Veranstaltung: | 41. Bundesdelegiertenkonferenz Berlin |
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Tagesordnungspunkt: | FH.FH-SF Wir sorgen für Sicherheit und erhalten die Freiheit |
Antragsteller*in: | Landesvorstand Hessen (dort beschlossen am: 02.05.2017) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 05.05.2017, 15:06 |
FH-SF-02: Wir sorgen für Sicherheit und erhalten die Freiheit
Antragstext
Freiheit, Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechte gehen alle an. Sie zu schützen ist die
Aufgabe der gesamten Gesellschaft.
Die Voraussetzungen für ein freies, selbstbestimmtes Leben zu schaffen, ist das Ziel der
Sicherheitspolitik von Bündnis 90/Die Grünen. Wir wollen auch künftig selbst entscheiden,
wohin unsere Gesellschaft sich entwickelt, wen wir lieben, wie wir uns kleiden, welche Wege
wir für unser eigenes Leben wählen.
Das deutsche Grundgesetz gibt allen Bürgerinnen und Bürgern gleiche Rechte. Es schließt
Diskriminierung wegen Geschlecht, sexueller Orientierung, Abstammung, Sprache, Herkunft,
Glauben, religiöser oder politischer Anschauungen oder Behinderung aus und garantiert die
Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Bürgerinnen und Bürger kontrollieren über Öffentlichkeit
und Parlamente das staatliche Handeln. Dadurch entsteht die wichtigste Ressource jeder
Sicherheitspolitik: Das Vertrauen und die praktische Unterstützung der Bevölkerung.
In demokratisch verfassten Gesellschaften geht es nicht mehr darum, den Staat vor seinen
Bürgern zu schützen. Aufgabe der Sicherheitsinstitutionen ist es vielmehr, die Rechte der
Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen und neue wie alte Gefahren für Freiheit und Sicherheit
wirksam zu bekämpfen. Die Garantie der Menschenrechte ist dabei der Maßstab, an dem wir
unsere Politik messen. Wir Grüne setzen uns deshalb für gut ausgestattete, ausgebildete und
geführte sowie demokratisch verantwortete Institutionen von Polizei, Justiz und
Nachrichtendiensten ein. Diese müssen nicht nur wirksam und vorausschauend handeln, sondern
auch lernen, das eigene Handeln in Frage zu stellen, Fehler zu korrigieren und erfolgreiche
Strategien weiter zu verbessern.
Der schreckliche Anschlag vom Berliner Breitscheidplatz hat sich gegen unsere Freiheit und
unsere demokratische Selbstbestimmung gerichtet. Die islamistischen Ideologen werden damit
keinen Erfolg haben. Dasselbe gilt für rassistische und antidemokratische Organisationen,
die sich gegen Freiheit, Demokratie und Menschenrechte wenden. Wir fordern eine konsequente
Aufklärung aller terroristischen Taten und deren effektive Prävention. Zugleich wenden wir
uns im politischen Kampf gegen diejenigen Kräfte, die sich innerhalb des parlamentarischen
Systems die unsere demokratische Ordnung angreifen und menschenfeindlichen Ideologien den
Boden bereiten.
Erfolgreiche Sicherheitspolitik ist eine Politik, die für Freiheit kämpft. Sie ist kein
Monopol angeblicher „Sicherheitsexperten“, die aus jedem Ereignis in der Welt eine
Verschärfung irgendeines Paragraphen zu folgern in der Lage sind. Viele vermeintliche
Sicherheitsdebatten beschäftigen Öffentlichkeit und Bevölkerung mit Scheinproblemen (ein
Beispiel ist die Erklärung von Staaten zu „sicheren Herkunftsstaaten“), während vorhandene
rechtliche Regelungen wie im Fall Anis Amri „übersehen“ und die Verantwortung zwischen
schlecht koordinierten Behörden hin und her verschoben wird.
