Veranstaltung: | 50. Bundesdelegiertenkonferenz Wiesbaden |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | KV Hagen (dort beschlossen am: 01.10.2024) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 01.10.2024, 21:38 |
V-39: Handlungsfähigkeit der Kommunen durch auskömmliche Finanzierung stärken
Antragstext
Der Frust über demokratische Parteien ist insbesondere dort hoch, wo es zu wenig
Geld gibt. Dort wo vor Ort Schulen bröckeln, Straßen schon Jahre
sanierungsbedürftig sind und politische Vorschläge am Geld scheitern – hier sind
die Hochburgen der AfD und hier werden demokratische Stimmen immer leiser.
Jede zweite Kommune sieht sich finanziell nicht in der Lage den Klimaschutz
anzugehen. 15% der Kommunen können langfristig keinen ausgeglichenen Haushalt
aufstellen, viele von Ihnen sind in der sogenannten Haushaltssicherung und
können eigenständig überhaupt keine Investitionen tätigen. Selbst in
Bundesländern wie Niedersachsen haben nur 10 von 400(!) Kommunen keine Schulden.
Darüber hinaus belaufen sich die Investitionsrückstände auf 186,1 Milliarden
Euro, allein um die kommunale Infrastruktur auf aktuellem Niveau zu halten. Kein
Wunder, denn schon jahrelang investiert hier fast kein EU-Land so wenig wie
Deutschland.
Für diese Lage ist auch die starre und unflexible Schuldenbremse verantwortlich,
da die Kommunen die Schulden machen müssen, die Bund und Länder nicht aufnehmen
dürfen. Gleichzeitig sind hohe Sozialausgaben eine wichtige Erklärung für
Finanzschwäche. Denn dort, wo besonders viele Menschen für Leistungen berechtigt
sind, sind häufig auch die Steuereinnahmen geringer. Hier geraten Kommunen in
einen Teufelskreis, denn es fehlt das Geld, um in die Zukunft der Bewohner zu
investieren.
Die BDK fordert die Bundestagsfraktion und alle Grünen in
Regierungsverantwortung dazu auf, Vorschläge zur Entlastung kommunaler Haushalte
zu erarbeiten und sich parlamentarisch einzubringen mit dem Ziel, dass alle
Kommunen wieder finanziell handlungsfähig im Sinne der kommunalen
Selbstverwaltung werden. Maßnahmenpakete dabei sind:
- Sozialaufgaben und weitere an die Kommunen übertragene Aufgaben müssen
vollständig und im Sinne des Konnexitätsprinzip von den Ländern und dem
Bund übernommen werden. Aufgrund diverser Finanzierungslücken, die hier
bereits vorliegen, müssen sich Länder und Bund stärker engagieren.
Schnelle Entlastungen bei den Aufgaben des Sozialstaats, zum Beispiel den
Kosten der Unterkunft, sind nötig.
- Die Transparenz im Umgang mit öffentlichen Fördermitteln und Geldflüssen
wird erhöht. Dazu wird die schon bestehende Förderdatenbank ausgebaut und
die Förderungen an den tatsächlichen Bedürfnissen und der tatsächlichen
finanziellen Leistungsfähigkeit ausgerichtet. Ebenfalls wird dies durch
die Einrichtung eines Investitions- und Transformationsfonds umgesetzt,
der Kommunalinvestitionen ausgiebig und insbesondere in strukturschwachen
Gebieten fördert.
- Die aktuell über Förderprogramme ausgeschütteten Gelder werden zukünftig
vermehrt den Kommunen direkt zur Verfügung gestellt. Das spart Bürokratie
und vereinfacht die zielgerechte Verwendung der Gelder. Insbesondere soll
dies durch eine Stärkung der ungebundenen kommunalen Mittel erreicht
werden. Dies wäre über eine nach Bedarf und nicht finanzieller
Leistungsfähigkeit orientierte Verteilung des kommunalen Anteils an der
Gewerbesteuer und den Gemeinschaftssteuern (z.B. Einkommenssteuer,
Umsatzsteuer) umsetzbar.
