Veranstaltung: | Außerordentliche Bundesdelegiertenkonferenz |
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Tagesordnungspunkt: | Beschlüsse (vorläufig) |
Antragsteller*in: | Bundesdelegiertenkonferenz (dort beschlossen am: 27.01.2018) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 31.01.2018, 15:37 |
Antragshistorie: | Version 1 |
V-22 Beschluss: Europäische Kooperation im Verteidigungsbereich nutzen – Das Friedensprojekt Europa stärken!
Antragstext
Die Europäische Union ist ein Friedensprojekt. Es ist eine historische Errungenschaft, dass
Konflikte heute am Verhandlungstisch und nicht länger auf Schlachtfeldern ausgetragen
werden. 2012 wurde die EU für diesen Einsatz für Frieden, Versöhnung, Demokratie und
Menschenrechte in Europa mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet – zu Recht! Insbesondere
mit dem Vertrag von Lissabon hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, auch nach außen kohärent
zu wirken: „Frieden zu erhalten, Konflikte zu verhüten und die internationale Sicherheit zu
stärken“. Kein Mitgliedsstaat der EU kann diesen Aufgaben alleine gerecht werden. Will die
EU bei der Reduzierung von Instabilität, der Bekämpfung von massiven
Menschenrechtsverletzungen und der Beendigung von Krisen in ihrer unmittelbaren
Nachbarschaft und darüber hinaus eine wirkliche Rolle spielen, müssen ihre Mitgliedsstaaten
im Bereich der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik viel stärker kooperieren als
bisher.
Erste Schritte hin zu mehr Kooperation wurden in den letzten zwei Jahren gegangen. Die Hohe
Vertreterin Mogherini hat 2016 die „Globale Strategie für die Außen- und Sicherheitspolitik
der Europäischen Union“ veröffentlicht. 2017 hat die Europäische Kommission das
„Reflexionspapier über die Zukunft der europäischen Verteidigung“ lanciert und im Dezember
2017 wurden 17 Kooperationsprojekten im Rahmen der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit
(Permanent Structured Cooperation, PESCO) geschaffen. PESCO ist ein Format der
unterschiedlichen Geschwindigkeiten, an dem nur die Mitgliedsstaaten teilnehmen, die das
wollen und sich bereit erklären, die entsprechenden Kriterien zu erfüllen. Trotzdem haben 25
von 28 Mitgliedsstaaten die Kooperation unterzeichnet. PESCO ist also zu einem (fast)
gesamteuropäisches Projekt geworden. In einer Zeit, in der Rechtspopulisten in ganz Europa
das Hohelied auf den Nationalstaat singen, ist eine derartige Kooperation nationaler
Streitkräfte auf europäischer Ebene ein beeindruckendes Symbol der Stärke des europäischen
Projektes.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begrüßen grundsätzlich eine verstärkte Kooperation im Bereich der
Sicherheits- und Verteidigungspolitik, insofern dadurch das Primat des Zivilen der
europäischen Außenpolitik nicht geschwächt wird und es nicht zu einer Stagnation oder
Reduktion notwendiger Gelder für die Entwicklungszusammenarbeit und die Humanitäre Hilfe
kommt. Die Schere zwischen zivilen und militärischen Ausgaben in den nationalen Haushalten
der EU-Mitgliedsstaaten darf nicht weiter aufgehen. Nur dadurch kann gewährleistet werden,
dass die EU in die Lage versetzt wird, die in Artikel 43(1) des Vertrags von Lissabon
beschriebenen Aufgaben: „Abrüstung, humanitäre Aufgaben, Aufgaben der Konfliktverhütung und
Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich friedenschaffender Maßnahmen
und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten“ besser bewältigen und verstärkt
nachgehen zu können.
Bei einer Kooperation im Sicherheits- und Verteidigungsbereich auf europäischer Ebene darf
es nicht nur um die Steigerung der militärischen Effizienz und den Abbau von
Kooperationshemmnissen gehen. Ein derartiges Projekt darf nicht missbraucht werden, um
Rüstungsausgaben zu erhöhen und eine ineffiziente und intransparente Rüstungsindustrie
weiter zu subventionieren, wie es jetzt der europäische Verteidigungsfond vorsieht. Sondern
es muss vor Allem darum gehen, dass die EU die Aufgaben des Vertrags von Lissabon
vollumfänglich erfüllen kann. Dazu fehlen derzeit zivile und militärische Fähigkeiten, bspw.
einsatzfähige Battle Groups, Mediationsteams, Technik zur Überwachung von
Waffenstillstandsabkommen, Fähigkeiten zur Gewährleistung humanitärer Hilfe in
Blockadelagen, ausgebildete Teams zur Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen oder eine
Strategie für politische Missionen zur Stabilisierung von Staaten in Nachkriegssituationen.
