Veranstaltung: | 50. Bundesdelegiertenkonferenz Wiesbaden |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Karl-Wilhelm Koch (KV Vulkaneifel) und 78 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 34%) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 04.10.2024, 00:01 |
V-65: Atomausstieg vollenden, die Fabriken in Gronau und Lingen schließen, Ende der Atom-Zusammenarbeit mit russischen Nuklearunternehmen
Antragstext
Die BDK von Bündnis 90/Die Grünen fordert die Umsetzung der vorliegenden
atomrechtlichen Maßnahmen zur Stilllegung der Atomfabriken in Gronau und Lingen
durch folgende Maßnahmen:
- Unter der Führung der grünen Ministerien auf Bundes- und Landesebene wird
es keine Beihilfe zum Betrieb von Atomkraftwerken mit Brennstoff "Made in
Germany" geben. Entgegen allen Behauptungen ist die Energiesicherheit in
Osteuropa davon nicht abhängig.
- Neue Geschäftsfelder der Atomenergie verlängern und vergrößern die
nuklearen Risiken bis hin zum Super-GAU sowie den anfallenden Atommüll.
Die BDK fordert, umgehend jegliche direkte und indirekte Zusammenarbeit
mit dem russischen Staatskonzern Rosatom, dem russischen
Nuklearunternehmen MSZ (Maschinenbauwerk ELEMASH), Teil der TVEL-Gruppe
und allen anderen russischen Firmen oder Staatsorganen im Bereich der
Nukleartechnik zu beenden.
- Die BDK fordert die zuständigen Ministerien und die Bundesregierung auf,
der Firma Framatome ANF die Genehmigung für eine Umstellung auf Fertigung
von hexagonalen Brennelementen zu versagen.
Deutschland und Europa müssen die umweltschädliche und in der Entsorgungsfrage
völlig ungeklärte Atomenergie beenden. Atomgefahren global abschalten - die
Zukunft ist erneuerbar!
Begründung
Die Advanced Nuclear Fuel GmbH (ANF), Tochterfirma des französischen Unternehmens Framatome, plant in ihrer Brennelemente-Fertigungsanlage in Lingen die Umstellung auf hexagonale Brennelemente für Reaktoren russischer Bauart. Dazu wurde ein Gemeinschaftsunternehmen mit TVEL, einer Tochterfirma des russischen Atomkonzerns Rosatom, gegründet.[1]
Für die Umstellung zur Fertigung von hexagonalen Brennelementen braucht es in Deutschland eine Genehmigung nach § 7 Abs. 1 des Atomgesetzes (AtG). Den Antrag auf Erteilung dieser Genehmigung hat Framatome bereits 2022 gestellt. Das Genehmigungsverfahren ist seitens des zuständigen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz des Landes Niedersachsen noch nicht abgeschlossen.
Dennoch befinden sich seit April 2024 offenbar erste TVEL-Mitarbeitende vor Ort in Lingen, um dort an Testanlagen außerhalb des Betriebsgeländes Geräte zu testen und Schulungen durchzuführen.
Der Einstieg von Rosatom/TVEL in die Brennelementefabrik in Lingen stellt ein enormes Gefährdungspotenzial für die innere wie äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar, zumal nicht sichergestellt ist, dass die deutschen Behörden sicherheitsrelevante Spionageaktivitäten im Bereich des Kernbrennstoffkreislaufs unterbinden können. Das aktuelle Verhalten der Betreiber gibt allen Anlass, an ihrer Zuverlässigkeit zu zweifeln. Bereits 2017 kamen zwei Gutachten zu dem Schluss, dass es möglich sei, die Anlage rechtssicher zu schließen.
Die angeblich „nicht ersetzbaren“ Brennelemente für die osteuropäischen AKWs sind mittlerweile durch Brennelemente von Westinghouse/USA ersetzbar, diese werden bereits geliefert.
Gerade auch mit Blick auf den völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine stellt ein Einstieg von TVEL in Lingen aus unserer Sicht eine Gefährdung der inneren und äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar – was zu verhindern gerade eines der Ziele des Atomgesetzes ist (§ 1 Abs. 3). Zu diesem Schluss kommt auch ein Rechtsgutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz . Laut diesem Gutachten kann zudem aus § 7 Abs. 2 des Atomgesetzes ein sogenanntes Versagungsermessen der Genehmigungsbehörde abgeleitet werden.
