Dringlichkeitsantrag: | Eindämmung, Erholung und Erneuerung |
---|---|
Antragsteller*in: | Malte Spitz (KV Unna) und 7 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 0%) |
Status: | Geprüft |
Verfahrensvorschlag: | Modifizierte Übernahme |
Eingereicht: | 30.04.2020, 12:30 |
D-01-060: Eindämmung, Erholung und Erneuerung
Verfahrensvorschlag: Antragstext
Von Zeile 59 bis 61:
Gefahr bleiben und wir werden voraussichtlich noch lange mit weitreichenden Einschränkungen leben müssen. Wir müssen fundiert darüber sprechen, wo und wie Lockerungen sind weiter nurbei den jetzigen Beschränkungen stufenweise und unter der Prämisse möglich sind, dass unser Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Der von der Bundesregierung geplante allgemeine Immunitätsausweis ist kontraproduktiv, weil er ein Anreiz sein kann, sich mutwillig zu infizieren. Zudem ist sein gesellschaftliches Spaltungspotential enorm, Diskriminierungen in Privatleben, Beruf und öffentlichen Raum könnten seine Folge sein. Wir lehnen ihn ab.
Das Corona-Virus hat die Menschheit in einen Ausnahmezustand versetzt. Wir
betrauern bereits über 200.000 Tote und großes Leid. Um die Pandemie zu
bekämpfen, wurde das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben auf der ganzen
Welt weitgehend angehalten, mit dramatischen Auswirkungen: Menschen verlieren
ihre Arbeit, sozialer Stress und häusliche Gewalt nehmen zu. Die Welt steht vor
einer tiefgreifenden Rezession.
Noch befinden wir uns mitten in der Pandemie. Es gilt – mit aller Kraft – die
Zahl der Opfer so gering wie möglich zu halten und zugleich einen sozialen und
ökonomischen Zusammenbruch zu verhindern. Dafür müssen wir weiter große Vorsicht
walten lassen und lernen, für eine längere Zeit mit dem Virus zu leben und es
zugleich immer besser und zielgenauer zu bekämpfen.
Corona ist eine globale Herausforderung, auf die es eine globale Antwort geben
muss. Kein Staat kann sie allein bewältigen. Das gilt vor allem für uns in
Europa. Wir müssen Wege aus der Krise konsequent europäisch denken. Nur
europäisch kommen wir durch diese schwere Zeit, nur gemeinsam werden wir die
Pandemie bekämpfen und unsere Wirtschaft wieder auf die Beine bringen können.
Europas Zusammenhalt hat bereits großen Schaden genommen. Wir müssen jetzt alles
dafür tun, dass das Friedenprojekt Europa zum historischen Kurs der Integration
zurückfindet.
Niemand weiß, wie lange diese globale Ausnahmesituation andauern wird, niemand
kann das tatsächliche Ausmaß und die Auswirkungen wirklich absehen. Aber die
Krise zeigt uns bereits heute, wie wichtig vorausschauendes politisches Handeln
ist. An unserer Zukunftsfähigkeit und Krisenresilienz zu arbeiten, wird am Ende
den Unterschied machen.
In der Not zeigt sich, worauf es ankommt: auf Gemeinsinn, Solidarität und
Humanität. Auf die Erkenntnis, dass deutsche und europäische Interessen eins
sind. Auf starke internationale Institutionen. Auf die Robustheit von
Wirtschaft, Gesundheits- und Sozialsystemen. Auf eine starke Daseinsvorsorge.
Auf die Stärke derer, die man in der Gesellschaft oft nicht sieht:
Lastwagenfahrer*innen, Erntehelfer*innen, Kassierer*innen, Reinigungskräfte und
Pfleger*innen. Auf die vielen Frauen, die nicht nur in schlecht bezahlten
CareBerufen, sondern auch in vielen Familien alles am Laufen halten. Auf bessere
Löhne in systemrelevanten Berufen. Auf eine neue Politik der Sicherheit –
vorsorgend, widerstandsfähig, umfassend und europäisch. Wir brauchen ein neues,
ein nachhaltiges Sicherheitsversprechen.
Dass diese Erkenntnis über den Tag hinaus Bestand hat, ist nicht
selbstverständlich. Wir stehen an einer Wegscheide. Schreiben wir eine alte
Politik, die alte Brüchigkeit, die alten Probleme fort und schaffen damit neue?
Oder treiben wir beherzt die nötigen Veränderungen voran und bauen Wirtschaft
und Gesellschaft auf festem Grund wieder auf? Wir sind überzeugt, dass nur ein
politischer Aufbruch nachhaltig aus der Krise führt. Nur, wenn wir Dinge
grundlegend verändern, wenn wir aus Bekenntnis Wirklichkeit machen, werden wir
diese und die anderen großen Herausforderungen – allen voran die Klimakrise –
bewältigen. Widerstandsfähig gegen globale Krisen zu sein, ist der Schlüssel für
eine neue Sicherheit im 21. Jahrhundert.
Corona und die Bekämpfung des Virus werden unser aller Leben, die
gesellschaftlichen Debatten und die Politik noch lange Zeit prägen. Nach der
Pandemie wird unsere Welt eine andere sein. Doch mit jedem Schritt voran – und
sei er noch so klein – öffnet sich auch ein Fenster in die Zukunft.
Demokratie bewährt sich gerade in der Krise. Sie ist ein lernendes System, in
dem mündige Bürgerinnen und Bürger frei über ihre Zukunft diskutieren. Das ist
die Voraussetzung für Innovation. Aus den jetzigen Erfahrungen können und müssen
wir Lehren für die Zukunft ziehen. Mit Corona enden die politischen Debatten
nicht, sondern beginnen sie neu.
II. Handeln in der Pandemie
Deutschland hat die Pandemie entschlossen bekämpft und bislang das
Gesundheitssystem vor einem Kollaps geschützt. Aber noch ist nichts gewonnen.
Solange ein Impfstoff nicht verfügbar ist, wird das Corona-Virus eine andauernde
Gefahr bleiben und wir werden voraussichtlich noch lange mit weitreichenden
Einschränkungen leben müssen. Wir müssen fundiert darüber sprechen, wo und wie Lockerungen sind weiter nurbei den jetzigen Beschränkungen stufenweise und unter
der Prämisse möglich sind, dass unser Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Der von der Bundesregierung geplante allgemeine Immunitätsausweis ist kontraproduktiv, weil er ein Anreiz sein kann, sich mutwillig zu infizieren. Zudem ist sein gesellschaftliches Spaltungspotential enorm, Diskriminierungen in Privatleben, Beruf und öffentlichen Raum könnten seine Folge sein. Wir lehnen ihn ab.
In dieser Ausnahmezeit ist Verhältnismäßigkeit das Gebot der Stunde. Es ist die
Verantwortung des Staates immer wieder zu prüfen, ob die massiven
Grundrechtseinschränkungen verhältnismäßig sind und ob es mildere Mittel gibt.
Einschränkungen, genauso wie schrittweise Lockerungen, müssen entlang von
klaren, nachvollziehbaren Kriterien so transparent wie möglich erklärt werden,
um Verständnis, Akzeptanz und Vertrauen zu schaffen. Die Einschränkungen müssen
geeignet, erforderlich und angemessen sein, die Folgewirkungen in den Blick
nehmen, mögliche Alternativen betrachten und gründlich abgewogen werden. Sie
sind zeitlich zu befristen und immer wieder aufs Neue zu begründen. Während es
im Shutdown eine große Geschlossenheit gab, droht sich die Gesellschaft in
Phasen der Lockerung zu spalten. Statt sich in Durchhalteparolen und
Lockerungsübungen aufzureiben, brauchen wir eine andere, zielgenauere Strategie
zur Bekämpfung des Virus, die auf Tests, schneller Nachvollziehbarkeit von
Infektionen und auf Schutzmaßnahmen beruht. Wir müssen jetzt daran arbeiten,
dass die Voraussetzungen dafür vor allem in den sensiblen Bereichen geschaffen
werden. Lockerungen müssen sich am Gemeinwohl orientieren und dürfen nicht davon
abhängen, welche Lobbygruppe die stärksten Einflussmöglichkeiten hat.
