Die Änderung hat drei Komponenten: Die Streichung des überflüssigen und irreführenden
zweiten Satzes (dazu unter I.), die Forderung nach einer Vereinfachung des Familiennachzugs
zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (unter II.) und die Forderung nach einer
Vereinfachung des Familiennachzugs zu gut integrierten Schutzsuchenden (unter III.).
I. Streichung des Satzes in Z. 210/11
Das Asylpaket II hat den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte bis zum 17. März
2018 ausgesetzt. Der erste der zitierten Sätze fordert völlig zu Recht – allerdings begrifflich
unsauber, weil auf alle Gruppen Geflüchteter bezogen – ein Ende dieser sachlich nicht
gerechtfertigten und unmenschlichen Praxis. Vgl. dazu auch den Antrag unserer BT-Fraktion
Drs. 18/10044.
Der zweite der zitierten Sätze („Auch für subsidiär geschützte Flüchtlinge wollen wir den
Familiennachzug ermöglichen.“) ist in verschiedener Hinsicht irreführend: Zunächst
vermischt die Formulierung die rechtliche Kategorie der „subsidiär Schutzberechtigten“ mit
jener der anerkannten „Flüchtlinge“ zur nicht existierenden Kategorie der „subsidiär
geschützten Flüchtlinge“. Des Weiteren suggeriert die Formulierung, wir wollten eine
Erweiterung der Rechte subsidiär Schutzberechtigter erreichen. Tatsächlich wollen wir „nur“
die zeitweise Aussetzung des rechtlich kodifizierten Anspruchs auf Familiennachzug für
subsidiär Schutzberechtigte aufheben, also den status quo von vor dem Asylpaket II
wiederherstellen.
Satz 2 fordert folglich im Ergebnis dasselbe wie Satz 1, ist aber begrifflich unsauber und
sollte deshalb gestrichen werden. In Satz 1 ist der Begriff der Geflüchteten durch die subsidiär
Schutzberechtigten auszutauschen.
II. Vereinfachung des Familiennachzugs zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
Nach § 36 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) haben unbegleitete Minderjährige
mit internationalem Schutz (subsidiär Schutzberechtigte und anerkannte Flüchtlinge – im
Folgenden: „UMF“) einen Anspruch auf den Nachzug ihrer Eltern. Dieser Nachzug gelingt in
der Regel ohne größere Schwierigkeiten. Problematisch ist häufig, was mit den
minderjährigen Geschwistern der UMF geschieht, die noch in der Obhut der Eltern im
Heimat- oder einem Drittstaat leben. Diese Kinder können derzeit gleichzeitig mit den Eltern
nur unter den engen Voraussetzungen des § 32 Absatz 1 oder § 36 Absatz 2 AufenthG
ausreisen. § 32 Absatz 1 AufenthG ermöglicht den Nachzug von Kindern zu ihren Eltern. Erforderlich
ist eine Aufenthaltserlaubnis der Eltern. Als Aufenthaltserlaubnis kann auch ein Visum der
Eltern nach § 36 Absatz 1 AufenthG dienen, das sie zum Zwecke des Elternnachzugs zum
UMF erhalten. In diesem Fall ist allerdings eine (beim Elternnachzug gemäß § 36 Absatz 1
AufenthG entbehrliche) Prüfung vorzunehmen, ob der Lebensunterhalt der Kinder ohne
Inanspruchnahme staatlicher Mittel gesichert ist. Das ist in nahezu allen Fällen
ausgeschlossen. Von dieser Lebensunterhaltsprüfung kann nur in Ausnahmefällen abgesehen
werden. Diese Ausnahmefälle sind in der Praxis sehr schwer zu begründen.
Dasselbe gilt für die einzige weitere Möglichkeit eines gleichzeitigen Nachzugs der
minderjährigen Geschwister der UMF: Nach § 36 Absatz 2 AufenthG kann „sonstigen
Familienangehörigen“ der Familiennachzug zu den UMF (nur) zur Vermeidung einer
„außergewöhnlichen Härte“ gewährt werden. Unter die sonstigen Familienangehörigen fallen
insbesondere auch die minderjährigen Geschwister von UMF. Der Begriff der
„außergewöhnlichen“ Härte auferlegt den Betroffenen die höchstmögliche Darlegungslast.
Als außergewöhnliche Härte ist nach der ausdrücklichen verwaltungsgerichtlichen
Rechtsprechung nicht der Umstand anerkannt, dass die minderjährigen Geschwister im Falle
des Elternnachzugs zum UMF allein in ihrem Heimatland oder einem Drittstaat zurückblieben
(vgl. etwa jüngst OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22. Dezember 2016 – OVG 3 S 98.16).
Andererseits besteht jedoch die Möglichkeit, dass die minderjährigen Geschwister – nachdem
auch die Eltern in Deutschland als international Schutzberechtigte anerkannt wurden – im
Wege des Familiennachzugs eine Aufenthaltserlaubnis ohne Lebensunterhaltsprüfung
erhalten. Das führt dazu, dass in der Regel sowohl die Eltern als auch die minderjährigen
Geschwister nachziehen können – allerdings unterbrochen von langen Perioden der
Unsicherheit und unter Inkaufnahme des Zurücklassens der minderjährigen Geschwister im
Herkunfts- bzw. Aufenthaltsland für die Dauer des Familiennachzugs zu den dann in
Deutschland lebenden Eltern. Die aktuelle Gesetzeslage stellt folglich Eltern vor die
unmögliche Wahl, nach Deutschland nachzuziehen und die übrigen Kinder (vorübergehend)
zurückzulassen oder das Kind in Deutschland seinem Schicksal zu überlassen.
