Veranstaltung: | Außerordentliche Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Karl-Wilhelm Koch (Vulkaneifel KV) und 28 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 0%) |
Status: | Zurückgezogen |
Verfahrensvorschlag: | Zurückgezogen |
Eingereicht: | 24.01.2018, 22:01 |
V-37: Für das Recht auf Selbstbestimmung für die Kurd*innen
Antragstext
Der türkische Angriff zielt auf die Zerschlagung der funktionierenden Selbstverwaltung im
Kanton Afrin, einem der wenigen Gebiete Syriens, das bisher kaum vom Krieg betroffen war.
Auf einen Landstrich, in dem die Menschen bis vor kurzem relativ sicher leben konnten und wo
auch Hunderttausende Menschen aus anderen Landesteilen Zuflucht gefunden haben.
Beobachtungen zufolge setzt die türkische Armee bei ihren Angriffen auch Rüstungsgüter und
Waffen aus Deutschland ein, berichtete die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) aber auch
ZDF etc. Eine entsprechende Reaktion der Bundesregierung ist nicht erkennbar.
Die Entwicklung hat der letzten Woche in erschreckender Eindeutigkeit gezeigt, dass Frieden
im Mittleren Osten ohne eine Einbeziehung der kurdischen Interessen nicht machbar sein wird.
Wir bekennen uns zu einer friedlichen, international getragenen Lösung der Kurdenfrage.
Krieg und militärische Aufrüstung lehnen wir strikt ab. Eine Lösung muss friedlich, unter
Einbeziehung der betroffenen Nationalstaaten und Interessengruppen sowie unter Wahrung des
Völkerrechts erreicht werden.
Die Kurd*innen haben die eigentliche Last des Kampfes gegen den IS getragen, während die
Türkei den IS vielfach unterstützt hat. Die deutsche Politik hat lange genug vor dem
türkischen Präsidenten und seinen rechtwidrigen Aktionen gekuscht. Eine Nachrüstung
deutscher Panzer „zum weiteren Kampf gegen den IS“ (so die Begründung) wurde offenbar gerade
verhandelt, selbst der Bau einer Panzerfabrik mit deutscher Hilfe ist im Gespräch. Insgesamt
sind unter der letzten GroKo die Exporte von genehmigungspflichtigen Rüstungsgütern um 45
Prozent gegenüber der Vorgängerregierung von Union und FDP gestiegen. Ein neuer Rekord.
Daher ist es an der Zeit, dass wir uns massiv gegen diesen völkerrechtswidrigen
Angriffskrieg, gegen die weiteren türkischen Rechtsverstöße, gegen Lieferung von Waffen in
Spannungsgebiete und zugunsten der Unterdrückten und Angegriffenen einsetzen. Nach unserem
Verständnis grüner Politik ist das unsere ureigneste Aufgabe!
Die BDK fordert daher:
- Einleitung umgehender Maßnahmen auf allen Ebenen unterhalb militärischer Eingriffe zur
Einleitung der sofortigen Beendung des türkischen Angriffs
- eine Verurteilung dieses völkerrechtswidrigen Krieges
- die Unterbrechung jeglicher Zusammenarbeit auf der NATO-Ebene mit der Türkei, solange
die türkische Militäraktion andauert und die Einstellung jeglicher Beihilfen, auch
über NATO-Strukturen
- den sofortigen Abzug aller noch verbliebenen Bundeswehrsoldat*innen aus der Türkei
- einen sofort umsetzbaren Stopp aller Waffenlieferung an die Türkei. Dies schließt auch
die Untersagung von Waffen- und Munitionsexporten deutscher Firmen oder Firmen mit
deutscher Beteiligung im Ausland (z.B. Rheinmetall in Südafrika und Italien) sowie den
Bau von Rüstungsfabriken im Ausland (um das deutsche Rüstungsexportgesetz zu umgehen)
ein.
- die ausdrückliche Ablehnung des verantwortungslosen anstehenden Atom-Deals zwischen
Macron und Erdogan zum Bau neuer AKWs
- die Anerkennung der Rechte der Menschen auf Selbstbestimmung im Rahmen des
internationalen Rechtes
- eine Initiative zur Einrichtung einer stabilen autonomen Zone in den mehrheitlich von
Kurden bewohnten Gebieten mit der Herstellung einer säkularen Rechtsordnung
- die Aufarbeitung aller Menschenrechtsverletzungen unter internationalerKontrolle
Wir unterstützen und solidarisieren uns mit allen gewaltfreien Demonstrant*innen bei
Kundgebungen in Deutschland.
Auch die kurdische Seite muss zum Gewaltverzicht bereit sein, jeder Versuch einer
gewaltsamen Lösung wird das Leid auf beiden Seiten weiter vergrößern.
Begründung
Begründung der Dringlichkeit: Die dem Antrag zugrunde liegenden Ereignisse begann erst vor wenigen Tagen, am 20.1. verkündete der türkische Präsident Erdogan den Beginn der "Operation Olivenzweig", welche nach Luftangriffen auch den Einsatz von Bodentruppen beinhaltet. Ein zeitnahe Reaktion unserer Partei auf dem anstehenden Parteitag erscheint unerlässlich.