Mit dem Shutdown haben Bund und Länder die massivsten Grundrechtseingriffe in
der Geschichte der Bundesrepublik sowie beispiellose Hilfspakete beschlossen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben diese Maßnahmen im Bundestag und auf Ebene der
Landesregierungen mitgetragen, Vorschläge eingebracht und damit zu einem
schnellen, geschlossenen Handeln beigetragen. Auch so konnte breites Vertrauen
in den notwendigen Shutdown entstehen. Wir stehen bereit, auch weiter die Last
mit zu schultern. Dafür treiben wir mit eigenen Vorschlägen an, wo
Handlungsbedarf besteht und bremsen, wo nötig. Fraktionen und Parlamente sind
von den Regierungen im Bund und in den Ländern zwingend mit einzubinden. Sie
sind der Ort der demokratischen Debatte, auch in Krisenzeiten.
Bei allem gesellschaftlichen Zusammenstehen werden jetzt zunehmend die
politischen Versäumnisse der Bundesregierung sichtbar. Mit der gleichen
Vehemenz, mit der wir in den Shutdown gegangen sind muss eine funktionierende,
europäisch koordinierte Pandemiewirtschaft aufgebaut werden. Viele Unternehmen
im Land sind bereit zu helfen, und ihre Produktion auf elementar notwendige
Schutzgüter umzustellen. Doch wenn die Bundesregierung nicht koordiniert,
funktioniert es nicht. Wir brauchen zuverlässige Zahlen über den notwendigen
Bedarf, Abnahmegarantien, gegebenenfalls Investitionshilfen und Koordination bei
Engpässen in den Lieferketten.
Testkapazitäten und die Versorgung mit Mund-Nase-Masken müssen drastisch
gesteigert werden. Die Ausstattung mit Schutzkleidung ist gerade für die
sozialen Hilfeeinrichtungen, für die Kinder- und Jugendhilfe,
Frauenberatungsstellen oder Obdachlosenhilfe jetzt notwendig, nicht später. Sie
müssen ebenso wie Pflegeheime mit Schutzmasken ausgestattet werden. Längst
überfällige digitale Lösungen – etwa eine freiwillige Corona-Tracing-App als
wichtiger Baustein in der Epidemiebekämpfung – gibt es noch immer nicht. Die
Gesundheitsämter brauchen ausreichend Personal für regionale Taskforces.
Die Krise befeuert die sozialen Probleme und zeigt, wer keine Lobby hat:
Familien, vor allem Alleinerziehende, und Kinder. So verschärft die Schließung
von Schulen und Kindergärten die Chancenungleichheit für Kinder dramatisch.
Zwischen ‚komplett geschlossen‘ und ‚alle sofort wieder rein‘, muss es Raum für
Verhältnismäßigkeit und pragmatische Lösungen geben – tageweiser
Kleingruppenunterricht, Schüler-Lehrer-Gespräche. Wenn im Betrieb Schichtsysteme
eingeführt werden, klappt das auch in der Kita. Der Staat hat eine
Fürsorgepflicht für Kinder und einen Bildungsauftrag.
Mit neuer Wucht wird sichtbar, wie sehr unser gesellschaftliches Leben und damit
auch unser wirtschaftlicher Wohlstand immer noch darauf beruht, dass Frauen
Kinder betreuen, sich ums Essen kümmern oder die Wohnung putzen. Kinderbetreuung
darf aber nicht zur Privatsache werden, Familien müssen auf den Staat bauen
können. Nötig ist zudem ein großer, umfassender sozialer Schutzschirm, der auch
jene schützt, die arm sind, obdachlos, die Stress, Verhetzungen im Netz,
häuslicher Gewalt, Depressionen oder Suizidgefahr ausgesetzt sind.
Je länger die Pandemie andauert, umso stärker rückt die Frage in den
Vordergrund:Wie mit der Bedrohung durch das Virus leben lernen, ohne das
öffentliche Leben langfristig drastischen Einschränkungen zu unterwerfen? Wir
müssen uns jeden Tag aufs Neue – auch mit Blick auf eine mögliche neue Corona-
Welle – damit auseinandersetzen, wie wir unter Pandemie-Bedingungen Bildung,
Betreuung, Wirtschaft und Handel, Kultur- und Freizeitangebote sowie nicht
zuletzt die Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben organisieren
und gleichzeitig die Menschen bestmöglich vor Ansteckung schützen.
II. Klimakrise und Corona gemeinsam bekämpfen
Die Welt steht vor einer tiefgreifenden Rezession. Der internationale
Währungsfonds prognostiziert, dass Corona zur schlimmsten Wirtschaftskrise seit
der großen Depression der 1930er führen wird. Das ist eine tiefgreifende
wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Herausforderung, der wir uns in
Europa gemeinsam und mit aller Kraft stellen müssen. Die Konjunkturprogramme
müssen deshalb europäisch gedacht, bzw. in Europa aufeinander abgestimmt sein,
damit sich alle Länder im europäischen Binnenmarkt entwickeln können. Niemand
wird es alleine schaffen.
Für dieses historische Moment gibt es keine Blaupause. Die wirtschaftlichen
Auswirkungen treffen fast alle Lebensbereiche und Branchen, aber sie treffen
diese sehr unterschiedlich. Manche Unternehmen können dank Homeoffice nahezu
weiter machen wie vor der Krise, haben aber haben weniger Aufträge. Einige
verbleiben vielleicht noch monatelang im Shutdown und sehen kaum noch eine
Perspektive. Andere können mit deutlichen Beschränkungen langsam wieder
aufmachen, aber ihre Lieferketten funktionieren nicht. Dazu kommt, dass wir mit
den wirtschaftspolitischen Maßnahmen nicht die gesundheitspolitischen
konterkarieren dürfen.
Anders als nach der Finanzkrise werden wir uns in Deutschland dieses Mal nicht
einfach aus der Rezession herausexportieren können. Die Nachfrage ist global
eingebrochen. Und wir müssen eine Antwort darauf finden, dass sich alte soziale
Schieflagen durch Corona verschärfen und neue auftun.
Bei all dem ist die zweite große Aufgabe unserer Zeit, die Klimakrise, zu
bewältigen. Wir erleben nach zwei Hitzesommern schon die nächste Dürre.
Knochentrockene Äcker, Waldbrände im April, das ist auch die Realität in unserem
Land. Und gegen die Klimakrise wird es keinen Impfstoff geben. Nicht in diesem
Jahr und auch in keinem anderen. Wir werden als Weltgemeinschaft scheitern, wenn
die jetzt geplanten Maßnahmen die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen noch
beschleunigen.
Es ist daher entscheidend, jetzt die Weichen richtig zu stellen. Ohne Frage ist
die Rezession mit voller Kraft zu bekämpfen, Jobs und Wettbewerbsfähigkeit zu
erhalten. Tun wir das aber mit einer alten Politik und alten Mitteln,
produzieren wir neue Unsicherheit und steuern auf gigantische soziale und
wirtschaftliche Schäden zu. Unser Handlungsrahmen müssen der Pariser
Klimavertrag und die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung sein.
Vor der Pandemie hatte ein breites Bündnis aus Unternehmen, Klimabewegung,
Gewerkschaften, Forscher*innen und Wissenschaftler*innen, die Chancen erkannt,
die in einem Aufbruch liegen, der Klimaschutz, ökonomische Dynamik und sozialen
Ausgleich zusammenbringt. Wir haben eine doppelte Aufgabe und doppelte Chance:
die durch Corona bedingte Wirtschaftskrise und die Klimakrise zusammen
anzugehen. So wird der Europäische Green Deal zum Pakt für die Transformation
der Wirtschaft.
Es wird massive Anstrengungen und beispiellose Programme brauchen, um diese
Herausforderungen zu lösen. Jetzt ist die Zeit großer und kreativer Antworten
und entschlossenen Handelns. Wir müssen auf der einen Seite kurzfristig
stimulieren und stabilisieren, und zudem den Kurs in Richtung Klimaneutralität
und Zukunftsfähigkeit setzen. Dabei ist völlig klar: Ein solches
Konjunkturprogramm ist auch innerhalb von vielen Jahren so nur ein Mal leistbar.
Umso entschiedener und vorausschauender muss jetzt der richtige Weg zum
Wiederaufbau eingeschlagen werden.
III. Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise – sozial und ökologisch
Es braucht Direkthilfen für die Branchen, die im Shutdown stillstehen müssen und
Konjunkturstimuli für die, die langsam wieder anlaufen.
Dabei ist klar, dass aus Steuermitteln finanzierte Wirtschaftshilfen in der
Rezession an Vorgaben gekoppelt werden müssen: Wenn Aktienkonzerne Dividenden
auszahlen, Unternehmen Firmensitze in Steueroasen haben oder Manager*innen-Boni
auszahlen, können sie keine Hilfe vom Staat erwarten. Unternehmen, die in der
Krise mit staatlichen Geldern unterstützt wurden und in Zukunft wieder
Dividenden auszahlen wollen, müssen diese Hilfen an den Staat zurückzahlen.
