Veranstaltung: | 50. Bundesdelegiertenkonferenz Wiesbaden |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | BAG Planen Bauen Wohnen (dort beschlossen am: 26.09.2024) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 30.09.2024, 20:48 |
V-25: Klimaverträgliche Bodenpolitik durch verantwortungsvolle Siedlungsflächennutzung
Antragstext
Täglich werden in der Bundesrepublik 52 Hektar Wald, Wiesen und Acker als
Siedlungs- und Verkehrsflächen neu ausgewiesen. Das entspricht der Fläche von
ca. 72 Fußballfeldern - jeden Tag. Mehr Siedlungsfläche bedeutet mehr
Emissionen, mehr Verkehr, mehr Energieverbrauch, mehr Müll. Es stehen immer mehr
Gebäude in der Landschaft! Wälder und Wiesen müssen Autobahnen weichen. Mehr
Zersiedelung bedeutet weniger Raum für den Erhalt der Artenvielfalt und den
Naturschutz, weniger Sickerflächen bei Starkregen und Hochwasser, weniger
Flächen für den Anbau von Lebensmitteln und weniger Platz für Erholung.
Auch die letzten Jahre mit den zerstörerischen Hochwassern haben gezeigt, dass
wir wieder eine bessere Balance zwischen Natur, Landwirtschaft und Bebauung
brauchen.
Fläche und Böden sind wertvolle Ressourcen, die wir Menschen, Pflanzen und
Tieren zum Leben brauchen. Mit einer grünen Flächenpolitik gewinnen wir
Rückzugsräume für Mensch und Natur zurück und gewährleisten eine angemessene
Bau- und Planungsfreiheit, auch für kommenden Generationen. Grüne Flächenpolitik
heißt, unserer Lebensgrundlagen zu erhalten. Dafür heben wir die Potenziale des
Gebäudebestands, nutzen kurze Wege und beleben Innenstädten und Brachen wieder.
Eine klimaverträgliche Stadt- und Siedlungsentwicklung schützt uns vor
zersiedelten Landschaften mit Gebäuden allerorts, vor Überschwemmungen, aber
auch davor, im Sommer in Betonwüsten gebraten zu werden. Zukunftsorientierung
bedeutet: unsere Dörfer und Städte klug und umsichtig weiterzuentwickeln, uns
auf die Wiederbelebung leerstehender Gebäude und Flächen konzentriert und ihre
Ausweitung wirksam zu begrenzen.
Es gibt bereits bundesweite Ziele zur Senkung der Inanspruchnahme von neuen
Siedlungs- und Verkehrsflächen: Das 30-Hektar-Ziel bis 2030 der Bundesregierung
besagt, dass bis 2030 bundesweit nur noch maximal 30 Hektar pro Tag Verkehrs-
und Siedlungsflächen ausgewiesen werden können. Bis 2050 wollen wir sogar das
Netto-Null-Ziel erreichen. Dies bedeutet, dass neue Flächen nur noch in Anspruch
genommen werden dürfen, wenn an anderer Stelle entsprechend Flächen entsiegelt
werden.
Aktuell werden in vielen Kommunen noch neue Neubau- und Gewerbegebiete geplant,
statt für einen konsequenten Boden- und Klimaschutz nach Möglichkeiten der
Umnutzung im Gebäudebestand zu suchen. Das liegt u.a. daran, dass in
stagnierenden oder schrumpfenden Regionen viele Kommunalparlamente hoffen, neue
Gewerbegebiete würden perspektivisch mehr Einnahmen bringen. Oder sie weisen in
der Hoffnung auf mehr Einkommensteuern neue Wohngebiete aus und spekulieren
darauf, dass Neubürger*innen preisgünstige Grundstücke im Grünen schätzen und
dafür lange Pendelwege zu ihren Arbeitsplätzen in Kauf nehmen. Diese Politik ist
aber nicht alternativlos. Es gibt viele, oft ungenutzte Möglichkeiten,
attraktiven Wohn- oder Gewerberaum zu schaffen ohne Äcker und Wiesen zu bebauen.
