Veranstaltung: | 50. Bundesdelegiertenkonferenz Wiesbaden |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Robin Wagener (KV Lippe) und 106 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 47%) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 04.10.2024, 10:48 |
V-82: Die Würde verteidigen – den Frieden gewinnen!
Antragstext
Die Würde verteidigen – den Frieden gewinnen!
„Freiheit wird nie geschenkt, immer nur gewonnen.“ (Heinrich Böll)
Europa steht am Anfang einer neuen Epoche. Einer Zeit, in der wir den Frieden
entschlossen zurückgewinnen müssen – für ein wachsendes Europa, das die Würde
der Menschen achtet und schützt. Ein Europa der Freiheit und des Rechts. Ein
Europa frei von Krieg, Gewalt und Unterdrückung. Gegen dieses Europa richtet
sich Putins Aggression.
Wir wollen den Frieden gewinnen, den Raum der Freiheit schützen und er weitern.
Darum muss Russland mit seinem aggressiven, genozidalen und imperialistischen
Versuch die Ukraine zu unterwerfen, scheitern. Es liegt daher im strategischen
und sicherheitspolitischen Interesse Deutschlands und der EU, die Souveränität
und territoriale Integrität der Ukraine entschlossen zu verteidigen und das Land
in seinem demokratischen Aufbau, der Rechtsstaatlichkeit und seiner
Wettbewerbsfähigkeit im Rahmen der euroatlantischen Integration zu unterstützen
und zu stärken. Es braucht eine neue Strategie zum Umgang mit dem autoritären
und aggressiven Russland von heute. Dazu gehört neben einer entschiedeneren
Unterstützung der Ukraine die Kooperation mit all jenen Kräften, die sich
glaubwürdig für ein demokratisches und friedliches Russland einsetzen. Ein
Russland, das die universellen Rechte seiner Bürger*innen ebenso achtet wie die
Souveränität seiner Nachbarstaaten.
Frieden gewinnen – glaubwürdig, nachhaltig, gerecht.
Russlands Überfall auf die Ukraine markiert den offenen Angriff auf die
zivilisatorischen Errungenschaften unserer Friedensordnung – auf Menschenrechte,
Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Ein Angriff auf das friedliche Zusammenwachsen
in Europa. Putins Russland zerstört als Ständiges Mitglied des Sicherheitsrates
der Vereinten Nation gezielt die Institutionen unseres Friedens. Putin bricht
mit den Prinzipien der Schlussakte von Helsinki, den Grundsätzen der Charta von
Paris, dem Gewaltverbot der UN-Charta. Diese Prinzipien sind Voraussetzung für
unsere Sicherheit und wahren Frieden. Die Achtung der Menschenrechte, der
staatlichen Souveränität und die Unverletzlichkeit von Grenzen bilden das
Fundament einer glaubwürdigen Friedenspolitik – unserer Friedenspolitik. Krieg
und Gewalt dürfen nicht zum Standard internationaler Politik werden.
Wir stehen für einen Friedensprozess, an dessen Ende ein wahrhafter Frieden
stehen kann. Für uns ist Frieden keine Leerformel, kein plakativer
Wahlkampfslogan. Unterwerfung und Fremdbestimmung stiften keinen Frieden,
sondern stärken Willkür, Chauvinismus und Gewalt. Für uns ist Frieden mehr als
die Abwesenheit von Krieg. Frieden ist das Versprechen nach Sicherheit. Frieden
schafft Raum für Freiheit und Wohlstand, für soziale und politische Teilhabe,
für Selbstverwirklichung. Frieden schafft die Voraussetzungen für die
Durchsetzung politischer Rechte und rechtsstaatlicher Prinzipien, für
Demokratie, für Dialog, für soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit und
kulturelle Vielfalt. Für diesen Frieden kämpft die Ukraine, kämpfen wir
gemeinsam, denn dieser Frieden gilt uns allen.