Gegen Effekthascherei: Weg von einer ideologischen und hin zu einer wirksamen
Sicherheitspolitik
Auch wenn populistische Ideologen das glauben machen wollen: Unsere Sicherheit wird nicht
durch zu viel Freiheit und Rechtsstaatlichkeit gefährdet. Deutschland verdankt sinkende
Verbrechenszahlen nicht zuletzt den Erfolgen der Strafrechtsreformen der letzten Jahrzehnte.
Wir stehen zu diesen Reformen - z. B. einem vernünftigen, menschenrechtskonformen
Strafvollzug, einem erziehungsorientierten Jugendstrafrecht, einem modernen Sexualstrafrecht
- die gegen den düsteren Teil der Traditionen der deutschen Justiz- und Sicherheitsbehörden
erkämpft wurden. Attacken gegen wissenschaftliche Vernunft und praktisches Expertenwissen
sind für uns nicht akzeptabel. Ideologische Scharfmacherei schafft nicht mehr, sondern
weniger Sicherheit. Schärfere Strafen oder Einschränkungen des Jugendstrafrechtes verhindern
keine Verbrechen. Gefängnisstrafen für Bagatelldelikte sind schon deshalb so weit als
möglich zu vermeiden, weil alle Erfahrungen zeigen, dass das Gefängnis ein zentraler Ort von
Radikalisierung und Professionalisierung politischer wie gewöhnlicher Krimineller und
Terroristen ist.
Sicherheit in einem starken Rechtsstaat
Die gegenwärtige Regierung vermittelt das Bild eines hilflosen Staates, der von jedem
Anschlag überrumpelt wird und der Kriminalität beständig hinterherhinkt. Dazu hat
beigetragen, dass das seit zwölf Jahren CDU/CSU-geführte Bundesinnenministerium auf neue
sicherheitspolitische Herausforderungen immer die gleichen hilflosen Antworten gibt. Anstatt
Fehler zu analysieren und abzustellen forciert es Gesetzesverschärfungen im
Hauruckverfahren, deren Folgen nicht abgeschätzt werden. Im besten Fall sind sie
sicherheitspolitische Placebos, im schlechtesten Fall stellen sie wichtige Grundsätze des
Rechtsstaats in Frage.
Wir stellen dagegen das Konzept der bürgernahen Sicherheit: Einer personell und materiell
gut ausgestatteten, zielgerichtet arbeitenden Polizei und einer auf klaren rechtsstaatlichen
Prinzipien beruhenden Arbeit der Nachrichtendienste sowie eines geregelten
Informationsaustauschs der deutschen sowie der europäischen Sicherheitsbehörden. Damit
sogenannte „Gefährdern“ wirksam, zuverlässig und bundeseinheitlich und nach klaren
rechtsstaatlichen Regeln überwacht werden können ist eine eindeutige Definition des Begriffs
Gefährder*in durch den Gesetzgeber erforderlich.
Für mehr Sicherheit brauchen wir fachkundige und professionelle Polizeiarbeit sowie eine
motivierte, vielfältige, personell und sachlich ihren Aufgaben angemessen ausgestattete
Polizei. Dafür setzen sich unsere grünen Landesregierungen flächendeckend ein. Die Polizei
muss auch als Arbeitgeber attraktiv und in der Gesellschaft anerkannt sein.
Die Einsparungen der vergangenen Jahre bei der Bundespolizei waren ein Fehler. Während die
Kriminalität insgesamt sinkt, bereiten Deliktformen wie Wohnungseinbrüche vielen Menschen
Sorge. Gegen solche, in manchen Fällen auch überregional vernetzte Kriminalität setzen wir
zielgerichtete, länderübergreifende Polizeizusammenarbeit sowie auf verstärkte Prävention
und Aufklärung.