- Hochverschuldete Kommunen stehen vor großen Herausforderungen, wenn sie in
die Zukunft investieren wollen. Es müssen deshalb langfristige Lösungen
gefunden werden, damit die Lebensverhältnisse in den Kommunen sich nicht
strukturell auseinanderentwickeln. Hochverschuldete Kommunen müssen in die
Lage versetzt werden, sich selbst zu helfen. Damit Kreditaufnahmen auch in
Zukunft finanzierbar bleiben und Lasten verteilt werden, wäre eine
Möglichkeit, sie bei der Finanzierung der Zinslast aus notwendigen
Kassenkrediten zu unterstützen.
Begründung
In Zeiten wachsender populistischer Bestrebungen muss Kommunalpolitik als Gesicht der Demokratie vor Ort im Fokus aller Akteure stehen und von diesen größtmögliche Unterstützung erfahren.
Die Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse und der Zusammenhalt der kommunalen Familie ist durch die Krisenbewältigungen der letzten Jahre aus dem Fokus geraten. Dabei haben die letzten Krisen und das Erstarken der antidemokratischen Kräfte bereits gezeigt, wie wichtig die Handlungsfähigkeit der Kommunen für unsere Gesellschaft ist.
Statt sich auf gleichwertige Lebensverhältnisse hin zu bewegen, drohen die Kommunen in Deutschland weiter auseinanderzudriften und die Spaltung der kommunalen Familie schreitet voran. „Arme“ Städte und Gemeinden mit hohen Schuldenbergen und überdrehten Steuer- und Gebührenschrauben rutschen im Wettbewerb gegen „reiche“ Kommunen mit auskömmlichen Steuereinnahmen immer tiefer ins Abseits. Sie verlieren bereits jetzt Bürger*innen, Fachkräfte und Unternehmen an Kommunen, die den finanziellen Spielraum besitzen, um das Gemeinwesen zukunftsfähig zu gestalten. Dabei nimmt die Anzahl der „reichen“, also wirklich eigenständigen Kommunen, stetig ab und deutlich mehr als die Hälfte der Kommunen gibt an, keine Zukunftsinvestitionen tätigen zu können. Faktisch profitiert fast jede Kommune von einem anderen Finanzierungssystem – und die Schwächsten zuerst.
Finanzschwächere Kommunen befinden sich auf verschiedene Weise in kaum aufzuhaltenden Abwärtsspiralen, die dringend gestoppt werden müssen. Ein paar Beispiele:
- Finanzschwache Kommunen werden durch den Investitionsstau zunehmend schwerer belastet. – Kommunale Infrastruktur droht zunehmend zu zerfallen: Beim ÖPNV wird gespart, Straßen und Plätze werden nicht instandgehalten, Schwimmbäder werden geschlossen und nicht saniert. Schulgebäude bleiben im 20. Jahrhundert stehen, Bibliotheken werden eingespart und der Klimaschutz bleibt im Sparzwang stecken.
- Finanzschwache Kommunen sind bei der Verteilung von Landes- und Bundesmitteln oft benachteiligt. – Große Teile der Stadtentwicklung (und damit Verbesserungen der Lebensqualität vor Ort) geschehen aktuell durch Förderprogramme. Finanzschwache Kommunen haben aufgrund des Personalmangels (siehe oben) Schwierigkeiten damit, rechtzeitig oder sogar proaktiv qualitativ hochwertige Förderanträge zu schreiben. Außerdem können die Eigenmittel für Förderprogramme, die eigentlich notwendig wären, um aus der Misere herauszukommen, nicht immer aufgebracht werden. So geraten die schwächsten Kommunen gerade bei Zukunftsprojekten, wie Klimaschutz und Klimaanpassung ins Hintertreffen.