Die Ukraine verteidigt ihre Souveränität und territoriale Integrität ebenso wie
die Hoffnung auf ein Leben in Würde und Freiheit. 2014 traf die ukrainische
Gesellschaft die politische Grundsatzentscheidung für eine Zukunft in der
Europäischen Union. Sie ist das Ergebnis der ukrainischen Revolution der Würde,
der Freiheitsbewegung des Euromaidan in Kyjiw. Das Privileg einer Friedlichen
Revolution wurde den Menschen verwehrt: Auf dem Maidan wurden hunderte Menschen
durch das damalige autoritäre Regime erschossen oder verletzt. Zuvor hatten
Millionen Menschen monatelang in der Hauptstadt Kyjiw gegen Kälte und staatliche
Gewalt angekämpft, sind für Demokratie und Freiheit eingetreten. Ihre
Forderungen folgen jenen, mit denen auch wir als Teil der ostdeutschen Friedens-
und Freiheitsbewegung in den 1980er Jahren die DDR-Diktatur und weitere
autoritären Regime in Europa überwunden haben.
Es ist der demokratischen Zivilgesellschaft des Euromaidan und ihren
Errungenschaften zu verdanken, dass die Ukraine heute ein demokratischer und
gefestigter Staat wird. Seit dem Euromaidan geht das Land trotz der russischen
Aggressionen einen entschlossenen Reformkurs zur euroatlantischen Integration.
Seither gewinnen die Menschen in den freien Gebieten der Ukraine an politischer
und wirtschaftlicher Teilhabe. Reformen in den Bereichen Justiz,
Korruptionsbekämpfung und zur Modernisierung des Staates müssen weiter gefestigt
werden. Darin unterstützen wir sie als Freunde, Partner und Verbündete – denn
der ukrainische Frieden ist unser Frieden. Putin wird in der Ukraine scheitern.
Die Hoffnung auf ein Leben im Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts
spendet den Ukrainer*innen Hoffnung, gibt ihnen die Kraft und den Willen, sich
zu der russischen Gewalt zu widersetzen und das gesamte Land zu befreien. Dieser
Wille kann nicht bezwungen werden.
Bedrohungen erkennen – entschlossener handeln.
Die ukrainischen Reformerfolge und der demokratische Wandel veranlassten Putin
zum Überfall auf die Ukraine – 2014 im Donbas und auf der Krim, 2022 gegen das
gesamte Land. Putin sieht sein autoritäres Herrschaftssystem durch den
Fortschritt der Ukraine bedroht. Putin führt diesen Krieg, um das Wohlstands-
und Erfolgsversprechen einer gelingenden EU-Integrationen zu verhindern. Kein
anderes Land hat für seine Hinwendung zur EU einen höheren Preis zahlen müssen.
Putin will die Ukraine für ihren Erfolg bestrafen, um auch den Russ*innen
Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu nehmen. Russland braucht kein zusätzliches
Land, Putin braucht die Gewalt des Krieges für seinen eigenen Machterhalt. Die
gescheiterten Normandie-Verhandlungen und gebrochenen Minsk-Abkommen beweisen
seinen mangelnden Willen für diplomatische Lösungen.
Der Kreml setzt strategisch auf die politische Ermüdung des Westens. Er kämpft
einen Informationskrieg mit Lügen, Propaganda und Kreml-nahen Parteien und
Bündnissen. Er schürt Hass und Hetze, um unsere freien Gesellschaften zu spalten
und die Unterstützung für die Ukraine zu mindern. Der Verfassungsschutz warnt
vor großangelegten Desinformationskampagnen, die gezielt kreml-nahe Propaganda
verbreiten und vom russischen Terror in der Ukraine ablenken. Doch die Bilder
aus der Ukraine lassen uns nicht kalt. Wir stumpfen nicht ab. Wir sehen, wie
groß das Trauma, der Schmerz, der Verlust ist. Wir sehen Yaroslav in Lwiw, der
seine Frau und seine drei Töchter bei einem russischen Bombenangriff auf ihr
Wohnhaus verloren hat. Wir sehen Svitlana in Kyjiw, die sich als Kinderärztin
während des Luftalarms vergewissern wollte, dass sich alle Kinder der
Intensivstation in den Bunkern befinden und dabei selbst durch einen russischen
Marschflugkörper getötet wurde. Wir sehen Olha aus Jahidne, die von russischen
Soldaten im Keller einer Schule wochenlang eingesperrt wurde. Mehrere der über
367 Dorfbewohner*innen starben, Tod und Verwesung auf engstem Raum mit kleinen
Kindern. Wir sehen Karolina aus Mariupol, die ihr Baby ausgehungert und zwischen
Schüssen russischer Soldaten auf einem Krankenhausflur zur Welt bringen musste.