Für dieses Jahr sollte ein deutsches Konjunktur-Sofortprogramm von etwa 100
Milliarden Euro vorbereitet werden, das dann schnell greifen kann, wenn die
medizinische Lage ein stärkeres Wiederanfahren des ökonomischen Lebens erlaubt.
Stimulieren wir dann schnell die Konjunktur, verhindern wir, dass Millionen
Menschen in unserem Land durch die Folgen von Corona in Existenznöte geraten,
Pleitewellen unsere Innenstädte veröden lassen, dass das, was uns lieb und teuer
ist, Kultur, Reisen, dauerhaften Schaden nimmt. Es braucht dabei Unterstützung
gerade für die Schwächsten. Die Maßnahmen sind auf die Dauer der
Krisenbewältigung zu befristen und immer wieder zu überprüfen.
Für dieses Sofortprogramm schlagen wir folgende Eckpunkte vor:
Lokalen Einzelhandel stärken – Pleitewellen verhindern
- Der lokale Einzelhandel und insbesondere die inhabergeführte Gastronomie
sowie Kultureinrichtungen leiden durch die Krise massiv. Der Einzelhandel
hat bereits weitere Marktanteile an den Onlinehandel verloren. Um eine
Verödung unserer Innenstädte zu verhindern, soll für die zweite
Jahreshälfte ein Fonds in Höhe von 20 Milliarden Euro aufgelegt werden,
der sich zusammensetzt aus Kaufanreizen, in Form von Kauf-Vor-Ort-
Gutscheinen sowie direkten Zuschüssen, um die Nachfrage, dort wo nötig, zu
stimulieren und eine Belebung der Innenstädte als gesellschaftliche Räume
zu schaffen.
- Es braucht zudem gezielt einen Fonds für weiterhin geschlossene
Kultureinrichtungen und Betriebe, um deren Fortbestand zu sichern, gerade
für kleine Veranstaltungsorte – dies ist wirksamer und fairer als das von
der Bundesregierung geplante Umtauschsystem.
Soziale Absicherung verbessern – Kaufkraft erhalten
- Krisenbedingt soll ein ALG2-Sonderbedarf von 100 Euro für Erwachsene
eingeführt und für Kinder im Bildungs- und Teilhabebezug der Sonderbedarf
um 60 Euro erhöht werden. Alle gesellschaftlichen Gruppen sollten einen
Zugang zur Grundsicherung haben. Wir wollen zudem temporär das BAföG auch
für Studierende öffnen, die sonst nicht förderberechtigt sind, da ihnen
derzeit vielfach die Nebenverdienstmöglichkeiten wegbrechen.
- Solange Kitas und Schulen nicht wieder in vollem Umfang geöffnet haben,
sollen Eltern, die deshalb ihre Kinder betreuen, die Möglichkeit haben, in
Elternzeit zu gehen und dafür ein Corona-Elterngeld erhalten. Das
Elterngeld soll so gestaltet sein, dass es Anreize für eine
gleichberechtigte Kinderbetreuung setzt.
- Das Kurzarbeitergeld soll auf 90 Prozent für Einkommen bis 1.300 Euro
erhöht und bis zu 2.300 Euro degressiv auf 60 Prozent abgesenkt werden.
Wir wollen verhindern, dass kleine Selbständige einen Antrag auf
Grundsicherung stellen müssen. In Bereichen, die einen längeren Shutdown
erfahren, soll deshalb eine Art Kurzarbeitergeld gezahlt werden. Die
Leistung sollte bei 55 Prozent des jeweiligen Steuergewinns der letzten
Jahre liegen, maximal bei 1.500 Euro/Monat.
Ökologische Modernisierung der Industrie beschleunigen
Um den Industrieunternehmen zu helfen, die durch die Pandemie in Existenznöte
geraten, wollen wir großzügige staatliche Unterstützung anbieten. Dabei sollen
die Investitionen gleichzeitig der ohnehin notwendigen ökologischen
Modernisierung dienen, damit die Unternehmen den Einstieg ins klimaneutrale
Zeitalter nicht verpassen, indem sie jetzt falsch abbiegen. Direkte Hilfen
sollen daher die Investitionen fördern, die einem der sechs EU-Umweltziele
dienen (Taxonomie). Und: Firmen müssen bestimme Sozialstandards einhalten. Zudem
sollte der Vorschlag des Sustainable-Finance-Beirats der Bundesregierung
aufgegriffen werden: Wenn Unternehmen belegen, dass sie nach dem Pariser
Klimaabkommen wirtschaften, sollten sie einen Teil der Kredite, die der Staat
jetzt als Hilfen ausgibt, am Ende der Tilgung erlassen bekommen.
Unsere Vorschläge:
- Über eine direkte Innovations- und Investitionsförderung wollen wir
Investitionen in transformative CO2-freie Verfahren und Prozesse durch
direkte Zuschüsse für sogenannte Leuchtturmprojekte fördern. Damit wollen
wir EU-Förderprogramme ergänzen und zudem über degressive Abschreibungen
der getätigten Investitionen für transformative CO2-freie
Industrieprozesse in Höhe von mind. 25 Prozent auch steuerlich Anreize
setzen.
- Wir wollen für die Bürger*innen und insbesondere mittelständische
Unternehmen den Strompreis senken, indem die EEG-Umlage ab dem 1. Juli
2020 um fünf Cent je Kilowattstunde reduziert wird. Das setzt langfristig
ökologisch richtige Anreize, denn wir brauchen die Elektrifizierung
weiterer Sektoren. Bis Ende 2021 kann damit zudem ein Kaufkraft-Effekt von
22 Milliarden Euro erreicht werden. Mittelfristig finanziert sich die
Maßnahme durch die Einnahmen aus dem CO2-Preis.
- Wir wollen den Einstieg in die grüne Wasserstoffwirtschaft beschleunigen.
Damit treiben wir sowohl in Industriebranchen wie Stahl und Chemie als
auch im Luft-, Schiffs- und Güterverkehr gezielt Klimaschutz als auch
höhere Investitionen an. Dazu gewähren wir Investitionszuschüsse für
Wasserstoff-Pipelines und schaffen Innovations- und Experimentierräume, um
verschiedene Geschäftsmodelle und Anwendungen besser erproben zu können.
- Mit Klimaverträgen wollen wir Investitionssicherheit gerade in der
klimaintensiven Industrie schaffen. Damit wollen wir die Differenz
zwischen dem aktuellen CO2-Preis und den tatsächlichen CO2-
Vermeidungskosten erstatten, welche den Unternehmen durch die
Investitionen in neue Verfahren und Technologien entstehen. Dafür werden
die besten Projekte in einem wettbewerblichen Ausschreibungsverfahren
ermittelt und mit den betreffenden Unternehmen Klimaverträge (Carbon
Contracts for Difference) abgeschlossen.
- Für Investitionen von Unternehmen sollte, wie schon in der Finanzkrise,
eine auf zwei Jahre befristete degressive Sonder-Afa eingeführt werden.
- Wir unterstützen die energieintensiven Rechenzentren finanziell dabei,
ihren Stromverbrauch zu senken und auf erneuerbare Energien sowie
energieeffiziente Wasserkühlsysteme umzustellen. So leisten wir auch einen
Beitrag, um die digitale Souveränität Europas voranzubringen.
Die Automobilindustrie ist ein Schlüsselsektor unserer Industrie mit massiver
Bedeutung für hunderttausende Arbeitsplätze und zahllose Zulieferer. Schon vor
der Corona-Pandemie steckte die Automobilwirtschaft in einer Krise, diese hat
sich nun massiv verschärft. Unternehmen und Beschäftigte sind sehr verunsichert,
wie es weitergehen kann, welche Marktentwicklung eintreten wird, ob
Arbeitsplätze gesichert werden können. Wir schlagen ein Zukunftsbündnis von
Unternehmen, Gewerkschaften und Umweltverbänden vor, um die Rezession zu
überwinden, die ökologische Transformation voranzubringen und Beschäftigung zu
sichern. Dieses verbindet zielgerichtete kurzfristige Hilfen mit dem dringend
notwendigen Aufbruch in Richtung Elektromobilität. Dazu gehören ökologische
Kaufanreize und finanzielle Hilfen bei der Modernisierung. Im Gegenzug müssen
umweltschädliche Subventionen abgebaut und in der Kfz-Steuer ein Bonus-Malus-
System eingeführt werden, wodurch emissionsintensive Wagen wie SUVs stärker und
emissionsärmere Fahrzeuge geringer belastet werden. Zudem müssen Quoten für
emissionsfreie Mobilität eingeführt und die EU-Flottengrenzwerte entsprechend
dem Pariser Klimavertrag angepasst werden.
