Veranstaltung: | 50. Bundesdelegiertenkonferenz Wiesbaden |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Lamya Kaddor (KV Duisburg) und 100 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 46%) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 04.10.2024, 11:36 |
V-94: Sicherheit gewährleisten - Islamismus nachhaltig bekämpfen
Antragstext
Sicherheit gewährleisten- Islamismus nachhaltig bekämpfen
Der 7. Oktober 2023 war nicht nur ein furchtbarer antisemitischer Angriff auf
Israel und seine Bewohner*innen, sondern auch ein globales Startsignal des
Islamismus für Terror- und Gewaltakte weltweit. Solidaritätsbekundungen zu den
Gräueltaten der Hamas folgten in Deutschland umgehend – in Teilen auch aus
islamistischen Kreisen. In Deutschland warnen Verfassungsschutz und
Bundeskriminalamt wieder intensiv vor möglichen Anschlägen in Deutschland durch
islamistische Zellen oder Einzeltäter. Die innere Sicherheit in Deutschland wird
aktuell durch den Islamismus so stark bedroht wie seit Jahren nicht mehr. Der
erschütternde islamistische Anschlag von Solingen zeigt, wie real die Gefahr
ist.
Die Menschen erwarten, dass wir dieser Gefahrenlage mit einer Sicherheitspolitik
begegnen, die unser Land real sicherer macht. Wir, Bündnis 90/ Die Grünen,
wollen unserer Verantwortung gerecht werden, der Komplexität des Themas
Islamismus, seiner Bekämpfung und seiner weltweiten Verflechtung Rechnung tragen
und diesem Bedürfnis nach mehr Sicherheit Rechnung tragen. Denn das Ziel der
Angriffe ist letztlich unsere freie, demokratische und vielfältige Gesellschaft
und die gilt es zu verteidigen.
1. Terroristische Gefahr ernstnehmen – Sicherheitsbehörden stärken,
Vereinsverbote endlich umsetzen
Schon die Aufarbeitung des islamistischen Anschlags auf dem Breitscheidplatz hat
uns gezeigt, dass wir bei Aufstellung und Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden
dringenden Handlungsbedarf haben. Es wurden zwar Konsequenzen gezogen, aber
strukturell ist seitdem zu wenig passiert. Es wurde in Bund und Ländern viel
Personal eingestellt, aber bei der Ausstattung hinken wir noch immer hinterher.
Deshalb brauchen wir:
· eine Basisinvestitionen für die Innere Sicherheit und müssen, um mit der
Ausstattung endlich der Gefahrenlage des 21. Jahrhunderts begegnen zu können.
· Eine bessere Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Gemeinsamen Terror
Abwehrzentrum (GTAZ) auf klarer rechtlicher Grundlage. Die Behörden haben schon
viele Konsequenzen gezogen, die Politik muss nun noch nachziehen und die
Strukturen fit machen für die Herausforderungen der Zeit.
· Sicherheitsbehörden auch digital angemessen ausstatten. Für die Ermittlungen
und die Gefahrenabwehr benötigen die Sicherheitsbehörden die entsprechenden
digitalen technischen Maßnahmen. Diese müssen selbstverständlich mit
Verfassungs- und Europarecht vereinbar sein. Mit der Einigung auf das Quick-
Freeze-Verfahren wurde ein guter erster Schritt gesetzt, der nun zeitnah
umgesetzt werden muss.
· Vereinsverbote schneller und konsequenter durchsetzen. Wir müssen
islamistischen Gruppen, die in Deutschland aktiv sind, das Handwerk legen und
alle rechtsstaatlichen Mittel dafür in die Hand nehmen.
· Hindernisse für rechtsstaatliche Abschiebungen von Straftäter*innen und
Gefährder*innen abbauen. Wir brauchen einfachere und beschleunigte Verfahren und
wollen die Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern intensivieren. Eine
Zusammenarbeit mit dem Taliban-Regime in Afghanistan oder der Assad-Regierung in
Syrien lehnen wir sowohl aus sicherheitspolitischen, als auch aus
menschenrechtliche Gründen ab. Wer Gefährder nach Afghanistan oder Syrien und
damit in die Brutstätten von Radikalisierung abschiebt, erreicht damit nicht
mehr Sicherheit, sondern gefährdet unser Land perspektivisch. Gefährder und
Straftäter können gerade in Afghanistan und der angrenzenden Region
Zentralasiens stärker radikalisiert und mit neu ausgestatteten Identitäten
wieder nach Europa einreisen.
· Klar ist: Aufenthaltsrechtliche Regelungen allein können das Problem des
Islamismus nicht lösen. Ein Großteil der modernen Islamist*innen sind in
Deutschland geboren und sozialisiert und besitzen die die deutsche
Staatsbürgerschaft. Die notwendigen Maßnahmen zur Verhinderung der Einbürgerung
oder des Aufenthalts von Islamist*innen haben wir mit den Änderungen am
Staatsangehörigkeitsgesetz und dem Aufenthaltsgesetz geschaffen.