Es gibt unzählige dieser traurigen Geschichten. Sie sind uns Mahnung und Auftrag
zugleich, denn sie geschehen jeden Tag. Sie sind Albtraum und bittere Realität.
Die grausamen Bilder aus Butscha und Irpin sind nicht nur Zeugnis der
Vergangenheit, sondern der Blick in die Gegenwart des russischen
Besatzungsregimes, sie zeigen die Zukunft, sollte sich Putin durchsetzen. Die
Kapitulation gegenüber Putin würde diesen Terror belohnen und zu immer neuen
Gewalttaten ermutigen.
Wir verschließen nicht die Augen vor der Realität. Russlands Krieg hat
schlimmste Folgen in der Ukraine und weit darüber hinaus. Zehntausende
Soldat*innen und Zivilist*innen wurden getötet oder verletzt. Ein Fünftel des
ukrainischen Staatsgebiets ist von russischen Truppen besetzt. Die
Energieinfrastruktur wird nahezu täglich durch russische Drohnen und Raketen
zerstört. Kälte und Dunkelheit, fehlendes Wasser führen zu immer neuen
humanitären Krisen. Es wächst eine Generation heran, die durch die Traumata des
Krieges geprägt sein wird. Russlands Krieg wirkt aber weit über die Grenzen der
Ukraine hinaus: Enorme Preissteigerungen, Lebensmittelknappheiten durch
russische Angriffe auf die ukrainische Landwirtschaft und Hafeninfrastruktur
verursachen Hunger und Elend weltweit. Hohe Energiepreise und Inflation sind
Kalkül und direkte Folge des russischen Angriffskrieges. Putin hat Armut und
sozialen Spannungen weiter verschärft.
Daher werden wir nicht müde, wir bleiben entschlossen. Nichts bedroht den
Frieden so sehr, wie die fehlende Bereitschaft, ihn entschlossen zu verteidigen.
Wir wollen, dass unsere Freund*innen in der Ukraine endlich wieder ohne Angst
schlafen und ein normales Leben führen können. Ein Leben in Frieden, ohne
russischen Terror. Dafür unterstützen wir die Ukraine. Wir verteidigen, was
zählt. Wir verteidigen ein Leben in Würde und Freiheit. Wir unterstützen die
Ukraine bei der Wiederherstellung ihrer territorialen Integrität, denn
ukrainisches Territorium ist keine abstrakte Fläche, sondern der Ort an denen
die Menschen frei von Angst, Verfolgung und Willkür in Würde und Freiheit leben
können. Orte, in denen ihre Rechte geachtet und garantiert werden. Wir
unterstützen die Ukraine in der Resilienz ihrer Gesellschaft gegen den
alltäglichen und überall präsenten Schrecken der russischen Angriffe, mit
intensiver humanitärer und wirtschaftlicher Hilfe und Zusammenarbeit.
Seit der russischen Vollinvasion stärkt Deutschland die Ukraine in ihrem Recht
auf Selbstverteidigung. Als Bündnisgrüne stehen wir grundsätzlich für
restriktive Rüstungspolitik und streiten dennoch für bestmögliche Unterstützung
der Ukraine. Handlungsleitend für den Einsatz gelieferter Waffen muss das
Völkerrecht uns seine Wahrung sein, nicht die Selbstabschreckung vor dem Kreml-
Regime und seiner Propaganda. Die militärische Unterstützung der Ukraine hat
massiv zur Verteidigung und Befreiung des Landes beitragen können. Dank ihr sind
heute weniger Ukrainer*innen dem russischen Terror der Vergewaltigung,
Verschleppung, Folter und des Mordes ausgesetzt. Die ukrainischen Partner*innen
haben bewiesen, dass sie beim Einsatz der gelieferten Waffen das humanitäre
Völkerrecht wahren und getroffene Vereinbarungen erfüllen.