Bisher wurde die Aufgabe, Flächen zu sparen, von den Kommunen selbst, der
Raumordnung und der Regionalplanung mit sehr unterschiedlichem Erfolg umgesetzt.
Es gibt große Unterschiede zwischen den Bundesländern. Unsere
Kommunalpolitiker*innen brauchen rechtlich verbindliche Instrumente, mit denen
eine nachhaltige Siedlungsentwicklung möglich wird und sich der Schutz der
Flächen realistisch umsetzen lässt. Für das schrittweise Absenken der
Neuinanspruchnahme von Siedlungsflächen muss der Bund den Ländern Vorgaben
machen.
Wenn wir die Flächeninanspruchnahme auf Null im Jahr 2050 reduzieren wollen,
steht uns in ganz Deutschland noch ein Kontingent von rund 240.000 Hektar zur
Verfügung. Das Instrument des Zertifikatehandels sieht vor, dass der Bund dieses
Kontingent nach einem verbindlichen Schlüssel an die Länder verteilt. Die Länder
stimmen im Rahmen der Regionalplanung mit den Kommunen die quantitative
Umsetzung und Zuteilung der Flächenkontingente auf die lokalen Ebenen ab.
Entscheidend ist dabei die Einwohnerzahl. Regionale Eigenheiten werden
berücksichtigt: der ländliche Raum wird aufgrund der historisch gewachsenen
geringeren Dichte einen Bonus erhalten.
Der Bund und die Länder verpflichten sich, die Kommunen bei ihrer
städtebaulichen Entwicklung zu unterstützen, sodass die Netto-Null-Vision
Wirklichkeit wird.
Gemeinden, die mehr Raum zur Erweiterung ihrer Siedlungs- und Gewerbeflächen
nutzen möchten als sie an Zertifikaten haben, können von anderen Gemeinden
Zertifikate erwerben. Kommunen, die mit ihren Flächen sparsam umgehen, können
durch den Verkauf von Zertifikaten zusätzliche Einnahmen generieren. Für den
Rückbau und die Renaturierung von ungenutzten Flächen werden sogenannte „Weiße
Zertifikate“ ausgegeben, die an anderer Stelle genutzt oder verkauft werden
können. Mit den räumlichen Vorgaben der Landes- und Regionalplanung und den
Vorgaben zur Siedlungsdichte entsteht so ein System mit Anreizen zur
Entsiegelung und Renaturierung von Flächen. Und es wird nur noch dort neu
gebaut, wo es sinnvoll ist.
Flächenkontingente für überörtliche Infrastrukturen wie Bahnstrecken oder
Fernstraßen werden den Maßnahmenträgern zugeteilt. Hier werden Bund, Länder und
weitere überörtliche Planungsträger in das Verfahren für die Flächenansprüche an
Verkehr und Infrastrukturen einbezogen.
Für die Umsetzung wird zunächst ein Stichtag bestimmt und der Ist-Zustand
aufgenommen. D.h. die bis dahin besiedelten und die bereits rechtsgültig zur
Bebauung vorgesehene Flächen des Innenbereichs einer Gemeinde werden erfasst. So
können die zukünftig neu beanspruchten Flächen identifiziert werden.
I.
Die sogenannte dreifache Innenentwicklung nimmt die Flächenverteilung für
Gebäude, Mobilität und Grün in den Blick. Das bedeutet, das Bauen im Bestand mit
mehr Natur- und Grünflächen und dem Bedarf an Mobilität zu verbinden und die
Entsiegelung von möglichst vielen Asphalt-, Beton- und Pflasterflächen
vorzunehmen.
Dazu sollen Bund, Länder und Gemeinden Entsiegelungsstrategien entwickeln und
einführen. Das geht z.B. mit der Festsetzung von Grünflächen auf privaten
Grundstücken in den kommunalen Bebauungsplänen oder auch Abwassergebühren auf
Basis der digital ermittelten, realversiegelten Fläche, bei denen unversiegelte
Flächen zur Gebührenreduktion führen.
II.
