Veranstaltung: | 50. Bundesdelegiertenkonferenz Wiesbaden |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Zohra Mojadeddi (KV Hamburg-Wandsbek) und 64 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 46%) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 04.10.2024, 01:35 |
V-70: Die Würde des Menschen ist unantastbar – das gilt auch für die 5,5 Millionen Muslim*innen in Deutschland
Antragstext
Antimuslimischer Rassismus umfasst sowohl individuelle als auch strukturelle
Diskriminierung von Muslim*innen oder von Personen, die als vermeintlich
muslimisch wahrgenommen werden.
In Abgrenzung zur Muslim- und Islamfeindlichkeit konzentriert sich dieser
Begriff jedoch auf die rassifizierende Dimension der Diskriminierung. Es geht
hierbei nicht allein um die tatsächliche Religionszugehörigkeit der Betroffenen,
sondern um äußere Merkmale, die einem mehrheitlich islamisch geprägten
Kulturraum zugeschrieben werden.
Diese Stigmatisierung wird auf Menschen übertragen, die diesem Kulturraum
ungefiltert zugeordnet werden und somit als muslimisch gelesen werden.
Infolgedessen erfolgt eine Vermischung, Homogenisierung und Abwertung ihrer
religiösen, ethnischen und kulturellen Identität.
Medienberichte konzentrieren sich oft auf Themen wie Terrorismus und
Radikalisierung, wodurch Muslim*innen als einzig und allein als ein
Sicherheitsproblem wahrgenommen werden, statt als Bereicherung für unsere
Zivilgesellschaft.
Öffentliche und politische Debatten legimitieren somit aktuell den
antimuslimischen Rassismus, der für Muslim*innen nicht nur real und gefährlich,
sondern potenziell auch tödlich ist.
Attentate auf Muslim*innen in Hanau, Solingen und Mölln sowie Rufe nach
Remigration verdeutlichen die tief verwurzelte Problematik des Rassismus in
Deutschland. Diese Vorfälle sind Teil eines größeren gesellschaftlichen
Problems, das durch anhaltende Migrationsdebatten und den hohen Zuspruch für
rechtspopulistische Parteien wie die AfD verstärkt wird.
Die ständige Thematisierung von Migration und Integration in der Politik und
Medien schafft somit ein Klima, in dem muslimische Identitäten oft als Bedrohung
wahrgenommen werden, was zur Normalisierung von Diskriminierung führt.
Studien belegen, dass Muslim*innen vielfältigen Formen von Stigmatisierung,
Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind. Dies reicht von hassmotivierten
Übergriffen über verbale Beleidigungen und Online-Hass bis hin zu Racial und
Religious Profiling sowie Missbrauch von Polizeigewalt. Strukturelle
Diskriminierung betrifft auch den Zugang zu Bildung, Arbeitsplätzen und
Wohnraum. Maßnahmen und Gesetze, die indirekt auf Muslim*innen abzielen, können
deren Religionsfreiheit unverhältnismäßig einschränken. In der öffentlichen
Debatte, sowohl in den Medien als auch im politischen Diskurs, manifestiert sich
antimuslimischer Rassismus häufig in pauschalisierenden Stigmatisierungen und
Othering. Muslim*innen werden dabei oft lediglich als gesellschaftliches oder
politisches Problem wahrgenommen, anstatt als aktive Mitglieder der
Gesellschaft, die zur Gemeinschaft beitragen.
Immer mehr fördern rechte politische Parteien in Europa islamophobe Ideen und
Maßnahmen. Die Medien verstärken diese Sichtweise, insbesondere durch die Art
und Weise, wie sie muslimische Frauen darstellen – sei es in Berichten über
Terrorismus oder in Bezug auf den Schleier, Kopftuch und die angebliche, oft
jedoch nicht vorhandene Unterdrückung. Diese negative Berichterstattung trägt zu
einem wachsenden Gefühl der Unsicherheit bei und schränkt die Orte ein, an denen
sich muslimische Frauen sicher fühlen können. Wissenschaftliche Studien zeigen,
dass die Stigmatisierung und Ausgrenzung muslimischer Frauen die
gesellschaftliche Spaltung vertieft, Isolation verstärkt und Spannungen erhöht.