Unser Ziel ist eine Polizei, die an der Seite der Menschen für Sicherheit sorgt und zugleich
für eine lebendige Demokratie eintritt. Auch deshalb setzen wir uns für unabhängige
Polizeibeauftragte als Ansprechpartner für Beamt*innen wie Bürger*innen ein, so wie sie
mehrere grün-mitregierte Länder bereits eingeführt haben.
Das ineffiziente Nebeneinander von Bundespolizei, Zollpolizei und Bundeskriminalamt wollen
wir beenden. Weil Terror und internationale Kriminalität keine Grenzen kennen, müssen
Sicherheitsbehörden international nach klaren rechtsstaatlichen Regeln, gemeinsamen
Grundrechtsstandards und parlamentarisch kontrolliert zusammenarbeiten. Europa hat eine
gemeinsame Verantwortung für ein europäisches Grenzregime, das den Schutz der Menschenrechte
zur Grundlage hat, Rechtssicherheit garantiert sowie das Vertrauen in das Schengen-System
stärkt. Den immer wieder geforderten Einsatz der Bundeswehr im Innern lehnen wir als
gefährlichen Unsinn ab. Ein wirksames Mittel, um Terrorakte und Amoktaten zu verhindern, ist
die Erschwerung des Zuganges zu Waffen. Es ist immer noch viel zu einfach, an illegale
Schusswaffen und umgebaute Dekorationswaffen zu gelangen.
Videoüberwachung oder Videobeobachtung kann an Orten mit hoher Kriminalitätsbelastung und
gefährdeten öffentlichen Orten eine sinnvolle Maßnahme sein. Auch hier ist der Gesetzgeber
gefragt, damit die Rahmenbedingungen für derartige Maßnahmen sowie die Möglichkeiten zu
ihrer parlamentarischen Überprüfung rechtsstaatlich verbindlich geklärt werden. Zugleich
weisen wir aber darauf hin, dass Kameratechnik keine Polizeistreifen ersetzt.
Gewaltmonopol des Rechtsstaates durchsetzen
Wir Grüne stehen für gewaltfreie Formen des politischen Protestes und für das Gewaltmonopol
des Rechtsstaates. Gewalttäter sind – gleich welche Begründung sie für ihre Handlungen
vortragen – in den dafür vorgesehenen Verfahren zur Verantwortung zu ziehen.
Die Zahl rechtsextremer Straftaten hat in den letzten Jahren ein Rekordniveau erreicht. Es
gibt inzwischen in Deutschland Regionen, in die Menschen anderer Herkunft oder Hautfarbe
sich nicht mehr trauen – eine Schande für den Rechtsstaat. Deshalb ist es eine absolut
vordringliche Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass sich alle Menschen unabhängig von
ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Identität oder Religion frei und sicher
bewegen können – egal ob in Berlin, Sachsen oder Baden-Württemberg. Sicherheitsbehörden und
Justiz müssen so ausgestattet werden dass sie rechtsstaatliche Verhältnisse überall
garantieren können, indem sie rassistische und andere extremistische Straftaten konsequent
ahnden und Strategien für den Schutz von Minderheiten entwickeln.
Wir wollen den Schutz für Opfer rechter Gewalt verbessern. Wer Opfer von rassistischer
Gewalt geworden ist, sollte nicht abgeschoben werden.
Zäsur beim Verfassungsschutz
Das Versagen gegenüber dem rechtsterroristischen NSU hat deutlich gemacht: Das Bundesamt für
Verfassungsschutz war in der Vergangenheit häufig nicht in der Lage, angemessene Strategien
gegen gefährliche Entwicklungen am rechten Rand zu entwickeln. Auch die zweifelhafte Rolle
des Verfassungsschutzes beim Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz weist auf schlimme
Fehleinschätzungen hin.
