Begründung:
Grüner Anspruch war es immer, Flüchtlingspolitik vom Menschen aus zu denken und die Rechte des Flüchtlings in den Mittelpunkt zu stellen. Daran sollte festgehalten werden, denn das unterscheidet uns von der Politik der Koalition: Bundeskanzlerin Merkel haben wir unterstützt, weil sie sich im Sommer 2015 der Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien und anderen Verfolgerstaaten nicht entgegenstellte. Ihre Regierung haben wir kritisiert und kritisieren wir weiterhin, weil sie die Aufnahme zahlreicher Flüchtlinge zum Anlass nimmt, um menschenrechtliche Schutzpositionen auszuhöhlen. Damit gefährdet sie nicht nur einzelne Schutzsuchende, sondern relativiert die Menschenrechte als Maßstab unserer Politik auf grundlegende Weise. Dem müssen wir uns entgegenstellen. Das kommt in diesem Änderungsantrag bereits in der Überschrift zum Ausdruck, die den Schutz der Flüchtling an erster Stelle und die Bekämpfung der Fluchtursachen an zweiter Stelle nennen soll – nicht andersrum.
Dementsprechend soll an erster Stelle im flüchtlingspolitischen Kapitel unseres Wahlprogramms nicht die Fluchtursachenbekämpfung stehen, die zwar wichtig ist, aber oftmals kein genuin flüchtlingspolitisches Thema ist. Nicht von ungefähr entfaltet der UNHCR in diesem Bereich kaum Aktivitäten; vielmehr obliegt die Fluchtursachenbekämpfung aus gutem Grund den Entwicklungs- und Außenressorts der Bundesregierung sowie den entsprechenden internationalen Organisationen. Der Versuch, Fluchtursachenbekämpfung letztendlich als Kern der Flüchtlingspolitik zu verstehen, ist ein genuin konservativer Ansatz, der in Deutschland vom Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit vertreten wird. Von seinem Ansatz unterscheidet sich unser Ansatz bei der Fluchtursachenbekämpfung grundsätzlich; dennoch sollten wir die Fluchtursachenbekämpfung auch bei unseren flüchtlingspolitischen Prioritäten – anders als die Konservativen – nicht an erster Stelle nennen.
An erster Stelle sollte bei uns vielmehr die Gewährleistung rechtsstaatlicher Asylverfahren stehen. Die Koalition hat große gesetzgeberische Kraft entfaltet, um den Flüchtlingsstatus auszuhöhlen und Verfahrensrechte zu beeinträchtigen; auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird von Nichtregierungsorganisationen und Wohlfahrtsverbänden stark kritisiert, weil es die Einhaltung asylrechtlicher Vorgaben im Asylverfahren nicht gewährleistet. Das gilt es zu ändern. Deshalb spricht sich dieser Änderungsantrag für eine Verbesserung der Qualitätssicherung beim BAMF aus und wendet sich gegen menschenrechtlich höchst problematische Konzepte in der Flüchtlingspolitik: sichere Herkunftsstaaten und Drittstaaten einerseits, Beschränkungen sozialer und wirtschaftlicher Rechte andererseits.
Angesichts der laufenden Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist offenbar, dass Flüchtlingspolitik nicht national betrachtet, sondern europäisch gedacht werden muss. Daher sprechen wir uns für eine menschenrechtskonforme Ausgestaltung des europäischen Flüchtlingsrechts aus. Insbesondere fordert der Änderungsantrag, dass Resettlement wieder als Instrument eines effektiven internationalen Flüchtlingsschutzes eingesetzt und nicht zum Instrument der Abschottung im Rahmen des EU-Türkei-Deals pervertiert wird. Auch Flüchtlingen aus entfernteren Weltgegenden sollten Aussicht auf eine Neuansiedlung in Deutschland bzw. Europa haben können. Die Hotspots sind seit dem EU-Türkei-Deal in Griechenland zu geschlossenen Lagern verwandelt worden, in denen der Zugang zu fairen Asylverfahren erheblich erschwert wurde. Deshalb können die Hotspots nicht mehr als Blaupause für eine zukunftsweisende Ausgestaltung des europäischen Flüchtlingsrechts dienen. Die entsprechende Passage des Wahlprogrammentwurfs soll daher gestrichen werden.
Integrationspolitisch sollte im Programm unsere langjährige Forderung nach einem Anspruch von Asylsuchenden auf Teilnahme an den Integrationskursen ausdrücklich verankert werden. Eine wichtige integrationspolitische Baustelle, die wir angehen sollten, ist außerdem die Gestaltung von Übergängen in der Bildungsbiografie. Bei allen integrationspolitischen Fragen sollte wiederum der Mensch im Mittelpunkt stehen und Integration daher als partizipativer Prozess verstanden werden.
Im Übrigen dient der Änderungsantrag der Beseitigung von rechtlichen Fehlbewertungen (Verfolgungsbegriff vs. Vertreibungsbegriff; Großzügigkeit des deutschen Asylsystems…) und holprigen Formulierungen sowie der Herstellung einer größeren argumentativen Stringenz.
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