Veranstaltung: | 48. Bundesdelegiertenkonferenz |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | K Klimakrise als Menschheitsaufgabe: für Klimaschutz, für Freiheit |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Bundesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 16.10.2022 |
Eingereicht: | 16.10.2022, 18:00 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Die Digitalisierung grün gestalten
Beschlusstext
Einleitung
Die Digitalisierung bietet große Chancen zur Eindämmung der Klimakrise und Lösungen für
zahlreiche ökologische Probleme. Ob vernetzte Fahrzeuge, effiziente Industrie, punktgenaue
Verteilung regenerativer Energie oder intelligente Bewässerung auf Feldern: Mit digitalen
und datengetriebenen Innovationen können wir den Energie- und Ressourcenverbrauch
zielgerichtet reduzieren. Diese Chance müssen wir nutzen.
Unterlassen wir die nachhaltige Steuerung der Digitalisierung, schaden wir der Umwelt mit
vielfältigen Folgen. Die gesamte Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) verursacht
derzeit geschätzte 2-4 Prozent aller Treibhausgase weltweit und damit mindestens so viel wie
Deutschland. Weltweit steigt der Energieverbrauch durch Rechenzentren, Datenströme und
private Endgeräte enorm an, so dass wir Standards und Bedingungen formulieren müssen, damit
in Zukunft die positiven Auswirkungen der Digitalisierung auf Klima und Umwelt überwiegen.
Auch für die Produktion und Nutzung von IKT-Geräten zahlen Mensch und Natur bislang einen
hohen Preis. Im Jahr 2019 fielen weltweit 53,6 Millionen Tonnen Elektroschrott an und nur
17,4 Prozent davon wurden ordnungsgemäß gesammelt und recycelt. Wir müssen mit unseren
Ressourcen besser umgehen und dem Wegwerf-Trend entgegenwirken. Wir dürfen nicht dulden,
dass Elektroschrott aus Europa mitsamt seinen Gesundheits- und Sicherheitsrisiken
unverantwortlich in ärmeren Weltregionen abgeladen wird.
Wir brauchen eine grüne Digitalisierungsstrategie, mit der wir das Nachhaltigkeitspotenzial
in vollem Maß ausschöpfen und gleichzeitig die umweltschädlichen Auswirkungen der
Digitalisierung eingrenzen. Nur wenn wir die digitale und die grüne Transformation zusammen
denken, können wir die Herausforderung der Klimakatastrophe bewältigen und eine Ära des
nachhaltigen Wirtschaftens für alle Menschen einläuten.
Dazu muss die Digitalisierung auf den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen ausgerichtet
werden. Gleichzeitig müssen alle Nachhaltigkeitsstrategien die Digitalisierung
berücksichtigen. Auf europäischer Ebene müssen der Green Deal und die Digitalisierung
lückenlos verzahnt werden. In Deutschland müssen alle digitalen Strategieprozesse der
Bundesregierung und der Länder in den Dienst der Nachhaltigkeitstransformation gestellt
werden.
Software – offen und nachhaltig
Durch die Digitalisierung entstehen neue Geschäftsmodelle und Dienstleistungen, die zu
großen Teilen auf Innovationen der Software basieren. Dieser Bereich birgt ein großes
Energieeinsparpotenzial. Software selbst hat je nach Programmierung unterschiedliche
Energiebedarfe. Außerdem hat sie enormen Einfluss auf die Funktionen und damit den
„Energiehunger“ zahlreicher smarter Endgeräte vom Computer bis zum Kühlschrank. Die
eingebaute Software bestimmt auch bei vielen Geräten mittlerweile darüber, wie kurz oder
lang Geräte genutzt werden können. Insbesondere quelloffene bzw. freie Software ermöglicht
es, anwendungsbezogene und ressourcensparsame Lösungen zu entwickeln und anzupassen. Darum
ist der stärkere Einsatz für quelloffene Software auch ein Einsatz für mehr Nachhaltigkeit
in der Digitalisierung, er erhöht die Teilhabe und baut Abhängigkeiten ab. Endgeräte können
länger betrieben werden, da relevante Updates auch erstellt werden können, wenn der
offizielle Support des Anbieters ausgelaufen ist. Weiterentwicklungen können auf bestehendem
Code aufbauen, aber auch nicht mehr benötigten wegstreichen. Deshalb muss öffentliche
Verwaltung prioritär auf quelloffene Software setzen.