Wir wollen daher die Verfassungsschutzbehörden grundlegend reformieren Wir wollen das
aktuelle Bundesamt für Verfassungsschutz durch ein personell und strukturell reformiertes
Bundesamt zur Gefahren- und Spionageabwehr ersetzen, das mit nachrichtendienstlichen Mitteln
klar abgegrenzt von polizeilichen Aufgaben arbeitet Die allgemeine Beobachtung demokratie-
und menschenfeindlicher Bestrebungen soll ein unabhängiges Institut zum Schutz der
Verfassung übernehmen, das ausschließlich öffentliche Quellen nutzt und auch das breite
Wissen zivilgesellschaftlicher Institutionen für seine Analysen nutzt. Bisher sind
Wissenschaft und engagierte Zivilgesellschaft regelmäßig besser informiert als das Bundesamt
für Verfassungsschutz.
Menschenrechtliches Engagement und Prävention stärken
Vereine, Initiativen und Kirchen engagieren sich seit Jahren für mehr Demokratie. Das wollen
wir besser anerkennen und ihre finanzielle Ausstattung sicherstellen. Wo immer Bürgerinnen
und Bürger sich gegen Nazis engagieren durch Bildungs- und Beratungsarbeit, durch Demos und
friedliche Blockaden von Nazi-Aufmärschen oder in der antifaschistischen Einhornaktion,
haben sie unsere volle Unterstützung und Solidarität.
Wir müssen alles unternehmen, damit junge Menschen erst gar nicht in menschenverachtende und
Gewalt verherrlichende Ideologien abgleiten. Deshalb fordern wir die Förderung von
Demokratie- und Medienkompetenz junger Menschen sowie eine Stärkung von Beratungsstellen,
Jugendverbänden und aufsuchender Jugendarbeit. Dazu gehören auch Justizvollzugsanstalten,
denn sie waren in der Vergangenheit ebenfalls Stationen der Radikalisierung.
Wir wollen die Präventionsprogramme gegen Rechtsextremismus sowie gewaltbereiten Islamismus
und Salafismus massiv ausbauen und Programme zur Deradikalisierung und für Aussteiger
insbesondere aus der rechtsextremen und islamistischen Szene stärken. Dabei haben für uns
die wirksamen zivilgesellschaftlichen Ansätze Vorrang. Moscheegemeinden und im Besonderen
ihre Imame sind in der Verantwortung, ihren Beitrag zur Prävention und Verhinderung der
Radikalisierung von Jugendlichen zu leisten.
Bund, Länder, Kommunen und zivilgesellschaftliche Institutionen sollen dabei gemeinsam in
einem bundesweiten Präventionszentrum arbeiten. Dieses Zentrum soll sich nicht nur mit
politisch motivierter, sondern auch mit anderen Formen der Kriminalität befassen und die
erheblichen Potentiale von Präventionsprogrammen in diesem Bereich wirksam machen.
Wer Grün wählt, stimmt für diese drei Projekte:
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Rechtsstaatliche Verhältnisse für alle
Wir sehen es als absolut vordringliche Aufgabe der Politik an, dafür zu sorgen, dass sich
alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Identität
oder Religion frei und sicher bewegen können. Polizei und Justiz müssen dafür sorgen, dass
rechtsstaatliche Verhältnisse wieder im gesamten Bundesgebiet gelten, indem sie rassistische
und andere menschenrechtsfeindliche Straftaten konsequent ahnden und Strategien für den
Schutz von Minderheiten entwickeln. Die personellen und organisatorischen Voraussetzungen
hierfür müssen umgehend geschaffen werden.
