Veranstaltung: | Außerordentliche Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | KV Regensburg-Stadt (dort beschlossen am: 23.11.2017) |
Status: | Eingereicht |
Verfahrensvorschlag: | Abstimmung |
Eingereicht: | 08.12.2017, 22:36 |
V-09: Wahlrecht reformieren – Abgeordnetenzahl begrenzen
Antragstext
Beantragt wird eine Begrenzung der Zahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestags auf
maximal 598 Abgeordnete ab der nächsten Legislaturperiode.
Eine Wahlrechtsreform ist in der kommenden Legislaturperiode in Angriff zu nehmen und für
die nächste Wahl umzusetzen. Dabei sind die Regelungen des Grundgesetzes und die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu beachten. Eine konkrete Ausarbeitung des
Wahlverfahrens obliegt einer Kommission, die parteiübergreifend vom Bundestag eingesetzt
wird. Der (oder die) erarbeitete Vorschlag wird anhand des Wahlergebnisses aus 2017
verifiziert.
Begründung
Im neuen Bundestag liegt die Zahl der Abgeordneten mit 709 um 111 Sitze über der gesetzlich festgelegten Sollgröße von 598 Parlamentssitzen. Ursache dafür sind Ausgleichs- und Überhangmandate. Das Problem entsteht durch die sogenannten Überhangmandate. Diese entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate erzielt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis eigentlich zustehen würden. Seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vor einigen Jahren müssen Überhangmandate ausgeglichen werden. Im Klartext: Die Zahl der Abgeordneten wird solange erhöht, bis sie wieder den Mehrheitsverhältnissen bei den Zweitstimmen entspricht. Einige Experten rechneten vor der Bundestagswahl 2017 damit, dass die Zahl der Abgeordneten im Bundestag sogar auf bis zu 800 wachsen könnte. Deutschland hat weltweit das zweitgrößte Parlament. Kritiker warnen nicht nur vor hohen Kosten, sondern sehen bei einem immer größeren Bundestag auch dessen Arbeitsfähigkeit in Gefahr.
Warum ist die Reform notwendig?
Vertrauen wird beschädigt, wenn Parlamentarier aus reinem Eigeninteresse eine Reform verhindern, die der Aufblähung des Bundestages um bis zu 100 Mandate entgegenwirken könnte. Im Ergebnis werden die Chancen derer, die bereits im Parlament sind, auf eine Wiederwahl deutlich erhöht. Egoistische Interessen führen also dazu, dass diese unerlässliche Reform unterbleibt. Man hat diese Reform unter falschen Vorwänden scheitern lassen. Dabei wäre sie bitter notwendig gewesen. Das Scheitern wird zu einem weiteren großen Vertrauensverlust in unsere Demokratie führen. Der Schaden ist in seiner Dimension noch nicht abzusehen. Der Bundestag platzt jetzt mit 709 Abgeordneten aus allen Nähten. Die Arbeitsfähigkeit des Parlaments ist bedroht.
Nicht zuletzt entstehen erhebliche Kosten durch die größere Zahl von Abgeordneten durch u.a. Diäten, Mitarbeiter, Büroräume, Altersversorgung. Der Bund der Steuerzahler schätzt die Mehrkosten durch die erhöhte Zahl der Abgeordneten auf 500 Millionen Euro pro Jahr.
Die Politiker*innen und dabei gerade die Abgeordneten stehen in der Kritik, sich in erster Linie selbst zu bedienen. Mit einer Reduzierung/Begrenzung der Zahl der Abgeordneten könnte man einen Schritt auf die Bürger*innen zu machen, dass es eben nicht in erster Linie um Eigeninteressen geht, sondern dass die Aufgabe als Volksvertreter*innen ernst genommen wird.
Eine Möglichkeit eines Verfahrens:
Grundsätzlich bleibt es bei der gewohnten Form mit Erst- und Zweitstimme, ein Kreuzchen für den auserkorenen Wahlkreiskandidaten, eines für die Landesliste der favorisierten Partei. Um zu bestimmen, welche Parteien die Fünfprozenthürde genommen haben, werden die Zweitstimmen bundesweit addiert. Vor der Wahl werden die Sitzkontingente der Länder bestimmt, nach der Zahl der deutschen Einwohner oder der Wahlberechtigten. Denn die Länder sind die Wahlgebiete, die gewohnten Landeslisten bleiben somit. In einem Bundesstaat ist die getrennte Wahl nach Ländern kein Problem. Die Einrichtung von Landesgruppen in den Fraktionen zeigt, dass die Abgeordneten selbst sich immer auch als Vertreter ihrer Länder betrachten.
Allerdings würde es nach dem hier skizzierten Vorschlag künftig zwei Listen geben, nach denen die Mandate verteilt werden. Das ist die entscheidende Änderung – zusammen mit dem Einschnitt, dass nicht alle Wahlkreissieger zwangsläufig einen Sitz im Bundestag bekommen (die allermeisten aber schon). Neben den Landeslisten, die wie bisher von Parteitagen aufgestellt werden, haben alle Parteien auch eine Wahlkreisliste. Die ergibt sich erst am Wahltag, und zwar nach dem Prozentanteil der Erststimmen der Wahlkreiskandidaten. Somit gäbe es keine klassischen Direktmandate mehr, die Entscheidung im Wahlkreis dient der Bestimmung dieser Wahlkreislisten. Die Parteien müssten grundsätzlich in allen Wahlkreisen mit Kandidaten antreten, was aber heute schon weitgehend der Fall ist. Für Kleinparteien könnte man Mehrfachkandidaturen erlauben. Diese Aufstellung einer Liste am Wahltag nach den Einzelresultaten wird in Baden-Württemberg seit langem praktiziert, es ist eine sehr basisdemokratische Lösung. Ganz oben auf einer Wahlkreisliste steht der Wahlkreiskönig oder die Wahlkreiskönigin einer Partei, ganz unten landen die Bewerber mit dem schwächsten Resultat.
Die Sitze, die einer Partei nach ihrem Zweitstimmenergebnis aus dem Landeskontingent zukommen, werden nun je zur Hälfte aus der Wahlkreisliste und der Landesliste zugeteilt. Gewinnt eine Partei 28 Mandate, dann werden zunächst den 14 Besten aus den Wahlkreisen ihre Sitze zugeteilt. Die anderen 14 Sitze werden gemäß der Landesliste verteilt, wobei Landeslistenkandidaten, die bereits über die Wahlkreisliste erfolgreich waren, übergangen werden. Für den Fall einer ungeraden Mandatszahl müsste das Wahlgesetz bestimmen, welche Liste Vorrang hat. Damit werden nicht mehr alle Wahlkreissieger automatisch ein Mandat haben. Doch lässt sich so das Problem der Überhangmandate lösen.
Wen aber trifft es? Welcher Bewerber ein Überhangmandat hat, lässt sich nicht bestimmen. Eine Variante der Nichtzuteilung wäre, einfach von unten her, also bei den schwachen Ergebnissen anzusetzen. Damit wäre aber per Gesetz schon von vornherein ein Automatismus festgelegt, was problematisch ist. Die hier vorgeschlagene Variante überlässt es dagegen dem demokratischem Prozess, also der Listenaufstellung der Parteien und dem Votum der Bürger am Wahltag selbst, welcher Kandidat gestrichen wird. Bewerber in schwächeren Wahlkreisen haben die Chance, einen guten Platz auf der Landesliste zu bekommen. Damit ist bis zur Auszählung unklar, wer beim Auftreten von Überhängen letztlich verzichten muss – sicher ist nur, dass die „Zitterkandidaten“ aus dem Kreis derer kommen, die in nicht in Hochburgen einer Partei antreten und die nicht auf den ganz vorderen Plätzen auf der Landesliste gelandet sind. Hier ist zweifellos Umdenken gefragt, beim Wähler und bei den Parteien – aber der Eingriff ist weit weniger gravierend als man zunächst vermuten würde. Der weitaus größte Teil der Wahlkreise hätte weiterhin „eigene“ Abgeordnete.
Der Vorschlag ist zwar pragmatisch angelegt. Aber es wäre eine Reform, die das Hauptproblem des bestehenden Systems der personalisierten Verhältniswahl beseitigt, dessen Vorteile aber weitgehend erhält. Es gibt keine Überhangmandate und damit keine Notwendigkeit für Ausgleichsmandate. Es gibt keine unberechenbare Vergrößerung des Bundestags. Man muss nicht in die Wahlkreisgeographie eingreifen. Es ist ein relativ einfaches System, das sehr nahe am alten Modell ist. Das sollte die Änderung mit Blick auf die bisherige Zuteilung von Direktmandaten aufwiegen. Zwar wird bei den größeren Parteien die Mehrheitswahlkomponente, also das Element der Personalisierung, etwas zurückgestutzt, dafür aber bei den kleineren Parteien verstärkt.
– Quellen: https://www.svz.de/16350906 ©2017; Neues Wahlrecht für den Bundestag, Albert Funk, 24.01.2017 in Tagesspiegel
weitere Antragsteller*innen
Änderungsanträge
- Globalalternative: V-09-001 (Bundesvorstand (beschlossen am: 09.01.2018), Eingereicht)
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