Veranstaltung: | 50. Bundesdelegiertenkonferenz Wiesbaden |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Kreisverband Unna (dort beschlossen am: 22.08.2024) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 26.09.2024, 11:17 |
V-13: Grüne machen sich auf! Noch mehr Vielfalt wagen!
Antragstext
Die Grünen besetzen mindestens jeden fünften Listenplatz bei Wahlen ab
Landesebene mit Menschen, die mindestens sieben Jahre in einem Beruf gearbeitet
haben, der nicht mit einer politischen Partei in Verbindung steht (dies schließt
Mandate, Fraktionen, Stiftung etc. mit ein).
Begründung
Die Grüne Frauenquote hat mehr Vielfalt in den Bundestag und andere Parlamente in Deutschland gebracht. Über vielfaltspolitische Sprecherin und Diversitätsrat fördert Grün die deutlichere Repräsentanz von Migrant*innen und Minderheiten. Trotz dieser Anstrengungen lässt die erreichte Vielfalt noch zu wünschen übrig. Die Barrieren für Neueinsteiger*innen, in Landtage oder in den Bundestag gewählt zu werden, sind auch bei Grün schwer überwindlich. Parlamentarier*innen rekrutieren sich fast nur noch aus Menschen, die ihre Berufs- und meist auch Berufungserfahrung nur im Kontext von Parteien gesammelt haben.
Grüne Frische, Bezahlung der Mitarbeiter*innen, Ausbildungsprogramme in der parteinahen Stiftung oder in geschlossenen Parteiangeboten haben einen starken Apparat geschaffen. Das notwendige Netzwerk birgt aber auch Gefahren. Notwendige regionale, fachliche, flügelsymmetrische Aushandlungen erschweren einen Listenzugang inzwischen schon ein Jahr vor den Wahlen. Betriebsrät*innen, Selbstständige, Verantwortungsträger*innen in Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaften oder in Verbänden und Selbsthilfegruppen haben dafür keine Zeit.
Der dramatische Einbruch der Grünen bei Jungwähler*innen ist bedenkenswert, angesichts der Hochquote von frischen Grünen-Jugend-Aktivist*innen in Parlamenten und Parteispitze. Eine besonders korrekte Grüne Glockensprache mag innerparteilich ihren Reiz haben, schränkt aber die Zuhörer*innenschaft für Grüne Ideen ein.
Ähnliche Prozesse laufen in allen Parteien ab. Scholz, Merz, Lindner sind Apparatekinder. Gefahren durch Quereinsteiger*innen werden in allen Parteien verhindert oder domestiziert. Die Entsorgungskultur der traditionellen Parteien bietet aber sorgenbefreiende Umstiegsmöglichkeiten in Wirtschaft und Verbände. Selbige haben auch traditionelle Mandatsquoten. Bauernverband, Handwerkerschaft, Gewerkschaften, Konzerne mischen auf den Listen listig mit.
Menschen, die sich in Wissenschaft, Kultur, Sport, Bewegung, Wirtschaft einen Namen gemacht haben, finden sich kaum noch auf den Partei-Listen. Barbara Lochbihler, Sven Giegold, Sarah Wiener, Frank Bsirske, Uwe Schneidewind … brachten frischen Wind in Grünen Trott nach innen und zeigten anziehende Vielfalt für neue Wählerschaften und Mitglieder. Bei der Europaliste wurde eine Fachwelt-unterstützte China-Expertinnicht gewählt.
Die Zeiten von Halbzeit-Rotationen sind erfreulicherweise vorbei. Zwei bis drei Legislaturperioden - und bei Sonderwichtigkeit auch mehr - haben gute Begründungen. Organische Dynamik braucht aber auch bei Mandatsverlusten Erneuerung: Wissens- und erfahrungsergänzend. Unter den relevanten ersten 20 Listenplätzen zur Europawahl ist auf Platz 6 ein Bauer der Einzige, der mit seinen Händen jenseits der Tastatur gearbeitet hat. Wenn Kontakte zu Arbeiter*innen schwer zu finden sind, könnten über eine „Arbeiterkind-Quote“ vielleicht wichtige Erfahrungen eingeworben werden. Die aktuelle Herausforderung ist die Hereinforderung oder besser Hereinlockung breiterer Lebenserfahrung.
Dazu können alle Kandidat*innen ausdrücklich ermuntert werden, in ihren Bewerbungen auch Berufserfahrungen jenseits des Grünen Tellerrands vorzustellen.
Nach jeweils fünf Wahlgängen sollten die jeweils erreichten Vielfaltsquoten in Bezug auf Geschlecht, Herkunft, Alter, Berufe, Lokalbezug (Berlin, Metropole, Großstadt, Stadt, Dorf), Ehrenamtserfahrungen ... evaluiert werden.
Ein erweitertes Vielfalts-Förderprogramm kann inhaltlich und personell auf Bundes- und Länderebene entwickelt werden, ergänzt um ein Ausstiegs- und Umstiegsqualifizierungshilfsprogramme für auswechselwillige Parlamentarier*innen.
Bärbel Höhn als Afrika-Hilfe-Mobilmacherin, Michael Vesper als Olympionike, Klaus Müller als Verbraucher- und Energieagent, Sabine Brauer als Politik-Trainerin, Barbara Steffen als Krankenkassen-Managerin …: Es gibt Beispiele für Rotationen in Rollen vorwärts. Grüne Personalentwicklung sollte Rotationswege ermunternd fördern. Kommunen brauchen Fachverstand, Verbände netzfähiges Führungspotential, Nachwüchse in allen Parlamentsebenen brauchen Coaches. Selbstbewusste, selbstgewählte Rollenwechsel sind attraktiver als Abwahl oder Abgang durch Krankheit. „Politik qualifiziert!“ war mehrsinniger Wahlspruch der Politik-Management-Bewegung.
Es wird Stimmen geben, die fürchten, dass das ehrliche Benennen solcher Probleme Grün angreifbarer macht. Wenn wir Grünen selbstbewusst Türen öffnen und uns wandelwillig und -fähig zeigen, gewinnen wir neue Glaubwürdigkeit. Wann, wenn nicht jetzt, können wir uns neu aufmachen?
„Du hast uns gerade noch gefehlt!“ war vor Jahren eine Grüne Mitgliederwerbekampagne. Grün-NRW hatte dazu ein viel-getragenes Grünes Puzzleteil als Sticker entworfen. Ein trefflicher Grüner Aufmacher für heute bis übermorgen.