2. Turboradikalisierung verhindern - Deradikalisierung und Prävention auf eine
sichere Grundlage stellen
Es ist extrem besorgniserregend, dass aktuell wiedervermehrt Jugendliche in die
Fänge von Islamisten in sozialen Netzwerken geraten und sich dort
radikalisieren. Vor allem Accounts wie „Muslim Interaktiv“, „Generation Islam“
und „Realität Islam“ versuchen intensiv einen Keil zwischen die deutsche
Gesellschaft und jungen Muslim*innen zu treiben.
Wir müssen dringend präventiv handeln:
· Anfang Oktober rief das BMI die Task Force Islamismusprävention erstmalig ein.
Dieses Gremium ist ein wichtiger Baustein in der Beratung und der Koordinierung
der Maßnahmen der Bundesregierung. Die nun zu erarbeitenden
Handlungsempfehlungen müssen schnell umgesetzt werden.
· Prävention ist harte Sicherheitspolitik. Damit gefährliche Ideologien nicht
bei jungen Leuten verfangen, muss Prävention und Deradikalisierung endlich auf
eine sichere finanzielle Grundlage gestellt sein. Zentral ist aus unserer Sicht,
dass wir die Deradikalisierung finanziell absichern. Programme wie „Demokratie
leben“ müssen auch in den kommenden Jahren einen Fokus auf die Verhinderung von
islamistischer Radikalisierung legen können. Gerade deswegen ist ein
Demokratiefördergesetz unerlässlich.
· Jungen Muslim*innen müssen vor der Propaganda auch im Netz gewarnt werden.
Dazu erweisen sich Angebote, die über die Vielfalt muslimischen Lebens
aufklären, als wirksames Mittel. Außerdem braucht es eine effektive und
niedrigschwellige Sozialarbeit.
· Mit dem Digital Services Act haben wir auf der europäischen Ebene eine
Grundlage geschaffen, die die Anbieter zu einer konsequenten Moderierung,
Löschung und Meldung problematischer Inhalte verpflichtet. Hier drängen wir auf
europäischer Ebene auf Nachbesserungen.
· Die beiden Phänomene Islamismus und Islamhass befördern einander und dienen
dem jeweiligen Phänomen als Begründung. Damit junge Menschen nicht empfänglich
für die Losungen des „wahren Islam “ durch Islamisten sind, braucht es eine
konsequente Bekämpfung von Islamfeindlichkeit. Für das Phänomen der
Islamfeindlichkeit muss die Gesellschaft zunehmend sensibilisiert werden. Die
Maßnahmen des Berichts der unabhängigen Kommission für Muslimfeindlichkeit sind
eine sehr gute Grundlage und müssen nun schnell in Bund, Land und Kommunen
umgesetzt werden.
· Progressives Islamverständnis und erfolgreiche Prävention gehen Hand in Hand
Gerade in Moscheevereinen, die unter dem Dach der etablierten islamischen
Verbände organisiert sind, muss der Kampf gegen Islamismus beginnen. Unser
säkularer Staat muss neutral sein, wenn es um die Religion des Individuums geht.
Es kommt daher darauf an, den religionspolitischen Raum, den unser Grundgesetz
bietet, mit problembezogenen, kreativen Wegen auszufüllen, um einerseits dem
Anspruch der Gleichberechtigung des Islams nachzukommen und andererseits
Alternativen zur Auslandsfinanzierung und damit der theologischen Abhängigkeit
aufzuzeigen. Der aktuelle Zustand, in dem wir uns um die Frage der Anerkennung
von islamischen Organisationen als anerkannte Religionsgemeinschaft im Kreis
drehen, ist nicht hinnehmbar.
Begründung
Die islamistische Bedrohung in Deutschland ist aktuell so hoch wie lange nicht mehr. Der 7. Oktober und seine Folgen führten zu einem enorm gesteigerten Radikalisierungs- und Mobilisierungspotential in der islamistischen Szene. Mit den schrecklichen Anschlägen in Mannheim und Solingen haben vermeintlich islamistische Täter bereits unsere Sicherheit angegriffen und Menschen ermordet. Doch auch zahlreiche abgewehrte und verhinderte Anschlagsversuche, wie beim Taylor-Swift-Konzert in Wien, zeigen die Bedrohung auf. Dass wir angesichts dessen die Sicherheit in diesem Land gewährleisten, bedeutet für uns differenziert zu analysieren und wirksame, rechtssichere und nachhaltige Maßnahmen angehen. Ein Schwerpunkt muss dabei in der Präventions- Deradikalisierungs- und Bildungsarbeit liegen. Mit diesem Antrag möchten wir aufzeigen, dass wir, Bündnis 90/ Die Grünen, die Lösungen zur nachhaltigen Islamismusbekämpfung haben und uns dem Diskurs stellen. Wir verfallen nicht in populistische Narrative, führen Scheindebatten oder reduzieren das Problem des Islamismus ausschließlich auf Migration und Flucht.