Green Coding
Bisher gibt es kaum nachhaltige Vorgaben für die Softwareentwicklung, da ineffiziente
Programmierung oft durch schnellere Prozessoren oder leistungsfähigere Hardware-Komponenten
ausgeglichen wurde. Schlanke Programmierung und die Berücksichtigung der Energieeffizienz
bei der Wahl von Programmiersprachen können jedoch zu einer deutlich besseren Energiebilanz
führen. Deshalb muss Nachhaltigkeit in den Rahmenlehrplänen der Ausbildungseinrichtungen und
Hochschulen verankert werden. Gleichzeitig fördern wir Fortbildungen zu nachhaltiger
Programmierung für erfahrene Entwickler*innen.
Daten-, Ressourcen- und Energiesparsamkeit müssen Gebote der Softwareentwicklung werden. Wir
wollen dafür Anreize schaffen, um das bisher häufig angewendete Prinzip, teure
Programmierzeit auf Kosten der Rechenzeit zu sparen, umzukehren.
Kriterien wie die Ressourceneffizienz von Produkten und der Einfluss von Software auf die
Hardwarenutzungsdauer sind messbar. Wir fördern die Analyse von sozio-technischen Systemen,
also die gemeinsame Betrachtung der Faktoren Mensch, Software, Hardware, Sensoren und
Aktoren, im Hinblick auf Energie und Nachhaltigkeit und die Entwicklung von
Energieeffizienz-Kennwerten von Komponenten und Werkzeugen der Softwareentwicklung im
Hinblick auf die Etablierung einer Kennzeichnung für energieeffiziente Software. Eine solche
Kennzeichnung kann im nächsten Schritt als Grundlage für gesetzliche Mindeststandards und
zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung auch im Software-Bereich dienen.
Wir setzen uns dafür ein, dass neue Softwareprodukte und die für sie angewandten
Technologien langfristige Interoperabilität und Kompatibilität zwischen Geräten,
Gerätegenerationen und Standards aufweisen.
Vernetzte Geräte
Software spielt auch eine entscheidende Rolle beim aktuellen Trend zur Vernetzung von
Haushaltsgeräten (Smart Home) und Dingen des Alltags mit dem Internet (Internet of Things).
Dabei darf es keine Automatismen geben. Vernetzung ist nur dann sinnvoll, wenn sie einen
konkreten Mehrwert für die Nutzer*innen oder die Energieeffizienz hat und nicht zu
zusätzlicher Überwachung oder weniger Sicherheit führt. Das hat zur Folge, dass
Schnittstellen oder Cloudanwendungen nicht nur heute, sondern langfristig funktionieren
müssen. Schlechte Programmierung und mangelnde Interoperabilität und Konnektivität können
dazu führen, dass bisher langlebige Haushalts- und Unterhaltungselektronik-Geräte trotz
Funktionsfähigkeit des eigentlichen Geräts in kürzeren Abständen ausgetauscht werden. Ohne
gesellschafts- und umweltpolitische Maßnahmen können marktbeherrschende Unternehmen in
diesem Geschäftsfeld ihre Monopolstellungen auf Kosten der Verbraucher*innen und der
Nachhaltigkeit ausnutzen. Studien belegen: Nur ein Bruchteil der Systeme ist bisher so
ausgerichtet, dass Energieflüsse effizient gesteuert werden.
Die Kernfunktionalitäten für Produkte innerhalb eines Systems müssen gewährleistet sein.
„Sustainability by design“ muss mit klaren Kriterien für Softwareprodukte definiert und mit
„Security by design“ verschränkt werden.