Die Ukraine muss in die Lage kommen, ihre Bevölkerungen bestmöglich vor den
russischen Angriffen zu schützen. Deutschland muss aus seinen Fehlern lernen.
Die Zögerlichkeit westlicher Waffenlieferungen hat die Verteidigungs- und
Befreiungsbemühungen der ukrainischen Streitkräfte erschwert. Noch immer
schränkt sie konsequenten Schutz der Bevölkerung des Landes ein. Deutschland
kann und muss noch stärker zur Verteidigung der Ukraine beitragen – im Vertrauen
auf und in enger Zusammenarbeit mit unseren Partnern. Die Ukraine kann sich nur
dann erfolgreich verteidigen, wenn sie militärisch in der Lage ist, weit hinter
den Frontlinien Angriffe auf Ziele wie russische Munitionsdepots,
Versorgungsrouten und Kommandoposten durchzuführen. Die Befreiung der
ukrainischen Seewege für den lebensnotwenigen Getreideexport zeugen vom Erfolg
des ukrainischen Militärs. Wir begrüßen daher die Lieferung europäischer und
amerikanischer Marschflugkörper und bleiben überzeugt, dass auch Deutschland
diese Fähigkeiten zur Verfügung stellen kann und sollte. Russische Waffen müssen
zerstört werden können, bevor sie zum Einsatz gegen die Ukraine kommen und nicht
erst im Anflug auf Wohn- und Krankenhäuser oder die Energieinfrastruktur.
Zu oft verstellt die militärische Debatte den Blick für die vielfältigen
diplomatischen Bemühungen und Erfolge. Wir unterstützen die vielfältigen
Friedensinitiativen der ukrainischen Regierung. Trotz massivster russischer
Eskalationen beweist die Ukraine ihren Willen für diplomatische Lösungen:
Resolutionen der Vereinten Nationen, Gefangenenaustausche, Transitrouten für
Getreide-Exporte, die Eröffnung der EU-Beitrittsverhandlungen oder die
Friedensgipfel wären ohne massivstes diplomatisches Engagement unmöglich. Klar
ist, wenn Russland die Zerstörung globaler Institutionen fortsetzt, gefährdet es
den Frieden weltweit.
Russland investiert aktuell ein Drittel seiner Staatsausgaben in Krieg und
Kriegswirtschaft. Knapp 7 Prozent des russischen Bruttoinlandsprodukts werden
allein für militärische Zwecke genutzt. Russland mobilisiert fortwährend und
baut immer neue Strukturen und Kampfeinheiten auf. Damit bereitet sich der Kreml
nicht nur auch einen langen Krieg gegen die Ukraine vor, sondern überkompensiert
die Verluste seines Angriffskriegs und baut strategische Reserven auf, die der
Konfrontation mit weiteren Staaten dienen. Die russische Rüstungspolitik stellt
vor dem Hintergrund der imperialen Logik und aggressiven Rhetorik eine
ernstzunehmende Bedrohung für ganz Europa dar. Deutschland und seine Verbündeten
sind daher gezwungen, dieser russischen Militarisierung der internationalen
Beziehungen so zu begegnen, dass wir auch künftig politisch handlungs- und
durchsetzungsfähig bleiben. Wir halten am Ideal unserer konventionellen und
nuklearen Abrüstungspolitik fest, stellen uns aber nicht blind gegenüber der
Bedrohung durch die aktuelle russische Regierung. Glaubwürdige Abrüstung setzt
gegenseitiges Vertrauen voraus.
Schon heute geht Putins Aggression weit über die Grenzen der Ukraine hinaus:
Cyberangriffe auf den Bundestag und kritische Infrastrukturen der EU, Lügen- und
Destabilisierungskampagnen zur Unterstützung von Extremisten*innen, die unsere
Freiheit von innen heraus zerstören sollen, politische Auftragsmorde in unseren
Städten, andauernde Verletzungen unseres Luftraums, Sprengstoff- und
Brandanschläge gegen Schlüsselindustrien. Putin befindet sich längst im Krieg
mit dem freien Europa – mit uns. Auch innerhalb Russlands festigt Putins
Gewaltpolitik die eigenen Machtstrukturen. Politische Auftragsmorde an
Journalisten und Oppositionellen wie Anna Politkowskaja, Boris Nemtzow oder
Alexej Nawalny sind Zeugnis seiner massiven Repression nach innen, die den Krieg
nach außer möglich machen. Der Tiergartenmord steht beispielhaft für die
Blutspur des Kremls.
