Veranstaltung: | 50. Bundesdelegiertenkonferenz Wiesbaden |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Philipp Mathmann (KV Münster) und 180 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 57%) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 04.10.2024, 10:06 |
V-78: Green Hospital Strategie - Der Weg zum klimaneutralen Krankenhaus
Antragstext
Gesunde Menschen gibt es nur auf einem gesunden Planeten. Mit knapp 6% hat der
Gesundheitssektor einen hohen Anteil am deutschen bzw. globalen CO2-Ausstoß.
Dies ist unter Anderem bedingt durch den hohen Energieverbrauch von
Gesundheitseinrichtungen, hohe Abfallmengen und ineffiziente Lieferketten und
Prozesse.
In Deutschland tragen teilstationäre und stationäre Gesundheitseinrichtungen
etwa 24,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente zu den nationalen Emissionen bei. Sie
sind damit relevanter Treiber von Umweltschäden und einer Verschärfung der
Klimakrise. Entsprechend des Planetary Health Konzeptes ist es notwendig, dass
wir Krankenhäuser befähigen die medizinische Versorgung innerhalb der planetaren
Grenzen zu gewährleisten. Zudem bietet die Strategie mittelfristig enorme
Möglichkeiten das Gesundheitssystem auch wirtschaftlich zu stabilisieren.
In Zeiten von Fachkräftemangel werden klimaneutrale und klimaresiliente
Krankenhäuser zum attraktiven Arbeitsplatz und machen – als Begegnungsräume für
alle Teile unserer Gesellschaft – positive Zukunftsvisionen erlebbar. Die
deutschen Krankenhäuser können so ein Vorbild für andere Sektoren auf dem Weg
zur Klimaneutralität sein.
Wichtige Akteure im Deutschen Gesundheitssystem haben den hohen Stellenwert
dieses Themas erkannt. So hat der Deutsche Ärztetag bereits 2021 einen Beschluss
zu Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen gefasst. Auch die Deutsche
Krankenhausgesellschaft, die Bundesärztekammer und der Deutsche Pflegerat
betonen die Wichtigkeit klimaneutraler Gesundheitseinrichtungen.
Das Eco-Management and Audit Scheme (EMAS) ist ein freiwilliges europäisches
Umweltmanagementsystem. Seine Anwendung stellt sicher, dass Umweltaspekte
umfassend im Krankenhausbetrieb integriert werden – von der Energieeffizienz bis
zur nachhaltigen Beschaffung. Dies fördert kontinuierliche Verbesserungen und
stärkt die ökologische Verantwortung des Gesundheitssektors.
Wir wollen Krankenhäuser bei der EMAS-Teilnahme unterstützen. Dabei wollen wir
die bürokratischen Hürden minimal halten, um den Krankenhausbetrieb nicht zu
beeinträchtigen und die Akzeptanz zu erhöhen. Um die Verbreitung von
Umweltmanagement und -bilanzierung an Kliniken zu fördern, fordern wir die
Unterstützung von Kliniken durch Förderprogramme auf Landesebene. Die EMAS-
Teilnahme oder gleichwertigen Zertifizierungsmaßnahmen soll als Kriterium bei
der Vergabe von Förder- und Investitionsmitteln herangezogen werden.
Zahlreiche Krankenhäuser in Deutschland müssen ab dem Bilanzjahr 2025 einen
Nachhaltigkeitsbericht erstellen. Grundlage ist die Corporate Sustainability
Reporting Directive (CSRD) der Europäischen Union. In diesen Berichten werden
erstmalig zahlreiche Kennzahlen zu sozialen und ökologischen
Nachhaltigkeitsthemen systematisch, digital und verpflichtend veröffentlicht.
Die CSRD ist primär eine Berichterstattung und gibt ohne eine Auswertung und
einen Vergleich der Kennzahlen keinen Hinweis darauf, wie nachhaltig ein
Krankenhaus tatsächlich ist.
Wir wollen die CRSD-Berichterstattung nutzen und weiterentwickeln, um auf
Grundlage der Berichte eineVergleichbarkeit und ein transparentes Benchmarking
für deutsche Krankenhäuser zu entwickeln. So können realistische Ziele zur
Reduktion von Emissionen im Krankenhaussektor formuliert werden. Dies soll die
Grundlage für Entscheidungen und Reformen bilden. An der Entwicklung werden wir
zentrale Stakeholder im System beteiligen.
Krankenhäuser sollen nachhaltige Architektur und Bauweise im Sinne der
zirkulären Bauwirtschaft in allen Bauplanungen/-prozessen, insbesondere bei
Renovierungen und Neubauten, verpflichtend integrieren. Dies umfasst neben der
Nutzung umweltfreundlicher Materialien die Etablierung energieeffizienter
Gebäudekonzepte, die Umsetzung von Klimaschutz- und Klimaresilienzkonzepten
sowie die baulichen Voraussetzungen für ein umfassend inklusives, barrierefreies
Krankenhaus.
