Veranstaltung: | 50. Bundesdelegiertenkonferenz Wiesbaden |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Sylvia Dorn (KV Ortenau) und 49 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 60%) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 30.09.2024, 16:06 |
V-21: Klärung der deutschen UNO-Menschenrechtsverletzungen in der geltenden Prostitutionsgesetzgebung
Antragstext
Im September 2023 wurde im EU-Parlament eine Entschließung zur Regulierung der
Prostitution innerhalb Europas mehrheitlich angenommen. Darin wird den Staaten
empfohlen, den Sexkauf zu verbieten, die in der Prostitution arbeitenden Frauen
zu entkriminalisieren und Ausstiegshilfen und Berufsausbildungsmöglichkeiten,
auch mit finanzieller EU-Hilfe, zur Verfügung zu stellen. Im Mai 2024 erfolgte
ein UNO-Sonderbericht zur Gewalt an Mädchen und Frauen in der Prostitution, der
u. a. feststellte, dass Deutschland mit seiner Prostitutionsgesetzgebung die
Menschenrechte der Frauen verletzt, ihre Gleichstellung verhindert und der
Deutschland als Zuhälterstaat bezeichnet.
Deutschland hat entgegen der UNO-Menschenrechte die Prostitution liberalisiert,
als sozialversicherungsfähige, sogenannte sexuelle Dienstleistung anerkannt und
damit einen wachsenden Prostitutionsmarkt ausgelöst. Dieser wird heute zum
größten Teil von Migrant*innen aus wirtschaftlich schwachen oder in Krieg
befindlichen Ländern bedient. Nur etwa 10 % spielt sich im Hellfeld (gemeldete
Prostituierte) ab, der übrige Markt wird vom Menschenhandel des Dunkelfelds
gesteuert.
Daher fordern wir unseren grünen Parteivorstand und die Bundestagsfraktion auf,
eine für das nächste Bundestagswahlprogramm öffentliche und differenzierte
Haltung zum Thema Prostitution zu erarbeiten. Sie soll begründet und
faktenbasiert Stellung nehmen zu Gleichstellungs- und Menschenrechtsfragen in
der realen Praxis der Prostitutionsausübung durch alle Akteure in Deutschland
und die Verfassungskonformität ihrer Position vor dem deutschen Grundgesetz
sowie vor dem Hintergrund der EU-Entschließung und der UNO-Menschenrechte
darstellen. Diese Position soll in einer Arbeitsgruppe grüner, in das Thema
vertieft eingestiegener Mitglieder unter Hinzuziehung wissenschaftlicher
Expert*innen erarbeitet werden.
(Die Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes 2017, die erst 2025
abgeschlossen sein soll und sich nur auf dieses Gesetz bezieht, kann auf solche
Grundsatzfragen, die das Prostitutionsgesetz von 2002 betreffen, keine Antwort
geben.)
Begründung
Hintergrund der Menschenrechtsfrage ist die Tatsache, dass Männer beim Geschlechtsverkehr die rote Linie der körperlichen Unversehrtheit des anderen Menschen überschreiten und in den Körper eines anderen Menschen (meist Frauen) eindringen, seine inneren Organe in Mitleidenschaft ziehen und damit den psychisch-körperlichen Schutzraum der persönlichen Intimität verletzen. Der Verzicht auf körperliche und psychische Unversehrtheit beim Geschlechtsakt darf auf Seiten der Frauen aufgrund ihrer Menschenwürde und der Unteilbarkeit und Unveräußerlichkeit der Menschenrechte nur in der Freiheit gemeinsamen sexuellen Verlangens und gemeinsamer Verantwortung für die sexuelle Interaktion, aber keinesfalls gegen Bezahlung erfolgen. Dies wird in der EU-Resolution und im UNO-Sonderbericht auf vielen Seiten sachlich begründet. Aufgrund der Menschenrechte muss es daher für UNO-Mitgliedsstaaten Ziel sein, Frauen vor Prostitution zu schützen.
Auch wir Grüne führen in unserer Bundessatzung in Artikel 1 der Präambel die UNO-Menschenrechte als den Hauptorientierungspunkt unserer politischen Arbeit an, verlangen die Veröffentlichung von Menschenrechtsverletzungen und versprechen, uns für ihre Beseitigung einzusetzen.
