgehend sicheren Ländern zu erlangen – in der Region, gegebenenfalls auch in Europa
und weltweit. In einer ersten Phase sollte der Klimapass den Bevölkerungen kleiner
Inselstaaten, deren Staatsgebiet durch den Klimawandel unbewohnbar werden wird, angeboten
werden – um ihnen eine frühzeitige Umsiedlung in Würde zu ermöglichen und dem Verlust
grundlegender Rechte vorzubeugen. Als Aufnahmeländer stehen insbesondere Staaten mit
historisch oder gegenwärtig hohen Treibhausgasemissionen und somit großem Anteil an der
Erderwärmung in der Verantwortung.
Regionale Lösungsansätze müssen gestärkt sowie technisch und finanziell unterstützt werden,
bis hin zu lokalen Vereinbarungen über Mobilität und Rechtsschutz von Saisonarbeiter*innen,
Nomad*innen oder Viehtreiber*innen. Da es häufig Frauen und Kinder sowie Alte sind, die in
sozioökonomisch unterversorgten Regionen zurückbleiben, sollten sich auch Deutschland und
die Europäische Union im Rahmen ihrer Programme zur Stärkung von Anpassung und Resilienz
gezielt für alternative Einkommensmöglichkeiten und entsprechende Fortbildungsmaßnahmen
stark machen.
Klimabedingte Flucht: Versorgung sicherstellen, Schutzlücken schließen
Schon heute trägt die Klimakrise dazu bei, dass die Konkurrenz um knappe Ressourcen zunimmt,
bestehende Konflikte befeuert oder neue ausgelöst werden. Dadurch können Situationen
entstehen, die einer Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechen – und
damit internationales Asylrecht begründen.
Zugleich nehmen Naturkatastrophen wie Fluten und Stürme in Intensität, Ausmaß und Häufigkeit
zu – auch infolge der Klimakrise. Der Zusammenhang zu Erderwärmung und Klimakrise ist
komplex, aber wissenschaftlich anerkannt. Menschen aber, die vor plötzlichen
Extremwetterereignissen fliehen, sei es nun temporär oder dauerhaft, fallen bislang in eine
völkerrechtliche Schutzlücke. Insgesamt fällt im Kontext der Klimakrise nur ein Bruchteil
der Fluchtbewegungen unter den etablierten Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention. Das
entsprechende Vakuum müssen wir dringend auf anderem Wege füllen.
Mit Blick auf die Situation von Binnenvertriebenen machen wir uns vor diesem Hintergrund für
die konsequente Umsetzung der UN-Leitlinien betreffend Binnenvertreibung (Guiding Principles
on Internal Displacement) stark, die ausdrücklich auch Fälle von „natürlichen oder vom
Menschen verursachten Katastrophen“ und damit auch Extremwetterereignisse abdecken – und die
Betroffenen explizit „vor der zwangsweisen Rückführung an einen Ort oder Neuansiedlung an
einem Ort“ schützen, „an dem ihr Leben, ihre Sicherheit, ihre Freiheit und/oder ihre
Gesundheit gefährdet wären“.
Insgesamt entfalten aktuell regionale flüchtlingspolitische Ansätze die größte, wenn auch
weiterhin begrenzte Schutzwirkung auf Betroffene. Diese Ansätze wollen wir unterstützen,
darauf wollen wir aufbauen. Die Afrikanische Flüchtlingskonvention beispielsweise sieht
Flüchtlingsschutz auch nach Ereignissen vor, die eine „erhebliche Störung der öffentlichen
Ordnung“ mit sich bringen. Auch die lateinamerikanische Cartagena Declaration erweist sich
vom Wortlaut her auf Extremwetterereignisse anwendbar.
Insbesondere die von der Afrikanischen Union aufgelegte Kampala-Konvention aber betrachten
wir als inspirierende Blaupause, da sie den Umgang mit Vertriebenen im Kontext der
Klimakrise aufgreift sowie Rechte und Garantien zugunsten von Binnengeflüchteten
festschreibt. Die mangelhafte Ratifizierung der Kampala-Konvention ist ein Missstand, den
nicht zuletzt Deutschland in seinen Beziehungen zu den Mitgliedstaaten der Afrikanischen
Union stets thematisieren sollte.
Vereinzelt geäußerten Vorschlägen, die Genfer Flüchtlingskonvention als solche zwecks
Überarbeitung zu öffnen, stellen wir uns gemeinsam mit zahlreichen flüchtlingspolitischen
Institutionen und Initiativen entgegen. Der Erarbeitung eines gesonderten Protokolls
wiederum stehen wir nicht prinzipiell ablehnend gegenüber, erachten die Chance einer
zeitnahen Einigung angesichts komplexer Definitions- und Umsetzungsfragen allerdings als
äußerst gering.
Für die adäquate humanitäre Unterstützung auch von Katastrophenvertriebenen wollen wir die
internationale humanitäre Hilfe erhöhen und deren schnelle Koordinierung gewährleisten. Wir
setzen uns für eine frühzeitige Übergangshilfe und einen schnellen Wiederaufbau vor Ort ein,
damit Dörfer und Städte, damit Infrastruktur insgesamt rasch und entlang lokaler
Schwerpunktsetzung wieder aufgebaut werden können.
Schließlich wollen wir Katastrophenvertriebenen eine existenzsichernde Unterstützung zur
Verfügung stellen helfen, damit überhaupt erst die Chance auf einen würdevollen Neuanfang
entsteht. Auch Rückkehrer*innen sind prinzipiell auf finanzielle Unterstützung und
Starthilfe angewiesen. Wir schlagen vor, die notwendigen Mittel über den globalen
Verursacherfonds zu generieren. Beispiele wie Uganda, wo Geflüchteten der Zugang zu
Ackerland ermöglicht wurde, zeigen eindrücklich, wie wenig es bisweilen braucht, um das
Ankommen zu erleichtern – und letztlich auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der
aufnehmenden Region spürbar zu fördern.