An der Frage, ob es gelingt hier vorwärts zu kommen, müssen sich aktuelle und kommende
Kooperationsprojekte messen lassen. Eine Vertiefung der Zusammenarbeit im
Verteidigungsbereich darf nicht dazu führen, dass zivile Gelder sicherheitspolitisch
zweckentfremdet werden, wie es u.a. durch die Öffnung des Instruments für Stabilität und
Frieden (IcSP) für militärische Zwecke zu befürchten ist. Darüber hinaus darf die vertiefte
Integration der Verteidigungspolitik nicht dazu genutzt werden, Maßnahmen zur
Migrationsabwehr, bzw. eine europäische Abschottungspolitik voranzutreiben. Zudem muss die
finanzielle Trennschärfe von entwicklungspolitischen und militärischen Maßnahmen zu jeder
Zeit gegeben sein.
Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ist klar: Eine Zusammenarbeit auf europäischer Ebene muss immer
strategisch auf eine präventive, auf friedliche Konfliktlösung gerichtete und
menschenrechtsgeleitete Außenpolitik ausgerichtet bleiben. Eine verstärkte Kooperation im
Verteidigungsbereich muss der EU die entsprechenden Mittel zu ihrer Umsetzung an die Hand
geben. Es braucht nicht mehr nationale Aufrüstung der jeweiligen EU-Mitgliedstaaten, sondern
mehr Kooperation. Eine regelmäßige Erhöhung der nationalen Verteidigungsausgaben, wie sie im
Ratsbeschluss zur Einsetzung der PESCO verpflichtend festgeschrieben ist, lehnen wir ab.
Deswegen wollen wir Grünen die zunehmende Kooperation im Verteidigungsbereich kritisch
begleiten, mitgestalten und uns dafür einsetzen,
- dass die längst fällige Debatte um die strategische Ausrichtung der europäischen
Sicherheits- und Verteidigungspolitik endlich nachgeholt und in Anlehnung an nationale
Weißbuchprozesse geführt wird; öffentlich, engagiert , entlang konkreter Szenarien und
begleitet von Debatten in den nationalen und dem europäischen Parlament,
- dass Diplomatie, Prävention, Mediation, Dialog und Versöhnung weiterhin das Fundament
und den Ausgangspunkt europäischer Außen- und Sicherheitspolitik bilden und diese
Maßnahmen weiter gefördert werden,
- dass Militär immer nur als äußerstes Mittel eingesetzt wird. Alle Einsätze müssen
völkerrechts- und grundgesetzkonform sein, das heißt nicht in verfassungswidrigen
Koalitionen der Willigen stattfinden. Die Beteiligung der Bundeswehr an bewaffneten
Einsätzen im Rahmen der EU darf nur mit einem Mandat der Vereinten Nationen erfolgen.
Einsätze müssen immer in eine umfassende zivile Gesamtstrategie eingebettet sein. VN-
geführte Missionen haben für uns immer Vorrang vor EU- oder NATO-geführten Einsätzen.
- dass Synergien zwischen den Mitgliedsstaaten genutzt werden, um nationale
Verteidigungsausgaben einzusparen und damit Verteidigungsprojekte nicht den
europäischen Haushalt belasten,
- dass die ineffiziente und intransparente europäische Rüstungsindustrie grundlegend neu
strukturiert und reformiert wird sowie eine restriktivere und verbindliche
Rüstungsexportpolitik in der EU und Deutschland gesetzlich verankert wird.
- dass die Entscheidung über die Entwicklung konkreter Fähigkeiten mit Hinblick auf die
VN-fähigkeit der EU geschieht und das Verhältnis von NATO und EU bei der Entwicklung
der europäischen Verteidigungszusammenarbeit geklärt wird,
- dass die zunehmende Kooperation im Verteidigungsbereich mit einer Stärkung von
Strukturen der parlamentarischen Kontrolle und Mitbestimmung insbesondere auf
europäischer Ebene einhergeht. Der Parlamentsvorbehalt des Bundestags oder langfristig
der des Europäischen Parlamentes darf durch die europäische Kooperation weder
unterlaufen noch abgebaut werden und dass
- Maßnahmen zur Kohärenzförderung zwischen verschiedenen Politikfelder wie
Energiepolitik, Entwicklungspolitik, oder Handelspolitik, entwickelt werden.
Die zunehmende Kooperation der europäischen Mitgliedsländer im Verteidigungsbereich ist eine
einmalige Chance, das Friedensprojekt Europa zu stärken. Sie setzt ein deutliches Zeichen
gegen wachsenden Nationalismus und Nationalstolz. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden diesen
Prozess aktiv und im Sinne des Vertrags von Lissabon mitgestalten. So wird die Europäische
Union der Verantwortung, die aus der Annahme des Friedensnobelpreises erwächst, ein Stück
gerechter.
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