Die auf naiven Hoffnungen und Wunschvorstellungen beruhende politische
Zurückhaltung gegenüber früheren Grenzverletzungen haben Putin aufgezeigt, dass
er keine drastischen Konsequenzen fürchten muss. Er setzt seinen Kurs immer
intensiver fort, gewaltsam die Normen der internationalen Politik zu
verschieben. Der Kreml geht mit äußersten Repressionen gegen die eigene
Gesellschaft vor und bleibt auf Konfrontationskurs mit dem Westen. Dieser
Realität stellen wir uns.
Für eine Strategie der Zuversicht
Die Ukrainer*innen bestätigen uns den Wert unserer europäischen
Errungenschaften. Daraus bestimmen wir die strategischen Ziele unserer Zeit. Es
braucht daher jetzt eine neue entschlossenere Strategie, um Putin zu überwinden.
Die erfolgreiche Integration der Ukraine in die Europäische Union und NATO
bildet dafür unser strategisches Kernziel. Denn diese Mitgliedschaften
garantieren der Ukraine Sicherheit und fördern somit den erfolgreichen
Reformprozess, den die Gesellschaft anstrebt.
Bis heute hat Russland seine strategischen Kriegsziele verfehlt, trotzdem hält
Putin daran fest, die Ukraine zu unterwerfen und die Konfrontation mit dem
Westen zu suchen. Putins Ziel ist die Unterwerfung der Ukraine und die
Zerstörung der europäischen Friedensordnung. Er hat sein Schicksal mit diesem
Krieg verknüpft. Der Kreml setzt die langfristige Konfrontation mit steigenden
menschlichen, wirtschaftlichen und politischen Kosten, verbunden mit
Eskalationsdrohungen. Dies soll die Entschlossenheit der Ukraine-Unterstützer
untergraben. Sollte die Ukraine nicht vollständig besiegt und als Staat
ausgelöscht werden, will Russland sie zwingen, russische Bedingungen für eine
vorübergehende Entspannung des Konflikts zu akzeptieren. Dies würde Russland die
Möglichkeit geben, seine Kräfte zu reorganisieren und sich auf eine weitere
Phase des Krieges vorzubereiten.
Für uns ist klar: Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen, Putin muss
scheitern. Russland muss Verantwortung für den Krieg und seine Kriegsverbrechen
übernehmen. Für die friedliche Zukunft in Europa muss es dem Putin-Russland
verneint werden, diesen Krieg fortzuführen und sein bestehendes diktatorisches
Regime aufrechtzuerhalten. Es liegt in unserem strategischen Interesse, dass
sich das Regime in Russland ändert. Kurzfristig muss daher die militärische und
diplomatische Unterstützung der Ukraine weiter verstärkt werden. Wir setzen uns
für die Verschärfung und verbesserte Wirksamkeit europäischer und
internationaler Sanktionen gegen Russland ein, um die russische Kriegsfähigkeit
zu schwächen und Ressourcen des russischen Staates für seine Kriegswirtschaft
maximal zu beschneiden. Auch mittel- und langfristig setzen wir auf
wirtschaftliche und sicherheitspolitische Maßnahmen, die Russlands militärischen
Sieg verhindern, den ökonomischen Druck auf das Regime erhöhen, unsere eigene
politische und militärische Handlungsfähigkeit durch klare Signale der
Entschlossenheit wahren und Verteidigung der westlichen Staaten und ihrer
Partner garantieren.