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Präventionsstrategien zu Schwerpunkt machen
Viele Initiativen, Vereine oder Kirche machen sich gegen Nazis und für eine weltoffene
Demokratie stark. Zivilgesellschaftliche Institutionen, die durch
Deradikalisierungsprogramme, Opferberatung oder Präventionsprojekte wichtige Arbeit gegen
rassistisch oder islamistisch motivierte Gewalt leisten, verdienen staatliche und politische
Unterstützung und Anerkennung. Wir Grüne wollen sie deshalb auch finanziell wirksam
stärken.Wir wollen zugleich eine umfassende und wirkungsvolle Präventionsstrategie gegen
gewaltbereiten Islamismus entwickeln und umsetzen. Präventionsstrategien bieten darüber
hinaus erhebliche Potentiale für die allgemeine Kriminalitätsbekämpfung. Sie sollen durch
ein bundesweites Präventionszentrum koordiniert werden und alle relevanten staatlichen und
zivilgesellschaftlichen Akteure vernetzen. Dazu gehören: verschiedene Ressorts der
Bundesregierung, die Sicherheitsbehörden, Länder und Kommunen sowie Jugendhilfe,
Jugendverbände, Demokratieinitiativen, islamische Organisationen, Wissenschaft und Medien.
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Polizei stärken, Sicherheitsbehörden reformieren
Für mehr Sicherheit braucht es einen rationalen Ansatz, grundlegende Reformen und mehr
Ressourcen. Die Bundespolizei muss personell und technisch besser ausgestattet werden. Das
ineffiziente Nebeneinander von Bundespolizei, Zollpolizei und Bundeskriminalamt wollen wir
beenden. Die kriminalpolizeilichen Aufgaben des Bundes sollen beim Bundeskriminalamt
konzentriert werden. Wir brauchen einen Neustart beim Verfassungsschutz. Statt des
Bundesamtes für Verfassungsschutz in seiner ineffektiven aktuellen Form wollen wir ein
personell und strukturell völlig neues Bundesamt zur Gefahren- und Spionageabwehr gründen,
das klar abgegrenzt von polizeilichen Aufgaben arbeitet. Wir brauchen außerdem ein
verschärftes Waffenrecht. Alle gefährlichen Waffen müssen lückenlos registriert und die
Eignung und Zuverlässigkeit der Besitzer regelmäßig geprüft werden. Wir wollen eine
europaweit einheitliche Kennzeichnung und gemeinsame Standards für die Deaktivierung von
Feuerwaffen einführen.
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Begründung
Schwächen des alten Entwurfs: Der vorhandene Text handelt bereits in der dritten Zeile von dem, was die Feinde der Freiheit bzw. die politischen Gegner wollen. Er macht nicht die eigenen Ziele stark, sondern arbeitet sich an den Gegnern und Fehlern oder auch Mißerfolgen ab. Das ist unter Kommunikationsgesichtspunkten kontraproduktiv: Man stärkt bekanntlich auch dann die Argumentation des Gegners, wenn man sie kritisch referiert. Der gesamte Antragstext FH-SF-01 wirkt deshalb extrem defensiv. Zentrale grüne und liberale Forderungen tauchen nicht mehr auf, offenbar aus Angst vor populistischen Angriffen. Es gibt für eine derart übertrieben defensive Haltung weder sachliche noch politische Gründe. Vor zwei Jahren haben Bündnis 90/Die Grünen sich als Partei der Freiheit öffentlich präsentiert. Die ängstliche und in Teile widersprüchliche Darstellung des eigenen Staatsverständnisses „ex negativo“ reicht nicht aus, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Dem vorliegenden Entwurf gelingt deshalb nicht einmal im Ansatz, eine Programmatik für die glaubwürdige Übernahme von Sicherheitsverantwortung und die Führung von sicherheitsrelevanten Institutionen vorzulegen, wie es der Anspruch von Bündnis 90/Die Grünen sein muss.
Begründung für die neue Textfassung (Zeilen auf den alten Entwurf bezogen): Der neue Text betont die Zentralität der Menschenrechte. Er geht von der Ebene der Werte und Ziele aus und kommt dann zu den Institutionen und ihrer politischen Gestaltung. Zentraler Begriff ist der des gesellschaftlichen Vertrauens in Verbindung mit der Forderung nach demokratischer Offenheit der Arbeit der Institutionen. Einzelne Argumentationen, etwa die Ablehnung von Gesetzesverschärfungen als Allheilmittel, werden übernommen.