Staatliche Beteiligungen an Unternehmen sind an die Bedingung von ökologischen
und sozialen Kriterien für die jeweiligen Branchen gebunden. Ähnlich wie die
Autobranche ist auch die Luftfahrt hart getroffen. Analog zur Autobranche
müssten staatliche Hilfen an ordnungsrechtliche Vorgaben gekoppelt werden. Wie
in anderen europäischen Ländern gilt es in diesem Zuge, eine CO2-
Reduktionssstrategie für die Luftfahrt vorzulegen, zum Beispiel durch
Streckenschließungen für kürzere Inlandsflüge, Ausweitung des Nachtflugverbots
oder die Erneuerung der Flugzeugflotte durch effizientere und schadstoffärmere
Flugzeuge.
IV. Investitionen in die Zukunft
Wir sollten jetzt ein zehnjähriges Investitionsprogramm von 500 Mrd. Euro
vorbereiten. Allein in unseren Kommunen besteht ein Sanierungsstau von 138 Mrd.
Euro, und hier sind ökologische Investitionen etwa in den Ausbau des
öffentlichen Nahverkehrs noch gar nicht einbezogen. Es braucht gerade jetzt
starke Kommunen, die vor Ort handlungsfähig sind, sei es bei den Sozialdiensten
oder Frauenhäusern. Die Investitionen des Staates müssen deshalb nicht nur in
der Krise, sondern dauerhaft auf ein höheres Niveau gebracht werden. Die
ökonomischen Forschungsinstitute der Unternehmen und Gewerkschaften kommen auf
einen Investitionsbedarf von über 450 Mrd. Euro. Hinzu kommen Investitionen in
unser Gesundheitssystem, deren Notwendigkeit uns durch Corona vor Augen geführt
wurde. Allein unsere Krankenhäuser haben einen zusätzlichen Investitionsbedarf
von mindestens sechs Milliarden Euro pro Jahr. Und in der Pflege sind die
Herausforderungen ebenfalls groß.
Bundes- und Landespolitik sollten alles tun, um diese Investitionen auf den Weg
zu bringen. Dazu gehört, Planungsprozesse jetzt zu starten und das Planungsrecht
zu entbürokratisieren bzw. Regelungen befristet auszusetzen. Gerade jetzt sollte
die öffentliche Hand Planer*innen und Projektsteuernde einstellen und die
Genehmigungsbehörden aufstocken, damit die zusätzlichen Investitionen auch
verbaut werden können. Dazu sollte der Bund durch eine Verwaltungsvereinbarung
einen Fonds mit den Ländern auflegen, aus dem zusätzliche Planungsstellen über
den Zeitraum von mindestens fünf Jahren bezahlt werden können. Viele
Investitionen liegen bei den Kommunen, und viele von Ihnen werden durch
Altlasten erdrückt. Der Bund sollte den Kommunen einen großen Teil ihrer
Altschulden abnehmen, da er sie dauerhaft zu niedrigen und derzeit sogar
negativen Zinsen refinanzieren kann.
Dieses riesige Investitionsvolumen ist gut angelegtes Geld, sowohl um eine große
globale Depression mit unvorhersehbaren gesellschaftlichen und politischen
Folgen zu verhindern, als auch um krisenfestere und nachhaltige neue
Wirtschaftsstrukturen aufzubauen. Natürlich steigen dadurch die Schulden. Die
öffentlichen Haushalte werden in den nächsten Jahren unter dem Druck der Tilgung
dieser aufgenommenen Kredite stehen. Gleichzeitig dürfen wichtige
Zukunftsinvestitionen nicht der Krise geopfert und keine Einschnitte bei der
kommunalen Grundversorgung, der Infrastruktur und der sozialen Sicherung
vorgenommen werden. Für eine nachhaltige Finanzierung der Kosten der Corona-
Krise ist deshalb eine Kreditfinanzierung mit sehr langen und flexiblen
Tilgungszeiträumen notwendig. Und Deutschland zahlt auf seine Schulden derzeit
keine Zinsen. Eine zu schnelle, restriktive Tilgung würde die wirtschaftliche
Erholung und Investitionsfähigkeit des Staates gefährden. Wir müssen deshalb die
Schuldenbremse reformieren, um mehr kreditfinanzierte Investitionen zu
ermöglichen. Immer wieder hat Deutschland nach besonderen Herausforderungen
(Zweiter Weltkrieg, Wiedervereinigung) besondere Formen des Lastenausgleichs
gefunden. Entsprechend brauchen wir zur Tilgung der Schulden einen solidarischen
Ausgleich nach dem Prinzip: Wer starke Schultern hat, kann mehr tragen.
V. Unser Gesundheitssystem stärken
Die Corona-Epidemie legt die Stärken und Schwächen unseres Gesundheitssystems
offen. Unser Gesundheitswesen verfügt über ein gut ausgebautes System der
Diagnostik, eine im europäischen Vergleich gute Akutversorgung mit zahlreichen
Intensivbetten und eine gute technische Ausstattung. Zugleich ist aber deutlich
geworden, dass insbesondere bei der personellen Situation in der Pflege, in der
kommunalen Gesundheitsversorgung, bei der digitalen Vernetzung sowie bei der
Beschaffung und Bevorratung von Schutzausrüstung erhebliche Defizite bestehen,
die behoben werden müssen.
Jetzt müssen wir unser Gesundheitssystem akut so gut stärken, wie es nur geht,
um dieser Epidemie Herr zu werden. Die Vorhaltung von Reservekapazitäten für den
Ernstfall und eine gute und gut bezahlte Personalausstattung müssen Vorrang
haben und gehören ins Zentrum unserer Anstrengungen. Das sollte durchaus
ökonomisch geschehen, aber Sicherheit geht vor. Das heißt konkret, dass uns als
Gesellschaft die Investitionen in medizinische und pflegerische Infrastruktur
und Investitionen in Pandemiemanagement mehr Geld wert sein müssen als bisher.
Wir brauchen eine deutliche Aufwertung und berufsständische Stärkung der Pflege,
attraktivere Arbeitsbedingungen und eine bessere Personalausstattung. Wir müssen
die über Jahre ausgedünnten öffentlichen Gesundheitsdienste, insbesondere die
Gesundheitsämter, besser ausstatten und die Arbeitssituation für die Menschen im
Gesundheits- und Pflegebereich verbessern. Um die Löhne in der Pflege zu
verbessern, sollen die Tarifparteien die Verhandlungen für eine tarifliche
Bezahlung in der Pflege baldmöglichst fortsetzen, damit eine Einigung zeitnah
für allgemeinverbindlich erklärt werden kann. Sollte das trotz laufender
Verhandlungen nicht erreicht werden, müssten gesetzliche Maßnahmen ergriffen
werden. So könnte in einem nächsten Schritt die soziale Pflegeversicherung dazu
verpflichtet werden, nur mit Arbeitgebern Verträge zu schließen, die tariflich
zahlen.
Der durch die Krise teilweise entstehende Schwung bei der Digitalisierung
unseres Gesundheitswesens muss genutzt werden, um Telemedizin und andere für die
Versorgung und die Forschung sinnvolle digitale Angebote auszubauen.
Forschungsdaten sollen unter Wahrung des Persönlichkeitsschutzes leichter
ausgetauscht werden können, genauso wie medizinische Logistik. Wir wollen einen
Investitionspakt von Bund und Ländern, um Krankenhäuser, aber auch den
öffentlichen Gesundheitsdienst bei den notwendigen Investitionen für die
digitale Infrastruktur zu unterstützen.
Mit digitaler Epidemiologie lässt sich aus einer Vielzahl anonymisierter Daten
der Gesundheitsstatus der Bevölkerung in Echtzeit analysieren, um so gezielter
eingreifen und einer künftigen Epidemie besser begegnen zu können. Nicht nur
dafür muss das E-Government der Verwaltung in Deutschland mit Hochdruck
entwickelt werden. Unsere Virolog*innen sind weltweit Spitze und die
Forschungseinrichtungen sind es auch. Wenn hingegen heute noch Gesundheitsdaten
per Fax von Amt zu Amt versendet werden müssen, weil es technisch anders nicht
geht, kostet uns das jetzt im Kampf gegen Corona wertvolle Zeit.
