Veranstaltung: | 48. Bundesdelegiertenkonferenz |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | ES Sichere Energieversorgung für den Winter |
Antragsteller*in: | KV Friedrichshain-Kreuzberg, Karl-Wilhelm Koch (KV Vulkaneifel) u.a. (dort beschlossen am: 14.10.2022) |
Status: | Eingereicht |
Verfahrensvorschlag: | Abstimmung (Abgelehnt) |
Eingereicht: | 14.10.2022, 18:13 |
ES-04 NEU: Am Atomausstieg festhalten - keine Laufzeitverlängerung und auch kein Streckbetrieb
Antragstext
Wir fordern die Bundesregierung, insbesondere die bündnisgrüne Fraktion und
Wirtschaftsminister Robert Habeck dazu auf, am Koalitionsvertrag und somit am Atomausstieg
festzuhalten. Jegliche Änderung des Atomgesetzes bezüglich eines Weiterbetrieb von
Atomkraftwerken über den 31.12.2022 hinaus, lehnen wir ab.
Wie vereinbart, muss zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 der Schwerpunkt der
Anstrengung der Energieversorgung auf dem Ausbau und der Nutzung der Erneuerbaren Energien
liegen. Atomkraft darf ab Dezember 2022 weder für die Strom- oder die generelle
Energieversorgung eingesetzt werden. Denn:
- Die Debatte um eine sogenannte Laufzeitverlängerung oder gar einen Wiedereinstieg in
die Atomenergie ist rein politisch motiviert.
- Atomenergie ist teuer - pro Kilowattstunde aus einem neuen AKW zwischen drei- und
viermal so teuer wie Energie aus Wind- oder Solaranlagen.
- Atomkraft ist unflexibel und damit nicht zum Betrieb gemeinsam mit Solar- und
Windenergie geeignet und natürlich gefährlich.
- Der Endlagerkompromiss wird gefährdet. Wenn der schwer erreichte Kompromiss zum
Ausstieg und der Endlagerfindung an einer entscheidenden und in der Findung heiß
umstrittenen Stelle aufgemacht, besteht die Gefahr, dass es nicht dabei bleibt.
Dadurch könnten die wesentlichen Ziele des Kompromisses und damit Endlagersuche, -
findung und -errichtung mit festem Zeitplan scheitern. Das Projekt, das über Tausende
von Generationen währen wird, wird aufs Spiel gesetzt.
Es geht den Befürworter*innen einer als “Streckbetrieb” getarnten Laufzeitverlängerung nicht
um die sichere oder gar die günstige Versorgung mit Energie, sondern nur ausschließlich
darum, vermeintliche “Lebenslügen der Grünen” aufzuzeigen und die Energiewende als Ganzes in
Frage zu stellen. Der grenzenlose Zynismus der Pro-AKW-Lobby zeigt sich bereits daran, dass
ein “Streckbetrieb” mit der möglichen Unzuverlässigkeit französischer AKW begründet wird.
Dabei ist glasklar, dass sich die Strom- und Energielücke durch das Ausbleiben russischen
Gases und den möglichen weiteren Ausfall französischer AKW anders weit besser beheben lässt,
etwa durch eine Flexibilisierung von Biogasanlagen, das Ende der Drosselung der PV-
Einspeisung, die kurzfristige Ertüchtigung von Netzen, etwa durch Batterien sowie im Zweifel
durch das stundenweise Abschalten großer Lasten. All das bietet ein Vielfaches an Potential
als der Weiterbetrieb der Atomkraft.
Atomkraftwerke bieten keine Energiesicherheit
AKW, z.B. in Frankreich müssen in Hitzesommern wie 2022 abgeschaltet werden, wenn Flüsse zu
warm werden und nicht ausreichend Kühlwasser liefern können, bzw. wenn durch das abgeleitete
Kühlwasser die Maximaltemperaturen überschritten werden. Frankreich ist diesen Sommer auf
Strom aus Deutschland angewiesen, weil 40 % der AKW wegen Störungen, Wartungsarbeiten oder
mangelndem Kühlwasser nicht laufen können. Atomkraft leistet hier keinen Beitrag zur
Versorgungssicherheit, und ist absehbar nicht mehr mit dem Klimawandel verträglich.