Begründung:
Deutschlands Nato-Verbündeter Türkei (zweit-größte NATO-Armee) führt Krieg mit aus Deutschland gelieferten Panzern und anderen schweren Waffen. Augenzeugen haben Leopard-II-Panzer aus deutscher Produktion identifiziert, mit denen das türkische Militär gegen kurdische Siedlungen vorrücke. Auch Luftbodenraketen, die von türkischen Kampfflugzeugen abgefeuert wurden, sollen aus Deutschland stammen oder mit deutscher Hilfe produziert worden sein. Deutschland macht sich damit zum Komplizen dieses blutigen Angriffskrieges. Schon seit Jahrzehnten läuft ein unerklärter Krieg gegen die Teile der kurdischen Bevölkerung im eigenen Land. Die völkerrechtswidrige Militärschläge im Nachbarland Syrien richten sich gegen die vom Nato-Partner USA (größte NATO-Armee) unterstützten und bewaffneten kurdischen Milizen, die aus Sicht Washingtons die effektivsten Kämpfer bei der Vertreibung des sogenannten Islamischen Staats waren. Im Nachbarland Irak schult die Bundeswehr noch heute – nach eine kurzen Unterbrechung im Rahmen des Unabhängigkeitreferendums – kurdische Gruppen. Durch diese Konstellation wird auch die NATO destabilisiert. Die Außen- und Sicherheitspolitik der EU und damit auch Deutschlands kann nicht mehr auf eine Verlässlichkeit der NATO, bauen. Vielmehr müssen die EU-Staaten eigenständig europäisch (und damit auch friedensbildend) agieren.
Kritiker*innen der deutschen Rüstungsexportpolitik haben schon lange vor dieser gefährlichen Entwicklung gewarnt. Alle Bundesregierungen der vergangenen 30 Jahre haben diese Gefahr verharmlost. Sie sind mitverantwortlich!
Die deutsche Politik – bis auf wenige Stimmen - reagiert aktuell zögerlich bis gar nicht. Während Frankreich den Nato-Partner Türkei zu einem umfassenden Waffenstillstand aufrief und eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates initiierte, wurde in Deutschland gerade mal etwas verhaltene Kritik an der Haltung der Bundesregierung laut. Außenminister Sigmar Gabriel hatte vor "unkalkulierbaren Risiken" der Offensive gewarnt und "Schritte in Richtung Stabilität und Frieden" angemahnt – ohne die Offensive klar zu verurteilen.
Die bisherigen Autonomie-Modelle – wenn sie denn überhaupt gewährt wurden – haben versagt. Eine Autonomie von fremder Gnade ist keine, sie endet spätestens da, wo kurdische Entscheidungen den strategischen Interessen des/der jeweiligen "Schutzherren" zuwider läuft. Wie schnell die kurdische Sache dann fallen gelassen wird, konnte man kürzlich erst im Irak beobachten.
Eine kurdische Autonomie im Schlepptau strategischer Interessen anderer beinhaltet für das kurdische Volk die große Gefahr, in Kriege verwickelt zu werden. Wenn die jeweilige Schutzmacht der Meinung ist, dass Aufrüstung und/oder Krieg nun gerade das Mittel der Wahl ist, um die eigene Agenda durchzusetzen, wird „gern“ die kurdische Karte ausgespielt. Das zeigt sich in grausamer Exemplarität im 1. Golfkrieg Irak – Iran.
Hintergrund:
Das Sykes-Picot-Abkommen vom 16. Mai 1916, eine geheime Übereinkunft zwischen den Regierungen Großbritanniens und Frankreichs, legte deren koloniale Interessengebiete im Nahen Osten nach der Zerschlagung des Osmanischen Reiches im Ersten Weltkrieg fest. In der Folge bestätigten der Vertrag von Sèvres vom 10. August 1920 und die Konferenz von Sanremo 24. Juli 1922, dass die Unabhängigkeit der ehemals unter osmanischer Herrschaft stehenden arabischen Länder anerkannt würde, wenn diese das „Mandat“ eines Staates akzeptieren würden. Damit sicherten sich hauptsächlich Frankreich und Großbritannien ihre Einflusszonen im Nahen und Mittleren Osten. Die Grenzziehung überging die Kurd*innen völlig und ist mehr oder minder bis heute gültig. Das gesamte kurdische Siedlungsgebiet umfasst je nach Definition 440.000 bis 530.000 km² und liegt auf den Staatsgebieten von Türkei, Irak, Iran und Syrien. Allerdings leben In diesen Gebieten neben Kurd*innen auch Araber, Perser, Aserbaidschaner, Türken, Turkmenen, Armenier und Assyrer/Aramäer.
