Veranstaltung: | 50. Bundesdelegiertenkonferenz Wiesbaden |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Sabine Hebbelmann (KV Odenwald-Kraichgau) und 49 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 44%) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 30.09.2024, 15:13 |
V-40: Demokratie braucht Luft zum Atmen
Antragstext
Artikel 20 Abs. 1 des Grundgesetzes bezeichnet die Bundesrepublik Deutschland
als demokratischen und sozialen Bundesstaat – ein klarer Auftrag, das Gemeinwohl
über Interessen von Lobbygruppen und Wirtschaftsverbänden zu stellen und sich an
der demokratischen Willensbildung und Selbstbestimmung der Gesellschaft zu
beteiligen.
Politische Willensbildung in Parteien, Initiativen und Bewegungen auch zwischen
den Wahlen und das offene Infragestellen überkommener gesellschaftlicher Normen
sind Grundvoraussetzung für demokratische Weiterentwicklung. Die Grundrechte auf
freie Meinungsäußerung, politische Vereinigungsfreiheit und Schutz vor
Benachteiligung aufgrund politischer Anschauungen sind Konsequenzen aus der
Überwindung des Faschismus.
Dass eine bloß formale Demokratie des Staates keinen Bestand hat, wenn sie nicht
in die soziale Demokratie der Gesellschaft verwandelt wird, hat das Ende der
Weimarer Republik gezeigt.
Die aktuellen Krisen dürfen nicht zu einer Behinderung der demokratischen
Weiterentwicklung führen, denn ein Weiter-So führt uns nur näher an den Abgrund.
Konkret schließen wir uns der breiten Kritik von Gewerkschaften und
Beamtenverbänden an der Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit durch die jüngste
Änderung des Bundesdisziplinargesetzes an. Keine Gesinnungsschnüffelei und
Berufsverbote wie in den 70ern!
Ebenso teilen wir die massive Kritik am Sicherheitspaket der Ampel, das einen
radikalen Abbau von Grundrechten und flächendeckende biometrische Überwachung
vorsieht. Polizei und Migrationsbehörden darf nicht erlaubt werden, alle
Gesichtsfotos im Internet zu speichern und zu nutzen.
Klimaaktivist*innen, die durch gewaltfreie Aktionen die Regierung an die
Einhaltung von Klimaabkommen erinnern, dürfen nicht zu Terroristen erklärt oder
in Präventivhaft genommen werden.
Ein Demokratiefördergesetz, das den Namen verdient, muss die Zivilgesellschaft
insgesamt stärken. Dazu gehört, die finanzielle Unabhängigkeit und freie
Betätigung von Nichtregierungsorganisationen mit der in Aussicht gestellten
Reform des Gemeinnützigkeitsrechts zu stärken anstatt unter dem Schlagwort
„Wehrhafte Demokratie“ Bürger*innen für „Beobachtung und Repression“
einzuspannen.
Der Verfassungsschutz darf seine Berichte nicht dafür missbrauchen, Medien unter
Druck setzen.
Eine Resolution des Bundestags zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland muss
das Demonstrationsrecht und die Freiheit von Kunst, Kultur und Wissenschaft
achten. Sie sollte sich gegen tatsächliche Judenfeindlichkeit wenden und nicht
gegen berechtigte Kritik an der israelischen Regierung.
Begründung
Hintergrund
Sozialen und progressiven Politikansätzen stehen unter den Bedingungen der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung mächtige Wirtschaftsinteressen und Beharrungskräfte gegenüber. Zu den Lehren der Weimarer Republik gehört, dass die Demokratie ausgehebelt werden kann, wenn nur die staatliche Verfasstheit geschützt anstatt das Allgemeininteresse in einer lebendigen Demokratie gefördert wird.
Es war ein demokratischer und sozialer Aufbruch. In den Anfangsjahren der Weimarer Republik wurden Sozialreformen umgesetzt, Frauen erhielten das Wahlrecht und Bezieher*innen von Armenunterstützung waren bei den Wahlen nicht länger ausgeschlossen. Die Arbeiterbewegung bekam enormen Zulauf. Kunst, Wissenschaft und ihre Lehre waren frei, eine Zensur fand nicht mehr statt. So konnte sich die Kultur entfalten.
Der Finanzbedarf für den Ausbau der Sozialpolitik und den Abbau der Kriegslasten war groß. Eine neue Reichsabgabenordnung umfasste eine Vermögens- und Erbschaftssteuer und eine starke Steuerprogression. Die Gegenbewegung blieb nicht aus. Vor allem bisher Privilegierte widersetzten sich der Veränderung. Es kam zu Kapitalflucht und Steuerhinterziehung. Mit der Steuerreform von 1925 wurden Bestandteile der Reform rückgängig gemacht und Steuersätze gesenkt.
Die Militärführung, die später Hitler zur Macht verhalf, lenkte mit der Dolchstoßlegende die Schuld für ihre Niederlage auf Demokrat*innen, Kommunist*innen und oppositionelle „vaterlandslose“ Zivilist*innen und konstruierte „innere“ und „äußere Reichsfeinde“. Diese Propagandalügen wurden von der deutschvölkischen Szene ausgeschlachtet und fanden Resonanz auch in konservativen bürgerlichen Kreisen.