Nachhaltige Rohstoffpolitik und Kreislaufwirtschaft
Handys, Tablets und Laptops sind unsere alltäglichen Begleiter, aber keine Wegwerfprodukte.
Wir arbeiten auf allen Ebenen daran, dass sie länger leben und reparierbar sind. Wir konnten
in der EU-Batterienverordnung erreichen, dass Handy-Akkus zukünftig austauschbar sein
müssen. Um den rasant wachsenden Berg von Elektroschrott einzudämmen, haben wir
durchgesetzt, dass ab 2024 einheitliche Ladekabel für Geräte wie Smartphones, Laptops,
Digitalkameras und E-Reader verpflichtend werden.
Damit aus unseren Technikschubladen wieder Rohstofflager werden, müssen wir noch einen
Schritt weitergehen. In der nachhaltigen Produktpolitik machen wir uns für europäische
Mindeststandards stark, die den Umweltfußabdruck und die Klimabilanz von technischen Geräten
massiv verbessern. Klares Labeling von beispielsweise der Reparierbarkeit und ein digitaler
Produktpass ermöglichen die nachhaltige Wahl an der Ladentheke und das spätere Recycling für
eine echte Kreislaufwirtschaft. Damit nicht nur das Klima, sondern auch der Geldbeutel der
Verbraucher*innen von Nachhaltigkeit profitieren, streiten wir für ein echtes Recht auf
Reparatur, das Ersatzteile und Anleitungen allen Tüftler*innen und Werkstätten zur Verfügung
stellt, Software-Updates bereithält, Reparatur dem Austausch von kaputten Produkten
bevorzugt, die Hersteller stärker in die Verantwortung nimmt und finanzielle Anreize für die
Reparatur setzt.
Wir wollen durch klare Recyclat-Vorgaben die Kreislaufwirtschaft voranbringen und, wo nötig,
die gesetzlichen Grundlagen für einen schnellen Aufbau des Rohstoffrecyclings ermöglichen.
In vielen Fällen kann der Rohstoffbedarf noch nicht über Recycling und Kreislaufwirtschaft
gedeckt werden. Daher setzen wir auf eine Rohstoffpolitik, die Nachhaltigkeit und
Versorgungssicherheit miteinander verbindet und die einen Beitrag dazu leistet, die
Bedingungen im Abbau und der Verarbeitung von Rohstoffen – für Produkte wie Handys und
Laptops und für die Digitalisierungsinfrastruktur – zu verbessern. Die Ausbeutung von
Menschen und Umwelt darf nicht Grundlage der Digitalisierung sein. Wir setzen uns daher für
die Diversifizierung von Rohstofflieferketten ein und wollen vornehmlich Partnerschaften mit
den Ländern, die als Wertepartner gelten, ausweiten und dadurch dazu beitragen, einseitige
Abhängigkeiten in Rohstofflieferketten zu reduzieren. Wir wollen dazu beitragen, die
Bedingungen im Rohstoffsektor weltweit zu verbessern durch verbindliche Standards entlang
von Lieferketten auf europäischer Ebene und für alle Importe in die EU.
Zudem setzen wir uns für transparente Verfahren im Rohstoffsektor ein, um Korruption und
Steuervermeidung zu reduzieren.
Rechenzentren effizient betreiben
Der Datenverkehr nimmt rasant zu und wurde durch die Corona-Pandemie zusätzlich gesteigert.
Dadurch müssen Rechenzentren immer mehr Kapazitäten vorhalten. Damit dieses Wachstum so
nachhaltig wie möglich erfolgt, müssen öffentliche Rechenzentren bis 2025 ein
Umweltmanagementsystem einführen, neue Rechenzentren spätestens ab 2027 klimaneutral
betrieben werden und alle Rechenzentren in Europa bis 2030 klimaneutral werden.
