Annalena hat in ihrer Vorstellungsrede als Kanzlerkandidatin den historischen Moment beschrieben, als sie in Paris dabei war, als alle Regierungen dem Klimaabkommen zustimmten. Unter den anwesenden Regierungsvertreter*innen waren aber eine ganze Anzahl von Personen mit viel "Dreck am Stecken" und auch viel Blut. Das ist traurig, mit solchen Figuren zusammenarbeiten´zu müssen, aber angesichts der Menschheitsaufgabe "Klimaschutz" nicht zu vermeiden.
Zu den Regierungschefs, die dem Abkommen zugestimmt und deren Parlamente es inzwischen auch ratifiziert haben, gehört auch Russlands Staatschef Putin. Beim virtuellen Klimagipfel vor einigen Tagen hat er wie auch die anderen Staatschefs die Pariser Verpflichtungen und das Ziel Russlands, bis 2050 klimaneutral zu werden, bekräftigt. An diesen Aussagen kann man getrost Zweifel hegen. Aber das ist nicht grundsätzlich anders wie bei den entsprechenden Bekundungen anderer Politiker*innen von Staaten, die bisher stark auf die Nutzung fossiler Energien gesetzt haben ...
Dass Russland "mit im Boot" ist, ist - unabhängig von Sympathien und Antipathien zu seiner Führungsclique - in unserem ureigensten Interesse. Falls der Permafrostboden auftaut, droht die Freisetzung von soviel Methan und CO-2, dass alle Anstrengungen zur Reduzierung von Treibhausgasen konterkariert werden. Da Russland der weltgrößte Förderer und Lieferant fossiler Energien ist, ist eine Dekarbonisierung hier besonders schwierig, aber auch besonders notwendig. Siehe dazu auch ein Arbeitspapier der Böll-Stiftung: https://ru.boell.org/de/2021/04/09/ein-gruener-kompass-fuer-die-energie-und-rohstoffbeziehungen
Die Entwicklung Erneuerbarer Energien in Russland steht - abgesehen von der Wasserkraftnutzung - erst am Anfang. Allerdings war der Vorgängerstaat Sowjetunion mal führend bei der Entwicklung Erneuerbarer Energien wie Hochtemperatur-"Sonnenöfen" gewesen. Diese Entwicklung brach ab mit der Entdeckung großer Vorkommen an Erdgas und Erdöl in den 60er-Jahren, aber die Befürworter der EE in Russland können sich da zumindest auf eine eigene Tradition berufen. Angesichts der schieren Größe des Landes gibt es auch sehr große Potentiale für die Nutzung von Sonne und Wind. So gibt es in den weitgehend menschenleeren nordrussischen Steppen sehr viel Platz für die Windenergie, ohne damit benachbarte Wohnhäuser stören zu können.
Aus Nordrussland stammt aber auch ein Großteil des Erdgases, dass durch mehrere Erdgaspipelines nach Mitteleuropa geliefert wird, u.a. durch die Pipeline "Nordsteam 1". Die im Bau befindliche Pipeline "Nordstream 2" soll dem gleichen Zweck dienen.
In der BAG Energie (der ich angehöre) haben wir uns im Winter intensiv über Wasserstoffstrategien ausgetauscht. Ein Fazit daraus war, dass wir den für die deutsche Wirtschaft notwendigen Wasserstoff vermutlich nicht allein in Deutschland werden herstellen können. Ein weiteres Fazit war, dass ein Transport in Gasform per Pipeline günstiger ist als verflüssigt per Schiff und dass sich dazu bestehende Erdgaspipelines umrüsten lassen.
Besser als die Umrüstung einer bestehenden Erdgaspipeline ist es aber, eine Pipeline gleich für den Zweck Wasserstoff einzurichten - womit wir bei "Nordstream 2" wären:
Für den Transport von Erdgas brauchen wir sie nicht, aber für den Transport von Wasserstoff könnte sie nützlich sein. Da, wo sie herkommt, gibt es sowohl genügend Windkraftpotential als auch Wasser (im Unterschied z.B. zu Nordafrika). Wenn Russland es schafft, eine Wasserstoffproduktion für "grünen Wasserstoff" aufzubauen - warum nicht auch mit Hilfe der deutschen Industrie? - , die zum Betrieb von "Nordstream 2" ausreicht, wäre eine sinnvolle Nachnutzung dieser Milliarden-Investition möglich. Und für Russland könnte dies einen wichtigen Schritt zur Dekarbonisierung seiner ganzen Wirtschaft darstellen.
Geopolitisch ginge dann von "Nordstream 2" keine Gefahr mehr aus. Wasserstoff kann grundsätzlich überall hergestellt werden, so dass keine Abhängigkeit von einem einzelnen Lieferanten zu befürchten ist. Eine Konkurrenz für us-amerikanischen Frackinggas wäre sie dann auch nicht mehr und die heutigen Erdgastransitstaaten wie Ukraine brauchen nicht zu befürchten, dass Russland ihnen den "Erdgashahn" abdreht ...
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