Bei der ganzjährigen Anbindehaltung stehen die Tiere das ganze Jahr über angebunden/angekettet an einem festen Platz im Stall. Sie können sich hinlegen, aber nicht umdrehen, höchstens wenige Schritt vor oder zurück gehen und physischen Kontakt nur zu ihren direkten Nachbartieren aufnehmen. Das Ausleben des normalen Verhaltens, wie z.B. die Bildung einer Rangfolge innerhalb der Herde, das Belecken der Schwanzwurzelzone oder das Bespringen im Zuge eines arttypischen Brunstverhaltens, ist nicht möglich. Die Form der Anbindehaltung, bei der die Tiere nicht das ganze Jahr über an einem Platz im Stall sind, sondern sich während der Vegetationszeit häufig auf der Weide befinden, wird saisonale Anbindehaltung oder Kombinationshaltung (kurz Kombihaltung) genannt.
Im Jahr 2020 lebten laut Thünen-Institut auf über 28.000 Betrieben insgesamt mehr als 1.000.000 Rinder in Anbindehaltung, davon fast 700.000 Rinder in ganzjähriger Anbindehaltung. Neuere Zahlen gibt es leider nicht, da die Haltungsform nur alle zehn Jahre erhoben wird. Das Thünen-Institut prognostiziert, dass 2030 immer noch über 11.000 Höfe Rinderhaltung in Anbindung betreiben werden.
Schon 2016 hat der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert, die Anbindehaltung zu verbieten. Der damalige Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) ist dieser Aufforderung nicht nachgekommen, da insbesondere Höfe in Bayern betroffen wären. Denn 42 % aller Betriebe, die 2020 Anbindehaltung praktizierten, lagen in Bayern. Einige Zeit später fingen einzelne Molkereien an, Betrieben mit Anbindehaltung weniger Geld für ihre Milch zu zahlen, da sie den Kühen weniger Tierwohl bieten. Der Aufschrei unter den klassischen Agrarverbänden und konservativen Parteien war groß, denn Milch, die unter Einhaltung der Gesetzeslage produziert wurde, dürfe ja angeblich nicht vom Markt diskriminiert werden. Die Ampel-Koalition hatte 2021 eigentlich vereinbart, die Anbindehaltung bis spätestens zum Jahresende 2031 zu verbieten. Angegangen wurde das Vorhaben 2024 in der Novellierung des Bundestierschutzgesetzes. Der dort ausgearbeitete Kompromiss sah vor, dass die ganzjährige Anbindehaltung zehn Jahre nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung verboten, die saisonale Anbindehaltung dagegen für Betriebe mit einem Bestand von maximal 50 Rindern (älter als 6 Monate) vorerst dauerhaft erlaubt sein sollte, wenn die Tiere in der Zeit, in der kein Weidegang möglich ist, mindestens zweimal wöchentlich Auslauf haben. Mit dem Ende der Ampel-Koalition ist die geplante Novellierung aufgrund fehlender Mehrheiten im Deutschen Bundestag hinfällig geworden. Aber trotzdem ist den meisten Parteien klar, dass die Anbindehaltung keine Zukunft hat. 2022 bestätigte das Verwaltungsgericht Münster die Rechtmäßigkeit der Anordnung des Kreisveterinäramts Borken, mit der einem dortigen Milchviehhalter die ganzjährige Anbindehaltung untersagt wurde. Das Gericht befand, dass in „der Anbindehaltung […] nahezu alle durch § 2 Nr. 1 TierSchG geschützten Grundbedürfnisse der Rinder stark eingeschränkt bzw. viele der zugehörigen Verhaltensweisen nicht ausführbar“ seien. Es wird Zeit, dass die Politik dieser Auffassung folgt und einen verbindlichen Fahrplan zum Ausstieg aus der Anbindehaltung vorschreibt. Die häufigsten Gegenargumente sind leicht zu entkräften, z.B.:
- Die Tierhalter bräutchen Planungssicherheit für ihre Investitionen: Laut dem Bayerischen Rundfunk wurden seit den 1980er Jahren keine Anbindeställe mehr gebaut. Der Arbeitsaufwand bei dieser Haltungsform ist schlicht zu hoch und die Leistung der Tiere verglichen mit der Leistung in einem Laufstall zu niedrig. Die Anbindeställe und damit die entsprechenden Investitionen sind also längst abgeschrieben und abbezahlt. Dennoch sollte die Anbindehaltung nicht sofort verboten werden, damit Betriebe eine letzte Chance zum Umbau erhalten.
- Ein Verbot der Anbindehaltung gefährde die Almwirtschaft, weil angeblich einige Grünlandflächen nicht mehr bewirtschaftet werden würden: Die Almwirtschaft ist nicht mit einer bestimmten Stallhaltungsform verknüpft. Auch Betriebe, die ihre Tiere (ganzjährig oder nur im Winter) in einem Laufstall halten, können Almflächen bewirtschaften und/oder den Tieren Weidegang ermöglichen.
- Ein Verbot der Anbindehaltung würde den Strukturwandel beschleunigen und gerade bäuerliche Betriebe, welche von der Gesellschaft so gerne gewünscht werden würden, müssten schließen: Die Beschleunigung des Strukturwandels lässt sich nicht leugnen, da bisherige Betriebe mit Anbindehaltung eher klein sind und nicht für jeden Betrieb der Umbau oder Neubau eines Laufstalls für Rinder möglich ist. Aber ist Toleranz für Tierleid ein angemessener Preis, den man für die Aufrechterhaltung (klein-)bäuerlicher Strukturen in Kauf nehmen sollte? Wir als Antragsteller*innen meinen Nein und stehen damit nicht alleine da. Eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch kommt zu dem Ergebnis, dass 84 % der Befragten ein Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung in erst zehn Jahren für zu spät halten. Außerdem sprachen sich 63 % der Befragten auch für ein Verbot der saisonalen Anbindehaltung aus.
- Durch ein Verbot der Anbindehaltung wird die Produktion ins Ausland abwandern und die Ernährungssicherheit gefährdet: Auch wenn 35 % der Milchviehbetriebe in Deutschland die Anbindehaltung praktizieren, sind es nur 11 % der Milchkühe, die so gehalten werden, eben weil die Betriebe kleiner sind als der Durchschnitt. Deutschland exportiert mehr Molkereiprodukte als es importiert. Der Selbstversorgungsgrad lag 2023 bei 107 %. Da im Zuge aufgebender Betriebe mit Anbindehaltung einzelne Betriebe mit Laufstallhaltung die Bewirtschaftung der verfügbar werdenden Flächen übernehmen parallel dazu auch ihre Tierzahl erhöhen werden, dürfte allenfalls der Exportüberschuss bei Molkereiprodukten zurückgehen, aber sehr sicher nicht die Ernährungssicherheit bedroht werden.
- Die Anbindehaltung müsse man nicht regulieren. Die Haltungsform werde sowieso bald auslaufen. Deshalb sei es übertrieben die paar wenigen Anbindehaltungen zu verbieten: Dieser Satz wird von der Branche schon seit Jahrzehnten zur Beruhigung vorgetragen. Dabei widerspricht die Aussage von den nur noch wenigen Anbindehalter*innen dem Argument der angeblich bedrohten Ernährungssicherheit. Und nochmal: Die Prognose des Thünen-Instituts geht 2030 immer noch von über 11.000 Höfen mit Rindern in Anbindehaltung aus. Es ist Zeit, der Anbindehaltung ein gesetzliches Ablaufdatum zu geben statt bei dieser tierschutzwidrigen Haltungsform passiv wegzusehen und auf Zeit zu spielen.