Das öffentliche Energieeffizienz-Register, das sich gerade bundesweit im Aufbau befindet,
kann Grundlage für eine künftig verpflichtende Effizienz-Kennzeichnung von Rechenzentren
sein. Auch auf EU-Ebene hat das Parlament für die neue Energie-Effizienz-Richtlinie ein
verpflichtendes Kataster für Rechenzentren ab 2024 beschlossen. Ab 2025 sollen in der EU
Mindeststandards für die effiziente Nutzung von Energie und Ressourcen gelten.
Betreiber*innen sollen jährlich den Energieverbrauch berichten. Durch diese Transparenz
kurbeln wir den Wettbewerb um die nachhaltigsten Lösungen an. Die Kennzahlen helfen auch den
Betreiber*innen selbst bei der Optimierung ihres Betriebs, z.B. durch eine bessere
Auslastung der Server. Wir schaffen auf der anderen Seite mehr Transparenz für Kund*innen.
Der Blaue Engel als Zertifizierung ist die Richtschnur. Kund*innen müssen wie bei
Kühlschränken künftig auch bei Rechenzentren die Effizienz auf einen Blick erkennen können,
damit wir den Markt bewegen. Für die öffentliche Hand ist eine solche Transparenz zudem
Grundlage für nachhaltige Vergabe.
Energieeinspar-Potenzial bietet außerdem die Nutzung der Abwärme von Rechenzentren, die
zurzeit größtenteils verpufft. Bestehende Rechenzentren sollten die Wärme selber nutzen oder
ohne bürokratischen Aufwand vermarkten dürfen. Bei Neubauten müssen Synergien von vornherein
mitgedacht werden, z.B. indem die Abwärme als Nah- und Fernwärme für die Versorgung von
Häusern und Geschäftsgebäuden zur Verfügung gestellt wird. Das bedeutet auch, dass Neubauten
nicht mehr auf der grünen Wiese entstehen sollen, sondern in der Nähe potenzieller Abnehmer.
Als Voraussetzung verpflichten wir neue Rechenzentren zur Flüssigkühlung, weil ihr hohes
Wärmeniveau am besten nutzbar ist.
Künstliche Intelligenz grün gestalten
Künstliche Intelligenz kann bei der Bekämpfung des Klimawandels, bei der Klimafolgen-
Anpassung und dem Erreichen der UN-Nachhaltigkeitsziele wichtige Dienste leisten. Die
Steuerung von Stromnetzen mit erneuerbaren Energien, Prozesseffizienz in der industriellen
Fertigung, das Nachverfolgen von Entwaldung oder die Modellierung von Überschwemmungen sind
Beispiele wertvoller Innovation durch künstliche Intelligenz, insbesondere durch Methoden
des Maschinellen Lernens. Aber genauso können Anwendungen von Künstlicher Intelligenz den
Konsum steigern, die klimaschädliche Ölförderung verstärken oder die industrielle
Tierhaltung intensivieren.
Deshalb brauchen wir einen gesellschaftlichen Konsens darüber, wofür wir Anwendungen
Künstlicher Intelligenz einsetzen wollen und wofür nicht. Automatisierung und
Effizienzsteigerung bedeuten nicht automatisch, dass KI-Tools in allen Bereichen sinnvoll
und verhältnismäßig sind. Ob selbstfahrende Autos die CO2-Emissionen erhöhen oder
verringern, hängt beispielsweise unter anderem davon ab, ob sie öffentliche Verkehrsmittel
ersetzen oder ergänzen. Das ist eine gesellschaftliche Entscheidung.
Wir brauchen KI für Nachhaltigkeitslösungen beim Klimaschutz und fördern diese durch
gezielte Forschung und Umsetzung bis zur Marktreife von KI-Anwendungen, die den Klimawandel
bekämpfen helfen und die Klimafolgenanpassung fördern. Außerdem fördern wir langfristige
öffentliche Forschung, die den Zusammenhang zwischen KI und Umweltauswirkungen untersucht,
wie z. B. das Anwendungslabor für KI und Big Data beim Umweltbundesamt.