AKW sind unflexibel
AKW können nicht flexibel hoch- und runtergefahren werden und hätten deshalb immer Vorrang
vor dem Strom aus Wind und Sonne. Eine Laufzeitverlängerung würde die Energiewende hin zu
erneuerbaren Energien blockieren. Statt auf regionale Brown-Outs mit flexiblem
Lastmanagement zu reagieren, soll auf Verdacht atomare Grundlast vorgehalten werden – auch
um den Preis Windräder und Photovoltaik in verbrauchsarmen Zeiten abzuschalten.
Hohe wirtschaftliche Risiken
Die Betreiber der letzten drei AKW verlangen jetzt schon, dass der Staat wirtschaftlich
einspringt und die Haftung für alle Risiken übernimmt. Dies würde zu einer zusätzlichen
Belastung des Bundeshaushalts führen, denn niemand wird diese Kraftwerke versichern. Wir
brauchen das Geld für die Energiewende!
AKW sind unsicher!
Seit drei Jahren, seit 2019, ist die gesetzlich vorgeschriebene periodische
Sicherheitsüberprüfung für die noch laufenden AKW eigentlich überfällig. Eine seriöse
Sicherheitsprüfung dauert rund zwei Jahre. Genau solche Sicherheitsüberprüfungen haben in
Frankreich zum Abschalten von AKW geführt. Gefahren erkennt man erst, wenn man prüft!
Betreiberfirmen der Atomkraftwerke haben angekündigt, ab dem ersten Januar keine Haftung für
Unfälle übernehmen zu wollen. Eine wie auch immer geartete Laufzeitverlängerung hieße, dass
die Abgeordneten des Deutschen Bundestages diese Anlagen ungeprüft für sicher erklären
würden. Der Ersatz einer Prüfung durch die zuständige Atomaufsicht durch den Glauben des*der
einzelnen Abgeordneten ist kaum mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz
von Leben und Gesundheit zu vereinbaren. Vor diesem Hintergrund ist eine
Laufzeitverlängerung der letzten drei AKW in jedem Fall zu verhindern.
Steckbetrieb führt fast zwangsweise zu Laufzeitverlängerung!
Für die Streckbetrieb genannte Laufzeitverlängerung, in der die Anlagen mit den
verbleibenden Brennelementen auskommen müssen, müsste die Stromproduktion jetzt schon
gesenkt werden, damit der Brennstoff länger reicht. Die zeitliche Verlängerung würde nicht
zu mehr Strom führen. Werden hingegen die Brennelemente im Jahr 2022 voll abgebrannt und
Anfang 2023 dennoch weiterverwendet, dann sinkt die Kraftwerksleistung im Frühjahr schnell
ab – auch dann bleibt der Zusatz- Beitrag zur Stromerzeugung sehr überschaubar. Verglichen
mit dem gesetzgebungstechnischen und politischen Aufwand, der dafür nötig wäre, lohnt sich
das in keiner Weise. Die Befürworter*innen eines Streckbetriebs liefern zudem jedes Argument
für eine darüberhinausgehende Laufzeitverlängerung, da die Lage im Winter 2023/24 in Bayern
kaum anders sein wird als in diesem. Wer mit Streckbetrieb anfängt, droht am Ende bei einer
Verlängerung mit neuen Brennelementen zu landen.
Wir teilen die wissenschaftliche Sicht der Umweltverbände
Wir teilen die Position von
- .ausgestrahlt, dass AKW weder nutzbare Wärme erzeugen noch Erdgas als Industrie-
Rohstoff ersetzen, sondern ihr Weiterbetrieb für CDU, CSU und FDP bloß den Ausstieg
vom Ausstieg einleiten soll.
- der Deutschen Umwelthilfe (DUH), dass ein Weiterbetrieb der drei verbleibenden
deutschen Atomkraftwerke Neckarwestheim II, Emsland und Isar 2 ein unkalkulierbares
und vollkommen unnötiges Sicherheitsrisiko darstellt, das keinen Beitrag zur
Energiesicherheit leisten würde.