Für strategischen Erfolg braucht es eine noch stärkere wirtschaftliche und
sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit engsten Partnern, den liberalen
Demokratien. Es braucht ein öffentliches Verständnis und die breite
gesellschaftliche Unterstützung zur Verteidigung unserer grundlegenden
Prinzipien der regelbasierten Friedensordnung gegen die freiheitsfeindlichen
Akteure unserer Zeit. Das bedeutet auch eine kohärente und intensive
Kommunikation und eine ehrliche Debatte mit der eigenen Bevölkerung. Das
verstehen wir als Herausforderung und Auftrag zugleich.
Wir stärken den Frieden weltweit. Während Russland bereit ist, Hunger gezielt
als Waffe einzusetzen und zynisch mit steigenden Kosten für Nahrungsmittel,
Energie und Transport Hunger- und Wirtschaftskrisen zu verschärfen, setzen wir
auf universelle Rechte, starke Institutionen und auf respektvolle und
verlässliche Partnerschaften mit den Ländern des Globalen Südens. Unser
Engagement gilt einer partnerschaftlichen, feministischen, dekolonialen und
nachhaltigen Entwicklungszusammenarbeit, die darauf abzielt, systemische
Ungerechtigkeiten abzubauen. Wir arbeiten unser koloniales Erbe kritisch auf,
statt den russischen Imperialismus zu relativieren und somit kolonialen
Kontinuitäten zu folgen. Dem russischen Ziel einer global geltenden Herrschaft
der Stärke und Gewalt setzen wir einen glaubwürdigen Multilateralismus mit
echter Diplomatie und partnerschaftlicher Zusammenarbeit entgegen.
Russlands Imperialismus reicht weit über die Ukraine hinaus. Er bedroht ganz
Osteuropa. Deutschland und die Europäische Union müssen daher noch stärker auf
die demokratischen Kräfte und die lebendigen Zivilgesellschaften setzen und sie
stärken.
Putin nutzt Belarus unter Diktator Lukaschenka als Aufmarschgebiet seiner
Truppen und stationiert dort Atomwaffen, die gegen uns gerichtet sind. Wir sehen
friedliebenden Menschen, die durch Terror und Gewalt marginalisiert werden
sollen. Wir stehen fest an der Seite von Swetlana Tichanowskaja und den vielen
mutigen Menschen, die sich unermüdlich für Frieden und Demokratie einsetzen. Die
Freilassung der politischen Gefangenen und die Unterstützung der belarusischen
Demokratiebewegung hat für uns höchste Priorität. Maria Kalesnikowa muss leben.
Ales Bialiatski muss leben. Es darf kein weiterer politischer Gefangener in
belarusischer Haft sterben. Auch die Republik Moldau und Georgien sind seit
langem Ziel von militärischer Aggression und Destabilisierungsversuchen
Russlands. Wir stehen entschlossen zur Souveränität und territorialen Integrität
beider Länder. Wir werden die Republik Moldau und Georgien auf ihrem Weg in die
EU bestmöglich unterstützen, gleichzeitig aber die dafür nötigen Reformen
einfordern. Während die moldauische Präsidentin Maia Sandu ihr Land ambitioniert
in Richtung EU steuert, vollzog die georgische Regierung einen autokratischen
Kurswechsel. Klar ist: Solange in Georgien NGOs und LGBTQAI+ Menschen per Gesetz
diskriminiert werden, kann es keine Fortschritte im EU-Beitrittsprozess des
Landes geben.
Für uns steht fest: Russland hat die Chance auf eine bessere Zukunft. Es kann
sich in eine friedliche parlamentarische Demokratie wandeln, eine wahre
Föderation. Wir stehen daher an der Seite der tausenden russischen politischen
Gefangenen, die gegen den Krieg aufbegehren. Ihr Wunsch nach Frieden ist kein
Verbrechen. Wir reichen denjenigen Russ*innen die Hand, die sich glaubwürdig für
ein Ende des Krieges engagieren. Wir bieten eine Heimat für all jene, die sich
für eine demokratische, freie und friedliche Zukunft Russlands engagieren.
Wir sind zuversichtlich. Die Entwicklungen seit 1945 beweisen, dass die Achtung
der Würde und Menschenrechte, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit den
wahren Frieden stiften. Wir stehen dafür, diese Werte – zugleich unsere
wichtigsten Interessen – entschlossen zu verteidigen. Um wahrhaften Frieden zu
gewinnen.