VI. Recht auf Bildung, auch in der Pandemie
Das Coronavirus hält auch der Bildungspolitik den Spiegel vor. Da sind die immer
noch enormen Ungerechtigkeiten, die das deutsche Bildungssystem hervorbringt –
sichtbar zum Beispiel in der unterschiedlichen technischen Ausstattung von
Schulen. Da sind die vielerorts mangelhaften baulichen und sanitären Zustände
von Bildungseinrichtungen, die in Pandemiezeiten noch größere Probleme als sonst
hervorrufen. Da ist, allen Beteuerungen zum Trotz, der immer noch viel geringe
Stellenwert der frühkindlichen Bildung, wenn wieder nur unter dem Label
„Betreuung“ über Kitas gesprochen wird. Was hier in den ersten Jahren
pädagogisch versäumt wird, kann vielfach kaum nachgeholt werden.
Auf der anderen Seite macht das Engagement vieler Akteur*innen Mut für einen
echten Bildungsaufbruch. Bildungsverantwortliche, Schulleitungen, Kommunen,
pädagogische Fach- und Lehrkräfte, aber auch Eltern und Schüler*innen finden
neue, pragmatische und kreative Lösungen in der schwierigen Situation: Sei es
der Unterricht im Park oder die Vertretung der aus medizinischen Gründen
abwesenden Musiklehrerin durch einen Musiker, der derzeit ohne Engagement ist.
Es geht beim Lernen aus der Krise nicht nur um ein bisschen Digitalisierung, es
geht darum, das Bildungssystem so auszurichten, dass Menschen selbstbestimmt,
nachhaltig und aufgeklärt handeln können.
Die Digitalisierung an den Schulen braucht dauerhaft finanzielle Unterstützung
vom Bund, nicht nur einen einmal gefüllten, befristeten Fördertopf. Die
Megaaufgabe Digitalisierung in der Bildung können Bund und Länder nur gemeinsam
schaffen. Die Bereitschaft auf allen Seiten, das deutsche Bildungssystem an die
digitale Welt anzuschließen, war nie so groß wie heute.
Um den Ungerechtigkeiten im Bildungssystem entgegenzuwirken, ist der weitere
Ausbau guter ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote zentral. Hier könnte
die Krise möglicherweise alte Blockaden aufbrechen: Wenn für eine längere Zeit
der klassische Bildungsbetrieb nur eingeschränkt stattfinden kann, sollten Kitas
und Schulen die Möglichkeit haben, unbürokratisch und flexibel neue Lern- und
Freizeit-Angebote zu schaffen. Schulen sollen dafür ein Budget erhalten, das im
Rahmen eines sozialen Schutzschildes aus dem Mitteln des Bundes kommt.
Zusätzlich ist ein Aufholprogramm für Schulen in benachteiligten Regionen und
Stadtteilen nach der Krise nötiger denn je, damit jene, die schon vor Corona
drohten, abgehängt zu werden, den Anschluss nicht verlieren.
VII. Eine neue Chance für Europa
Ganz Europa ist von der Corona-Krise betroffen. Unser Kontinent ist derzeit die
Region mit den meisten Infizierten weltweit. Alle sind betroffen, manche
Regionen, wie die Lombardei, das Elsass, Madrid ganz besonders. Wie schon in der
letzten Finanzkrise und der Flüchtlingskrise haben einige europäische Staaten
auch in der Corona Krise unsolidarisch und uneuropäisch gehandelt. Die Pandemie
darf die Spaltung in der EU nicht noch weiter verschärfen. Wenn Europa jetzt
nicht zusammensteht, springen andere in die Lücke und versuchen ihren
geopolitischen Einfluss noch weiter auszudehnen. Aber es gibt viele Beispiele
europäischer Solidarität, die Mut machen, dass die europäische Idee in dieser
Zeit besteht: europäische Patient*innen werden in deutschen Krankenhäusern
behandelt, über europäische Städtepartnerschaften wird kommunale Hilfe
organisiert, viele Personen aus der Zivilgesellschaft haben individuelle
Initiativen gestartet. Wir müssen diese Krise als Wendepunkt begreifen die
Gemeinschaft zu vertiefen. Dann kann Europa sogar gestärkt aus ihr hervorgehen.
Wir wollen so schnell wie möglich zu den offenen Grenzen des Schengen-Raums
zurückkehren. Bei der Bekämpfung von Corona muss Europa zu seinen Werten stehen
und offen bleiben. Grenzkontrollen und Einreiseverbote müssen medizinisch
begründet, abgestimmt und verhältnismäßig sein. An die Stelle willkürlicher
Grenzkontrollen auf nationaler Ebene sollten zielgerichtete Beschränkungen auf
regionaler Ebene (die dann durchaus auch grenzübergreifend gelten) treten. Die
Kriterien müssen nicht überall zu einhundert Prozent identisch, aber
wirkungsgleich sein. Wo notwendig, muss an den Grenzen auf die Frage des
effektiven Gesundheitsschutzes fokussiert werden.
Europa braucht eine Koordinierung der Strategien aus dem Shutdown, auch um zu
verhindern, dass Lieferketten unterbrochen werden. Eine europäische
Pandemiewirtschaft sollte eine massive Produktion an medizinischer Ausrüstung
zum Ziel haben. Die Staaten sollten die Beschaffung gemeinsam organisieren bzw.
untereinander abstimmen, um zu verhindern, dass man sich gegenseitig Konkurrenz
macht. Die europäischen Anstrengungen in der Impfstoffforschung sollten
verstärkt werden. Wir fordern einen EU-Corona-Forschungsfonds für Medikamente
und Impfstoffe, die dann unter Gemeinwohllizenz vermarktet werden. Für die Zeit
nach der Pandemie sollte das European Center for Desease Prevention and Control
(ECDC) in die Lage versetzt werden, bei zukünftigen Pandemien schnell
Unterstützungsleistungen für besonders betroffenen Länder zu leisten, damit kein
Krankenhaus in Europa in die Lage kommt, Menschen nicht angemessen medizinisch
versorgen zu können. Die bevorstehende deutsche Ratspräsidentschaft sollte auch
genutzt werden, um die Arzneimittelproduktion wieder verstärkt in Europa
anzusiedeln, um in diesen lebenswichtigen Bereichen nicht von transkontinentalen
Lieferketten abhängig zu sein.
Mit den Entscheidungen der Europäischen Zentralbank (EZB) konnte eine neuerliche
Finanz- und Währungskrise fürs Erste abgewehrt werden. Wieder einmal musste die
EZB einspringen, weil die Staats- und Regierungschefs nicht in der Lage waren,
umfassende Maßnahmen wie gemeinsame Corona-Bonds für die Krisenbewältigung zu
beschließen. Das jetzt vereinbarte Paket aus ESM-Hilfen, Unternehmenskrediten
über die Europäische Investitionsbank und das europäische Kurzarbeitergeld ist
ein erster Schritt, aber unzureichend.
Wenn jetzt in Ländern wie Spanien und Italien aus Angst vor einer Überschuldung
zu wenig getan werden kann, trifft das nicht nur die dortige Bevölkerung hart,
sondern am Ende alle Mitglieder der Union. Gerade die deutsche Wirtschaft ist
eng verknüpft mit diesen Ländern. Wenn dort keine deutschen Produkte mehr
gekauft werden, führt dies zu einer stark steigenden Arbeitslosigkeit bei uns.
Und wenn dort die Produktion wegen der Pandemie nicht wieder anlaufen kann,
stehen wegen der verwobenen Lieferketten hierzulande Bänder still. Nur wenn
Italien wieder auf die Beine kommt, wird Deutschland es auch. China wird
versuchen, sich in der kommenden Rezession in die europäische Wirtschaft
einzukaufen, und Putin die Möglichkeit nutzen, um europäischen Demokratien zu
destabilisieren. Nur wenn Europa seine Interessen gemeinsam wahrnimmt, werden
insbesondere Süd- und Osteuropa diese Angebote ablehnen können
Diese europäische Antwort muss einen gemeinsamen Recovery Fund beinhalten, der
durch gemeinsame Anleihen finanziert wird, um so die Krisenlasten gemeinsam und
solidarisch zu schultern. Die Ausgaben sollten sich an den Pariser
Klimaschutzzielen und dem Green Deal orientieren. Der Recovery Fund hat einen
Umfang von mindestens einer Billion Euro und ist damit dem Ernst und der Größe
der Herausforderung angemessen. Die Verschuldung zählt nicht in die nationalen
Schuldenquoten. Vielmehr ermöglicht die gemeinsame Haftung Zinsen unterhalb der
Inflation.