Bislang fehlen unabhängige Standards und Kriterien zur Bewertung der Auswirkungen von KI auf
Klima und Umwelt. Künstliche Intelligenz verbraucht Ressourcen, erzeugt Abfälle und hat
einen hohen Stromverbrauch. Bisher fehlen jedoch unabhängig prüfbare Daten, da viele
Anwendungen der Künstlichen Anwendungen von wenigen Großkonzernen entwickelt werden. Ein
erster Schritt wären also Offenlegungspflichten über den Strom- und Ressourcenverbrauch von
Anwendungen der Künstlichen Intelligenz, die von der öffentlichen Hand eingesetzt werden
oder nach dem europäischen AI Act zertifiziert werden.
Wir verankern Nachhaltigkeitskriterien in KI-Strategien und -Gesetzgebung, besonders dem AI
Act der Europäischen Union. Wir setzen uns ein für die Entwicklung von europäischen
Energieeffizienz-Standards und Richtlinien zur Bewertung des Ressourcen- und
Stromverbrauches von KI-Anwendungen. Wir fördern Vorgaben für qualitative Bewertungen der
Umweltauswirkungen von KI-Produkten und -Anwendungen durch die Hersteller für die Zeit bis
zur Bereitstellung von Standards. Wir unterstützen die Entwicklung von Messmethoden und
Richtlinien zur Schätzung und Berichterstattung des ökologischen Fußabdrucks, z.B. zu den
verwendeten Trainingsdaten, ihrer Qualität und Quantität, zum Stromverbrauch des Trainings
und dem Verbrauch im laufenden Betrieb. Nachhaltigkeit muss ein maßgebliches Kriterium bei
der Beschaffung von KI durch öffentliche Stellen sein. Wir fördern den Aufbau von KI-
Kompetenz in Ministerien und Behörden, die es ihnen erlaubt, Anwendungen intern und extern
zu prüfen und zu evaluieren, um die Verwaltung effizienter und klimafreundlicher zu
gestalten.
Besonders wichtig sind angesichts der von wenigen Großkonzernen dominierten Anbieterstruktur
Interoperabilitätsstandards für kommerzielle KI-Anwendungen zur Vermeidung von Lock-in-
Effekten und zur Förderung einer breiten Anbieter-Landschaft.
Nachhaltige Standards und Zertifizierung
Wir brauchen Umweltstandards für digitale Technologien, Netze und Infrastrukturen für ihren
gesamten Lebenszyklus. Nur so können wir die richtigen strategischen Entscheidungen im
Hinblick auf den Nutzen und die Umwelt- und Klimaauswirkungen treffen.
Die für die Zukunft entscheidenden digitalen Technologien müssen konsequent an einer
Nachhaltigkeitsstrategie ausgerichtet sein. Derzeit sind technische Standards in der
Digitalisierung auf nationaler und europäischer Ebene sowie weltweit weitgehend durch
Interessen der wirtschaftlichen Akteure getrieben. Die Normierung der Digitalisierung auf
Nachhaltigkeit durch politische Rahmenbedingungen kann die Nachhaltigkeitstransformation
aber entscheidend voranbringen. “Ressourcen- und Energieeffizienz by design” müssen zum
Ausgangspunkt in der Konzeption und beim Betrieb digitaler Infrastrukturen werden. Daten zur
Abschätzung der Umweltauswirkungen von digitalen Technologien sind von öffentlichem
Interesse, aber bisher teilweise nicht öffentlich verfügbar. Hersteller und Betreiber von
digitalen Technologien müssen deshalb dazu verpflichtet werden, über die Anforderungen der
Nachhaltigen Produktpolitik hinaus einmal im Jahr Rechenschaft über die Nachhaltigkeit ihrer
Dienstleistungen abzulegen. Durch diese Transparenz sind wir künftig in der Lage, auch hier
gesetzgeberische Mindestanforderungen zu stellen.
