Veranstaltung: | 50. Bundesdelegiertenkonferenz Wiesbaden |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Jenny Laube (KV Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg) und 70 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 51%) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 04.10.2024, 08:30 |
V-74: Barrierefreiheit ins Gewerbemietrecht – UN Behindertenkonvention konsequent umsetzen
Antragstext
Die Bundesdelegiertenkonferenz möge beschließen:
Das Gewerbemietrecht in Deutschland soll dahingehend angepasst werden, dass
Mieter*innen von Gewerbe- und Büroflächen einen Anspruch auf den barrierefreien
Umbau ihrer angemieteten Bestandsgewerbe- und Büroflächen ab einer Größe von
100qm erhalten. Langfristiges Ziel ist, dass alle Gewerbe- und Büroeinheiten zur
Nutzung durch Menschen mit Behinderungen und Mobilitätseinschränkungen geeignet
sind.
Die Verpflichtung zu einem barrierefreien Umbau trifft Vermieter*innen im
Allgemeinen, wobei eine uneingeschränkte Pflicht nur für Vermieter*innen oder
Vermietungsgesellschaften gelten soll, die mehr als 100 Gewerbe- oder
Büromieteinheiten verwalten. In solchen Fällen sollen diese verpflichtet werden,
auf Anfrage der Mieter*innen den barrierefreien Umbau zu ermöglichen und die
Kosten hierfür zu tragen. Für Vermieter*innen mit weniger Gewerbe- und
Büromieteinheiten können abgestufte Ausnahmen geschaffen werden, um z.B. nur bei
einer Komplettsanierung zu einem barrierefreien Umbau verpflichtet zu sein.
Weiterhin sollten die Bauträger bei allen zukünftig gebauten Gewerbe- und
Bürogebäude dazu verpflichtet werden, die Standards für barrierefreies Bauen
einzuhalten.
Zur Finanzierung des barrierefreien Umbaus sollen Vermieter*innen die
Möglichkeit erhalten, Kredite mit günstigen Konditionen von der KfW-Bank zu
beantragen. Zusätzlich soll ein Sonderabschreibungsrecht für die Kosten des
Umbaus eingeführt werden. Vermieter*innen sollen so die Kosten der
Umbaumaßnahmen über einen Zeitraum von 5 Jahren steuerlich abschreiben können.
Dies schafft finanzielle Anreize, die notwendige bauliche Barrierefreiheit zügig
umzusetzen und gleichzeitig Mieter*innen in ihren inklusiven Geschäftsmodellen
und der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen zu unterstützen.
Zum Schutz der Mieter*innen vor möglichen Kündigungen aufgrund eines Gesuchs auf
barrierefreien Umbau und zur objektiven Überprüfung der bundesweiten
Umsetzungsbedarfe und -stände fordern wir die Einrichtung einer bundesweiten
unabhängigen Stelle. Diese soll:
Mieter*innen und Vermieter*innen über die Rechtslage, Fördermöglichkeiten
und steuerlichen Anreize informieren.
Mieter*innen bei der Durchsetzung ihres Anspruchs auf barrierefreien Umbau
unterstützen und dabei sicherstellen, dass keine Umgehung von
Mieter*innenrechten durch Kündigungen oder anderweitige Benachteiligungen
erfolgt.
Den Bedarf und den Fortschritt der Umbaumaßnahmen erfassen, um ggf. bei
Fördermitteln und Beratung nachzusteuern.
Eine solche unabhängige Stelle wird nicht nur den rechtlichen Schutz von
Mieter*innen stärken, sondern auch die Zusammenarbeit zwischen Mieterinnen und
Vermieter*innen verbessern, um eine barrierefreie Gesellschaft im gewerblichen
Bereich zu fördern.
Begründung
In einer inklusiven Gesellschaft ist die uneingeschränkte Teilhabe für alle Menschen von zentraler Bedeutung. Dies gilt insbesondere auch für den Zugang zu gewerblichen und Büroräumen. Ein umfassender Anspruch auf Barrierefreiheit ist ein notwendiger Schritt, um die Inklusion zu gewährleisten und das staatliche Diskriminierungsverbot aus Artikel 3 des Grundgesetzes zu realisieren.
Angesichts der Tatsache, dass unsere Gesellschaft stetig älter wird, ist es umso dringlicher, auf die Bedürfnisse von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen verstärkt Rücksicht zu nehmen. Die Anzahl der Menschen, die auf barrierefreie Umgebungen angewiesen sind, wächst kontinuierlich. Daher müssen wir schon heute die notwendigen Voraussetzungen schaffen, um allen Menschen – unabhängig von Alter oder Behinderung – die uneingeschränkte Teilhabe am öffentlichen und wirtschaftlichen Leben zu ermöglichen.
Ein weiterer Grund für den Regelungsbedarf ist die Beschäftigung von Arbeitnehmer*innen mit körperlichen Behinderungen. Heute steht vielfach die fehlende Barrierefreiheit von Büro- oder Geschäftsräumen der Einstellung von Menschen mit Behinderungen entgegen. Dadurch verhindern wir nicht nur ihre individuellen Erwerbschancen, sondern lassen auch ihr persönliches und wirtschaftliches Potenzial ungenutzt. Dies widerspricht den Grundsätzen einer chancengerechten und inklusiven Arbeitswelt, die wir anstreben.
Nicht zuletzt trägt eine stärker durchmischte Geschäfts- und Arbeitswelt zu mehr gegenseitigem Verständnis und einer solidarischeren Gesellschaft bei. Wenn Menschen mit und ohne Behinderungen gleichermaßen Zugang zu den gleichen Räumen und Arbeitsplätzen haben, entsteht eine größere Wertschätzung für die unterschiedlichen Lebensrealitäten und Herausforderungen. Dies fördert nicht nur das soziale Miteinander, sondern auch den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen, die von der Vielfalt der Perspektiven profitieren.
Mit dieser Anpassung des Gewerbemietrechts schaffen wir die notwendigen Rahmenbedingungen, um den barrierefreien Umbau von Gewerbeflächen flächendeckend zu fördern und gleichzeitig den rechtlichen Schutz von Mieter*innen zu gewährleisten. Dabei setzen wir auf eine Kombination aus gesetzlichem Anspruch für Mieter*innen und steuerlichen Anreizen für Vermieter*innen, um Barrierefreiheit im gewerblichen Bereich zügig voranzutreiben.
Die Schaffung einer unabhängigen Stelle sorgt für Rechtssicherheit und Transparenz, während sie gleichzeitig proaktiv den Schutz der Mieter*innen vor möglichen Benachteiligungen sicherstellt. Eine solche Stelle ist außerdem ein wichtiger Ansprechpartner für alle Beteiligten, wenn es um die Fördermöglichkeiten und praktischen Umsetzungen geht.
Dieser Antrag zielt darauf ab, den Gewerbemietmarkt inklusiver zu gestalten. Damit gehen wir einen entscheidenden Schritt in Richtung einer barrierefreien, solidarischen und inklusiven Gesellschaft.