- des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), dass Atomkraft eine
unberechenbare Hochrisiko-Technik ist und für die Energieversorgung mit einem Anteil
von etwa einem Prozent am Endenergieverbrauch weder kurz- noch mittelfristig eine
wesentliche Rolle spielt. Die letzte periodische Sicherheitsprüfung der letzten drei
AKW, die mindestens alle 10 Jahre erfolgen muss, fand 2009 nach den
Sicherheitsanforderungen aus den 1980er Jahren statt. Das Uran kommt zudem derzeit
auch aus Russland und Kasachstan. Das ist keine Energieunabhängigkeit.
- des Naturschutzbund Deutschland (NABU), dass nicht die Atomkraft die erhoffte
Importunabhängigkeit und Versorgungssicherheit gewährleistet, sondern einzig die
heimischen Erneuerbaren Energieträger Wind, Biomasse, Solar, Wasser und Erdwärme.
Wir müssen unserer Voreiterrolle treu bleiben!
Eben weil Atomkraft eine gefährliche, nicht beherrschbare Energietechnologie ist, haben wir
uns seit unserer Gründung für Alternativen stark gemacht. Der gesetzlich beschlossene
Atomausstieg und der Einstieg in die Erneuerbaren Energien gehören zusammen - haben nicht
nur zu einem breiten gesellschaftlichen Konsens geführt. Der Atomausstieg steht daher auch
für Verlässlichkeit und Investitionssicherheit in der Energiepolitik. Die deutsche
Energiewende mit der hier eingeleiteten Kostendegression ist verantwortlich, dass weltweit -
von China bis in die USA - Erneuerbare Energien boomen. Jedes Jahr gehen mehr erneuerbare
als fossile Kapazitäten und ein Hundertfaches als atomare
Kapazitäten ans Netz. Wenn nun Deutschland, das inzwischen mehr als doppelt so viel Strom
erneuerbar erzeugt als die Atomenergie in ihren besten Zeiten, sich durch eine
Laufzeitverlängerung ohne sachlichen Grund selbst bescheinigt, nur mit Atomenergie
Versorgungssicherheit herstellen zu können, ist dies ein gewaltiger Rückschlag für die
globale Energiewende.
Den Atomkonsens bewahren
Der Atomkonsens ist eine Errungenschaft jahrzehntelanger Bemühungen unserer Partei, die wir
unter keinen Umständen wieder aufgeben sollten. Das gilt gerade für den Entsorgungskonsens.
Die Endlagersuche für den eine Million Jahre strahlenden Atomabfall ist ungelöst. Es ist
eine Frage der
Generationengerechtigkeit, den nächsten 40000 Generationen nicht noch mehr strahlenden
Atommüll aufzubürden – und stattdessen konsequent auf den Ausbau von Wind- und
Sonnenenergie, Energieeffizienz und Energiesparen zu setzen.
Energiewende umsetzen statt falsche Rezepte von gestern erneut zu probieren
Bayern, wo jetzt am lautesten nach Laufzeitverlängerung gerufen wird, ist durch die
verfehlte Energiepolitik wie kein anderes Bundesland auf Stromimporte angewiesen. Die
bayerische Regierung muss endlich Energiesparmaßnahmen umsetzen. Neun der 18 Städte mit dem
pro Kopf höchsten Energieverbrauch liegen in Bayern. Kein Strom für die Beschneiung der
bayerischen Alpen ist nur ein Beispiel für das gigantische Stromsparpotenzial. Die 8% Strom
aus Atomkraft und die Verstromung von Erdgas werden vor allem durch Sparmaßnahmen und ein
bedarfsgerechtes Lastmanagement ersetzt werden müssen. Pro Kopf verbraucht Bayern übrigens
doppelt so viel Gas wie der Rest des Landes. Bayern muss aber vor allem sofort damit
aufhören, den Ausbau von Windkraft und Stromtrassen zu verhindern.
Energie aus Sonne und Wind statt aus Kohle, Gas, Öl - und Atom
Die Argumente gegen Atomkraft gelten weiter. Würden wir die atomare Gefahr für einige Monate
Streckbetrieb akzeptieren, statt mit aller Kraft Energie zu sparen und erneuerbare Energie
auszubauen, riskieren wir die Energiewende. Die Debatte um eine Laufzeitverlängerung auch in
Form eines Streckbetriebs von AKW zieht die Aufmerksamkeit und Energie weg von der einzig
nachhaltigen und langfristig tragfähigen Lösung für die Energiekrise: den Ausbau der
Erneuerbaren.
Kommentare