Entscheidend ist auch die Transparenz für Kund*innen und Endverbraucher*innen durch
Auskunftspflichten, Labels und Zertifizierungen. Eine Weiterentwicklung des Blauen Engels
und Ausdehnung auf weitere digitale Lösungen ist genauso erforderlich wie die
Fortentwicklung von Ökodesign-Kriterien. Die öffentliche Hand muss dabei vorausgehen und die
Nachfrage nach zertifizierten Produkten steigern, indem bei IT-Beschaffungen
Zertifizierungen wie der Blaue Engel zum Standard werden.
Video-Streaming ist für geschätzte 60 Prozent des Datenverkehrs im Internet und damit einen
enorm hohen Energieverbrauch verantwortlich. Die freiwillige Begrenzung von Streaming-
Bitraten durch große Streaming-Dienste während der COVID-19-Krise wurde weithin akzeptiert.
Geringere Auflösungen als technisch möglich müssen deshalb als Voreinstellung verpflichtend
sein und sollten nur auf Wunsch der Nutzer*innen geändert werden können. Ebenso sollten
Nutzer*innen selbst darüber entscheiden, welche Videos sie anschauen möchten. Deshalb sollte
das automatische Abspielen von Videos, z.B. beim Öffnen einer Seite oder nach dem Abspielen
eines vorherigen Videos nicht als Default-Option aktiviert sein.
Tracking im Internet, also das Sammeln von personenbezogenen Daten zu Werbezwecken,
verursacht ebenfalls einen hohen Stromverbrauch. Langfristig brauchen wir genauso wie für
Produkte auch für Dienstleistungen Standards, die alle digitalen Dienstleistungen auf den
Nachhaltigkeits-Prüfstand stellen.
Rebound-Effekte vermeiden
Effizienzgewinne bei der Digitalisierung werden zu oft durch zusätzlichen Konsum
aufgefressen, z.B. wenn wir durch verbesserte Datenübertragung mehr Dienste in Anspruch
nehmen als vorher. Deshalb braucht es neben den anderen beschriebenen wirkungsvollen
Maßnahmen weitere Steuerungsinstrumente und absolute Grenzen zur Senkung des gesamten
Ressourcenverbrauchs der digitalen Transformation. Die Fiskalpolitik muss umweltschädliche
Subventionen streichen und die Steuerlast stärker vom Faktor Arbeit auf Ressourcenverbrauch
verlagern. Dadurch wird umweltschonendes Verhalten von Produzent*innen und Verbraucher*innen
finanziell attraktiver, gleichzeitig durch die steuerliche Entlastung Beschäftigung
gesichert und z.B. das Reparieren lukrativer als die Produktion neuer digitaler Geräte.
Außerdem sind Cap-and-Trade-Systeme wie der europäische Emissionshandel geeignete
marktwirtschaftliche Instrumente, um Grenzen für den Ressourcenverbrauch festzulegen,
innerhalb derer frei agiert werden kann und Effizienzsteigerungen weiterhin möglich sind.
Moderne digitale Verwaltung für die
Nachhaltigkeitswende
Öffentliche Verwaltung muss auf der Personalebene die Kompetenzen aufbauen, um
Digitalisierungsprozesse kompetent zu steuern. Vor allem in der Umweltverwaltung müssen
digitale Technologien gezielt eingesetzt werden, um Verwaltungsprozesse bürger*innennah und
transparent zu gestalten und die Energie- und Verkehrswende voranzutreiben.
Agile Produktentwicklung und enthierarchisierte Organisationsformen ermöglichen
Experimentierräume. Transparenz, Offenheit und zivilgesellschaftliche Partizipation sollen
Prinzipien moderner Verwaltung sein.
Quelloffene Software verhindert Lock-in-Effekte und Abhängigkeiten, die für die Planung
erforderlichen Daten sollen datenschutzfreundlich und effektiv von der öffentlichen Hand
genutzt werden. Open source stärkt regionale Wertschöpfung, senkt Markteintrittsbarrieren
für kleine und mittelständische Unternehmen und vereinfacht Kooperation zwischen
Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft.