- Finanzschwache Kommunen versuchen kurzfristig alleine die Anforderungen zu erfüllen und büßen damit langfristig weitere Finanzmittel ein. – Finanzschwache Kommunen stabilisieren ihre kommunalen Haushalte in Ermangelung von Alternativen durch das Anheben von Gebühren und Steuern. Die Bürger*innen werden dadurch stetig weiter belastet; weitere Einsparungen führen zudem zu einer Verschlechterung der Lebensqualität vor Ort. In der Folge wandern Unternehmen in andere Städte ab, wodurch sich die Finanzlage weiter zuspitzt.
- Finanzschwache Kommunen haben einen strukturellen Nachteil beim Anwerben von qualifizierten Verwaltungsmitarbeiter*innen. – Das durch die ohnehin schon schlechte finanzielle Ausstattung erzeugte unattraktive Arbeitsumfeld verstärkt den schon existierenden Fachkräftemangel noch einmal dramatisch. Dieser Personalmangel sorgt für ein allgemeines Abrutschen der Lebensverhältnisse und ein damit noch unattraktiveres Arbeitsumfeld.
- Finanzschwache Kommunen können die Aufgaben, die bei Ihnen liegen nicht ausreichend erfüllen. – Finanzschwache Kommunen haben Schwierigkeiten, Hilfsangebote (z.B. aufsuchende Sozialangebote, Hilfen zur Pflege, (inklusive) Jugendhilfe, Ganztagsbetreuung in Kita und Schule, o.ä.) in ausreichender Menge und Qualität zu finanzieren, womit die Menschen länger in den Sozialsystemen bleiben, als notwendig wäre.
Die Verletzung des Prinzips der auskömmlichen Finanzierung pflichtiger Aufgaben hat in der Vergangenheit die Folgen des Strukturwandels verstärkt und für große Unterschiede in der Lebensqualität und Attraktivität von Regionen gesorgt. Wirksamere Kontrollmechanismen und eine auskömmliche Finanzierung der pflichtigen Aufgaben in den Kommunen schon in der Gesetzgebung („Wer bestellt, bezahlt“) sind nötig.
Dabei halten wir die Finanzierung über Fördermittel des Bundes keineswegs immer für eine gute Alternative: Sie ist volkswirtschaftlich nicht zielführend, unter anderem, weil sie mit hohen Bürokratie- und Kontrollaufwänden verbunden ist. Eine unmittelbare kommunale Verwendung der Mittel würde hingegen die Demokratie vor Ort stärken. Es ist daher als erster Schritt wichtig, dass es weiterhin einen zielgerichteten Bürokratieabbau bei kommunalen Förderprogrammen – etwa durch einen ausdauernden Einsatz für schlanke Richtlinien, zentrale Förderplattformen und digitale Antrags- und Bewilligungsverfahren – gibt.
Es reicht nicht, unsere Kinder vor fiskalischen Schulden zu schützen, ihnen aber eine marode Demokratie und Infrastruktur aufzubürden – und eine unbewohnbare Welt. Das Gegenteil ist der Handlungsauftrag von Politik: Die Vision einer nachhaltig lebenswerten Welt im Heute mit einer langfristig auskömmlichen Finanzierung zu hinterlegen, um durch kluge Investitionen das Versprechen einer sozialökologischen Transformation Realität werden zu lassen.
Die Bekämpfung der Klimakrise, die Verteidigung der Demokratie und die Gestaltung der offenen Gesellschaft entscheidet sich vor Ort. Hier wird für Bürger*innen sichtbar, welche Rolle die öffentliche Hand im eigenen Leben spielt und wie wir durch ein starkes Gemeinwesen vorankommen. Dafür muss es in allen Kommunen wieder vorwärts gehen!
Dies ist ein Antrag aus der Projektgruppe "Klamme Kommunen“.