Zusätzlich wollen wir gemäß den Empfehlungen des Globalen Paktes für sichere, geordnete und
reguläre Migration die Kategorie des subsidiären Schutzes im Rahmen der EU-
Anerkennungsrichtlinie (2011/95/EU) auf Katastrophenvertriebene ausweiten. Zugleich wird es
nationale Lösungen benötigen. Unter anderem wollen wir deshalb die Familienzusammenführung
wieder stärken und die im Schengen-Kodex vorgesehene Möglichkeit humanitärer Visa
konsequenter nutzen – was letztlich auch den Betroffenen klimabedingter Flucht zugutekommen
könnte. Grundsätzlich wollen wir großzügige und verlässliche Aufnahmekontingente über das
Resettlement-Programm des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) ermöglichen:
Deutschland und die anderen EU-Staaten sollten ihren Anteil an dem jährlichen, vom UNHCR
ermittelten Resettlement-Bedarf entsprechend ihrer Wirtschaftskraft erfüllen.
Klimapolitik: international, feministisch, intersektional
Gerade Frauen und Mädchen leiden überdurchschnittlich unter den klimatischen Veränderungen.
Sie stehen nicht nur größeren Risiken und Hürden entgegen, sondern werden vielfach auch
durch gesellschaftlich-kulturelle Normen und Rollenbilder strukturell benachteiligt. Sie
haben häufig einen ungleichen Zugang zu Ressourcen wie Zeit und Geld, zu Bildung und
gesundheitlicher Versorgung, zu Beschäftigungsmöglichkeiten und Landrechten. Darunter leiden
Resilienz ebenso wie Anpassungsfähigkeit – ein Zustand, der im Zusammenhang der Klimakrise
umso benachteiligender wirkt und konkrete Menschenrechtsverletzungen zur Folge hat.
Ähnliches gilt für Minderheiten und marginalisierte Gruppen. Im brasilianischen
Amazonasgebiet beispielsweise leben fast 400 indigene Völker, die auf das intakte Ökosystem
ökonomisch und kulturell angewiesen sind. Schätzungen zufolge sind bereits 150 Millionen
Indigene von den Folgen des Klimawandels betroffen. Sehr häufig leben sie in sensiblen
Ökosystemen wie kleinen Inselstaaten oder Atollen im Pazifik, in tropischen Regenwäldern, in
arktischen Regionen, im Hochland der Anden und des Himalaya oder in den Wüstengebieten
Afrikas; in Lebenswelten also, die stärker und unmittelbarer von der Klimakrise betroffen
sind als andere.
Unsere Klimapolitik ist deshalb nicht nur internationalistisch, sondern zugleich
feministisch und intersektional. Sie fasst die besondere Situation von Frauen und Mädchen,
zugleich aber auch die Belange marginalisierter Gruppen ins Auge und nutzt die herausragende
Rolle all dieser Akteur*innen. Gerade weil Frauen und marginalisierte Gruppen auf besondere
Weise von der Klimakrise betroffen sind, kommt ihnen eine Schlüsselfunktion in der
Bewältigung zu. Im Umkehrschluss heißt das: Klimaschutz und Klimaanpassungsmaßnahmen sind
stets auch Gelegenheit, bestehende Strukturen der Ungleichheit – bezogen auf die Verteilung
von Macht und Ressourcen, zum Beispiel – aufzubrechen und damit mehr Gerechtigkeit,
gleichwertige Lebensverhältnisse und Gleichberechtigung zu schaffen.
Unser prioritäres Ziel ist es, neben der eigentlichen Eindämmung der Klimakrise deren
humanitäre Auswirkungen so gering wie möglich zu halten. Für uns leitet sich aus dem
Verursacherprinzip konkrete, globale Verantwortung ab. Ambitionierter Klimaschutz, die
Steigerung von Resilienz sowie ein vorausschauendes, am Menschen und seinen Bedürfnissen
orientiertes Handeln sind dabei nicht nur Ausdruck von Klimagerechtigkeit, sondern ebenso
Voraussetzung einer weltweiten Friedensdividende. Auch in unserer Klimapolitik stellen wir
deshalb den Menschen in all seiner Würde und mit all seinen Rechten in den Mittelpunkt. Der
stete Blick auf das Wissen und die Belange der besonders verletzlichen Menschen und
marginalisierte Gruppen ist bei alledem kein beliebiger, sondern der Schlüssel schlechthin,
um nachhaltige und friedliche Strukturen in Zeiten der Klimakrise zu festigen.
Wir sind überzeugt: Eine gleichberechtigte, gendergerechte Gesellschaft hat bessere
Aussichten, ihre Umwelt zu schützen und die Klimakrise zu überwinden. Die Klimakrise ist
nicht genderneutral; unsere Gegenmaßnahmen dürfen es auch nicht sein.
weitere Antragsteller*innen
Fehler:Du musst dich einloggen, um Änderungsanträge stellen zu können.
Von Zeile 357 bis 358 einfügen:
Für die adäquate humanitäre Unterstützung auch von Katastrophenvertriebenen wollen wir die internationale humanitäre Hilfe erhöhen und deren schnelle Koordinierung gewährleisten. Wir
Die Klimakrise führt zu einschneidenden Veränderungen in der Welt – schon heute. Für
Millionen von Menschen weltweit ist die Erderwärmung längst kein theoretisches Phänomen
mehr. Tagtäglich erleben sie die Zerstörung ihrer Gegenwart. Klimakrise bedeutet für sie
Wüstenbildung, Ernteverlust, Versalzung der Böden, Wasserknappheit, Überschwemmung oder
Hitzewelle. Extreme Wetterereignisse nehmen zu, Ökosysteme und Lebensgrundlagen werden
zerstört, Hunger und Armut verschärft.
Klimakrise, das ist aber auch der unermessliche Verlust von sicherem Zuhause, von Heimat,
von jahrtausendealten Kulturgütern. Die Zahl der Vertriebenen durch klimabedingte Ereignisse
hat sich seit den 70er-Jahren vervierfacht. Heute werden innerstaatlich mehr Menschen durch
umweltbedingte Katastrophen wie Fluten und Stürme als durch Gewalt und Konflikte vertrieben.
Das Internal Displacement Monitoring Centre geht in der Zeit von 2008 bis 2017 von
durchschnittlich mehr als 24 Millionen erstmals Vertriebenen pro Jahr aus. Tendenz:
steigend.
Mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens im Jahr 2015 und der Verabschiedung des
Regelbuches in Kattowitz hat die Staatengemeinschaft die Klimakrise als gemeinsame, globale
Herausforderung anerkannt und sich darauf verständigt, die Erderwärmung auf unter zwei Grad
Celsius und möglichst unter 1,5 Grad Celsius bis 2100 zu beschränken. Expert*innen zufolge
befinden wir uns momentan auf dem Weg hin zu einer Erderwärmung von mindestens 3,2 Grad
gegenüber vorindustrieller Zeit. Zahlreiche Schätzungen liegen deutlich höher. Bereits zwei
Grad Erderwärmung würden derweil ausreichen, um ganze Staaten wie das im Pazifik liegende
Tuvalu komplett verschwinden zu lassen.
