Im Jahr 2000 wurden mit dem Inkrafttreten der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) umfangreiche Neuregelungen für den Gewässerschutz und die Wasserwirtschaft in Europa geschaffen. Ziel der WRRL ist es, dass möglichst viele Fließgewässer, Seen und das Grundwasser innerhalb eines Vierteljahrhunderts einen guten Zustand erreichen“, schreibt die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes auf ihrer Website. Die Praxis sieht völlig anders aus. Die Umsetzung liegt im weit überwiegenden Teil aller Fließgewässer weit hinter den vereinbarten Zielen. Bei der Ems und bei der Elbe ist die Entwicklung sogar in die Gegenrichtung verlaufen. Die Ems ist im Sommer oft monatelang ein toter Fluss, weil der Sauerstoffgehalt zu niedrig und der Schwebstoffgehalt zu hoch ist. Am Grund des Flusses wabert eine meterhohe Flüssigschlick-Zone, die für Lebewesen tödlich ist.
Ein zentraler Eckpunkt des Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushalts (Wasserhaushaltsgesetz, WHG) sind die Bewirtschaftungsziele für oberirdische Gewässer in § 27 WHG. Dort ist festgelegt, dass Oberirdische Gewässer so zu bewirtschaften sind, dass eine Verschlechterung ihres ökologischen und ihres chemischen Zustands vermieden wird und ein guter ökologischer und ein guter chemischer Zustand erhalten oder erreicht werden. Dieses so genannte Verbesserungsgebot und Verschlechterungsverbot war auch ein Dreh- und Angelpunkt des Genehmigungsverfahrens zur 9. Vertiefung der Elbe. Schon während des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig war mehr als zweifelhaft, dass das Verschlechterungsverbot trotz erneuter Vertiefung gewährleistet werden kann. Überraschenderweise segnete das Gericht die Annahmen der Planer letztendlich ab.
Die Flussgebietsgemeinschaften haben die Gewässer auf der Grundlage des Wasserhaushaltsgesetzes so zu bewirtschaften, dass die Bewirtschaftungsziele des Gesetzes erreicht werden. Im Zeitraum vom 22. Dezember 2020 bis zum 22. Juni 2021 wird der "Entwurf der zweiten Aktualisierung des Bewirtschaftungsplans nach § 83 WHG bzw. Art. 13 der Richtlinie 2000/60/EG für den deutschen Teil der Flussgebietseinheit Elbe für den Zeitraum von 2022 bis 2027" angehört. Dabei handelt es sich um die Anhörung zum zweiten und letzten Verlängerungszeitraum zur Erreichung der Bewirtschaftungsziele. Derzeit ist nicht erkennbar, wie die Ziele für den Bereich der Tideelbe unter Beibehaltung der laufenden 9. Vertiefung erreicht werden können.
Wenn der parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium jetzt in den Cuxhavener Nachrichten am 9. Januar 2021 erklärt, dass „die Problematik der massiven Zunahme an Sedimenten in der Elbe nach einer Lösung verlangt“ ist das ein bemerkenswertes Eingeständnis. Zudem räumt der Staatssekretär ein, dass „angesichts des Klimawandels die Deiche höher werden müssen“. Beide Äußerungen sind vor dem Hintergrund der rechtlichen Situation mehr als pikant. Die „massive Zunahme an Sedimenten“ stellt eindeutig eine Verschlechterung des Gewässerzustandes dar. Die Grafik der Hamburg Port Authority, die ARD Panorama am 4.3.2021 veröffentlicht hat, verdeutlicht den Sachverhalt.
Damit ist offenbar eine zentrale Voraussetzung für die positive Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ins Wanken geraten.
Das Jahr 2021 bietet deshalb in vielfacher Hinsicht Anlass zur Überprüfung getroffener Entscheidungen. Aktuell gilt das vor allem für Folgen und Nebenwirkungen der Pandemie.
Das gilt aber auch für die Folgen und Nebenwirkungen der laufenden neunten Vertiefung der Elbe, die sich anders entwickeln als prognostiziert. Die Schlickmengen haben demnach deutlich stärker zugenommen als erwartet. Weder das Bundesverkehrsministerium noch die Hamburg Port Authority haben ein Konzept zum Umgang mit diesen Schlickmengen. Die Verbringung großer Mengen an den Rand des Nationalparks und Weltnaturerbes Wattenmeer bei Scharhörn würde nicht nur eine weltweit als einzigartig anerkannte Naturlandschaft in ihrer Substanz gefährden, sondern auch die touristischen Stärken der Städte und Gemeinden an der Unterelbe. Die Verschlickung behindert zudem die Funktionsfähigkeit von Fährhäfen, Werften und Sieltoren. Das Tideelbeforum hat ebenfalls kein überzeugendes Konzept für den Umgang mit wachsenden Schlickmengen vorlegen können.
Mittlerweile ist durch neue Untersuchungen deutlich geworden, dass Deiche an der Unterelbe Unterbestick aufweisen und eine langfristige Stärkung der Bauwerke unabdingbar ist. Die Folgekosten werden immens sein. Die Finanzierung ist bislang in keiner Weise gesichert. Zudem ist bislang nicht absehbar, wo entsprechend notwendige Kleimengen gewonnen werden können. Besorgniserregend ist die Entwicklung beim Meeresspiegelanstieg. Trotz Abschluss des Klimaabkommens von Paris vor fünf Jahren zeichnet sich bis heute eine Beschleunigung des Meeresspiegelanstiegs ab. Die Bandbreiten der Prognosen drohen eher am oberen Rand der Prognosen und zudem früher als erwartet einzutreffen.
Die Entwicklung der Stintfischerei ist ein weiteres Symptom, das ernste Besorgnis erregt und einen traditionsreichen Berufszweig bedroht. Die Entwicklung erinnert an die Ems, die im Sommer oft monatelang als tot anzusehen ist, weil Bereiche mit sehr niedrigem Sauerstoffgehalt und feinem Schlick Überhand nehmen.
Die laufenden Arbeiten an der Elbe zerstören ganz offensichtlich den Fluss und gefährden die Sicherheit der Bewohner*innen im Cuxland. 2021 muss das Jahr der umweltpolitischen Fehlerkorrektur werden. Alle, denen der Naturschutz und die Deichsicherheit ein Herzensanliegen sind, wollen, dass die getroffenen Entscheidungen grundlegend überprüft werden. Das noch laufende Verfahren ist gemäss § 77 Verwaltungsverfahrensgesetz aufzuheben. Aus den bereits jetzt erkennbaren besorgniserregenden Abweichungen von den Erwartungen der Planer müssen jetzt ernsthafte Konsequenzen gezogen werden.
Notwendig ist eine durchgreifende wirtschaftliche Kooperation der Häfen in der Deutschen Bucht. Eine enge Kooperation der hamburgischen, bremischen, niedersächsischen und schleswig-holsteinischen Häfen und der Infrastruktur des Nord-Ostsee-Kanals muss Chancen zur Kombination der unterschiedlichen Stärken eröffnen. Ziel muss eine nachhaltige integrierte Hafeninfrastruktur sein, die die Chancen der Digitalisierung voll nutzt und beispielhaft umsetzt. Damit ist die seewärtige Logistik und der Hafenhinterlandverkehr umweltfreundlich abzuwickeln. Das liegt nicht zuletzt auch im wohlverstandenen Interesse der Stadt Hamburg.
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