Deutschland hat aufgrund des Prostitutionsgesetzes von 2002 die Prostitution als einen besonders boomenden Wirtschaftszweig entwickelt, der seine wachsende Nachfrage durch Freier schon seit Jahren nur mit besonders vulnerablen Frauen aus den Armenvierteln Europas und der Welt befriedigen kann. Zu einem großen Teil werden diese Frauen mit unwahren Versprechungen oder durch Druck aus Familienclans nach Deutschland gebracht, von Zuhältern in ihrem sexuellen Selbstbestimmungswillen durch Vergewaltigungen gebrochen und als Menschen schwer traumatisiert. Es ist für die Frauen äußerst schwer, diesem Prostitutionsmilieu mit seiner Anbindung an die organisierte Kriminalität des Menschenhandels wieder zu entkommen. In der Gesamt-EU sind 51% der Opfer des Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung. In Deutschland sind es nach einer Hellfeldstudie (2021) des Kriminologischen Instituts Niedersachsen (KFN)* 87 % im Bereich der sexuellen Ausbeutung. Die Opfer sind zu 95 % Frauen, die Beschuldigten zu 100 % Männer. In 42 % der Strafverfahren fand das KFN allein aufgrund der gesichteten Gerichtsakten Hinweise darauf, dass das Aussageverhalten der Geschädigten von Einschüchterung geprägt war. Nur in 15 % der Verfahren seit 2016 kam es zu einer Verurteilung. In keinem einzigen Fall kam es zur Wiedergutmachung des Schadens. Die Studie verweist auf den wissenschaftlichen Konsens, dass mindestens 90 % aller Menschenhandelsdelikte im Dunkelfeld verbleiben. (*KFN e.V.:Evaluierung der Strafvorschriften zur Bekämpfung des Menschenhandels (§§232 bis 233a StGB).2021)
In Deutschland werden Schülerinnen und junge Frauen durch sogenannte Loverboys in den regulären Betrieb von Bordellen eingeschleust. Durch die aktuelle deutsche Gesetzgebung, die Prostitution zu einer käuflichen, sexuellen Dienstleistung erklärt, ist all diesen Verbrechen kaum beizukommen und die Täter bleiben weitgehend unbehelligt.
Der Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung schädigt seine Opfer wegen seines Einbruchs in die Intimität eines Menschen besonders schwer. Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung ist daher höher einzustufen als der Schutz der persönlichen Freiheit, über seine Arbeitskraft zu verfügen.
weitere Antragsteller*innen
- Kerstin Celina (KV Würzburg-Land)
- Petra Thomsen (KV Frankfurt)
- Maya Wulz (KV Böblingen)
- Margot Isele (KV Karlsruhe)
- Sebastian Hakan Deckwarth (KV Frankfurt)
- Antje Matthäus (KV Böblingen)
- Marian Wulz (KV Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg)
- Clemens Niederberger (KV Böblingen)
- Sibylle De Mott (KV Böblingen)
- Ursula Mayr (KV Karlsruhe)
- Jessica Hecht (KV Würzburg-Land)
- René Goosmann (KV Böblingen)
- Tatjana Splett (KV Würzburg-Land)
- Eva-Maria Merkel (KV Karlsruhe)
- David Spelman-Kranich (KV Karlsruhe-Land)
- Stefan Bomsdorf (KV Karlsruhe)
- Miriam Sonnenbichler (KV Karlsruhe)
- Claudia Eser-Schuberth (KV Aichach-Friedberg)
- Petra Sander (KV Karlsruhe)
- Heidi Terpoorten (KV Dillingen)
- Stefan Lindauer (KV Aichach-Friedberg)
- Harald Kuhn (KV Haßberge)
- Hartmut Birnbaum (KV Böblingen)
- Christine Kamm (KV Augsburg-Stadt)
- Lara Appel (KV Haßberge)
- Marion Brülls (KV Aichach-Friedberg)
- Sabine Behrent (KV Hochtaunus)
- Andrea Drexelius (KV Kitzingen)
- Dirk Simon (KV Aschaffenburg-Stadt)
- Wolfgang Wulz (KV Böblingen)
- Dirk Paul Finkeldey (KV Aurich-Norden)
- Frauke Asendorf (KV Hochtaunus)
- Katharina Horn (KV Vorpommern-Greifswald)
- Thomas von der Heyde (KV Karlsruhe)
- Nilab Alokuzay-Kiesinger (KV Frankfurt)
- Benjamin Dorn (KV Ortenau)
- Heike Westenberger-Breuer (KV Frankfurt)
- Lutz Thielmann (KV Karlsruhe)
- Alexandra Lenhard (KV Kitzingen)
- Julia Frank (KV Frankfurt)
- Nadine Schröder (KV Frankfurt)
- Gabriele Schneider (KV Rottweil)
- Petra von Thienen (KV Aichach-Friedberg)
- Michael Bay (KV Kleve)
- Petra-Carmen Weber (KV Frankfurt)
- Wilhelm Dorn (KV Ortenau)
- Mirjam Gutheil (KV Böblingen)
- Katrin Müllegger-Steiger (KV Aichach-Friedberg)
- Wolfhard von Thienen (KV Aichach-Friedberg)