Als – historisch wie aktuell – Hauptmitverursacher der Erderwärmung und als weltweit
einflussreiche Multiplikatoren kommt es vor diesem Hintergrund ganz entscheidend auf
Deutschland und die Europäische Union an. Die eigene, ambitionierte Umsetzung des Pariser
Klimaabkommens und der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung müssen oberste Priorität
erlangen. Wir müssen mit bestem Beispiel vorangehen, internationaler Vorreiter im
Klimaschutz werden und die globale Nachhaltigkeitsagenda spürbar beschleunigen. Das jüngst
verabschiedete, völlig unzureichende „Klimapaket“ und der erschreckende Mangel greifbarer
Ergebnisse im Rahmen des letzten High Level Political Forum zur Umsetzung der nachhaltigen
Entwicklungsziele haben erneut gezeigt: Die aktuelle Bundesregierung wird dem nicht
ansatzweise gerecht.
Dabei wird das Zeitfenster, in dem wir noch gegensteuern können, um die schlimmsten Folgen
der Klimakrise abzumildern, bedrohlich klein. Wir bleiben deshalb dabei: Deutschland muss
eine umfassende Kehrtwende in allen Sektoren einleiten, ein besonderes Augenmerk auf
Politikkohärenz und strukturelle Reformen legen – und auf den Kurs zur Einhaltung der
Pariser Klimaziele und der Nachhaltigkeitsziele einlenken.
Selbst im besten Fall aber – wenn also die Emissionen drastisch reduziert werden sollten –
werden weiterhin und vermehrt Menschen im Kontext der Klimakrise ihr bisheriges Zuhause
verlassen müssen, um überleben zu können. Entsprechend ist und bleibt es zwar
selbstverständlich unsere Priorität, die Klimakrise mit allen Mitteln einzudämmen und dafür
zu sorgen, dass möglichst wenige Menschen ihre bisherige Heimat überhaupt verlassen müssen.
Letzten Endes ist es aber auch unsere Aufgabe und Verantwortung als Industriestaaten, eine
Antwort auf die Phänomene klimabedingter Migration und Flucht zu geben.
Global gerecht handeln, Menschenrechte schützen
In vielfacher Hinsicht ist die Klimakrise eine Krise der globalen Gerechtigkeit: Während
sich auch bei uns die extremen Wetterereignisse verdichten, trifft die Klimakrise in erster
Linie den globalen Süden – und damit just jene Regionen dieses Planeten, die historisch
betrachtet am wenigsten zur Erderwärmung beigetragen haben. In den betroffenen Regionen
wiederum sind besonders jene betroffen, deren Existenz auf natürlichen Ressourcen beruht und
die die geringsten Möglichkeiten haben, sich vor Naturgefahren zu schützen oder auf
klimatische Veränderungen zu reagieren: Frauen, Kinder, Minderheiten.
Dabei wirkt die Klimakrise nicht nur unmittelbar auf die Lebensrealität vor Ort ein, sondern
verschärft bereits bestehende Probleme zum Teil erheblich. Konflikte um immer knappere
Ressourcen nehmen zu. Elementare Menschenrechte wie das Recht auf Nahrung, Wasser, Wohnen,
Bildung, Gesundheit, eine saubere Umwelt und ein Leben in Würde – Menschenrechte also, die
im globalen Süden ohnehin unter besonderem Druck stehen – werden infolge der Klimakrise
zunehmend verletzt.
Der klimapolitische Stillstand der Industrienationen ist somit auch deshalb nicht weiter
hinnehmbar, da der Status Quo zu einer steten Verletzung universeller Menschenrechte in
anderen Teilen der Welt führt. Im Umkehrschluss sind die konsequente, gender-responsive und
inklusive Umsetzung des Pariser Klimaabkommens und der Agenda 2030 für nachhaltige
Entwicklung nicht nur klima- oder entwicklungspolitisch geboten – sondern Ausdruck
historischer Verantwortung, globaler Gerechtigkeit und des Menschenrechtsschutzes zugleich.
Mit dem Pariser Klimaabkommen haben wir uns dem Ziel der Klimagerechtigkeit verpflichtet.
Auf Grundlage „gemeinsamer, aber unterschiedlicher Verantwortlichkeiten“ wurde vereinbart,
dass Länder mit großem ökologischem Fußabdruck entsprechend Verantwortung übernehmen und mit
den Ländern des globalen Südens nach gemeinsamen Lösungen suchen. Die konsequente
Implementierung der vereinbarten Maßnahmen ist also bei Weitem kein Almosen. Vielmehr stehen
wir – historisch, aber auch vertraglich – in der Verantwortung für Weltzusammenhänge, die
wir mitverursacht haben und weiterhin mit verursachen.
Das bedeutet dann auch, aktiv die Einhaltung und den Schutz der Menschenrechte einzufordern
und zu verteidigen. Beides nämlich – der Schutz der Menschenrechte und der Einsatz gegen die
Klimakrise – sind zwei Seiten derselben Medaille, führt die Klimakrise doch ebenso zu
Menschenrechtsverletzungen wie letztere die Anpassung an die Klimakrise erschweren. Die
Kriminalisierung von Menschen- und nicht zuletzt Frauenrechtsverteidiger*innen weltweit
erfordert eine gleichsam deutliche und spürbare Reaktion der internationalen
Staatengemeinschaft wie die systematische Verfolgung der derzeit besonders gefährdeten
Landrechts- und Umweltaktivist*innen.
Natürlicherweise kommt vor diesem Hintergrund dem UN-Menschenrechtsrat sowie bestehenden UN-
Sonderberichterstatter*innen – für Umwelt und Menschenrechte, für die Menschenrechte von
Migrant*innen, für die Menschenrechte von Binnenvertriebenen – eine entscheidende Rolle zu.
Wir setzen uns dafür ein, dass Menschenrechtsverstöße im Kontext der Klimakrise nicht
zuletzt auf UN-Ebene noch sehr viel stärker in den Fokus rücken, genauer klassifiziert und
menschenrechtliche Entwicklungen im Kontext klimabedingter Migration und Flucht gezielter
beobachtet werden.
Zugleich setzen wir uns für eine völkerrechtliche Verankerung der UN-Leitprinzipien für
Wirtschaft und Menschenrechte ein. Der bisherige Ansatz, auf unternehmerische
Selbstverpflichtung zu setzen, ist gescheitert. Eine wirksame Ausrichtung globaler
Produktions- und Lieferprozesse auf die strikte Einhaltung der völkerrechtlich verbrieften
Menschenrechte – inklusive der Menschenrechte dritter Generation, insbesondere des Rechts
auf eine saubere Umwelt – setzt ein verbindliches UN-Rahmenwerk voraus. Vor diesem
Hintergrund bietet insbesondere der Binding-Treaty-Prozess auf Ebene der Vereinten Nationen
die konkrete Chance, ein globales und rechtsverbindliches Abkommen zu erreichen. Diesen
Prozess wollen wir unterstützen.
Resilienzaufbau und Anpassungsmaßnahmen verstärken, Schäden und Verluste kompensieren
Mit dem Pariser Klimaabkommen und der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung haben sich
Deutschland und andere Industrienationen dazu verpflichtet, die Gefahren für die
verletzlichsten Menschen abzuwenden und deren Widerstandskraft gegen die Erderwärmung
stärken zu helfen. Das bedeutet, von der Klimakrise besonders betroffene Länder technisch
wie finanziell zu unterstützen und sie nicht mit den Folgen der Erderwärmung allein zu
lassen. Deutschland und die Europäische Union sollten sich international dafür stark machen,
dass den vom Klimawandel betroffenen Menschen in ihren Heimatländern eine umfangreiche
internationale Unterstützung zur Anpassung an den Klimawandel und eine gerechte Kompensation
für entstandene Schäden zukommt.
Die bisher für den Green Climate Fund international zugesagten 100 Milliarden US-Dollar
jährlich ab 2020 decken nicht annähernd die bestehenden und zu erwartenden Bedarfe – umso
mehr, als ausdrücklich nur Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen abgedeckt sind, der
Ausgleich von Schäden und Verlusten (Loss and Damage) aber nicht. Wir setzen uns dafür ein,
dass die 100 Milliarden US-Dollar nicht nur sichergestellt, sondern aufgestockt werden,
explizit auch für Maßnahmen zur Prävention und Reduktion klimabedingter Vertreibung. Konkret
wollen wir den deutschen Beitrag zur internationalen Klimafinanzierung auf den fairen Anteil
von jährlich acht Milliarden Euro anheben und langfristig ohne Verrechnung mit der
Entwicklungszusammenarbeit darstellen. Dazu wollen wir jährlich 1,2 Milliarden Euro
zusätzlich für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit sowie 800 Millionen Euro für den
internationalen Klima- und Biodiversitätsschutz bereitstellen.
Zugleich wollen wir zusätzliche Mittel für Schäden und Verluste, unter anderem auch für
Umsiedlungen im Rahmen klimabedingter Migrationsbewegungen, bereitstellen. Dazu wollen wir
einen globalen Verursacherfonds zur fairen Lastenverteilung schaffen. Vorschläge
einschlägiger Expert*innen zu dessen teilweisen Finanzierung reichen von einer Climate
Damages Tax über eine international erhobene Abgabe auf Flugtickets bis hin zum anteiligen
Ertrag aus Steuern auf CO2, Finanztransaktionen oder Vermögen. Entsprechende Debatten gehen
nur schleppend voran; auch die Bundesregierung agiert, gemessen an der tatsächlichen
Dringlichkeit, sträflich zurückhaltend. Das wollen wir ändern. Wir wollen, dass sich
Deutschland proaktiv an einer zielgerichteten Debatte über die Einrichtung eines globalen
Verursacherfonds, über dessen Ausmaß, über eine Beitragsgewichtung gemäß Verursacherprinzip
sowie über mögliche Finanzierungsinstrumente beteiligt. Spürbarer Fortschritt auf diesem
komplexen Gebiet ist überfällig und dürfte entscheidend sein für die Frage, ob wir es als
internationale Staatengemeinschaft schaffen, die Erderwärmung nicht nur drastisch
einzudämmen, sondern unsere globale Antwort auf die Klimakrise solidarisch und gerecht
auszugestalten.
Ebenso wird es darauf ankommen, effektiven Rechtsschutz für diejenigen zu ermöglichen, die
durch die Folgen der Klimakrise konkrete Schäden und Verluste erleiden – insbesondere,
solange die Verursacherstaaten selbst nicht bereit sind, ausreichende finanzielle Mittel für
den Umgang mit Loss and Damage zur Verfügung zu stellen. Deshalb setzen wir uns für die
Stärkung des Rechtswegs und des Instruments der Klimaklagen ein, unter anderem indem wir
finanzielle Mittel für Pionierklagen und strategische Prozessführung bereitstellen. Auch
wollen wir die Debatte um Klimarisikoversicherungen aktiv vorantreiben und dazu beitragen,
diese gemäß Verursacherprinzip auszugestalten und in ein breiteres Konzept zur
Risikominimierung einzubetten.
Schließlich wollen wir im Rahmen von Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe
gezielt Risikoregionen auf klimatische Veränderungen und den Katastrophenfall vorbereiten
helfen. Unter anderem wollen wir in Frühwarnsysteme investieren und Partnerländer dabei
unterstützen, die Schaffung eines erhöhten Bewusstseins für umwelt- und klimapolitische
Belange im Bildungs- und Ausbildungswesen voranzutreiben. Außerdem setzen wir uns dafür ein,
dass Maßnahmen zur Risikominderung in den jeweiligen nationalen Systemen verankert und mit
wirksamen Rechtsvorschriften untermauert werden.
Migration, Flucht und Vertreibung im Kontext der Klimakrise
Selbst, wenn wir es schaffen sollten, die Ziele von Paris vollumfänglich einzuhalten, bleibt
die Erderwärmung eine Realität. Menschen werden gezwungen sein, umzusiedeln – weil ihr Boden
vertrocknet, weil durch den steigenden Meeresspiegel ihre Häuser unterspült werden, weil der
nahegelegene Staudamm unter der Last der schmelzenden Gletscher zu bersten droht. Die
Internationale Organisation für Migration (IOM) definiert klimabedingte Migrant*innen vor
diesem Hintergrund als „Personen oder Personengruppe, die aufgrund plötzlicher oder
fortschreitender deutlicher Veränderungen der ihr Leben beeinflussenden Umwelt- und
Lebensbedingungen gezwungen sind oder sich veranlasst sehen, ihre Heimat zu verlassen, sei
es zeitweise oder permanent, und die sich innerhalb ihres Heimatlandes oder über dessen
Grenzen hinaus bewegen“.
