Veranstaltung: | 48. Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Bundesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 15.10.2022 |
Eingereicht: | 17.10.2022, 18:26 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Recht auf Nahrung sichern und Spekulationen stoppen – jetzt mit der Agrarwende für Ernährungssouveränität sorgen
Beschlusstext
Der Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine hat deutlich gemacht, wie
anfällig das globale Ernährungssystem ist. Die Klimakatastrophen durch Dürren und andere
Wetterextreme sind in großen Teilen der Welt ein zweiter massiver Treiber der
Ernährungskrise. Peter Maurer, Präsident des Internationalen Roten Kreuzes, stellt bereits
heute fest, dass 16 von 25 Einsatzgebieten des Roten Kreuz einen Bezug zum Klimakrise haben.
Nicht nur der Mangel an ausreichendem Getreide sorgt für Hunger, sondern hohe Preise machen
aus Armut Hunger, denn die Spekulationen auf den Agrarmärkten sind für einen Teil der
extremen Preisanstiege verantwortlich. Expert*innen schätzen, dass eine Preissteigerung von
30% allein auf Spekulation zurückzuführen ist. Die Liberalisierung der Agrarmärkte hat dazu
geführt, dass wenige private Unternehmen Zugriff auf die Getreidereserven haben und es kaum
öffentliche Lagerhaltung gibt. So kontrollieren ADM Archer-Daniels Midland, Bunge Ltd,
Cargill und Louis Dreyfus Co. und Glencore, zwischen 70 und 90 % des globalen
Getreidehandels und somit auch dessen Preisgestaltung. In Europa existieren so gut wie keine
staatlichen Getreidereserven mehr. Sowohl die USA als auch Europa haben keine ausreichenden
Regeln für die Begrenzung von Spekulationen mit Nahrungsmitteln.
Die derzeitige Energieknappheit richtet den Fokus auch auf die Produzenten von mineralischen
Düngemitteln. Die Abhängigkeiten von der Industrie im Agrarbereich, mit eine der Ursachen
der ungleichen Verteilung, der Preissteigerungen und Verknappung von Getreide in einzelnen
Regionen der Welt, müssen dringend reduziert werden. Die massiven Schäden in der Natur durch
die intensive Nutzung der Böden und der Wasserkreisläufe kommt hinzu. Intensive Produktion
mit chemisch-synthetischen Betriebsmitteln schadet Böden und Wasser. Wir müssen stattdessen
klimaresiliente, diverse agrarökologische Anbausysteme – auch international - stärker
fördern.
In Europa wandern 60% des Getreides in den Futtertrog, gehen 20% in die
Agrotreibstoffproduktion (E10, Ethanol, u.a.) und Industrie. Nur 20% des Getreides dienen
der direkten menschlichen Ernährung. Solange wir in Europa so verschwenderisch mit Getreide
umgehen, tragen wir zur Verschärfung der globalen Ernährungskrise bei.
Deshalb brauchen wir dringend ein Agrar- und Ernährungswende, die langfristig unter
verschärften Klimabedingungen die Ernährung sichert. Dazu gehören zum Beispiel
agrarökologische Anbaumethoden, freier Tausch von Saatgut, Bodenschutz und Humusaufbau und
die Förderung von kleinbäuerlicher Produktion und Vermarktung im Globalen Süden. Der Teller
- statt Trog, Tank und Tonne - muss Vorrang in der globalen Getreideproduktion haben.
Lebenswichtige Ressourcen wie Nahrungsmittel oder Wasser dürfen keine krisenverschärfenden
Spekulationsobjekte sein.
Bündnis 90/ Die Grünen fordern:
- Eine stärkere Regulierung der agrarischen Rohstoffmärkte.
Unter anderem: Preisaufsicht und Preislimits, Verhinderung exzessiver Spekulation und
Positionslimits, Kontrolle der Spekulation der multinationalen Agrarkonzerne,
Transaktionssteuer auf Rohstoffterminhandel.
- Die Einberufung eines Treffens des Welternährungsausschuss.
- Eine umfassende finanzielle Verpflichtung reicher Staaten zur Stärkung sozialer
Sicherungssysteme im Globalen Süden und der Förderung regionaler kleinbäuerlicher
Lebensmittelproduktion und –vermarktung.
- Agrarökologie als ganzheitliches, menschenrechtsbasiertes, transformatives Konzept zur
Grundlage der Entwicklungszusammenarbeit in den Bereichen Landwirtschaft und
Ernährungssouveränität machen.
- Einen Schuldenerlass für die von Hunger und Armut am meisten betroffene Länder.
- Den Einsatz Deutschlands und der anderen G7 Staaten für eine internationale
Koordination zur Bekämpfung der verschärften Hungerkrise im Welternährungsrat.
- Eine deutliche Reduktion des Einsatzes von Getreide als Futtermittel und ein Ende der
Produktion von Agrotreibstoff aus Getreide.
- Eine Agrarwende, welche die Methoden des Ökolandbaus und der Agrarökologie als
nachhaltigste Praxis anwendet, sowie Tierbestände deutlich reduziert und den Anbau von
Gemüse und Hülsenfrüchten fördert, und damit die globale Abhängigkeit von
Futtermittel-, Dünger-, und Energieimporten langfristig gesenkt werden kann.
- Eine Ernährungswende zugunsten pflanzenbasierter Ernährung: unter anderem durch
entsprechende Angebote in der Gemeinschaftsverpflegung sowie durch die Ausrichtung von
Steuern, Abgaben und Subventionen darauf, pflanzliche Lebensmittel günstiger zu
machen.
- Hilfsfonds zur Bereitstellung von organischen Düngemitteln und agrarökologische
Beratung auflegen, statt Blanko-Subventionen für chemisch-synthetische Düngemittel
auszugeben.
- Beschleunigung der Maßnahmen zur Diversifizierung der Nahrungsmittelproduktion und zur
Umstrukturierung der Handelsströme.
- Aufbau einer relevanten staatlichen Getreidereserve für Krisenzeiten in der EU.
- Die Verringerung der Marktmacht transnationaler Agrarkonzerne durch bessere
internationale Regulation, den Abbau von Subventionen, einem konsequenten Phase-out
der Förderung von AGRA und anderen Programmen, die vornehmlich agrarindustrielle
Landwirtschaft im Globalen Süden fördern.