Während viele Unternehmen, insbesondere Mittelständler und der Einzelhandel in
den Innenstädten, gerade leiden, machen große Digitalkonzerne riesige Gewinne.
Zugleich zahlen sie weniger Steuern als vergleichbare traditionelle Unternehmen.
Deshalb wäre jetzt spätestens der Zeitpunkt, dass sich die Bundesregierung
diesem Steuerdumping entgegenstellt und ihre Blockade bei der europäischen
Digitalsteuer aufgibt. Schon der Vorschlag der EU-Kommission, die Umsätze
digitaler Großunternehmen an dem Ort, wo sie tätig sind, mit drei Prozent zu
besteuern, würde zu geschätzten Einnahmen von fünf Milliarden Euro führen. Wenn
einzelne EU-Mitgliedstaaten weiterhin blockieren, braucht es eine Koalition der
Willigen als ersten Schritt zu einer europäischen und globalen Lösung.
In der Krise erweist sich, dass das jahrelange Bremsen und Verweigern der
deutschen Bundesregierung in zentralen europäischen Fragen als schwere Hypothek.
Nach der Krise müssen in der Europäischen Union die seit Jahren aufgeschobenen
Entscheidungen zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion, wie
beispielsweise ein eigener EU-Haushalt mit einem eigenen fiskalpolitischen
Instrument, der Umgang mit Handelsungleichgewichten und die Vollendung der
Bankenunion endlich angegangen werden. Ein größerer EU-Haushalt ab 2021 bedeutet
auch einen größeren deutschen Beitrag und mehr Möglichkeiten für die Union,
eigene Einnahmen zu generieren. Um Europa neu aufzustellen muss die
Bundesregierung nicht jeden Vorschlag anderer Länder übernehmen, sie muss aber
endlich auch eigene konstruktive Vorschläge machen, um die Probleme zu lösen und
nicht weiterhin nur verweigern und im Falle einer Krise die gesamte
wirtschaftspolitische Verantwortung der Europäischen Zentralbank zuschieben. Zu
den notwendigen Fragen gehört auch die Überprüfung des Stabilitäts- und
Wachstumspakts.
Die Welt wird nur im Geist der Kooperation gut durch diese Pandemie kommen. So
vernetzt sie ist, so kurzsichtig egoistisch handeln derzeit die meisten
Nationalstaaten. Wenn Europa kooperativ und solidarisch vorangeht, schaffen wir
eine starke und unwiderstehliche Gegenerzählung mit globaler Wirkung. Die ganze
Welt kämpft gegen diese Corona-Pandemie. Deshalb müssen in der Pandemie die
Zölle für überlebenswichtige Produkte wegfallen und Exportbeschränkungen
aufgehoben werden. Sieben Milliarden Menschen warten auf einen Impfstoff und
Medikamente gegen COVID-19. Es muss dafür gesorgt werden, dass beides, sobald
vorhanden, global, schnell und zu einem günstigen Preis verfügbar ist.
Wir müssen deshalb über eine Lockerungen der Regeln geistigen Eigentums
nachdenken und die Besitzer*innen geistigen Eigentums dazu aufrufen, günstige
Lizenzen in einem internationalen Patentpool anzubieten, der über die WTO
koordiniert wird – insbesondere für einen neu entwickelten Impfstoff oder eine
anerkannte Therapie. Die globale Rezession droht in den Entwicklungs- und
Schwellenländern ein Brandbeschleuniger der Schuldenkrise und damit von Armut,
Flucht und Konflikten zu werden. Deutschland muss sich dafür einsetzen, dass die
Schulden des globalen Südens erlassen werden. Weiterhin braucht es eine
deutliche Erhöhung der Sonderziehungsrechte beim Internationalen Währungsfonds,
um besser gegen spekulative Kapitalflucht gewappnet zu sein. Wir dürfen nicht
zulassen, dass globale Ungleichheiten noch weiter verschärft werden. Wir
brauchen ein globales Hilfspaket gegen das Corona-Virus und seine Folgen und
eine Stärkung der Vereinten Nationen.
Wir unterstützen die Forderung des UN-Generalsekretärs nach weltweiten
Waffenstillständen. Die Bundesregierung sollte ihren Einfluss bei den
europäischen und internationalen Partnern geltend machen, um auf dieses Ziel
hinzuarbeiten. Sie muss schnell ausreichende zusätzliche Mittel für
Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen.
Gleichzeitig dürfen die internationale Gemeinschaft und die deutsche humanitäre
Hilfe sowie die Entwicklungszusammenarbeit nicht bei Maßnahmen in bestehenden
Gesundheitsprogrammen nachlassen.
VIII. Stärker aus der Krise
Die Pandemie führt uns vor Augen, was wir vermissen und unbedingt wiedergewinnen
wollen: unsere Freiheit, soziale Nähe und die Vielschichtigkeit unseres Lebens;
den öffentlichen Raum; Kitas, Schulen und Hochschulen; den direkten Austausch
mit den Kolleg*innen am Arbeitsplatz; Kultur und das bunte Leben, mit Kneipen,
Kinos, Konzerten, lebendigen Innenstädten, die uns weiter fehlen und die jetzt
um ihre Existenz kämpfen; unser vereintes und offenes Europa.
Der Shutdown hat uns auch gezeigt, was wir stärker wertschätzen und fördern
müssen:
Die Klugheit einer aufgeklärten Gesellschaft, die fähig ist präventiv zu
handeln; in einem funktionierenden demokratischen Rechtsstaat zu leben; unsere
öffentliche Daseinsvorsorge, ein lebendiges Gemeinwesen vor Ort und ein starker
Sozialstaat; unabhängige Qualitätsmedien und den Öffentlich-Rechtlichen
Rundfunk; solidarische Menschen und einen solidarischen Staat; saubere Luft auch
in den Städten und staufreie Straßen; die Möglichkeit des Homeoffice; ein
parlamentarisches Miteinander zwischen Regierung und Opposition, das gemeinsam
Dinge löst, statt nur gegeneinander zu arbeiten.
Nicht zuletzt führt uns die Corona-Krise vor Augen, was wir in der Vergangenheit
versäumt haben. Es gab Pandemiewarnungen und sogar Pandemienotfallvorkehrungen
mit Drucksachennummer des Bundestages, aber in der Realität, als Gesellschaft
waren wir nicht ausreichend vorbereitet. Wir müssen Resilienz noch lernen. Dazu
gehört, dass wir bei der Arzneimittelproduktion und zentralen Utensilien für
Seuchenbekämpfung nicht allein auf den Markt setzen können. Wir müssen in Europa
selbst in der Lage sein, die zentralen medizinischen Produkte und Medikamente zu
produzieren, ebenso wie Lebensmittel die wir zum Leben in einer Notlage
brauchen. Dazu gehört, dass wir kritische Infrastrukturen, beispielsweise vor
weitreichenden IT-Angriffen, besser schützen. Wir müssen die Digitalisierung
voranbringen, wir müssen Europa und multilaterale Institutionen stärken und wir
müssen verstehen, dass der Raubbau an den natürlichen Ökosystemen das Risiko von
Epidemien erhöht. So haben Ausbrüche von Infektionskrankheiten in den letzten 40
Jahren immer stärker zugenommen. Circa zwei Drittel davon sind Zoonosen, also
Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen wurden. Wir müssen die
Ursachen für Zoonosen stärker bekämpfen und uns zugleich wappnen, Epidemien
zukünftig besser einzudämmen.
Nur wenn wir uns selbstkritisch reflektieren, können wir uns besser gegen
zukünftige hereinbrechende Katastrophen wappnen. Vorsorge ist politisch das
Schwierigste überhaupt. Aber Corona führt uns jeden Tag vor Augen, wie wichtig
sie ist. Entsprechend geht es uns mit diesem Antrag darum, über die unmittelbare
Krisenbekämpfung hinaus Leitlinien für die nächsten Schritte zu beschließen und
die richtigen Lehren aus der Erfahrung der letzten Wochen zu ziehen. Wir wollen
schneller sein als das Virus, damit seine schlimmsten Folgen verhindert werden
können und wir stärker aus der Krise kommen als wir hineingegangen sind.