Wie viele Menschen letztlich betroffen sein werden, ist schwer zu erfassen. Aktuelle
Schätzungen variieren stark. Denn erstens wissen wir nicht, wie hoch die Erderwärmung
letztlich ausfallen wird. Zweitens hängt vieles davon ab, wie verletzlich Menschen im
jeweiligen Einzelfall gegenüber Klimaveränderungen sind – und wie gut sie sich daran
anpassen können. Drittens erfolgt Migration, so es denn tatsächlich dazu kommt, in den
seltensten Fällen aus nur einem, trennscharf zu ermittelndem Grund. Persönliche Erwägungen,
Umweltaspekte und die Klimakrise stehen in einem komplexen Verhältnis zueinander. Umwelt-
und Klimaveränderungen verlaufen oft schleichend, was die Ermittlung einer konkreten
Kausalität weiter erschwert. Und es muss auch nicht jede Entscheidung, sein Zuhause zu
verlassen, endgültig sein. Kurzum: Klimabedingte Migration ist ein komplexer Prozess.
Entsprechend unterschiedlich sind aktuelle Modellrechnungen. Die jüngste Studie des UN-
Klimarats (IPCC) geht davon aus, dass selbst beim Erreichen des zwei-Grad-Ziels bis zum Jahr
2050 bis zu 280 Millionen Menschen vertrieben werden, innerhalb ihres jeweiligen Landes und
über die Grenzen hinaus. Die Weltbank wiederum geht in ihrer Groundswell-Studie aus dem Jahr
2018 von einem Szenario von 140 Millionen klimabedingt Vertriebenen allein in Sub-Sahara-
Afrika, Südasien und Südamerika bis 2050 aus. Allerdings legt sie auch dar, dass circa 80
Prozent der Vertreibung durch ambitionierte Minderung und Anpassung vermeidbar seien. In
jedem Fall wird es darauf ankommen, die bestehenden Datenlücken auf dem Gebiet der
klimabedingten Migration, Flucht und Vertreibung bestmöglich zu schließen und entsprechende
Forschungsvorhaben zu unterstützen – gerade auch mit Blick auf komplexe Phänomene wie
Migrationsbewegungen infolge schleichender Umweltveränderungen. Dafür machen wir uns stark.
Gleichzeitig gibt es Situationen, die sich deutlich klarer darstellen lassen. Insbesondere
die Bewohner*innen tiefergelegener Inselstaaten, vor allem im Pazifik, sind mit der
Notwendigkeit einer mittelfristigen Umsiedlung sehr direkt konfrontiert. Erderwärmung
bedeutet für sie nicht nur den Verlust von materiellen Gütern und Staatsgebiet, womöglich
gar von de facto oder de jure Staatsangehörigkeit; die Klimakrise wird mit allerhöchster
Wahrscheinlichkeit auch hohe finanzielle Kosten verursachen – und die Aufgabe von heiligem
Land und traditioneller Lebensweise, von Kultur und Souveränität bewirken. All das gilt es,
frühzeitig und planbar anzugehen. Das Unvermeidbare wird nicht vermieden werden, indem wir
uns einer vorausschauenden Reaktion verweigern.
Die Unterscheidung und Analyse unterschiedlicher Formen klimawandelbedingter
Wanderungsbewegungen jedenfalls sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass wir adäquate
Instrumente und Politiken entwerfen. Insbesondere wird es darauf ankommen, dass wir
Möglichkeiten vorausschauender Planung für die Betroffenen schaffen; dass diese also
selbstbestimmt und frühzeitig über eine mögliche Umsiedlung entscheiden können; dass es aber
auch Orte gibt, an denen sie sich niederlassen können. Andererseits wird es natürlich auch
zu Situationen plötzlicher Flucht im Kontext der Klimakrise kommen, nach Stürmen oder
Überschwemmungen zum Beispiel – die erwiesenermaßen durch die Klimakrise verstärkt oder
beschleunigt werden.
Erste konkrete Fallbeispiele unterstreichen vor diesem Hintergrund die Komplexität und
Vielschichtigkeit klimabedingter Migration, Flucht und Vertreibung. In Äthiopien
beispielsweise spricht das Auswärtige Amt von fast drei Millionen Binnenvertriebenen.
Darunter seien nach Schätzungen rund eine halbe Million aufgrund von klimatischen Faktoren,
primär infolge anhaltender Dürre geflohen. Andere Expert*innen gehen hingegen von circa 1,4
Millionen Menschen aus, die im Kontext der Klimakrise vertrieben wurden.
In jedem Fall wirkt die Klimakrise in Äthiopien wie ein Multiplikator bereits bestehender
Probleme und Konflikte; sie interagiert mit anderen Faktoren auf vielfache Weise und führt
zu wechselseitiger Verstärkung. Nichtstun ist keine Option. Die internationale Gemeinschaft,
allen voran die Industriestaaten müssen Antworten finden auf Fragen von Verantwortlichkeit
und Schutzbedarfen, von globaler Gerechtigkeit, von völkerrechtlichen Handlungsoptionen. Wir
wollen uns dieser Mammutaufgabe stellen.
Bestehende internationale Prozesse unterstützen, Ownership und Koordinierung sicherstellen
Im Bereich der klimabedingten Migration, Flucht und Vertreibung bestehen international
bereits unterschiedlichste politische Prozesse, Plattformen und Mechanismen. Innerhalb der
internationalen Klimaarchitektur gibt es den Warschau-Mechanismus für Verluste und Schäden,
der im Rahmen der Klimarahmenkonvention (UNFCCC) eine Taskforce on Displacement eingerichtet
hat. Diese hat erste Empfehlungen schon vorgelegt. Ein Mitglied der Taskforce wiederum ist
die Platform on Disaster Displacement als eine staatengeleitete Plattform mit Sitz in Genf,
die mit verschiedenen Stakeholdergruppen mögliche Lösungsansätze im Bottom-up-Verfahren
entwickelt sowie zur Verbesserung der globalen Datenlage und -analyse beiträgt. Sie hat sich
insbesondere der Förderung des Austauschs bestehender guter Praktiken zwischen beteiligten
Staaten und Akteur*innen verschrieben, die Katastrophenvertriebenen bereits seit Jahren
freiwillig und basierend auf solidarisch-humanitären Erwägungen grenzüberschreitend Aufnahme
und Schutz gewähren. Dabei treibt die Plattform die Umsetzung der Empfehlungen der Agenda
for the Protection of Cross-Border Displaced Persons in the Context of Disaster and Climate
Change, also der Nansen-Schutzagenda international voran und setzt sich beispielsweise dafür
ein, dass deren Ansätze in internationalen Verträgen verankert werden.