In praktisch allen Staaten hatte (und hat oft bis heute) die kurdisch-stämmige Bevölkerung nur stark eingeschränkte Rechte oder wurde unterdrückt. Erinnert sei an das Giftgas-Massaker durch Saddam Hussein 1988 in Halabdscha mit mehreren Tausend Toten. Zitat des zuständigen Ministers, al-Majid "Chemie-Ali": "Ich werde sie alle mit Chemiewaffen umbringen! Wer wird etwas sagen? Die internationale Gemeinschaft? Scheiß auf die!" genauso kam es, die Aufregung im Westen hielt sich in überschaubaren Grenzen. Auch hier waren übrigens deutsche Lieferanten (Karl Kolb AG, Pilot Plant, …) massiv beteiligt.
Die Türkei ist in den Bezirk Afrin in Nordsyrien einmarschiert. Dieser Militäreinsatz richtet sich nicht gegen den sogenannten Islamischen Staat, sondern gegen die YPG, die eine der wichtigsten Verbündeten gegen die Barbarei in Syrien darstellt. Die kurdische Autonomieregion Rojava wird weltweit als Hoffnung für die Möglichkeit einer demokratischen und sozialen Gesellschaft in dieser Kriegsregion gesehen.
Die Türkei kann hierbei darauf verweisen, schon lange mit einem Einmarsch gedroht zu haben. Die anderen NATO-Mächte tolerierten dies. Mit dem Einmarsch in Syrien findet ein nach internationalem Recht nicht zu rechtfertigender Angriffskrieg statt, der zudem droht, eine militärische Auseinandersetzung mit US-Truppen und ihren Verbündeten in Kauf zu nehmen und so das NATO-Bündnis selbst gefährdet. Dennoch bleibt die Türkei Empfänger auch neuester Militärtechnik. Mittelstreckenraketen und Flugzeuge sind dort stationiert. Auf der anderen Seite lässt sich die Bundesrepublik sogar offen erpressen. Aktuell steht im Raum, ob die Freilassung von Deniz Yücels durch Zugang zu Rheinmetall-Rüstungsgütern erkauft werden soll.
Das erfordert eine grundsätzliche Neuausrichtung auf eine Sicherheitsstruktur, die ein tatsächliches Bündnis der progressiven Kräfte darstellt, die Demokratie und Menschenrechte weltweit darstellt. Eine große Lösung für den Raum ist gefragt. Die lokalen antiislamistischen Milizen sollen in die Blauhelmeinheiten eingegliedert werden. Dieser Einsatz wird dauern und der Aufbau gesellschaftlicher Strukturen wird dieses Mal von unten erfolgen müssen. Es ist wichtig, die wenigen Verbündeten vor Ort hierbei zu schützen und einzubinden.
Quellen und weitergehende Infos:
weitere Antragsteller*innen
- Ralf Henze (Odenwald-Kraichgau KV)
- Klemens Griesehop (Berlin-Pankow KV)
- Regina Klünder (Kiel KV)
- Ruth Birkle (Karlsruhe-Land KV)
- Werner Hager (Rhein-Berg KV)
- Gerd Kauschat (Berlin-Friedrichshain/Kreuzberg KV)
- Horst Schiermeyer (Görlitz KV)
- Gerhard Klünder (Warendorf KV)
- Michael Hoffmeier (Eichsfeld KV)
- Bernd Frieboese (Berlin-Reinickendorf KV)
- Nabiha Ghanem (Soest KV)
- Thomas Dyhr (Brandenburg LV)
- Ulrich Bock (Mayen-Koblenz KV)
- Claudia Laux (Bernkastel-Wittlich KV)
- Kerstin Dehne (München KV)
- Kristin Kosche (Rhein-Lahn KV)
- Andrea Piro (Rhein-Sieg KV)
- Fritz Lothar Winkelhoch (Oberberg KV)
- Barbara Poneleit (Forchheim KV)
- Andreas Rieger (Dahme-Spreewald KV)
- Dieter Flohr (Fürth-Land KV)
- Gregor Kaiser (Olpe KV)
- Karl-Josef Aicher (Bodenseekreis KV)
- Ursula Hertel-Lenz (Berlin-Steglitz/Zehlendorf KV)
- Andreas Diebold (Heidelberg KV)
- Carlos Echegoyen (Bonn KV)
- Cornelia Gehlen (Berlin-Neukölln KV)
- Manuela Braun (Rastatt/Baden-Baden KV)
Kommentare
Ruth Birkle:
"Ohne die Bereitschaft zu Verhandlungen und zur Arbeit an demokratischen und gewaltfreien Strukturen auf allen Seiten wird das Leiden der Bevölkerung nicht beendet werden."
Dann ist das Ziel benannt und es wird sich zeigen, wer dazu bereit ist. Es wird außerdem nicht denjenigen, die gegen undemokartische, faschistische Kräfte kämpfen, gesagt, auch sie müssten bereit zur Demokratie sein, wo sie es doch bereits gezeigt haben.
Jörn Jensen:
Leo Neydek:
Angelika Wilmen: