Veranstaltung: | 50. Bundesdelegiertenkonferenz Wiesbaden |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Boris Mijatovic (KV Kassel-Stadt) und 98 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 35%) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 04.10.2024, 11:52 |
V-81: Olympische und Paralympische Spiele für die Sportler*innen und die Bürger*innen
Antragstext
Sport bewegt und begeistert. Alt und jung. Im Zentrum von Olympischen und
Paralympischen Spielen stehen die Sportler*innen aus aller Welt. Oft genug ist
eine Teilnahme an Olympischen und Paralympischen Spielen für viele Athlet*innen
persönlicher Höhepunkt der eigenen Karriere. Der besondere Charakter Olympischer
und Paralympischer Spiele hat allerdings in den letzten Jahrzehnten stark
gelitten. Korruption, Gigantismus, Umweltzerstörung und
Menschenrechtsverletzungen sind die Schlagworte, die von Menschen genannt
werden, die nach Olympia befragt werden. Das wollen wir ändern!
Mit einer Bewerbung für die Olympischen und Paralympischen Spiele 2040 sollten
die Bundesregierung und Sportdeutschland wieder die wirklichen Held*innen des
Sports, die Athlet*innen, in den Mittelpunkt der Veranstaltung stellen und eine
Strategie für einen sauberen Sport verfolgen. Spitzensport gesellschaftsfähig zu
machen und damit auch für den Breitensport im eigenen Land zu werben, muss der
maßgebliche Treiber für die Bewerbung sein.
Darüber hinaus sind nicht nur die sportlichen, sondern auch die
gesellschaftlichen Erwartungen an ein internationales Mega-Sportereignis wie die
Olympischen und Paralympischen Spiele extrem hoch. Wenn es nicht nur um
sportliche Spitzenleistungen, sondern auch um Exzellenz bei Verständigung,
Teamgeist und Toleranz geht, dann muss das gesamte Land mitziehen, um den
Erwartungen von innen und von außen gerecht zu werden. Sportliche
Höchstleistungen müssen gepaart werden mit umfassenden Organisationsleistungen,
Kulturevents und einem Rahmenprogramm, welches ein modernes, nachhaltiges und
vielfältiges Deutschland widerspiegelt.
Es scheint vergleichsweise einfach, eine anspruchsvolle Bewerbung aufzusetzen,
aber in Zeiten von Polykrisen und hohen finanziellen Unsicherheiten ist es
deutlich anspruchsvoller, die Umsetzung der Planung zu gewährleisten, die
finanziellen Kostenrahmen einzuhalten und die Steuerbasis von Bund und Land
nicht über Gebühr zu strapazieren.
Gleichzeitig sind vor allem wir, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, sehr kritisch, was das
Internationale Olympische Komitee (IOC) und das Internationale Paralympische
Komitee (IPC) als Organisatoren der Olympischen und Paralympischen Spiele
betrifft. Insbesondere das Internationale Olympische Komitee hat sich in den
letzten elf Jahren unter dem deutschen Präsidenten Dr. Thomas Bach keineswegs
geöffnet und hat weder signifikante Reformen eingeleitet noch ist es
transparenter geworden. Unter dem Druck der autoritären Staaten ist der IOC-
Präsident Bach trotz des russischen Vernichtungskriegs gegen die Ukraine von
einem eindeutigen Ausschluss russischer und belarusischer Sportler*innen
abgewichen, stattdessen hat er Hintertüren für dieselben geöffnet. Ein
Ausschluss für russische Funktionäre aus den Verbandsstrukturen stand nie zur
Debatte und die finanzielle und somit auch die politische Einflussnahme weiterer
autoritärer Staaten innerhalb des IOC hat eher zu- als abgenommen.
Die Regeln für eine Bewerbung sind vielmehr unklarer and klandestiner geworden.
Für den angestrebten Bewerbungstermin 2040 erleichtert auch ein Blick auf das
bisherige internationale Mitbewerberfeld, die realen Chancen um eine deutsche
Bewerbung richtig einzuschätzen. Neben unseren Nachbarn in Polen bewerben sich
vermutlich Spanien und Südafrika. Indien ebenso mit einer potentiell starken
Kandidatur, der das IOC voraussichtlich eine Präferenz einräumen dürfte.