Die Gebäudestruktur der meisten deutschen Krankenhäuser ist nicht
energieeffizient. Dadurch ist der Weg zur Klimaneutralität deutlich erschwert
und mit hohen Kosten verbunden. Um dieser Herausforderung gerecht zu werden,
wollen wir die Investitionsmittel auf Landesebene aufstocken und die Erhöhungen
zweckgebunden für Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen vergeben. So werden
wir die Anwendung nachhaltiger Bau- und Renovierungsstandards (z.B. DGNB), den
Einsatz energieeffizienter Beleuchtungs-, Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen,
die Implementierung von Resilienzmaßnahmen (z.B. Hitze- und Hochwasserschutz)
unterstützen.
Einen großen Schritt haben wir Bündnisgrüne z.B. in Nordrhein-Westfalen bereits
im Rahmen der Krankenhausplanung erreicht: Die Landesregierung stellt insgesamt
2,5 Milliarden Euro zusätzlich für die Strukturveränderungen in der
Krankenhauslandschaft zur Verfügung. Ein Drittel der Gelder, also mehr als 800
Millionen Euro, sind dabei für Maßnahmen für Klimaschutz und Klimaanpassung
reserviert.
Die bisher genannten regulatorischen Rahmenbedingungen sind aktuell nicht
ausreichend, um die Transformation zum klimaneutralen Krankenhaussektor
umzusetzen. Gleichzeitig ist die Vielzahl unterschiedlicher Regularien und
Berichterstattungen schon jetzt eine erhebliche Belastung. In der Gesetzgebung
werden wir explizit darauf achten, dass neue Gesetze bestehende sinnvoll
ergänzen und die bürokratischen Belastungen durch die Nutzung von Synergien
(bspw. Nutzung einer gemeinsamen Treibhausgasbilanz für CSRD-Berichterstattung
und Energiemanagementsystem) verringert werden.
In Beschaffungs-, Aufbereitungs- und Abfallprozessen müssen energieeffiziente
Produkte und umweltfreundliche Materialien priorisiert werden. Krankenhäuser
müssen den gesamten Lebenszyklus von Produkten bewerten (Life-Cycle-
Assessments), um ökologisch sinnvolle Entscheidungen zwischen Einweg- und
Mehrwegartikeln zu treffen.
Bestehende Verpflichtungen zu konsequenter Mülltrennung müssen auch in
Krankenhäusern umgesetzt werden. Digitale Abfallmanagement- und
Aufbereitungssysteme können dabei unterstützen. Hierdurch können beispielsweise
kleinere OP-Siebe für den bedarfsgerechten Einsatz gepackt werden. Die Nutzung
von ökologischen, biologisch abbaubaren Reinigungsmitteln sollte konsequent
etabliert werden
Auch die planetare Grenze „Trinkwasser“ kann durch Reduktion des
Wasserverbrauchs, die Nutzung alternativer Wasserressourcen und
Wasserkreislaufsysteme in Krankenhäusern positiv beeinflusst werden. Dies sollte
im technologieoffenen Setting durch den Einsatz moderner, ressourcenschonender
Aufbereitungsverfahren wie Niedertemperatur-Sterilisation, UV-C-Aufbereitung und
zirkuläre und digitale Wasseraufbereitungs- und managementsysteme gefördert
werden. Zudem sollte die Nutzung von Regen- und Grauwasser (z.B. für die
Toilettenspülung oder Bewässerung der Grünanalagen) etabliert werden.
Behandlungsstandards sind nach dem Kriterium des Ressourcenverbrauchs zu
bewerten. So zeigt beispielsweise die S2k-Leitlinie „klimabewusste Verordnung
von Inhalativa“, dass ressourcenschonender Einsatz von Medikamenten auch für die
Behandelten Vorteile bringen. Wir fordern die Vermeidung klimaschädlicher
Narkosegase (z.B. Desfluran) und Durchführung von Narkosegas-Recycling.
Die Ernährung im Krankenhaus ist nicht nur ein gesundheitlicher, sondern auch,
im Sinne der planetaren Ernährung, ein ökologischer Faktor. Sie bietet bei einem
Emissionsanteil von bis zu 15% der Krankenhausemissionen erhebliche
Reduktionsmöglichkeiten und kann gleichzeitig zu einer Imageverbesserung
beitragen.
- Bereitstellung von Fahrradinfrastruktur und Dienstradleasing
- Installation von Ladesäulen für Elektrofahrzeuge
- Barrierefreie Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr und Förderung
von Jobtickets - Anschaffung von Elektrofahrzeugen für innerbetriebliche Verkehre und
im Rettungsdienst - Anbieten von digitalen Sprechstunden zur Vermeidung von unnötigen
Transportwege
Auch die Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI) wird in Zukunft den
Ressourcenverbrauch in Krankenhäusern entscheidend beeinflussen. Neben dem
möglichen Einsparen von personellen und finanziellen Ressourcen, muss der hohe
Energieverbrauch von KI-gestützten Maßnahmen in die Planung einbezogen werden.