Daher ist es dringend notwendig, dass alle Gesellschaftsbereiche mehr
gesellschaftliche Teilhabe und Engagement fördern. Da viele muslimische Frauen
leicht erkennbar sind, haben sie ein höheres Risiko, Opfer von Hassverbrechen zu
werden. Die Diskriminierung muslimischer Frauen ist somit ein komplexes Problem,
das erhebliche Auswirkungen auf ihr gesellschaftliches, politisches und
wirtschaftliches Leben hat.
Daher sehen sich viele Muslim*innen aktuell existenziellen Fragen gegenüber:
Wird unser Leid anerkannt? Wie lange werden wir noch diskriminiert? Werden
unsere Kinder oder wir selbst Opfer von Erniedrigungen, Beleidigungen oder sogar
körperlichen Angriffen? Werden wir abgeschoben? Diese Fragen spiegeln nicht nur
individuelle Ängste wider, sondern auch ein tiefes Misstrauen gegenüber der
Gesellschaft, Politik und ihren Institutionen.
Es ist daher unerlässlich, diese besondere Thematik in den
gesellschaftspolitischen Diskurs einzubringen, um Vorurteile abzubauen und ein
besseres Verständnis für die Vielfalt muslimischer Identitäten zu fördern
Auch religiöse Einrichtungen und Moscheen werden zunehmend zu Zielen gezielter
Angriffe und gleichzeitig wird online eine besorgniserregende Menge an Hass
gezielt in unterschiedlichen Gruppierungen und sich dabei selbst bestätigenden
Community-Blasen verbreitet.
Die Zahl antimuslimischer Straftaten stieg im letzten Jahr drastisch an, mit
1.464 registrierten Vorfällen und 70 Angriffen auf Moscheen – ein Anstieg von
über 140% im Vergleich zum Vorjahr (BMI/Bundeskriminalamt, 2024).
Viele Vorfälle bleiben ungemeldet, weil nur einer von acht Fällen dokumentiert
wird.
Nach dem terroristischen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 verzeichneten
Beratungsstellen einen rasanten Anstieg antimuslimischer Übergriffe, die eng mit
den aktuellen Debatten verknüpft sind.
Antimuslimischer Rassismus wird immer akzeptierter, da er angeblich aus der
Mitte der Gesellschaft kommt. Er versteckt sich hinter Diskussionen über Asyl,
Migration und Antisemitismus, was ein Klima schafft, das Bedrohungen und
Diskriminierungen legitimiert. Dies schadet vor allem der demokratischen Kultur
in Deutschland, denn rund 5,5 Millionen Muslim*innen sind zunehmend Ziel
rechtsextremer Gewalt.
Fast alle Muslim*innen in Deutschland fühlen sich wiederholt unter
Generalverdacht. Sie werden häufig als Vertreter*innen aller Muslim*innen und
muslimischer Gesellschaften weltweit gesehen und müssen sich regelmäßig von
Terroranschlägen distanzieren, obwohl sie fast immer keinerlei Verbindung zu den
Tätern haben. Dadurch entsteht der Druck, sich ständig rechtfertigen und den
Islam verteidigen zu müssen.
In den letzten Jahrzehnten hat sich der mediale und politische Diskurs auf
„Sicherheitsbedenken“ konzentriert, was das Sicherheitsgefühl in muslimischen
Gemeinschaften beeinträchtigt hat. Dies hat auch die Redefreiheit und politische
Teilhabe von Muslim*innen eingeschränkt. Junge Muslim*innen, die in einem
solchen Umfeld aufwachsen, fühlen sich oft entmutigt und nehmen nicht am
politischen und gesellschaftlichen Leben teil. Das Trauma und die Scham, die aus
diesem „Generalverdacht“ resultieren, begleiten sie oft jahrelang, selbst wenn
sie bei genauerem Hinsehen schnell entlastet werden. Die Auswirkungen sind in
allen gesellschaftlichen Bereichen spürbar, von Erwachsenen, die mit Justiz und
Diskriminierung am Arbeitsplatz konfrontiert sind, bis zu Kindern, die im
Schulsystem ungerecht behandelt werden. Antimuslimischer Rassismus gefährdet
somit die Rechte und Gleichbehandlung aller Muslim*innen sowie ihre
Chancengleichheit in der Gesellschaft. Er stellt eine Bedrohung für das
friedliche Zusammenleben in einer demokratischen und offenen Gesellschaft dar
und sollte als Hindernis für die politische und wirtschaftliche Entwicklung
einer multikulturellen Post-Migrationsgesellschaft wie in Deutschland betrachtet
werden.