Wir werten es als großen Fortschritt, dass im Dezember 2018 der Komplex klimabedingter
Migration, Flucht und Vertreibung im Globalen Pakt für sichere, geordnete und reguläre
Migration sowie im Globalen Pakt für Flüchtlinge aufgenommen wurde. Bedauerlicherweise
bleibt die Umsetzung dieser Vereinbarungen für die Vertragsstaaten nur freiwillig, der
internationale Wille dazu zögerlich. Wir sprechen uns für eine konsequente Implementierung
und eine angemessene finanzielle wie strukturelle Unterstützung auch durch die deutsche
Bundesregierung aus.
Eines jedenfalls ist offenkundig: Es wird den einen großen internationalen Wurf zum Umgang
mit klimabedingter Migration, Flucht und Vertreibung auf absehbare Zeit nicht geben. Wir
machen uns deshalb dafür stark, dass Deutschland bestehende Arbeitsprozesse nach Kräften
politisch und finanziell unterstützt, sich gegenüber anderen Staaten insbesondere aus dem
Kreis der Industrieländer für diese Prozesse einsetzt, deren enge Anbindung an
Zivilgesellschaft und Forschung sicherstellt sowie gemeinsam mit möglichst vielen weiteren
Staaten bislang erarbeitete Empfehlungen und bestehende effektive Praktiken tatsächlich auch
umsetzt. Unter anderem wollen wir die Empfehlungen aus dem Globalen Pakt für sichere,
geordnete und reguläre Migration sowie dem Globalen Pakt für Flüchtlinge auf nationaler wie
europäischer Ebene vorantreiben. Auch die Empfehlungen der Taskforce on Displacement wollen
wir aufgreifen und in nationale wie europäische Politik integrieren.
Sämtliche Projekte und Politiken zum Schutz von klimabedingt Vertriebenen müssen dabei einem
menschenrechtsbasierten, partizipativen Ansatz folgen und die Rechte der besonders
verletzlichen Menschen sicherstellen. Gerade weil Frauen und Mädchen, marginalisierte
Gruppen und nicht zuletzt Indigene auf besondere Weise von der Klimakrise betroffen sind,
wollen wir ihnen eine Schlüsselfunktion in der Bewältigung zukommen lassen. Durch ihre
Lebenssituation sind sie oft die Ersten, die sich anpassen müssen, entwickeln das
entsprechende Wissen und Können – was sie zu Expert*innen und Gestalter*innen eines
nachhaltigen Wandels werden lässt.
Auf dem Weg hin zu Lösungsansätzen ist auch die Selbstbestimmung der betroffenen Staaten
essentiell. Der überwiegende Teil klimabedingter Migration, Flucht und Vertreibung findet
jeweils innerhalb eines betroffenen Landes oder in der Region statt. Umso zentraler wird es
sein, alle Debatten und Verhandlungen über eine vorausschauende und planbare Umsiedlung,
über Versorgung und Integration, über regionale Lösungsansätze und Mechanismen gemeinsam mit
den Betroffenen zu führen, Ownership sicherzustellen und die notwendige Finanzierung
gemeinsam zu garantieren.
Zugleich finden auch innerhalb und zwischen den einzelnen Arbeitsprozessen grundlegende
Überlegungen statt, wie sich die vielen Multi-Stakeholder-Prozesse auf den unterschiedlichen
Ebenen noch kohärenter koordinieren ließen. Dieses Ansinnen unterstützen wir ausdrücklich.
Nicht etwa im Widerspruch zum bestehenden Bottom-up-Ansatz; auch nicht, um einzelne
Initiativen institutionell zu binden; sehr wohl aber mit dem Ziel, dem Bereich
klimabedingter Vertreibung die notwendige Aufmerksamkeit zu verschaffen sowie perspektivisch
internationales Engagement und staatliche Verbindlichkeit auf Ebene aller
Unterzeichnerstaaten der UN-Klimarahmenkonvention zu steigern. Vor diesem Hintergrund machen
wir uns dafür stark, die Themenkomplexe „Schäden und Verluste“ sowie „klimabedingte
Migration, Flucht und Vertreibung“ – und damit die Arbeit der Taskforce on Displacement im
Rahmen der UNFCCC-Architektur – systematisch und in angemessenem Umfang auf der Tagesordnung
der jährlichen UN-Klimakonferenzen zu verankern. Auch unterstützen wir die unter anderem von
der Platform on Disaster Displacement geäußerte Idee, die Koordinierung innerhalb der
Vereinten Nationen sowie zwischen deren Agenturen zusätzlich durch die Einberufung eines
Sonderbeauftragen (Special Representative) beziehungsweise eines Sonderberaters (Special
Advisor) für klimabedingte Migration, Flucht und Vertreibung in der Struktur des UN-
Generalsekretariats zu verbessern.
Klimabedingte Migration: sicher, selbstbestimmt, planbar
Der Umgang mit Migration wird in Zeiten der Klimakrise zu einem ethischen Prüfstein für die
internationale Staatengemeinschaft. Was für Migration im Allgemeinen gilt, gilt auch im
Kontext der Klimakrise: Wir müssen Wege eröffnen, klimabedingte Migration sicher,
selbstbestimmt und möglichst planbar zu gestalten. Ganz im Sinne von Artikel 13 der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte setzen wir uns dafür ein, dass umweltinduzierte
beziehungsweise klimabedingte Migration rechtzeitig, würdevoll, selbstbestimmt, sicher und
vor allem legal ermöglicht wird – und dass den Betroffenen das Recht garantiert wird,
innerhalb ihres Landes, in der Region und gegebenenfalls über die eigene Region hinaus
umzusiedeln.