Hintergrund dieser Forderungen sind:
- Grundsätzlich – und unabhängig von der aktuellen Entscheidungsfindung – muss ein vollständiger Atomausstieg in Deutschland auch die Schließung der Brennelementefabrik in Lingen wie auch der Urananreicherungsanlage in Gronau umfassen.
- MSZ ist ein Tochterunternehmen von TVEL (Rosatom -Gruppe) und produziert reines Uran zur Verwendung in Atomwaffen sowie auch Brennelemente für Kernkraftwerke. Rosatom wiederum ist eine staatliche Atombehörde, welche sowohl den zivilen als auch den militärischen Atomsektor Russlands bündelt. Ein Drittel der Mitarbeitenden von Rosatom arbeitet im militärischen Bereich, u.a. in der Herstellung und Wartung von Atomwaffen.
Rosatom ist zudem unmittelbar an der Besetzung des ukrainisches AKW Saporischschja beteiligt. Die Behörde ist direkt dem Kreml unterstellt, die Gewinne fließen in den russischen Staatshaushalt. Die Ausnahme des russischen Atomsektors aus dem Sanktionsregime ist nicht nachvollziehbar.
- Die Föderale Agentur für Atomenergie Russlands (russisch Федеральное агентство по атомной энергии России Federalnoje agentstwo po atomnoi energii Rossii), kurz auch (russisch Росатом Rosatom), oder auch englisch State Atomic Energy Corporation Rosatom, ist eine föderale Behörde Russlands. Sie leitet die zivile und militärische Atomindustrie des Landes und kontrolliert 450 Produktions- und Forschungsstätten des atomaren Bereiches mit über 350.000 Mitarbeitern. Sie hat ihren Sitz in der Hauptstadt Moskau. Rosatom untersteht direkt der russischen Regierung. Viele der Reaktoren werden über russische Staatsbanken finanziert. Russland schafft so gezielt jahrzehntelange Abhängigkeiten, die politisch genutzt werden. Auch vor diesem Hintergrund ist eine Beteiligung von TVEL in Lingen abzulehnen.
- Auch wenn eine Brennelementefertigungsanlage keine kritische Infrastruktur ist, fällt diese Anlage dennoch unter den Anwendungsbereich der europäischen Dual-Use-Verordnung. Gleiches gilt für das Gemeinschaftsunternehmen.
- Russische Arbeitnehmer*innen sind vor Ort in Lingen bzw. werden sogar auf dem Betriebsgelände und in der Anlage selbst sein. Dadurch kann das Risiko von Einflussnahme und die Gefahr von Spionage nicht ausgeschlossen werden. Auch wird nicht zu verhindern sein, dass russische Mitarbeiter Infos über zu beliefernde AKWs in Osteuropa und anderswo zugänglich werden können.
Aus unserer Sicht ist ein solcher Einfluss auf die Brennelementefertigung und damit den Brennstoffkreislauf selbst ein Risiko nuklearspezifischer Natur gemäß § 1 Nr. 2 des Atomgesetzes . Derartige Risiken erhöhen sich auch mittelbar noch dadurch, dass einem ausländischen Staatskonzern rechtliche und faktische Zugriffsmöglichkeiten auf sensible Infrastruktur eingeräumt werden.
- Jurist*innen bewerten die aktuellen Aktivitäten des russischen Staatskonzerns Rosatom und des Fabrikbetreibers Framatome ANF, mittels Tests und Schulungen und so „geschaffener Fakten“ den Ausbau und Russlands Einstieg schon vor der Genehmigungserteilung voranzutreiben, „als ungenehmigten vorgezogenen Ausbau“ und damit illegal. Langfristige und teure Rechtsverfahren mit völlig ungewissem Ausgang drohen.
Weitere Quellen und Nachweise:
[1] Das Unternehmen namens „European.Hexagonal.Fuels S.A.S“ hat seinen Sitz in Lyon, Frankreich. TVEL hält 25 Prozent an diesem Unternehmen. Eine Außenstelle des Gemeinschaftsunternehmen ist in Lingen ansässig.