Antragstext
Von Zeile 59 bis 61:
Gefahr bleiben und wir werden voraussichtlich noch lange mit weitreichenden Einschränkungen leben müssen. Wir müssen fundiert darüber sprechen wo und wie Lockerungen sind weiter nurbei den jetzigen Beschränkungen stufenweise und unter der Prämisse möglich sind, dass unser Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Einen allgemeinen Immunitätsausweis lehnen wir dafür allerdings ab. Er schafft lediglich noch mehr Ungleichheit und sorgt nicht für eine solidarische Bewältigung der Corona-Epidemie.
Das Corona-Virus hat die Menschheit in einen Ausnahmezustand versetzt. Wir
betrauern bereits über 200.000 Tote und großes Leid. Um die Pandemie zu
bekämpfen, wurde das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben auf der ganzen
Welt weitgehend angehalten, mit dramatischen Auswirkungen: Menschen verlieren
ihre Arbeit, sozialer Stress und häusliche Gewalt nehmen zu. Die Welt steht vor
einer tiefgreifenden Rezession.
Noch befinden wir uns mitten in der Pandemie. Es gilt – mit aller Kraft – die
Zahl der Opfer so gering wie möglich zu halten und zugleich einen sozialen und
ökonomischen Zusammenbruch zu verhindern. Dafür müssen wir weiter große Vorsicht
walten lassen und lernen, für eine längere Zeit mit dem Virus zu leben und es
zugleich immer besser und zielgenauer zu bekämpfen.
Corona ist eine globale Herausforderung, auf die es eine globale Antwort geben
muss. Kein Staat kann sie allein bewältigen. Das gilt vor allem für uns in
Europa. Wir müssen Wege aus der Krise konsequent europäisch denken. Nur
europäisch kommen wir durch diese schwere Zeit, nur gemeinsam werden wir die
Pandemie bekämpfen und unsere Wirtschaft wieder auf die Beine bringen können.
Europas Zusammenhalt hat bereits großen Schaden genommen. Wir müssen jetzt alles
dafür tun, dass das Friedenprojekt Europa zum historischen Kurs der Integration
zurückfindet.
Niemand weiß, wie lange diese globale Ausnahmesituation andauern wird, niemand
kann das tatsächliche Ausmaß und die Auswirkungen wirklich absehen. Aber die
Krise zeigt uns bereits heute, wie wichtig vorausschauendes politisches Handeln
ist. An unserer Zukunftsfähigkeit und Krisenresilienz zu arbeiten, wird am Ende
den Unterschied machen.
In der Not zeigt sich, worauf es ankommt: auf Gemeinsinn, Solidarität und
Humanität. Auf die Erkenntnis, dass deutsche und europäische Interessen eins
sind. Auf starke internationale Institutionen. Auf die Robustheit von
Wirtschaft, Gesundheits- und Sozialsystemen. Auf eine starke Daseinsvorsorge.
Auf die Stärke derer, die man in der Gesellschaft oft nicht sieht:
Lastwagenfahrer*innen, Erntehelfer*innen, Kassierer*innen, Reinigungskräfte und
Pfleger*innen. Auf die vielen Frauen, die nicht nur in schlecht bezahlten
CareBerufen, sondern auch in vielen Familien alles am Laufen halten. Auf bessere
Löhne in systemrelevanten Berufen. Auf eine neue Politik der Sicherheit –
vorsorgend, widerstandsfähig, umfassend und europäisch. Wir brauchen ein neues,
ein nachhaltiges Sicherheitsversprechen.
Dass diese Erkenntnis über den Tag hinaus Bestand hat, ist nicht
selbstverständlich. Wir stehen an einer Wegscheide. Schreiben wir eine alte
Politik, die alte Brüchigkeit, die alten Probleme fort und schaffen damit neue?
Oder treiben wir beherzt die nötigen Veränderungen voran und bauen Wirtschaft
und Gesellschaft auf festem Grund wieder auf? Wir sind überzeugt, dass nur ein
politischer Aufbruch nachhaltig aus der Krise führt. Nur, wenn wir Dinge
grundlegend verändern, wenn wir aus Bekenntnis Wirklichkeit machen, werden wir
diese und die anderen großen Herausforderungen – allen voran die Klimakrise –
bewältigen. Widerstandsfähig gegen globale Krisen zu sein, ist der Schlüssel für
eine neue Sicherheit im 21. Jahrhundert.
Corona und die Bekämpfung des Virus werden unser aller Leben, die
gesellschaftlichen Debatten und die Politik noch lange Zeit prägen. Nach der
Pandemie wird unsere Welt eine andere sein. Doch mit jedem Schritt voran – und
sei er noch so klein – öffnet sich auch ein Fenster in die Zukunft.
Demokratie bewährt sich gerade in der Krise. Sie ist ein lernendes System, in
dem mündige Bürgerinnen und Bürger frei über ihre Zukunft diskutieren. Das ist
die Voraussetzung für Innovation. Aus den jetzigen Erfahrungen können und müssen
wir Lehren für die Zukunft ziehen. Mit Corona enden die politischen Debatten
nicht, sondern beginnen sie neu.
II. Handeln in der Pandemie
Deutschland hat die Pandemie entschlossen bekämpft und bislang das
Gesundheitssystem vor einem Kollaps geschützt. Aber noch ist nichts gewonnen.
Solange ein Impfstoff nicht verfügbar ist, wird das Corona-Virus eine andauernde
Gefahr bleiben und wir werden voraussichtlich noch lange mit weitreichenden
Einschränkungen leben müssen. Wir müssen fundiert darüber sprechen wo und wie Lockerungen sind weiter nurbei den jetzigen Beschränkungen stufenweise und unter
der Prämisse möglich sind, dass unser Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Einen allgemeinen Immunitätsausweis lehnen wir dafür allerdings ab. Er schafft lediglich noch mehr Ungleichheit und sorgt nicht für eine solidarische Bewältigung der Corona-Epidemie.
In dieser Ausnahmezeit ist Verhältnismäßigkeit das Gebot der Stunde. Es ist die
Verantwortung des Staates immer wieder zu prüfen, ob die massiven
Grundrechtseinschränkungen verhältnismäßig sind und ob es mildere Mittel gibt.
Einschränkungen, genauso wie schrittweise Lockerungen, müssen entlang von
klaren, nachvollziehbaren Kriterien so transparent wie möglich erklärt werden,
um Verständnis, Akzeptanz und Vertrauen zu schaffen. Die Einschränkungen müssen
geeignet, erforderlich und angemessen sein, die Folgewirkungen in den Blick
nehmen, mögliche Alternativen betrachten und gründlich abgewogen werden. Sie
sind zeitlich zu befristen und immer wieder aufs Neue zu begründen. Während es
im Shutdown eine große Geschlossenheit gab, droht sich die Gesellschaft in
Phasen der Lockerung zu spalten. Statt sich in Durchhalteparolen und
Lockerungsübungen aufzureiben, brauchen wir eine andere, zielgenauere Strategie
zur Bekämpfung des Virus, die auf Tests, schneller Nachvollziehbarkeit von
Infektionen und auf Schutzmaßnahmen beruht. Wir müssen jetzt daran arbeiten,
dass die Voraussetzungen dafür vor allem in den sensiblen Bereichen geschaffen
werden. Lockerungen müssen sich am Gemeinwohl orientieren und dürfen nicht davon
abhängen, welche Lobbygruppe die stärksten Einflussmöglichkeiten hat.
Mit dem Shutdown haben Bund und Länder die massivsten Grundrechtseingriffe in
der Geschichte der Bundesrepublik sowie beispiellose Hilfspakete beschlossen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben diese Maßnahmen im Bundestag und auf Ebene der
Landesregierungen mitgetragen, Vorschläge eingebracht und damit zu einem
schnellen, geschlossenen Handeln beigetragen. Auch so konnte breites Vertrauen
in den notwendigen Shutdown entstehen. Wir stehen bereit, auch weiter die Last
mit zu schultern. Dafür treiben wir mit eigenen Vorschlägen an, wo
Handlungsbedarf besteht und bremsen, wo nötig. Fraktionen und Parlamente sind
von den Regierungen im Bund und in den Ländern zwingend mit einzubinden. Sie
sind der Ort der demokratischen Debatte, auch in Krisenzeiten.
Bei allem gesellschaftlichen Zusammenstehen werden jetzt zunehmend die
politischen Versäumnisse der Bundesregierung sichtbar. Mit der gleichen
Vehemenz, mit der wir in den Shutdown gegangen sind muss eine funktionierende,
europäisch koordinierte Pandemiewirtschaft aufgebaut werden. Viele Unternehmen
im Land sind bereit zu helfen, und ihre Produktion auf elementar notwendige
Schutzgüter umzustellen. Doch wenn die Bundesregierung nicht koordiniert,
funktioniert es nicht. Wir brauchen zuverlässige Zahlen über den notwendigen
Bedarf, Abnahmegarantien, gegebenenfalls Investitionshilfen und Koordination bei
Engpässen in den Lieferketten.