Die Umsetzung des Globalen Paktes für sichere, geordnete und reguläre Migration ist da ein
wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Insgesamt müssen sich Deutschland und Europa
deutlich stärker engagieren – bilateral ebenso wie im Rahmen internationaler Kooperationen.
Unter anderem haben wir deshalb ein Konzept für ein modernes Einwanderungsrecht mit
Punktesystem vorgelegt und sprechen uns für eine vereinfachte, gegebenenfalls auch temporäre
Arbeitsmigration aus – grundlegend und im Kontext der Klimakrise.
Die internationale Staatengemeinschaft muss sich darauf einigen, wie sie mit dem erwartbaren
Verlust ganzer Staatsgebiete umzugehen gedenkt. Wir machen uns dafür stark, dass
entsprechende Debatten und Verhandlungen mit deutlich mehr Nachdruck geführt werden als
bislang. Natürlich wird es auch hier darauf ankommen, eine frühzeitige und selbstbestimmte
Umsiedlung zu ermöglichen. Aber es geht um viel mehr. Wenn absehbar ist, dass beispielsweise
Inselstaaten im Pazifik vollständig verschwinden, müssen wir dringend festlegen, welche
Konsequenzen daraus für die Gewässerhoheit entstehen, insbesondere aber, ob die bisherigen
Bewohner*innen automatisch auch ihre Staatsangehörigkeit verlieren – und welche
völkerrechtlichen Folgen das für sie und ihren Schutzanspruch mit sich bringt. Für uns hat
es dabei oberste Priorität, dafür Sorge zu tragen, dass Staatenlosigkeit de facto und de
jure verhindert wird.
Vor diesem Hintergrund wollen wir auch die Idee eines Klimapasses international
vorantreiben, dessen individueller Ansatz den Betroffenen ermöglicht, selbstbestimmt über
ihre Migration zu entscheiden. Konkret böte der Klimapass von der Erderwärmung existenziell
bedrohten Personen die Option, Zugang zu Schutz und letztlich staatsbürgergleichen Rechten
in weitgehend sicheren Ländern zu erlangen – in der Region, gegebenenfalls auch in Europa
und weltweit. In einer ersten Phase sollte der Klimapass den Bevölkerungen kleiner
Inselstaaten, deren Staatsgebiet durch den Klimawandel unbewohnbar werden wird, angeboten
werden – um ihnen eine frühzeitige Umsiedlung in Würde zu ermöglichen und dem Verlust
grundlegender Rechte vorzubeugen. Als Aufnahmeländer stehen insbesondere Staaten mit
historisch oder gegenwärtig hohen Treibhausgasemissionen und somit großem Anteil an der
Erderwärmung in der Verantwortung.
Regionale Lösungsansätze müssen gestärkt sowie technisch und finanziell unterstützt werden,
bis hin zu lokalen Vereinbarungen über Mobilität und Rechtsschutz von Saisonarbeiter*innen,
Nomad*innen oder Viehtreiber*innen. Da es häufig Frauen und Kinder sowie Alte sind, die in
sozioökonomisch unterversorgten Regionen zurückbleiben, sollten sich auch Deutschland und
die Europäische Union im Rahmen ihrer Programme zur Stärkung von Anpassung und Resilienz
gezielt für alternative Einkommensmöglichkeiten und entsprechende Fortbildungsmaßnahmen
stark machen.
Klimabedingte Flucht: Versorgung sicherstellen, Schutzlücken schließen
Schon heute trägt die Klimakrise dazu bei, dass die Konkurrenz um knappe Ressourcen zunimmt,
bestehende Konflikte befeuert oder neue ausgelöst werden. Dadurch können Situationen
entstehen, die einer Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechen – und
damit internationales Asylrecht begründen.
Zugleich nehmen Naturkatastrophen wie Fluten und Stürme in Intensität, Ausmaß und Häufigkeit
zu – auch infolge der Klimakrise. Der Zusammenhang zu Erderwärmung und Klimakrise ist
komplex, aber wissenschaftlich anerkannt. Menschen aber, die vor plötzlichen
Extremwetterereignissen fliehen, sei es nun temporär oder dauerhaft, fallen bislang in eine
völkerrechtliche Schutzlücke. Insgesamt fällt im Kontext der Klimakrise nur ein Bruchteil
der Fluchtbewegungen unter den etablierten Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention. Das
entsprechende Vakuum müssen wir dringend auf anderem Wege füllen.
Mit Blick auf die Situation von Binnenvertriebenen machen wir uns vor diesem Hintergrund für
die konsequente Umsetzung der UN-Leitlinien betreffend Binnenvertreibung (Guiding Principles
on Internal Displacement) stark, die ausdrücklich auch Fälle von „natürlichen oder vom
Menschen verursachten Katastrophen“ und damit auch Extremwetterereignisse abdecken – und die
Betroffenen explizit „vor der zwangsweisen Rückführung an einen Ort oder Neuansiedlung an
einem Ort“ schützen, „an dem ihr Leben, ihre Sicherheit, ihre Freiheit und/oder ihre
Gesundheit gefährdet wären“.
Insgesamt entfalten aktuell regionale flüchtlingspolitische Ansätze die größte, wenn auch
weiterhin begrenzte Schutzwirkung auf Betroffene. Diese Ansätze wollen wir unterstützen,
darauf wollen wir aufbauen. Die Afrikanische Flüchtlingskonvention beispielsweise sieht
Flüchtlingsschutz auch nach Ereignissen vor, die eine „erhebliche Störung der öffentlichen
Ordnung“ mit sich bringen. Auch die lateinamerikanische Cartagena Declaration erweist sich
vom Wortlaut her auf Extremwetterereignisse anwendbar.
Insbesondere die von der Afrikanischen Union aufgelegte Kampala-Konvention aber betrachten
wir als inspirierende Blaupause, da sie den Umgang mit Vertriebenen im Kontext der
Klimakrise aufgreift sowie Rechte und Garantien zugunsten von Binnengeflüchteten
festschreibt. Die mangelhafte Ratifizierung der Kampala-Konvention ist ein Missstand, den
nicht zuletzt Deutschland in seinen Beziehungen zu den Mitgliedstaaten der Afrikanischen
Union stets thematisieren sollte.