Um eine Bewerbung für die Olympischen und Paralympischen Spiele erfolgreich und
mit einer möglichst hohen gesellschaftlichen Akzeptanz aufzustellen, fordern wir
die Bundestagsfraktion von Bündnis90/DIE GRÜNEN auf, folgende Punkte in die
Debatte einzubringen:
1. Eine Bewerbung für Olympische und Paralympische Spiele kann nur erfolgreich
sein, wenn ein möglichst hohes Maß an Akzeptanz in der Bevölkerung angestrebt
wird. Dazu muss es verpflichtende Aushandlungs- und Konsultationsprozesse mit
den beteiligten Menschen geben, an deren Ende eine Abstimmung in Form eines
Volksentscheids steht. Nur mit einem mehrheitlich positiven Beschluss durch die
Bürger*innen vor Ort sollten die nächsten Schritte für die Bewerbung gegangen
werden.
2. Das Konsultationsverfahren schließt finanzielle Transparenz ein. Die
Bürger*innen sollten konkret erfahren, über welche Kosten einer Bewerbung auf
den kommunalen, den Landes- und den Bundeshaushalt zukommen. Host-City-Verträge
mit dem IOC und IPC sollten offengelegt werden. Nur so kann sichergestellt
werden, dass die Austragungsstädte nicht mit Knebelverträgen unter Druck gesetzt
werden.
3. Für einen milliardenschweren Sportkonzern, der das IOC trotz seiner
vermeintlichen Gemeinnützigkeit ist, und für ein Sportereignis dieser Dimension
ist eine Steuerbefreiung nicht akzeptabel und nicht mehr zeitgemäß. Es muss
gegenüber dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und dem IOC mindestens auf
Steuerpauschalen bestanden werden.
4. Exzellente moderne Sport- und Spielstätten sollten vor allem die Kriterien
der ökologischen Nachhaltigkeit erfüllen. Bestehenden Spielstätten sollte daher
der Vorzug vor Neubauten gegeben werden. Dezentrale Cluster-Konzepte in Regionen
können den Druck von einem einzigen Austragungsort nehmen. Beispiel hierfür sind
die kommenden Austragungen der Winterspiele in Mailand 2026. Auch die
Nachhaltigkeitskonzepte der Sommerspiele 2024 in Paris wie auch
Europameisterschaften der Herren im Fußball haben hier neue Maßstäbe gesetzt.
5. Für dezentrale Konzepte sind nachhaltige Verkehrskonzepte, die ein
funktionierendes Bahnsystem und einen reibungslosen ÖPNV einschießen,
unabdingbar. Die dafür benötigte Infrastruktur muss die Bundesregierung in das
Zentrum ihrer Planung stellen. Ökologische Verkehrskonzepte dürfen keine
Papiertiger bleiben.
6. Innovative Energie- und Wärmekonzepte werden benötigt, um den
Ressourcenverbrauch zu begrenzen. Ziel von Sportdeutschland sollte, die grünsten
und energieeffiziensten Spiele auzurichten und damit zukünftig neue Standards zu
setzen. Greenwashing - wie dieses in vielen anderen Olympia-Ausrichterstaaten
der Fall war - hilft niemanden.
7. Die Spiele sollten eine Verpflegung für Sportler*innen und Zuschauer*innen
mit Produkten zulassen, die einen möglichst hohen Anteil regionaler Herkunft
haben.
8. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung hat man sich darauf verständigt, nur
Großveranstaltungen zu unterstützen, die „strikt an die Beachtung der UN-
Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und Nachhaltigkeit geknüpft“
sind. Auch das IOC selbst bezieht sich in seinem Strategic Framework on Human
Rights auf die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, ist dieser
Maßgabe bisher aber oft nicht gerecht geworden. Die UN-Leitprinzipien
verpflichten nicht nur Staat und Unternehmen zum Schutz und zur Achtung der
Menschenrechte, sondern auch dazu, einen Zugang zu Abhilfemaßnahmen zu schaffen.