Das Republikschutzgesetz verbot ab 1922 Organisationen, die sich gegen die „verfassungsmäßige republikanische Staatsform“ richteten sowie deren Druckerzeugnisse und Versammlungen. Ein eigener Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik wurde eingerichtet.
Während der Weltwirtschaftskrise 1929 drosselten die monopolisierten Konzerne die Produktion, was zu Entlassungen und Massenerwerbslosigkeit führte.
Die wirtschaftliche Macht verschmolz mit der noch unter dem Einfluss des preußischen Militarismus stehenden politischen zur NS-Diktatur. Parteien und Vereine wurden verboten, Medien gleichgeschaltet und moderne Kunst als „entartet“ diffamiert.
Dem industriellen Massenmord an Jüdinnen und Juden ging die Beseitigung politischer Oppositioneller voraus. Für die Kriegsproduktion wurden Zwangsarbeiter deportiert, entmenschlicht und durch Arbeit vernichtet.
Mit der Befreiung vom Faschismus machten sich die Alliierten der Anti-Hitler-Koalition Gedanken um eine Nachkriegsordnung, die dauerhaft Frieden sichern und ein Neuaufkommen des Faschismus verhindern kann. Zu den Konsequenzen sollte auch die Zerschlagung des Chemie-Kartells IG Farben gehören, das maßgeblich an den NS-Verbrechen beteiligt war und von dem heute noch die Konzerne Bayer, BASF und Sanofi-Aventis bestehen.
Quellen:
Bundesdisziplinargesetz: Ja zum Anliegen, Nein zur Methode
Grundrechte-Abbau: Massive Kritik am Sicherheitspaket der Ampel
Umgang mit Klimaaktivisten – Warum Bayerns Präventivhaft strittig ist
Allianz Rechtssicherheit für politische Willensbildung – Vereine schreiben wegen Gemeinnützigkeit an Bundeskanzler Olaf Scholz
Demokratiefördergesetz: "Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen"
Medien wehrten sich gegen den Vorwurf prorussischer Propaganda – jetzt korrigiert Bayerns Verfassungsschutz seinen Bericht
Prozess: junge Welt vs. Staat
Kritik an Antisemitismusresolution: Für eine freie Kunst, eine unabhängige Wissenschaft und eine lebendige Zivilgesellschaft
Wolfgang Abendroth, Zur Funktion der Gewerkschaften in der westdeutschen Demokratie
weitere Antragsteller*innen
- Detlef Wilske (KV Berlin-Lichtenberg)
- Ralf Henze (KV Odenwald-Kraichgau)
- Kathrin Weber (KV Bielefeld)
- Klemens Griesehop (KV Berlin-Pankow)
- Michael Mirbach (KV Grafschaft Bentheim)
- Ali Demirhan (KV Herzogtum Lauenburg)
- Anna Katharina Boertz (KV Celle)
- Ulrich Gundert (KV Reutlingen)
- Peter Meiwald (KV Ammerland)
- Reiner Hennig (KV Nürnberg-Stadt)
- Uta Lentföhr-Rathjen (KV Neumünster)
- Clara-Sophie Schrader (KV Berlin-Pankow)
- Wilhelm Achelpöhler (KV Münster)
- Bettina Deutelmoser (KV Stade)
- Sigrid Pomaska-Brand (KV Märkischer Kreis)
- Wolf-Christian Bleek (KV Starnberg)
- Zohra Mojadeddi (KV Hamburg-Wandsbek)
- Matthias Henneberger (KV Wunsiedel)
- Manuela Braun (KV Rastatt/Baden-Baden)
- Gabriele Raasch (KV Ludwigslust-Parchim)
- Hans Schmidt (KV Bad Tölz-Wolfratshausen)
- Barthel Pester (KV Oldenburg-Stadt)
- Finn Schwarz (KV Tübingen)
- Krystyna Grendus (KV Vorpommern-Greifswald)
- Kajo Aicher (KV Bodenseekreis)
- Angelika Aigner (KV Traunstein)
- Andreas Kleist (KV Coburg-Land)
- Dorothea Martin (KV Barnim)
- Lene Greve (KV Hamburg-Altona)
- Julia Hager (KV Bad Dürkheim)
- Carina Hennecke (KV Rendsburg-Eckernförde)
- Andreas Müller (KV Essen)
- Axel Wunsch (KV Rastatt/Baden-Baden)
- Ralph Pies (KV Offenbach-Land)
- Matthias Striebich (KV Forchheim)
- Hannah Weiser (KV Odenwald-Kraichgau)
- Günter Bolz (KV Nürnberg-Land)
- Sissi Knispel de Acosta (KV Barnim)
- Irmgard Pehle (KV Herford)
- Moritz Fritz (KV Emmendingen)
- Delphine Scheel (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf)
- Barbara Poneleit (KV Forchheim)
- Tim Lautner (KV Münster)
- Peter Umlauf (KV Münster)
- Corinna Schoneberg (KV Münster)
- Birgitta Tremel (KV Schwerin)
- Fabian Pegel (KV Münster)
- Marcel Wagner (KV Coburg-Land)
- Nicolas Sylvester Stursberg (KV Münster)