Vereinzelt geäußerten Vorschlägen, die Genfer Flüchtlingskonvention als solche zwecks
Überarbeitung zu öffnen, stellen wir uns gemeinsam mit zahlreichen flüchtlingspolitischen
Institutionen und Initiativen entgegen. Der Erarbeitung eines gesonderten Protokolls
wiederum stehen wir nicht prinzipiell ablehnend gegenüber, erachten die Chance einer
zeitnahen Einigung angesichts komplexer Definitions- und Umsetzungsfragen allerdings als
äußerst gering.
Für die adäquate humanitäre Unterstützung auch von Katastrophenvertriebenen wollen wir die
internationale humanitäre Hilfe erhöhen und deren schnelle Koordinierung gewährleisten. Wir
setzen uns für eine frühzeitige Übergangshilfe und einen schnellen Wiederaufbau vor Ort ein,
damit Dörfer und Städte, damit Infrastruktur insgesamt rasch und entlang lokaler
Schwerpunktsetzung wieder aufgebaut werden können.
Schließlich wollen wir Katastrophenvertriebenen eine existenzsichernde Unterstützung zur
Verfügung stellen helfen, damit überhaupt erst die Chance auf einen würdevollen Neuanfang
entsteht. Auch Rückkehrer*innen sind prinzipiell auf finanzielle Unterstützung und
Starthilfe angewiesen. Wir schlagen vor, die notwendigen Mittel über den globalen
Verursacherfonds zu generieren. Beispiele wie Uganda, wo Geflüchteten der Zugang zu
Ackerland ermöglicht wurde, zeigen eindrücklich, wie wenig es bisweilen braucht, um das
Ankommen zu erleichtern – und letztlich auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der
aufnehmenden Region spürbar zu fördern.
Zusätzlich wollen wir gemäß den Empfehlungen des Globalen Paktes für sichere, geordnete und
reguläre Migration die Kategorie des subsidiären Schutzes im Rahmen der EU-
Anerkennungsrichtlinie (2011/95/EU) auf Katastrophenvertriebene ausweiten. Zugleich wird es
nationale Lösungen benötigen. Unter anderem wollen wir deshalb die Familienzusammenführung
wieder stärken und die im Schengen-Kodex vorgesehene Möglichkeit humanitärer Visa
konsequenter nutzen – was letztlich auch den Betroffenen klimabedingter Flucht zugutekommen
könnte. Grundsätzlich wollen wir großzügige und verlässliche Aufnahmekontingente über das
Resettlement-Programm des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) ermöglichen:
Deutschland und die anderen EU-Staaten sollten ihren Anteil an dem jährlichen, vom UNHCR
ermittelten Resettlement-Bedarf entsprechend ihrer Wirtschaftskraft erfüllen.
Klimapolitik: international, feministisch, intersektional
Gerade Frauen und Mädchen leiden überdurchschnittlich unter den klimatischen Veränderungen.
Sie stehen nicht nur größeren Risiken und Hürden entgegen, sondern werden vielfach auch
durch gesellschaftlich-kulturelle Normen und Rollenbilder strukturell benachteiligt. Sie
haben häufig einen ungleichen Zugang zu Ressourcen wie Zeit und Geld, zu Bildung und
gesundheitlicher Versorgung, zu Beschäftigungsmöglichkeiten und Landrechten. Darunter leiden
Resilienz ebenso wie Anpassungsfähigkeit – ein Zustand, der im Zusammenhang der Klimakrise
umso benachteiligender wirkt und konkrete Menschenrechtsverletzungen zur Folge hat.
Ähnliches gilt für Minderheiten und marginalisierte Gruppen. Im brasilianischen
Amazonasgebiet beispielsweise leben fast 400 indigene Völker, die auf das intakte Ökosystem
ökonomisch und kulturell angewiesen sind. Schätzungen zufolge sind bereits 150 Millionen
Indigene von den Folgen des Klimawandels betroffen. Sehr häufig leben sie in sensiblen
Ökosystemen wie kleinen Inselstaaten oder Atollen im Pazifik, in tropischen Regenwäldern, in
arktischen Regionen, im Hochland der Anden und des Himalaya oder in den Wüstengebieten
Afrikas; in Lebenswelten also, die stärker und unmittelbarer von der Klimakrise betroffen
sind als andere.
Unsere Klimapolitik ist deshalb nicht nur internationalistisch, sondern zugleich
feministisch und intersektional. Sie fasst die besondere Situation von Frauen und Mädchen,
zugleich aber auch die Belange marginalisierter Gruppen ins Auge und nutzt die herausragende
Rolle all dieser Akteur*innen. Gerade weil Frauen und marginalisierte Gruppen auf besondere
Weise von der Klimakrise betroffen sind, kommt ihnen eine Schlüsselfunktion in der
Bewältigung zu. Im Umkehrschluss heißt das: Klimaschutz und Klimaanpassungsmaßnahmen sind
stets auch Gelegenheit, bestehende Strukturen der Ungleichheit – bezogen auf die Verteilung
von Macht und Ressourcen, zum Beispiel – aufzubrechen und damit mehr Gerechtigkeit,
gleichwertige Lebensverhältnisse und Gleichberechtigung zu schaffen.
Unser prioritäres Ziel ist es, neben der eigentlichen Eindämmung der Klimakrise deren
humanitäre Auswirkungen so gering wie möglich zu halten. Für uns leitet sich aus dem
Verursacherprinzip konkrete, globale Verantwortung ab. Ambitionierter Klimaschutz, die
Steigerung von Resilienz sowie ein vorausschauendes, am Menschen und seinen Bedürfnissen
orientiertes Handeln sind dabei nicht nur Ausdruck von Klimagerechtigkeit, sondern ebenso
Voraussetzung einer weltweiten Friedensdividende. Auch in unserer Klimapolitik stellen wir
deshalb den Menschen in all seiner Würde und mit all seinen Rechten in den Mittelpunkt. Der
stete Blick auf das Wissen und die Belange der besonders verletzlichen Menschen und
marginalisierte Gruppen ist bei alledem kein beliebiger, sondern der Schlüssel schlechthin,
um nachhaltige und friedliche Strukturen in Zeiten der Klimakrise zu festigen.
Wir sind überzeugt: Eine gleichberechtigte, gendergerechte Gesellschaft hat bessere
Aussichten, ihre Umwelt zu schützen und die Klimakrise zu überwinden. Die Klimakrise ist
nicht genderneutral; unsere Gegenmaßnahmen dürfen es auch nicht sein.
Kommentare