Den Rechtsanspruch auf offene Daten und die Bereitstellung dieser wollen wir ausbauen und
weitere Projekte anstoßen, um insbesondere Umweltdaten einfacher nutzbar zu machen. Das
Umweltbundesamt wollen wir an der Schnittstelle Digitalisierung und Nachhaltigkeit weiter
stärken.
Vielfalt und Zivilgesellschaft in der Digitallandschaft
Die Gesellschaft ist bei der Gestaltung der Digitalisierung bislang nicht repräsentativ
vertreten, weil überwiegend weiße Männer die Digitalbranche prägen. Im Jahr 2021 erhielten
Start-up-Unternehmen in Europa mit reinen Frauen-Teams nur 2 Prozent des Wagniskapitals, 9
Prozent gingen an gemischte Teams und 89 Prozent an rein männliche Gründer. Das ist nicht
nur wirtschaftlich von Nachteil, sondern auch für die Umwelt. Untersuchungen belegen, dass
Unternehmen mit gemischten Vorständen profitabler arbeiten und Frauen häufig mehr Wert auf
umweltbezogene und soziale Nachhaltigkeit legen sowie für mehr Gründungen in diesem Bereich
sorgen. Deshalb fördern wir Vielfalt und gleichzeitig die Fokussierung auf mehr
Nachhaltigkeit, indem wir öffentliche Gelder zur Gründungsförderung geschlechtergerecht und
vielfaltsfördernd vergeben. Ein besonderes Augenmerk der öffentlichen Gründungsförderung
muss auf Start-ups liegen, die klima- und umweltfreundlichen Dienstleistungen und Produkte
entwickeln.
Auch in Ausbildung, Studium, Forschung und Wirtschaft sind Frauen und mehrfach
marginalisierte Personen unterrepräsentiert. Deshalb unterstützen wir Programme und
Initiativen, die Digitalisierungsthemen für alle gleich attraktiv machen.
Die Zivilgesellschaft ist in Sachen Umwelt und Klimaschutz oft weiter als Politik und
Wirtschaft. Wir setzen uns für die gezielte Förderung von zivilgesellschaftlichen und nicht
profitorientierten Initiativen und Gründungen ein, die oft innovative nachhaltige Lösungen
hervorbringt.
Bildung und Forschung für eine grüne digitale Welt von
morgen
Digitalisierung und Nachhaltigkeit müssen in Ausbildung, Studium, Forschung und Lehre
zusammen gedacht werden, z.B. indem Umweltauswirkungen digitaler Technologien diskutiert und
ressourcensparende Programmierung fester Bestandteil der Lehrpläne werden.
Das Verständnis für die nachhaltige Nutzung von digitalen Technologien wird essenziell
werden. Dafür starten wir auf Bundes- und Länderebene Aufklärungskampagnen zu durch die
Digitalisierung vereinfachten nachhaltigen Konsummodellen wie »Nutzen statt Besitzen« und
Konzepten wie “digital detox” zum gesundem Umgang mit digitalen Medien. Staatlich initiierte
Ideen-Wettbewerbe und Förderprogramme können zudem soziale Innovationen für eine digitale
Kultur der Nachhaltigkeit anstoßen. Auch in der Wissenschaft müssen Digitalisierung und
Nachhaltigkeit stärker vernetzt untersucht werden. Trotz vielversprechender Ansätze sind die
wissenschaftlichen Communities für Nachhaltigkeit auf der einen und für digitale
Technologien auf der anderen Seite noch nicht eng genug zusammen. Öffentliche
Forschungsförderung muss den Zusammenhang zwischen Digitalisierung und Umweltauswirkungen
fokussieren und zugehörige Netzwerke zwischen Forscher*innen unterschiedlicher Disziplinen
unterstützen. Wir fördern Allianzen wissenschaftlicher Communities zur Nachhaltigkeit.
Eine integrierte Forschungsstrategie für Nachhaltigkeit in der digitalen Gesellschaft legt
die Grundlage für ein entsprechendes inter- und transdisziplinäres Forschungsprogramm.