Der Staat muss daher den Schutz rassistisch markierter Menschen, einschließlich
Muslim*innen, im öffentlichen Raum umfassend gewährleisten.
Um antimuslimischen Rassismus wirksam zu bekämpfen, ist es daher entscheidend,
eine Erinnerungskultur zu entwickeln, die die Opfer von Rassismus und
Diskriminierung – einschließlich muslimischer Menschen – ebenso anerkennt wie
andere Gruppen.
Diese Kultur sollte nicht nur historische Ereignisse würdigen, sondern auch
aktuelle Herausforderungen und die Vielfalt der Erfahrungen muslimischer
Menschen in Deutschland sichtbar machen.
Eine solche Erinnerungskultur könnte dazu beitragen, das Bewusstsein für
antimuslimischen Rassismus zu schärfen, Vorurteile abzubauen und letztlich ein
solidarisches Miteinander in einer vielfältigen Gesellschaft zu fördern. Es ist
wichtig, dass alle Stimmen gehört werden und die Gesellschaft gemeinsam
Verantwortung für die Bekämpfung von Rassismus übernimmt. Die grundgesetzlich
garantierte Unantastbarkeit der Menschenwürde gilt für alle in Deutschland
lebenden Menschen, selbstverständlich einschließlich der 5,5 Millionen
Muslim*innen, die genau hier zu Hause sind.
Unsere Forderungen:
- Einrichtung eines Sachverständigenrats und Ernennung eines Bundes- sowie
Länderbeauftragten zur Bekämpfung antimuslimischen Rassismus, welche die
Öffentlichkeit, Politik und Sicherheitsbehörden unabhängig informieren und
beraten.
- Dauerhafte finanzielle Unterstützung für Beratungs- und
Unterstützungsstrukturen für Betroffene von antimuslimischem Rassismus,
insbesondere durch den Ausbau community-basierter Beratungsstellen.
Bestehende Angebote sollten besser auf antimuslimischen Rassismus
ausgerichtet und in Expertise investiert werden.
- Einrichtung von Beschwerdestellen für Schüler*innen, Lehrer*innen und
Eltern, um Diskriminierung im Schulkontext zu erfassen und zu bearbeiten.
Antimuslimischer Rassismus sollte im Lehrplan und in der Ausbildung
pädagogischer Fachkräfte verankert werden.
- Ein zivilgesellschaftliches Monitoring-System ist erforderlich, um
antimuslimischen Rassismus sowohl online als auch offline gezielt zu
dokumentieren und zu analysieren.
- Etablierung einer einheitlichen Arbeitsdefinition für antimuslimischen
Rassismus, die dessen intersektionale und strukturelle Dimensionen
erfasst.
- Überarbeitung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), um
umfassenden Schutz vor Diskriminierung zu bieten.
- Entwicklung von Maßnahmen gegen institutionellen Rassismus durch Behörden
und Verwaltung, insbesondere am Arbeitsplatz und im öffentlichen Dienst.
- Verpflichtende rassismuskritische Fortbildungen für Mitarbeiter*innen der
Verwaltung und des öffentlichen Dienstes.
- Finanzielle Unterstützung von die von muslimischen Gemeinschaften selbst
verwalteten Organisationen im Bereich Diskriminierung und Rassismus.
- Den Stimmen von muslimischen Frauen einen angemessenen Raum in allen
Grünen politischen Debatten geben, wie allen anderen Bevölkerungsgruppen
auch, und nicht nur dann, wenn es um „muslimische Themen“ geht.
Begründung
Erfolgt mündlich!