Einleitung
In Deutschland erleiden jährlich rund 120.000 Menschen einen außerklinischen Herz-Kreislauf-Stillstand. Rund 65.000 werden hiervon reanimiert. Nach Zahlen des Bundesministeriums für Gesundheit überleben nur ca. 11 % der Menschen, die außerklinisch reanimiert werden, einen Herz-Kreislauf-Stillstand (Quelle: Reformbedarf bei der Notfallversorgung: Flächendeckende Alarmierung von Ersthelfern über vernetzte Ersthelferalarmierungssysteme, ADAC Stiftung, Bertelsmann Stiftung und Björn Steiger Stiftung, S. 2).
Warum sterben in Deutschland so viele Menschen an einem Herz-Kreislauf-Stillstand?
Die Gehirnzellen eines Menschen erleiden bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand nach nur 3-5 Minuten irreparable Schäden und sterben ab (Quelle: Informationen zur Laienreanimation in Deutschland, Nationales Aktionsbündnis Wiederbelebung, S. 5). Dies liegt an der fehlenden Versorgung der Gehirnzellen mit Sauerstoff und anderen überlebenswichtigen Nährstoffen, welche durch das (im Falle eines Herz-Kreislauf-Stillstandes nicht mehr durch den Körper zirkulierende) Blut transportiert werden. Insbesondere eine richtige „Herzdruckmassage“ im Rahmen der Reanimation sorgt dafür, dass weiterhin Blut ins Gehirn „gepumpt“ wird und dieses mit überlebenswichtigen Nährstoffen versorgt.
Bis der Rettungsdienst bei einem*einer Patient*in eintrifft, vergehen in Deutschland jedoch durchschnittlich 8 Minuten oder mehr (Quelle: Informationen zur Laienreanimation in Deutschland, Nationales Aktionsbündnis Wiederbelebung, S. 5). Wenn eine umstehende Person nicht möglichst schnell mit Maßnahmen zur Reanimation beginnt, führt ein Herz-Kreislauf-Stillstand bei der durchschnittlichen Eintreffzeit des Rettungsdienstes also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Tod des*der Patient*in. Es gilt also das sogenannte therapiefreie Intervall (Zeit vom Zeitpunkt des Kreislauf-Stillstandes bis zum Ergreifen der ersten Reanimationsmaßnahmen) möglichst stark zu verkürzen.
Warum Smartphone-basierten Ersthelferalarmierungssystem in ganz Deutschland wichtig sind!
Eine Möglichkeit, um das therapiefreie Intervall bei Herz-Kreislauf-Stillständen zu verkürzen, ist die Einführung von Smartphone-basierten Ersthelferalarmierungssystemen. Bei diesen sucht eine App, die mit der örtlichen Rettungsdienstleitstelle verbunden ist, automatisch nach den nächsten Ersthelfer*innen und sendet diesen einen Alarm mit Informationen zum genauen Einsatz zu. Ebenfalls besteht die Möglichkeit, Ersthelfer*innen mit der Beförderung eines öffentlich zugänglichen AED (automatischen externen Defibrillator) zu beauftragen.
Eine gute Laien-Reanimation hat starken Einfluss auf die Überlebensquote und Qualität von Patient*innen. Braucht der Rettungsdienst ca. 10 Minuten bis zum Einsatzort, liegt die Überlebensquote von Patient*innen mit guter neurologischer Erholung (d. h. Patient*innen, die nicht starke Behinderungen in Folge ihres durch Reanimation überlebten Kreislaufstillstandes von sich ziehen) bei nur ca. 4,5 %. Mit Laien-Reanimation liegt sie bei 10,4 % (Quelle: Einfluss der Hilfsfrist auf das Überleben nach einem plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand: Analyse aus dem Deutschen Reanimationsregister, Aerzteblatt).
Im Juli 2024 gaben 154 der insgesamt 283 deutschen Rettungsdienstbereiche an (noch) keine Ersthelferalarmierungssysteme zu besitzen (Quelle: Woche der Wiederbelebung: Leben Retten via App, SWR). Zusätzlich hierzu gibt es eine Vielzahl (siehe: Übersicht der Björn-Steiger-Stiftung) an unterschiedlichen Anbietern von Ersthelferalarmierungssysteme, die nicht miteinander vernetzt sind. Dieser Flickenteppich an unterschiedlichen Anbietern führt dazu, dass selbst engagierte Ersthelfer*innen außerhalb der Rettungsdienstbereiche rund um ihren Wohnort nicht mehr als Ersthelfer*innen erreichbar sind, weil sie nur beim jeweiligen Anbieter z. B. rund um ihren Wohnort oder ihre Arbeitsstätte registriert sind.
Ein Gutachten von Prof. Dr. Andreas Pietz im Auftrag von ADAC Stiftung, Bertelsmann Stiftung und Björn Steiger Stiftung geht davon aus, dass die Neuimplementierung eines Ersthelferalarmierungssystems nur knapp 0,5 % der Gesamtausgaben des Rettungsdienstes ausmacht. Dasselbe Gutachten kommt zu dem Schluss, dass der Bund auf Grundlage von Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG technische Mindeststandards für die Ersthelferalarmierungssysteme an sich festlegen könnte. Auch der Inhalt der übermittelten Daten und die Ausgestaltung (insbesondere die Vernetzung) der Systeme könnten nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG und die Vermeidung von Versicherungsfällen nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG vom Bund geregelt werden. Hierfür macht das Gutachten sogar einen konkreten Regelungsvorschlag (siehe S. 19 des Gutachtens). Darüber hinaus kommt das Gutachten zu dem Schluss, dass aus dem Recht auf Leben aus Art. 2 Abs. 2 GG sogar die konkrete Handlungspflicht des (Landes-) Gesetzgebers folgt, effektive Ersthelferalarmierungssysteme zur Verkürzung des therapiefreien Intervalls zu schaffen (siehe S. 8 ff. und S. 41 des Gutachtens).
Alle weiteren Ergebnisse des Diskussionsprozesses der ADAC Stiftung, Bertelsmann Stiftung und Björn Steiger Stiftung rund um das Thema sind in einem kurzen Ergebnispapier zusammengefasst. Auch das European Resuscitation Council (eine der weltweit bekanntesten medizinischen Fachgesellschaften in diesem Bereich) empfiehlt in ihren Guidelines: „First responders (trained and untrained laypersons, firefighters, police officers, and off-duty healthcare professionals) who are near a suspected OHCA should be notified by the dispatch centre through an alerting system implemented with a smartphone app or a text message.“
Warum Reanimationsunterricht und weitere Maßnahmen zur Sensibilisierung der Bevölkerung wichtig sind!
In Deutschland lag die Laienreanimationsquote 2022 bei nur 51 %. Im europäischen Vergleich lag Deutschland 2019 bei der Laienreanimationsquote nur auf Platz 20 von 28. In Norwegen, wo Reanimationsunterricht seit 1961 (Kultusministerkonferenz rät zu Kursen: Reanimation ab der 7. Klasse, Apotheken.de) auf dem Lehrplan steht, lag die Quote 2019 bei weit über 80 %. In anderen Ländern wie Dänemark konnte die Laienreanimationsquote mit der Einführung von verpflichtendem Reanimationsunterricht und einer breit angelegten Informationskampagne innerhalb von 10 Jahren mehr als verdoppelt werden (Quelle: Informationen zur Laienreanimation in Deutschland, Nationales Aktionsbündnis Wiederbelebung, S. 7).