Viele versiegelte Flächen, verwahrloste Grundstücke und größere Brachen können
renaturiert werden. Dazu sollen Städte und Kommunen die Grundstücke mit
erhaltenswerter Bausubstanz kennzeichnen, um den unnötigen und klimaschädlichen
Abriss von Gebäuden zu verhindern. Zudem sollen sie mit den
Grundeigentümer*innen abstimmen, welche (Teil-)Grundstücke aufgrund von
verfallener Bausubstanz, Altlasten, Verwahrlosung oder unnötiger Versiegelung
zurückgebaut und dauerhaft renaturiert werden sollen.
Für die kleineren und ländlichen Kommunen können Kooperationen mit
Nachbarkommunen zur Bildung von Flächenpools für neue Siedlungsflächen und für
Rückbau und Renaturierung die Arbeit unterstützen.
III.
Viele leerstehende Büro- und Gewerbegebäude, ausufernde Stellplatzanlagen und
eingeschossige Einkaufszentren bieten Flächenreserven für neuen Wohnraum. Um
diesen zu heben, müssen die Landesbauordnungen, die bislang den Umbau des
Bestands benachteiligen und Abriss und Neubau begünstigen, geändert werden.
Zeitgemäße Energie- und Brandschutzstandards sind sinnvoll, ansonsten könnten
Umnutzungen weitgehend auf Basis des Baurechts zur Zeit der Errichtung der
Gebäude genehmigt werden.
V.
Die Gemeinden erhalten ein generelles Vorkaufsrecht zu realwirtschaftlich
verträglichen Ertragswerten für das gesamte Gemeindegebiet, um Bodenfonds
aufzubauen und die Stadtentwicklung besser steuern zu können. Um Spekulation mit
mindergenutzten Flächen und Gebäuden zu verhindern, müssen die städtebaulichen
Gebote zu Rückbau und Entsiegelung und das Instrument der "städtebaulichen
Entwicklungsmaßnahme“ weiterentwickeln werden. Dazu gehören bessere
Möglichkeiten zur Übertragung leerstehender Immobilien auf die Kommunen und die
Nutzung „herrenlosen Grundeigentums“ durch öffentlich bestellte
Treuhänder*innen.
VI.
Wir bräuchten weniger neue Einfamilienhäuser, wenn die vorhandenen besser
genutzt würden. Viele Häuser, die für Familien gebaut wurden, werden
jahrzehntelang nur noch von einer Person genutzt – oft mangels Alternativen.
Individuelle Wohnraumberatung, Förderung von Um- und Ausbaumaßnahmen und mehr
attraktive, seniorengerechte Wohnprojekte könnten helfen, die familiengerechten
Häuser wieder für Familien mit Kindern nutzbar zu machen.
Das Ziel des Netto-Null-Flächenverbrauchs gilt grundsätzlich auch für
Infrastruktur-, Gewerbe- und Industrieflächen. Notwendige Transformationen
erzeugen aber neue Flächenbedarfe: Erstens müssen zusätzliche technische Anlagen
zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels gebaut werden, wie Deiche oder
Hangsicherungen, zweitens braucht die Energie- und Mobilitätswende Flächen, z.B.
für Solarenergie, Umspannwerke oder Batteriefabriken, und drittens müssen
strategisch relevante Produkte wieder in Europa hergestellt werden, um die
globalen Abhängigkeiten zu begrenzen. All dies erfordert die Nutzung
zusammenhängender größerer Flächen.
Diese Entwicklung soll vorrangig auf den reichlich vorhandenen Industriebrachen
oder für nicht mehr notwendige Infrastrukturen genutzten Flächen
erfolgen, – z.B. Flächen von Erdölraffinerien oder Regionalflughäfen. Wo dies
nicht möglich ist, soll der großmaßstäbliche Flächenverbrauch durch
Klimafolgenanpassung sowie die Transformation der Energieversorgung und der
Industrie ausgeglichen werden, indem länderübergreifend Naturräume als Elemente
eines großräumigen Biotopverbundes etabliert und gesichert werden.