Die COVID-19-Pandemie hat die Bedeutung der Innenraumluftqualität für die öffentliche Gesundheit noch einmal eindrucksvoll verdeutlicht. In unserem Programm zur Europawahl 2024 hatten wir einen hervorragenden Satz zur Innenraumluftqualität, den wir im aktuellen Entwurf des Wahlprogramms für die Bundestagswahl 2025 aus den folgenden Gründen vermissen:
1. Eine schlechte Luftqualität in Innenräumen begünstigt die Verbreitung von Infektionskrankheiten.
Wir verbringen mehr als 85 % unserer Zeit in geschlossenen Räumen, in denen die Luft oft stärker verschmutzt ist als die Außenluft, z.B. durch Pilze, Bakterien und Viren, aber auch durch Schadstoffe chemischen Ursprungs (Feinstaub, gasförmige Schadstoffe). Eine unzureichende Belüftung in Innenräumen erhöht somit das Risiko von Infektionskrankheiten wie COVID-19, Grippe oder „banale“ Erkältungen, aber auch von anderen Gesundheitsbeschwerden. Infektionen schädigen die Gesundheit und können wie bei COVID-19 zu dauerhafter Behinderung (Long Covid / ME/CFS) und anderen schwerwiegenden Folgeerkrankungen führen. Es ist vielfach durch Studien belegt, dass eine schlechte Luftqualität in Schulen und am Arbeitsplatz zu mehr Infektionen führen kann, die dann auch in die Bevölkerung hineingetragen werden, und dass eine Verbesserung der Luftreinheit gegen die Ausbreitung von Infektionskrankheiten hilft [1].
2. Eine schlechte Luftqualität beeinträchtigt die kognitive Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden von Lernenden und Arbeitnehmer:innen.
Wir wissen seit 150 Jahren, dass schlechte Luftqualität das Lernen erschwert und die Produktivität und Arbeitsleistung verringert – auch unabhängig von Infektionskrankheiten, wie aktuelle Studien zeigen [2]. In Schulen führt ein zu hoher CO2-Gehalt in der Raumluft zu Konzentrationsschwierigkeiten und Müdigkeit, was die Lernfähigkeit der Schüler reduziert. In Deutschland ist der maximale CO2-Gehalt der Luft in Schweineställen reguliert – in Klassenzimmern nicht.
3. Eine schlechte Luftqualität schwächt die Wirtschaftsleistung Deutschlands
Gesundheitsprobleme aufgrund schlechter Luftqualität führen zu erhöhten Krankheitsraten, was wiederum zu Produktivitätsverlusten und höheren Gesundheitskosten führt. Wie wir in den letzten Jahren gesehen haben, ist dies bzgl. der Steuereinnahmen und für die Krankenkassen deutlich spürbar und führte Deutschland in eine Rezession [3]. Insbesondere im Hinblick auf den Fachkräftemangel ist es wichtig, die Bevölkerung gesund und damit arbeitsfähig zu erhalten. Wenn Schüler:innen krank werden, müssen auch die Eltern zu Hause bleiben und können ihre Arbeitskraft nicht zur Verfügung stellen. Verbindlich saubere Luft in Schulen würde nicht nur die Krankheitslast in der gesamten Bevölkerung reduzieren, sondern auch einen großen Beitrag zur Bildungsgerechtigkeit leisten. Eine Verbesserung der Innenraumluftqualität kann somit nicht nur die Gesundheit der Bevölkerung fördern, sondern auch wirtschaftliche Vorteile bringen, indem sie die Produktivität steigert und Gesundheitskosten senkt. Jeder in Luftreinheit investierte Euro wird vielfach wieder eingespielt: „There is money in prevention“ [4].
Es gibt zur Luftqualität in Innenräumen bereits Stellungnahmen und Empfehlungen z.B. des Umweltbundesamts [5] oder des Robert-Koch-Instituts [6], allerdings noch keine verpflichtenden Maßnahmen z.B. in Gesetzesform. Auch wenn im Arbeitsschutz nach ASR A3.6 "Lüftung" bereits eine CO2-Konzentration von 1000 ppm als Richtwert gilt – die Einhaltung dieses Richtwerts wird weder breit überprüft noch werden irgendwelche Maßnahmen daraus abgeleitet.
Andere Länder sind uns in diesem Punkt bereits voraus – in Europa haben z.B. Belgien [7] oder Frankreich [8] bereichsübergreifende Gesetzgebungen zur Verbesserung der Innenraumluftqualität verabschiedet, in Lettland sind die CO2-Daten aller Klassenräume online abrufbar [9], auch die USA investieren Milliarden USD in raumlufttechnische Anlagen in Schulen [10].
Frisches Trinkwasser ist für uns eine Selbstverständlichkeit – wer würde heutzutage freiwillig ungeklärtes Wasser trinken? Warum geben wir uns dann mit ungeklärter Luft in Innenräumen zufrieden?
[1] https://doi.org/10.1093/cid/ciab933 , https://doi.org/10.1111/ina.12042 , https://doi.org/10.1001/jama.1988.03720140028029 , https://doi.org/10.1021/acs.est.1c06531 , https://doi.org/10.1111/j.1600-0668.2006.00445.x , https://www.cdc.gov/mmwr/volumes/70/wr/mm7021e1.htm, https://doi.org/10.1080/02786826.2021.1877257 ,
[2] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0360132320301074, https://doi.org/10.1016/j.econedurev.2022.102344 , https://doi.org/10.3390%2Fijerph19020749, https://doi.org/10.26300/7mcr-8a10 , https://doi.org/10.1016/j.buildenv.2023.110078
[3] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/rekord-krankenstand-rezession-100.html
[5] https://www.umweltbundesamt.de/richtig-lueften-in-schulen#warum-ist-ein-regelmassiger-luftaustausch-in-klassenzimmern-grundsatzlich-wichtig-und-in-der-pandemie-umso-mehr, https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/anforderungen-an-lueftungskonzeptionen-in-gebaeuden
[6] https://edoc.rki.de/handle/176904/2849
[7] https://www.health.belgium.be/de/hin-zu-einem-rechtsrahmen-fuer-die-luftqualitaet-innenraeumen
[8] https://nousaerons.fr/regulations/nousaerons_french_regulations_co2_UK_v5.pdf
[10] https://www.future-ed.org/why-10-billion-for-school-ventilation-matters-for-learning/