Zeilen 31 neuer Absatz: Anscheinend aus Angst vor populistischen Angriffen verzichtet der vorliegende Text darauf, die Verwurzelung grüner Sicherheitspolitik in der Tradition einer modernen, freiheitlichen Justizpolitik auch nur zu erwähnen.Das ist politisch ein Fehler. Da unsere Haltung als bekannt vorausgesetzt werden kann, wirkt es opportunistisch und unglaubwürdig, wenn wir sie nicht offen benennen und aktiv für sie eintreten. Außerdem zeigt die Erfahrung, dass liberale Justiz- und Strafvollzugssysteme bei der Verbrechensbekämpfung erfolgreicher sind als alle populistischen Strafphantasien. Damit sollten wir punkten. Auch wenn das bei der Bild-Zeitung nicht leicht sein wird, sind unsere Wählerinnen und Wähler klug genug, den Gedanken zu erfassen.
Zeilen 32-72: Die Forderungen zur Stärkung der Polizei bzw. zum Umbau der Sicherheitsinstitutionen werden in sprachlich modifizierter Form übernommen. Die Videoüberwachung, deren Ausweitung in vielen Fällen im Programm nicht abgelehnt wird, bedarf einer besseren rechtsstaatlichen Fundierung durch den Gesetzgeber. Im bisherigen Text fehlt dieser Hinweis.
Die im alten Entwurf formulierte, radikal klingende (tasächlich aber ebenso selbstverständliche wie schwierig zu realisierende Forderung, „Gefährder“ lückenlos zu überwachen und „bei Bedarf festzusetzen“ wird durch die Forderung nach einer rechtsstaatsverträglichen Definition dieses Begriffs durch das Parlament ergänzt. Diese wäre Voraussetzung für wirksames bundeseinheitliches Handeln der Behörden.
Zeilen 73-92: Der erste Satz Zeile 73 klingt wie eine Erfolgsmeldung des politischen Gegners, dem wachsender Einfluss bescheinigt wird und wurde deshalb gestrichen. Die nächsten Sätze wurden modifiziert übernommen. Die Formulierung „Keinen Fußbreit den Faschisten“ ist linker Agitprop aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Sie machte damals (angesichts des Staates der Weimarer Republik, dessen Vertreter insbesondere bei der Polizei, diese ablehnten, verständlich) die physische Auseinandersetzung auf der Straße zum entscheidenden Faktor bei der Bekämpfung rechtsradikaler Strömungen. Im Programm einer gewaltfreien Partei, die das Gewaltmonopol des Staates zur Grundlage ihrer Politik gemacht hat, hat eine solche Formulierung nichts verloren. Im Entwurfstext führt die historisierend-heroisierende „linke“ Selbstüberschätzung dazu, dass die Verpflichtung des Rechtsstaates und seiner Institutionen, Sicherheit für alle seine Bürger*innen zu garantieren, im Programm nicht formuliert wird. Der Skandal, dass viele Menschen anderer Herkunft, Religion oder sexueller Orientierung sich nicht überall in Deutschland selbstverständlich angstfrei bewegen können, wird nicht einmal benannt. Dass Gewalt immer nur von rechten oder islamistischen Gruppen oder Individuen ausgeht, wie der Text nahelegt, trifft im Übrigen nicht zu – die nächste (politisch für die Wahl relevante) Gelegenheit, sich von dieser Tatsache zu überzeugen, wird der G-20-Gipfel in Hamburg bieten. Deshalb wird die Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols sowie eine prinzipielle Ablehnung von Gewalt im neuen Text betont. Entsprechend wird später das erste der drei Projekte neu formuliert: Die Aufgabe, die Freiheitsrechte aller in Deutschland tatsächlich durchzusetzen, ist eine Pflicht des Staates, zu der die Zivilgesellschaft in begrenztem Umfang beitragen kann – nicht umgekehrt.
