Veranstaltung: | 50. Bundesdelegiertenkonferenz Wiesbaden |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Boris Mijatovic (KV Kassel-Stadt) und 54 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 33%) |
Status: | Zurückgezogen (Neu: VR-04) |
Eingereicht: | 04.10.2024, 11:37 |
V-93: Desinformation und Hassrede gemeinsam bekämpfen - Von Taiwan lernen und in Städten und Gemeinden anfangen
Antragstext
Die Freiheit im digitalen Raum steht auf dem Spiel. Dies sehen wir sowohl bei
Cyberangriffen auf unsere kritische Infrastruktur als auch in den politischen
Debatten. Diese Angriffe auf die Hard- und Software unserer liberalen Demokratie
müssen wir ernst nehmen und verteidigen. Zunehmend sehen wir, wie autoritäre
Staaten gezielt im digitalen Raum agieren, um demokratische Gesellschaften und
die politischen Debatten zu beeinflussen.
Wir unterstützen die Arbeit im Bundesvorstand, unser Land und unsere
Gesellschaft stark gegen diese Angriffe aufzustellen. Diese Arbeit gilt es zu
intensivieren und mit Nachdruck in der Debatte um Methoden zur Aufklärung von
Desinformation und den notwendigen Rechtsrahmen für soziale Netzwerke
aufzustellen. Hassrede darf nicht straffrei bleiben, systematische
Desinformationskampagnen müssen aufgedeckt und richtiggestellt werden.
Wir fordern den Bundesvorstand auf, zivilgesellschaftliche Initiativen weiterhin
zu unterstützen, die zur Aufklärung von systematischer und großflächiger
Desinformation beitragen. Als Vorbildmodell können wir von Organisationen aus
Taiwan zahlreiche wirksame Methoden lernen und auf die Situation in Deutschland
und Europa anpassen. Unser Ziel muss es sein, diese zersetzenden autoritären
Kräfte aufzudecken und den digitalen Raum weiter für demokratische Diskurse zu
nutzen. Mit der Verabschiedung der Strategie für die internationale
Digitalpolitik hat die Bundesregierung klargestellt, dass sie sich den
Herausforderungen bewusst ist und es Unterstützung für zivilgesellschaftliche
Organisationen zur Zusammenarbeit gegen Desinformationen braucht.
Wir bitten den Bundesvorstand, beim Schutz unserer liberalen Demokratie Angebote
auch und besonders für die Kreisebenen zu machen. Gerade in den Städten und
Gemeinden treffen Desinformation und Angriffe auf Infrastruktur direkt auf die
Menschen. Das Beispiel um die russisch-stämmige Frau, die vermeintlich Opfer
einer Vergewaltigung durch Asylbewerber geworden sein soll, hat vor Jahren
gezeigt, welche Konsequenzen Fake-News unmittelbar haben. Nachdem Russia Today
die Meldung verbreitete, demonstrierten viele hundert russisch-stämmige Menschen
vor Ort, vor den Rathäusern und Gemeindezentren.
Begründung
Das Ausmaß der Herausforderung im Umgang mit Desinformationen hat der Rechtsextremist Steve Bannon vor Jahren auf den Punkt gebracht: „Flood the zone with shit.“ Aussagen werden nicht länger auf Wahrheit geprüft oder Meldungen auf politische Inhalte konzentriert. Stattdessen ersetzt die Masse aus Meldungen Argumente und Inhalte. Beleidigende, nötigende Aussagen oder Aussagen am Rande oder mit Übertritt zur Volksverhetzung werden einerseits in Kauf genommen und andererseits unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit täglich die roten Linien des „Sagbaren“ neu verschoben. Diesem Teufelskreis müssen wir uns stellen und der Umdeutung unserer Werten entschlossen entgegentreten.
Beleidigung und Nötigung sind eben nicht durch Meinungsfreiheit gedeckt. Die Strafverfolgung von Hassrede, gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in sozialen Netzwerken braucht weiterhin unsere volle Unterstützung. Das teuflische Mantra Bannons, Anschuldigungen, Übertreibungen und Vorwürfen zum Standard von Debatten zu machen, darf nicht gelingen.
Digitale Technik und soziale Medien wirken wie Brandbeschleuniger auf diese Verrohung politischer Kultur. Zu dieser historischen Veränderung kommt die Bedrohungslage durch autoritäre und anti-demokratische Kräfte aus dem Ausland hinzu. Grenzenlose Kommunikation und offene Gesellschaft bringen eben auch die Gefahr des Missbrauchs.
Schon heute kommen gezielte Angriffe auf liberale Demokratien vorwiegend aus der Russischen Föderation und der Volksrepublik China.
Der Inselstaat Taiwan erlebt seit Jahren heftige Desinformationskampagnen gesteuert aus Peking. Millionen von Meldungen wiederholen falsche Anschuldigungen, mit dem Ziel politische Debatten zu vergiften und die taiwanische Gesellschaft zu destabilisieren.
Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen vom 13.1.2024 im demokratischen Taiwan sind daher nicht hoch genug zu bewundern. Alle Versuche aus der Volksrepublik China, die Sorgen und Ängste in der Bevölkerung des Inselstaates um Nahrungsmittel- und Energiesicherheit zu intensivieren, um die Wahlen zu beeinflussen, müssen angesichts der Reaktion in Taiwan und der Wahlergebnisse als gescheitert oder zumindest in der Wirkung sehr begrenzt festgestellt werden. Diese hat die Gesellschaft Taiwans mit zahlreichen Initiativen zur Aufklärung systematischer Informationsmanipulation erreicht.
In Taiwan gibt es zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, die sich der wehrhaften Debatte mit Inhalten und erstaunlichen Erkenntnissen über Struktur und Quelle der Desinformation widmen. So hat zum Beispiel Doublethink Lab festgestellt, dass viele Meldungen von Profilclustern gepusht werden, hinter denen keine Individuen stehen, sondern künstliche Konten, bei denen mittels einer Software hunderte Fake-Profile kontrolliert werden können. ‚Künstliche‘ Profile können heute ohne Probleme digital eingekauft werden, inklusive Bilder, Lebenslauf und einer ‚persönlichen’ Timeline. Doublethink konnte so nachweisen, welche Meldungen aus diesen künstlichen Profilen als Fake News zu bezeichnen sind und aufzeigen, welche Profilcluster sich gegenseitig positiv bewerten, kommentieren und so selbstreferentiell werden.
Eine ähnliche Studie hat die Organisation AI Labs aus Taiwan zur Europawahl unternommen (https://ailabs.tw/uncategorized/observation-of-information-manipulations-on-eu-parliament-elections/) und publiziert aktuelle Erkenntnisse zur US-Wahl.
Ein weiteres Beispiel ist das Taiwan Fact Check Center. Journalist*innen prüfen hier politische Aussagen und Narrative auf ihren Wahrheitsgehalt. Für die Presse- und Medienlandschaft können so Qualität von Informationen unabhängig geprüft und damit die Debatte insgesamt verbessert werden.
Schon jetzt kann künstliche Intelligenz Informationen systematisch manipulieren und entwickelt sich gleichzeitig rasant weiter. Während im digitalen Raum erste strafrechtliche Maßnahmen Anwendung finden, brauchen wir grundsätzlich mehr Sensibilisierung für die Gefahr von Einflussaufnahme auf unsere Debatten. Dies zu vermitteln, ist Aufgabe sowohl in urbanen Zentren und ländlichen Räumen, in den Gemeinden und Städten und unserer Nachbarschaft.