Das ist unmenschlich und entbehrt jeder sachlichen Rechtfertigung: Wenn einerseits der
Nachzug der Eltern zum UMF und andererseits der anschließende Nachzug der
minderjährigen Geschwister zu den Eltern für gerechtfertigt gehalten wird – warum kann der
Nachzug dann nicht gleichzeitig erfolgen? Und: Wäre ein Elternteil vorausgereist, hätte es
unproblematisch das andere Elternteil und die minderjährigen Kinder auf einmal nachholen
können. Warum soll die Familie schlechter stehen, wenn eines der minderjährigen Kinder sich
nach Deutschland durchgeschlagen hat statt eines der Elternteile?
Ein Gleichlauf des Familiennachzugs der Eltern und der minderjährigen Geschwister eines
anerkannten UMF entspräche aber vor allem dem Kindeswohl: Die allein in Deutschland
lebenden Minderjährigen leiden regelmäßig sehr darunter, wenn ihre Eltern vor der oben
beschriebenen, unmöglichen Wahl stehen. Entweder ziehen die Eltern nach Deutschland und
die UMF müssen sich um ihre zurückbleibenden Geschwister sorgen; oder die Eltern bleiben
bei den (häufig jüngeren) Geschwistern und die UMF müssen auch künftig allein
zurechtkommen.Schließlich würde die vorgeschlagene Gesetzesänderung auch der nach Artikel 6 des
Grundgesetzes besonders geschützten Familie insgesamt dienen, weil die Änderung
bestehende Trennungen überwinden und neue Trennungen vermeiden könnte.
Gesetzestechnisch könnte das einfach umgesetzt werden, z.B. durch eine Einfügung der
Worte „und den minderjährigen Geschwistern“ nach den Worten „Den Eltern...“ in § 36
Absatz 1 AufenthG, sodass die Vorschrift künftig verkürzt hieße: „Den Eltern und den
minderjährigen Geschwistern eines minderjährigen Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis
nach (...) besitzt, ist abweichend von [dem Erfordernis einer Lebensunterhalts- und
Wohnraumprüfung] eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen (...).“
III. Vereinfachung des Familiennachzugs zu gut integrierten Schutzsuchenden
Bei der Prüfung des Anspruchs auf Familiennachzug zu anerkannten Schutzberechtigten ist
von einer Wohnraum- und Lebensunterhaltsprüfung abzusehen, wenn der Antrag auf
Familiennachzug innerhalb von drei Monaten seit Anerkennung als Schutzberechtigter
gestellt wird und eine Familienzusammenführung in einem Drittstaat nicht möglich ist (§ 36
Absatz 2 Satz 2 AufenthG).
Wurde der Antrag später gestellt oder ist eine Familienzusammenführung in einem Drittstaat
möglich, so können die Behörden von einer Prüfung ausreichenden Wohnraums und
Lebensunterhalts absehen (sog. Ermessensentscheidung nach § 36 Absatz 2 Satz 1 AufenthG).
Ob die Behörden eine solche Prüfung vornehmen, ist von entscheidender Bedeutung, weil die
allerwenigsten hier anerkannten Schutzberechtigten im Zeitpunkt der Antragstellung
ausreichenden Wohnraum und Lebensunterhalt für ihre nachzugswillige Familie nachweisen
können. Das hängt auch damit zusammen, dass z.B. für die Dauer des Integrationskurses eine
ordentliche Beschäftigung nicht gestattet ist. Die Frage ist auch praktisch relevant, weil etwa
viele syrische Flüchtlinge darauf verwiesen werden, sie könnten auch in der Türkei oder im
Libanon als Familie zusammenleben.
Die Verfahrenshinweise mancher Bundesländer (so etwa in Berlin) sehen für die
Ermessensentscheidung des § 36 Absatz 2 Satz 1 AufenthG vor, dass im Falle erkennbarer
Integrationsbemühungen das Ermessen dahingehend ausgeübt werden solle, dass eine
Wohnraum- und Lebensunterhaltsprüfung nicht vorgenommen wird. Die Praxis ist jedoch
leider anders. Andere Länder geben ihren Behörden für die Ausgestaltung des
Ermessensgebrauchs keine (öffentlich zugänglichen) Leitlinien an die Hand.
Es ist deshalb geboten, Kriterien für die Ermessensentscheidung vorzugeben. Ernsthafte
Integrationsbemühungen (Integrationskurse, Sprachkurse, Ausbildung, Bemühungen um
einen Arbeitsplatz, Ausübung einer Beschäftigung etc.) bieten die größte Gewähr dafür, dass
eine nachgezogene Familie langfristig nicht von Sozialleistungen abhängt. § 36 Abs. 2
AufenhtG könnte um entsprechende ermessenslenkende Regelbeispiele ergänzt werden, wie
sie bereits in einzelnen Verfahrenshinweisen der Ausländerbehörden enthalten sind.
Der obige Änderungsvorschlag fordert eine Berücksichtigung von Integrationsleistungen bei
der Familienzusammenführung, während er den genauen Umsetzungsmechanismus offenlässt.
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