Wichtige Felder sind beispielsweise Echtzeit-Monitoring von Ökosystemen, Stoffströmen und
Infrastrukturen oder Verfahren der digitalen Modellierung („Digitaler Zwilling“).
Öffentliche Forschung muss dabei unabhängig und offen zugänglich sein. Öffentliche
Investitionen und Steuerung sind in diesem Bereich umso wichtiger, da ein großer Teil der
Forschung zu digitalen Technologien in privaten Händen liegt, die Nachhaltigkeit nicht
priorisieren.
Europäische Perspektiven
Standards für Energie- und Ressourcenverbrauch von Hard- und Software müssen auf
europäischer Ebene festgelegt werden, um einheitliche Anwendung und fairen Wettbewerb zu
fördern. Dabei müssen auch große Plattformen in den Blick genommen werden, die
beispielsweise durch massive Datensammlungen für das Werbegeschäft Energie- und
Ressourcenverbrauch verursachen. Dabei muss auch der bei den Endnutzer*innen ausgelöste
Verbrauch betrachtet werden. Browser, Suchmaschinen, digitale Marktplätze, soziale Netzwerke
müssen in Zukunft in Hinblick auf Strom- und Ressourcenverbrauch vergleichbar sein. Nur so
können Nutzer*innen bewusste Entscheidungen z.B. für einen nachhaltigen Browser treffen und
nur so können sich Unternehmen in einem Markt, der nicht über den Preis reguliert wird,
durch Nachhaltigkeit auszeichnen. Dafür müssen europäische Standards entwickelt werden.
Alle aktuell auf EU-Ebene erarbeiteten neuen Digitalgesetze müssen Nachhaltigkeitskriterien
berücksichtigen.
Beim Digital Services Act / Digital Markets Act (DSA/DMA) und bei der Regulierung von
Kryptowährungen (MiCA) wurde die Chance verpasst, Nachhaltigkeitskriterien in wegweisende
Digitalregulierungen aufzunehmen. Dieser Fehler darf beim Data Act und beim AI Act nicht
wiederholt werden. Die Bundesregierung muss sich im Rat für starke Nachhaltigkeitskriterien
im Data Act und im AI Act einsetzen.
Auch für Cloud-Plattformen müssen Nachhaltigkeitsstandards entwickelt werden, die durch
unabhängige Audit-Stellen geprüft werden. Gerade in diesem von wenigen großen Anbietern
geprägtem Sektor sind Transparenz, Standards, unabhängige Prüfung und langfristig
gesetzliche Vorgaben unverzichtbar.
Auf europäischer Ebene werden aktuell Datenräume für unterschiedliche Bereiche aufgebaut.
Wir unterstützen insbesondere den Datenraum zur Erfüllung der Green-Deal-Ziele, der zu einem
echten Klima- und Umwelt-Datenraum ausgebaut werden muss, um den Transformationsprozess in
eine treibhausgasneutrale und nachhaltige Zukunft zu begleiten.
Grüne Digitalisierung in der internationalen
Zusammenarbeit
Über die europäische Ebene hinaus setzt sich die Bundesregierung in der internationalen
Kooperation für eine nachhaltige Digitalisierung ein und unterstützt aktiv relevante
Gestaltungsprozesse der internationalen Organisationen, zum Beispiel die Initiative des UN-
Generalsekretärs für einen Global Digital Campact, die Initiative Digital Transformation for
Environmental Sustainability oder die u.a. von UBA, UNEP und UNDP co-geleitete Stakeholder-
Initiative Coalition for Digital Environmental Sustainability (CODES). In der von der
Bundesregierung vertretenen Klimaaußenpolitik muss die Digitalisierung konsequent mitgedacht
werden. In der Entwicklungspolitik unterstützen wir unsere Partner*innen beim Aufbau ihrer
unabhängigen digitalen Infrastruktur zur Stärkung ihrer digitalen Souveränität, denn
Unabhängigkeit ermöglicht die eigenständige Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung
(SDGs).