Zeilen 93-110: Dass Bundesamt für Verfassungsschutz „dauerhaft auf dem rechten Auge blind“ sei, ist offenbar nicht zu belegen. Die polemischen Formulierungen wurden deshalb abgeschwächt. Ein „personell und strukturell völlig neues Bundesamt“ gründen zu wollen, ist erkennbar überzogen und praktisch nicht realisierbar. Ob die Aufteilung in ein öffentliche Quellen und ein zweites, geheimdienstliche Quellen nutzendes Amt sinnvoll ist, sei dahin gestellt; die Forderung wurde trotzdem übernommen.
Zeilen 111-129: Im vorhanden Text wurden Wiederholungen korrigier und Formulierungen geändert. So wurde die geforderte „Bildungsoffensive in Kindertagesstätten und Schulen“ gestrichen (man muss der heute-show nicht noch die Arbeit erledigen).
Zeile 131-140: Das Projekt stellt ausdrücklich fest, dass es die Pflicht des Staates ist, die Menschenrechte aller zu schützen. Die in der alten Fassung enthaltene Forderung, zivilgesellschaftliche Institutionen für wichtige Arbeit – Opferberatung, Prävention etc. – zu fördern, wurde in die neuen Formulierung des 2. Projektes verschoben. Hingegen wird der Vorschlag für ein „Demokratiefördergesetz“ nicht übernommen. Ein solches Gesetz ist überflüssig und kontraproduktiv. Entweder die Demokratie überzeugt durch ihre Institutionen und die Personen, die sie vertreten – oder, wenn ihr das nicht gelingt, ist ihr durch eine Gesetz, das ein paar Millionen vom Staat auf die „Zivilgesellschaft“ umverteilt (die eigentlich ja dadurch definiert ist, dass sie staatsfern und staatsunabhängig handelt) auch nicht zu helfen. Ein solches Gesetz als Bundesgesetz ist in der Partei, soweit bekannt, nicht diskutiert worden. Die Gefahr ist groß, dass es zum Rohrkrepierer würde. Wer genau soll warum als „Demokrat“ gefördert werden? Sportvereine? Die CSU-Ortsgruppe irgendwo? Wo liegen die Grenzen für ei solches Vorhaben, wie soll es finanziell ausgestattet werden? Wie verhält sich ein solches Bundesgesetz zu den zahllosen Möglichkeiten auf Landes- und kommunaler Ebene, sinnvolle Arbeit vor Ort zielgenau zu fördern? Die Vermutung, die Grünen agierten hier als Lobbyorganisation, um ihre Klientel (die ebenso denkt wie sie selbst) zu finanzieren, würde jede Diskussion beherrschen. Der Satz: „Jeglichen staatlichen Generalverdacht und Druck gegen zivilgesellschaftliche Akteure, etwa anlasslose Überwachungen durch den Verfassungsschutz, lehnen wir ab“ am Ende dieses Absatzes wurde gestrichen. Er passt dort nicht hin (was hat er mit dem Thema des Absatzes bzw dem Projekt zu tun?). Im Übrigen ist „anlasslose“ Überwachung exakt die Aufgabe von Nachrichtendiensten, weil sie der Polizei nicht erlaubt ist. Wenn man es genau nimmt, wird durch diese Formulierung in einem Nebensatz die Abschaffung von Geheimdiensten gefordert. Dazu bedürfte es allerdings eines bewusst gefassten Beschlusses auf der Bundesversammlung.
Zeile 141-150: Die Forderungen zum Thema Prävention und Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen, die im alten Text teilweise im 1. Projekt standen, werden in dieser Fassung zusammengeführt und um die Forderung nach Stärkung von Prävention auch im Bereich der allgemeinen Kriminalitätsbekämpfung ergänzt.
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