Personen, deren Menschenrechte verletzt wurden, müssen wirksame Abhilfe erhalten
können. Dafür müssen frühzeitig staatliche und nicht-staatliche
Beschwerdestellen geschaffen werden. Das beinhaltet aber auch die
Kernarbeitsnormen in der Erklärung der Internationalen Arbeitsorganisation
(ILO). Dies sollte in den Verträgen und Vereinbarungen verbindlich festgelegt
werden. Es braucht ein transparentes Konzept zur Wahrung der menschenrechtlichen
Sorgfaltspflichten, in dem alle beteiligten Akteur*innen - angefangen bei den
Athlet*innen, über Vertreter*innen der Medien bis zum Bereich von Gastronomie
und Hotelgewerbe - eingeschlossen sind. Empfehlungen des DOSB-
Menschenrechtsbeirates sollten explizit berücksichtigt werden.
9. Dies gilt auch für die Umsetzung der Sorgfaltspflichten in den Lieferketten
der Sport- und Konsumartikel. Die sozialen und arbeitsrechtlichen Vereinbarungen
der Sommerspiele 2024 in Paris können hier ebenfalls als Grundlage genutzt
werden, um zum Beispiel Aufträge für Gebäude und Infrastruktur in der Weitergabe
an Subunternehmen zu begrenzen. Ebenfalls positiv ist die Verpflichtung für
Auftragnehmer, eine Mindestzahl von Langzeitarbeitslosen zur Auftragserfüllung
auszubilden und einzusetzen (In Paris wurde diese Vorgabe von 10% und mehr als
doppelte sogar übertroffen).
10. In den eigenen Statuten verpflichtet sich das IOC auf Werte wie Frieden,
Völkerverständigung und Antidiskriminierung. Eine Bewerbung sollte diese Werte
auch leben und weder von Anti-Demokraten im In- noch im Ausland für die eigene
Bühne genutzt werden. Mit einer Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele
sollten diese Prinzipien nicht nur als Leitlinien zu betrachtet, sondern sie
sind in konkrete Vereinbarungen und Aktionspläne umzusetzen. Darüber hinaus ist
ein kulturelles Rahmenprogramm ist zu erarbeiten, um Sportdeutschland ein
tolerantes, buntes und vielfältiges Gesicht zu geben.
11. Medien-, Presse- und Meinungsfreiheit sind Grundpfeiler in demokratischen
Staaten. Gleichzeitig werden Medien- und Pressefreiheit von Feinden der
Demokratie genutzt, um gezielte Desinformationskampagnen zur Destabilisierung
freiheitlicher Gesellschaften zu streuen. Eine Bewerbung um die Sommerspiele
2040 sollte klare Strategien beinhalten, wie mit systematischer Desinformation
und gesellschaftlicher Verunsicherung bei der Ausrichtung von Olympischen und
Paralympischen Spielen umzugehen ist.
12. Angesichts von hybrider Kriegsführung gegen Demokratien und demokratische
Institutionen sowie realer Sicherheitsbeeinträchtigung durch Akteur*innen von
innen und außen wird ein umfassendes Sicherheitskonzept benötigt, das den
Online-Raum einschließt. Hier müssen Datenschutz und Persönlichkeitsrechte der
Sportler*innen, Zuschauer*innen und Bürger*innen gewahrt werden.
Zu einer Bewerbung um die Olympischen und Paralympischen Spiele gehört für uns
auch, die eigenen nationalen Sportstrukturen zu optimieren. Viele deutsche
Spitzensportverbände haben noch keine eigene Menschenrechtsstrategie erarbeitet.
Das muss sich dringend ändern. Wir fordern verpflichtende
Menschenrechtsstrategien aller Spitzensportverbände und wollen dies auch als
Voraussetzung für die nationale Sportförderung über den Haushalt des
Bundesministeriums des Innern (BMI) etablieren, was wiederum regelmäßig
überprüft werden muss.