Veranstaltung: | 50. Bundesdelegiertenkonferenz Wiesbaden |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Lillemor Mallau (KV Berlin-Pankow) und 75 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 61%) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 04.10.2024, 11:03 |
V-88: Kampf gegen häusliche Gewalt und Femizid endlich als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstehen!
Antragstext
Blickt man auf die letzte Septemberwoche 2024, bleibt mit vier Femiziden an
einem einzigen Tag und zehn Femiziden in einer einzigen Woche das strukturelle
Defizit bei der effizienten Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt gegen
Frauen und Mädchen und Frauen in Deutschland eklatant:
23.09.2024, Femizid gegen eine 25-jährige Frau in Bad-Teinach Zavelstein im
öffentlichen Raum (BW)
24.09.2024, Femizid gegen eine 75-jährige Frau in Schwaikheim (BW)
25.09.2024, Femizid gegen eine 37-jährige Frau in Burgdorf (NI)
26.09.2024, Femizid gegen eine 59-jährige Frau in Köln Wesseling (NW)
27.09.2024, Femizid gegen eine 58-jährige Frau in Todtnau (BY)
28.09.2024, Mutmaßlicher Femizid gegen eine 49-jährige Frau in Pommelsbrunn (BY)
28.09.2024, Femizid gegen eine 21-jährige Frau in Idar-Oberstein im öffentlichen
Raum (RP)
28.09.2024, Femizid gegen eine 42-Jährige Frau in Bad Homburg v. d. Höhe. (HE)
28.09.2024, Femizid gegen eine 55-jährige Frau in Witzeeze (SH)
30.09.2024, Femizid gegen eine 32-jährige Frau in Detmold
Quelle: Quelle Femicide Observation Center Germany, Prof. Dr. Kristina Wolff
In Anbetracht des gesamtgesellschaftlichen und des ökonomischen Schadens, den
die strukturellen, tradierten, männlichen Gewaltexzesse tagtäglich in
Deutschland verursachen, fordern wir einen nachhaltigen Etat im Bundeshaushalt
zur effizienten Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Häuslicher
Gewalt, entsprechend den Vorgaben und Inhalten der Istanbul- Konvention. Es darf
weder auf Bundes- noch auf Landesebene Haushaltskürzunge beim Gewaltschutz
geben!
Häusliche Gewalt ist die häufigste Ursache von Verletzungen bei Frauen: häufiger
als Verkehrsunfälle und Krebs zusammengenommen. Und das sind nur die gemeldeten
Fälle, die die Spitze des Eisbergs darstellen. Oft liegt jahrelanger, schwerer
Missbrauch hinter den Betroffenen, ehe es zur ersten Anzeige kommt. Für Frauen
ist das Risiko, durch einen Beziehungspartner Gewalt zu erfahren, weitaus höher
als das Risiko, von einem Fremden tätlich angegriffen zu werden. Bildung,
Einkommen, Alter und Religionszugehörigkeit sind dabei laut Terre des Femmes
keine relevanten Kriterien im Gefährder Kreis.
Das Bewusstsein dafür, dass häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen in allen
Schichten und Gruppierungen der Gesellschaft gleichermaßen stattfinden, muss
durch Aufklärungsarbeit gefördert werden. Bisher konzentriert sich die
gesellschaftliche Wahrnehmung auf singuläre und besonders vulnerable Gruppen.
Das füttert die Darstellung der konservativen und rechten Parteien, die Gewalt
gegen Frauen ausschließlich bei Männern mit Migrationshintergrund faktisch
falsch verorten. Dabei wird umgekehrt das Vorurteil gefördert, dass man die
betroffenen Frauen ebenfalls nur in bestimmten gesellschaftlichen Gruppen
verortet.
Wir fordern daher von großen gesellschaftlichen Stakeholdern, der Wirtschaft und
vom Bund regelmäßige landesweite Sensibilisierungskampagnen zu Femiziden und
häuslicher Gewalt, die direkt in die Mitte der Gesellschaft zielen. Durch
Berichterstattung in den Medien wollen wir das Bewusstsein für die Dringlichkeit
des Problems in der Bevölkerung erhöhen, es soll kontinuierlich über Maßnahmen
und Fortschritte informiert werden.
Hierbei wollen wir die Verantwortung von Männern untereinander betonen, wie z.
B. das offenkundige Problem von gewalttätigen Leistungsportlern – besonders im
Fußball - in ihrer Vorbildfunktion. Hier muss der gesellschaftliche und mediale
Schulterschluss u. a. mit Sportvereinen gezielt gesucht und mit ansprechenden
Kampagnen umgesetzt werden, die Männer gegenüber Männern in die Verantwortung
nehmen.
Durch einen Fokus auf Aufklärungs- und Präventionsarbeit gehen wir an die Wurzel
von Gewalt gegen Frauen. Wir unterstützen die Forderungen von UN Women
Deutschland nach umfassenden Maßnahmen der Arbeit mit Gefährdern als präventiven
Ansatz zur Vermeidung weiterer Gewalt. Dazu muss intensive Arbeit schon in der
frühen Kindheit in Kindergärten und Schulen geleistet werden.