Durch die Gestaltung ihrer Außenanlagen sollten Krankenhäuser zur Förderung der
ökologischen Vielfalt beitragen. Außerdem sind vielfältige Grünanlagen ein
effizienter und kostensparender Ansatz, um Krankenhäuser bei
Extremwetterereignissen, wie Hitze und Starkregen, resilienter zu machen.
Hierfür können beispielsweise folgende Maßnahmen umgesetzt werden:
Die Transformation zum klimaneutralen Krankenhaus erfordert Zeit und
Fachkompetenz. Diese kann nicht allein durch bestehende Strukturen abgedeckt
werden, sondern muss als neuer Fachbereich fest in der Krankenhausstruktur,
beispielsweise als Stabsstelle, verankert werden. Mittel- und langfristig werden
sich Neuanstellung hier amortisieren. In Ländern und Bund wollen wir durch
Förderprogramme hier eine Anschubfinanzierung bieten.
In vielen Krankenhäusern hat sich für die Umsetzung von Klimaschutz- und
Klimaanpassungsmaßnahmen die Etablierung eines Klimateams mit niederschwelligen
Angeboten durchgesetzt. Krankenhäuser müssen Fort- und Weiterbildungen anbieten,
um das Wissen und Bewusstsein der Mitarbeitenden für nachhaltige Praktiken und
die faire Teilhabe am Gesundheitssystem in Zeiten der Klimakrise zu stärken.
Darüber hinaus sollen Klinik regelmäßig und transparent (intern und extern) über
die Fortschritte bei der Umsetzung der Green Hospital Strategie berichten, um
die Mitarbeitende, Patient:innen und Angehörige für die Ziele zu
sensibilisieren. Dies erfordert, dass die Green Hospital Strategie konsequent
und in allen Bereichen als Ziel für Krankenhausgesetzgebung bzw.
Krankenhausplanung aufgenommen wird. Entsprechende Förderprogramme auf Landes-
und Bundesebene sind zu etablieren, um den Transformationsprozess zu
beschleunigen. Das Empowerment der Mitarbeitenden ist Schlüssel zum Erfolg.
Wir wollen soziale und ökologische Nachhaltigkeit als Qualitätselement
anerkennen. Mittelfristig wird dadurch auch die Wirtschaftlichkeit des (teil-
)stationären Sektors gestärkt. Entsprechend fordern wir, dass der
Transformationsfonds im Rahmen der Krankenhausreform um entsprechende Kriterien
erweitert wird. Außerdem wollen wir Klimaneutralität und -anpassung zum
Kernprinzip der Krankenhausplanung aller Bundesländer machen.
Begründung
Dieser Antrag wurde als Beschluss der LAG Gesundheit in NRW auf den Weg gebracht und ist nun, aufgrund der bundes- und landespolitischen Relevanz, zum BDK-Antrag weiterentwickelt worden. Aufgrund seiner thematischen Breite waren Mandatsträger:innen aus Bund und Ländern, Mitglieder der BAG Arbeit, Soziales, Gesundheit, der BAG Bauen, Planen, Wohnen, der BAG Energie, der BAG Behindertenpolitik sowie Mitglieder zahlreicher Gesundheits-LAGen aus ganz Deutschland aktiv an der Ausarbeitung beteiligt.
Der Antrage schafft Synergien zwischen unterschiedlichen politischen Feldern am Beispiel eines konkreten und systemrelevanten Sektors: dem Gesundheitssektor. Er schafft Rückenwind für Grüne Inhalte und Nachhaltigkeitsziele bei den großen, teils noch ausstehenden, Reformen (Krankenhausreform, Notfallreform, Abulanzreform) des Gesundheitssystems in der aktuellen Legislaturperiode
Der Gesundheitssektor trägt mit knapp 6% erheblich zum CO2-Ausstoß in Deutschland und weltweit bei. Stationäre Gesundheitseinrichtungen (insb. Krankenhäuser) stoßen jährlich rund 24,5 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente aus und verschärfen damit die Klimakrise. Es ist daher dringend notwendig, die medizinische Versorgung innerhalb der planetaren Grenzen zu gestalten.
Die Green Hospital Strategie bietet die Möglichkeit, Umweltschutz und Gesundheitsversorgung zu vereinen. Sie fördert nicht nur die ökologische Verantwortung von Krankenhäusern, sondern trägt auch zur wirtschaftlichen Stabilität des Gesundheitssystems bei. Durch nachhaltige Prozesse, Energieeinsparungen und Abfallvermeidung werden Kosten gesenkt und gleichzeitig die Resilienz der Gesundheitsversorgung gestärkt.