Wir brauchen landesweite Bildungsprogramme zur Prävention von
geschlechtsspezifischer Gewalt in Schulen, Universitäten und
Jugendorganisationen. Diese Programme sollen: geschlechtsspezifische Stereotype
und machistische Einstellungen abbauen,junge Menschen sensibilisieren um
respektvolle und gleichberechtigte Beziehungen zu fördern, undlangfristig einen
kulturellen Wandel hin zu einem gleichberechtigten Miteinander bewirken.
Täterarbeit ist in Fällen von häuslicher Gewalt eine wichtige
Präventionsmaßnahme. Sie reicht aber leider oft nicht aus, um die Tötung von
Frauen zu verhindern. Wir Grüne setzen uns für einen effektiven Schutz von
Betroffenen und die Umsetzung der Istanbul- Konvention ein.
Die Istanbul- Konvention fordert explizit wirksame strafrechtliche Normen und
Verfahren zur Aufklärung und Sanktionierung von Gewalttaten und einen
Sofortschutz durch Kontakt- und Näherungsverbote.
Zum besseren Schutz der Betroffenen fordert die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen
im Berliner Abgeordnetenhaus die Einführung von multiinstitutionellen
Fallkonferenzen, bspw. zwischen Polizei, Ämtern und Beratungsstellen, längere
Wegweisungen von bis zur vier Wochen, ein Kontakt- und Näherungsverbot und ein
Bußgeld bei Verstößen. Quelle: Bahar Haghanipour, MdA; Petra Vandery, MdA und
Vasili Franco, MdA des AGH Berlin, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Wir fordern dazu auf die oben genannten Berliner Maßnahmen sowie die rechtlichen
Bedingungen der elektronischen Überwachung zu prüfen: ob und wie als potenzielle
und effektive weitere Maßnahme zum Schutz von Betroffenen die Anordnung einer
elektronischen Fußfessel in Hochrisikofällen durchgeführt werden kann. Die
Prüfung soll für Hochrisikofälle auch den Einsatz von elektronischen Fußfesseln
im Zusammenhang mit so genannten „Smartwatch“- Armbändern beinhalten, die die
Betroffene eigenständig warnen, wenn sich der Gefährder auf unter 500 Meter
nähert.
Wir unterstützen außerdem die Forderungen von UN Women Deutschland, die
Istanbul-Konvention bei den Strafverfolgungsbehörden und Richter*innen bekannter
zu machen und verpflichtend in die juristische Aus- und Fortbildung zu
integrieren.
Die Legislaturperiode endet bald. Das von der Koalition vereinbarte
Gewalthilfegesetz muss sofort ins parlamentarische Verfahren, es muss schnell
umgesetzt und bedarfsgerecht finanziert werden. Nur so können Menschenleben
gerettet werden.
Begründung
Die Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen ist seit über sechseinhalb Jahren rechtlich bindend für Deutschland. Trotzdem steigt die Zahl der Femizide und Gewalttaten gegen Frauen jährlich. Keine andere gesellschaftliche Gruppe ist einem so hohen Risiko ausgesetzt, wegen geschlechtsspezifischer Gewalt getötet zu werden. Die Gewaltschutzmaßnamen, die zum Schutz von Frauen und Mädchen in Deutschland tatsächlich umgesetzt werden, stehen in keinem Verhältnis zu den rechtlichen Vorgaben der Konvention, die völkerrechtlich bindend ist, und zu der hohen Zahl der Betroffenen
Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt („Istanbul-Konvention“) von 2011 ist ein völkerrechtlich bindendes Instrument zur umfassenden Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Dazu gehören Opferschutz, Prävention und Strafverfolgung sowie die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter in den Verfassungen und Rechtssystemen.
Die 81 Artikel der Istanbul-Konvention enthalten umfassende Verpflichtungen zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, zum Schutz der Opfer und zur Bestrafung der Täter.
Die Vertragsstaaten sind im Rahmen der ganzheitlichen Gewaltschutzstrategie zu verschiedenen Maßnahmen verpflichtet:
- Gewaltprävention durch Bewusstseinsschaffung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit.
- Unterstützung und Schutz durch Hilfsdienste, Einsatz ausgebildeter Fachkräfte, Einrichtung von Frauenhäusern.
- Wirksame strafrechtliche Normen und Verfahren zur Aufklärung und Sanktionierung von Gewalttaten.
- Sofortschutz durch Kontakt- und Näherungsverbote.
- Ausdehnung der Maßnahmen auch in Asylverfahren, eigenständige Aufenthaltstitel für Gewaltopfer.
- Außerdem sind die Vertragsstaaten dazu verpflichtet, die widerstreitenden Interessen zwischen Opferschutz und Freiheitsrechten gewalttätiger Personen sorgfältig abzuwägen (Opferzentrierter Sorgfaltsmaßstab).