Testkapazitäten und die Versorgung mit Mund-Nase-Masken müssen drastisch
gesteigert werden. Die Ausstattung mit Schutzkleidung ist gerade für die
sozialen Hilfeeinrichtungen, für die Kinder- und Jugendhilfe,
Frauenberatungsstellen oder Obdachlosenhilfe jetzt notwendig, nicht später. Sie
müssen ebenso wie Pflegeheime mit Schutzmasken ausgestattet werden. Längst
überfällige digitale Lösungen – etwa eine freiwillige Corona-Tracing-App als
wichtiger Baustein in der Epidemiebekämpfung – gibt es noch immer nicht. Die
Gesundheitsämter brauchen ausreichend Personal für regionale Taskforces.
Die Krise befeuert die sozialen Probleme und zeigt, wer keine Lobby hat:
Familien, vor allem Alleinerziehende, und Kinder. So verschärft die Schließung
von Schulen und Kindergärten die Chancenungleichheit für Kinder dramatisch.
Zwischen ‚komplett geschlossen‘ und ‚alle sofort wieder rein‘, muss es Raum für
Verhältnismäßigkeit und pragmatische Lösungen geben – tageweiser
Kleingruppenunterricht, Schüler-Lehrer-Gespräche. Wenn im Betrieb Schichtsysteme
eingeführt werden, klappt das auch in der Kita. Der Staat hat eine
Fürsorgepflicht für Kinder und einen Bildungsauftrag.
Mit neuer Wucht wird sichtbar, wie sehr unser gesellschaftliches Leben und damit
auch unser wirtschaftlicher Wohlstand immer noch darauf beruht, dass Frauen
Kinder betreuen, sich ums Essen kümmern oder die Wohnung putzen. Kinderbetreuung
darf aber nicht zur Privatsache werden, Familien müssen auf den Staat bauen
können. Nötig ist zudem ein großer, umfassender sozialer Schutzschirm, der auch
jene schützt, die arm sind, obdachlos, die Stress, Verhetzungen im Netz,
häuslicher Gewalt, Depressionen oder Suizidgefahr ausgesetzt sind.
Je länger die Pandemie andauert, umso stärker rückt die Frage in den
Vordergrund:Wie mit der Bedrohung durch das Virus leben lernen, ohne das
öffentliche Leben langfristig drastischen Einschränkungen zu unterwerfen? Wir
müssen uns jeden Tag aufs Neue – auch mit Blick auf eine mögliche neue Corona-
Welle – damit auseinandersetzen, wie wir unter Pandemie-Bedingungen Bildung,
Betreuung, Wirtschaft und Handel, Kultur- und Freizeitangebote sowie nicht
zuletzt die Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben organisieren
und gleichzeitig die Menschen bestmöglich vor Ansteckung schützen.
II. Klimakrise und Corona gemeinsam bekämpfen
Die Welt steht vor einer tiefgreifenden Rezession. Der internationale
Währungsfonds prognostiziert, dass Corona zur schlimmsten Wirtschaftskrise seit
der großen Depression der 1930er führen wird. Das ist eine tiefgreifende
wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Herausforderung, der wir uns in
Europa gemeinsam und mit aller Kraft stellen müssen. Die Konjunkturprogramme
müssen deshalb europäisch gedacht, bzw. in Europa aufeinander abgestimmt sein,
damit sich alle Länder im europäischen Binnenmarkt entwickeln können. Niemand
wird es alleine schaffen.
Für dieses historische Moment gibt es keine Blaupause. Die wirtschaftlichen
Auswirkungen treffen fast alle Lebensbereiche und Branchen, aber sie treffen
diese sehr unterschiedlich. Manche Unternehmen können dank Homeoffice nahezu
weiter machen wie vor der Krise, haben aber haben weniger Aufträge. Einige
verbleiben vielleicht noch monatelang im Shutdown und sehen kaum noch eine
Perspektive. Andere können mit deutlichen Beschränkungen langsam wieder
aufmachen, aber ihre Lieferketten funktionieren nicht. Dazu kommt, dass wir mit
den wirtschaftspolitischen Maßnahmen nicht die gesundheitspolitischen
konterkarieren dürfen.
Anders als nach der Finanzkrise werden wir uns in Deutschland dieses Mal nicht
einfach aus der Rezession herausexportieren können. Die Nachfrage ist global
eingebrochen. Und wir müssen eine Antwort darauf finden, dass sich alte soziale
Schieflagen durch Corona verschärfen und neue auftun.
Bei all dem ist die zweite große Aufgabe unserer Zeit, die Klimakrise, zu
bewältigen. Wir erleben nach zwei Hitzesommern schon die nächste Dürre.
Knochentrockene Äcker, Waldbrände im April, das ist auch die Realität in unserem
Land. Und gegen die Klimakrise wird es keinen Impfstoff geben. Nicht in diesem
Jahr und auch in keinem anderen. Wir werden als Weltgemeinschaft scheitern, wenn
die jetzt geplanten Maßnahmen die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen noch
beschleunigen.
Es ist daher entscheidend, jetzt die Weichen richtig zu stellen. Ohne Frage ist
die Rezession mit voller Kraft zu bekämpfen, Jobs und Wettbewerbsfähigkeit zu
erhalten. Tun wir das aber mit einer alten Politik und alten Mitteln,
produzieren wir neue Unsicherheit und steuern auf gigantische soziale und
wirtschaftliche Schäden zu. Unser Handlungsrahmen müssen der Pariser
Klimavertrag und die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung sein.
Vor der Pandemie hatte ein breites Bündnis aus Unternehmen, Klimabewegung,
Gewerkschaften, Forscher*innen und Wissenschaftler*innen, die Chancen erkannt,
die in einem Aufbruch liegen, der Klimaschutz, ökonomische Dynamik und sozialen
Ausgleich zusammenbringt. Wir haben eine doppelte Aufgabe und doppelte Chance:
die durch Corona bedingte Wirtschaftskrise und die Klimakrise zusammen
anzugehen. So wird der Europäische Green Deal zum Pakt für die Transformation
der Wirtschaft.
Es wird massive Anstrengungen und beispiellose Programme brauchen, um diese
Herausforderungen zu lösen. Jetzt ist die Zeit großer und kreativer Antworten
und entschlossenen Handelns. Wir müssen auf der einen Seite kurzfristig
stimulieren und stabilisieren, und zudem den Kurs in Richtung Klimaneutralität
und Zukunftsfähigkeit setzen. Dabei ist völlig klar: Ein solches
Konjunkturprogramm ist auch innerhalb von vielen Jahren so nur ein Mal leistbar.
Umso entschiedener und vorausschauender muss jetzt der richtige Weg zum
Wiederaufbau eingeschlagen werden.
III. Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise – sozial und ökologisch
Es braucht Direkthilfen für die Branchen, die im Shutdown stillstehen müssen und
Konjunkturstimuli für die, die langsam wieder anlaufen.
Dabei ist klar, dass aus Steuermitteln finanzierte Wirtschaftshilfen in der
Rezession an Vorgaben gekoppelt werden müssen: Wenn Aktienkonzerne Dividenden
auszahlen, Unternehmen Firmensitze in Steueroasen haben oder Manager*innen-Boni
auszahlen, können sie keine Hilfe vom Staat erwarten. Unternehmen, die in der
Krise mit staatlichen Geldern unterstützt wurden und in Zukunft wieder
Dividenden auszahlen wollen, müssen diese Hilfen an den Staat zurückzahlen.
Für dieses Jahr sollte ein deutsches Konjunktur-Sofortprogramm von etwa 100
Milliarden Euro vorbereitet werden, das dann schnell greifen kann, wenn die
medizinische Lage ein stärkeres Wiederanfahren des ökonomischen Lebens erlaubt.
Stimulieren wir dann schnell die Konjunktur, verhindern wir, dass Millionen
Menschen in unserem Land durch die Folgen von Corona in Existenznöte geraten,
Pleitewellen unsere Innenstädte veröden lassen, dass das, was uns lieb und teuer
ist, Kultur, Reisen, dauerhaften Schaden nimmt. Es braucht dabei Unterstützung
gerade für die Schwächsten. Die Maßnahmen sind auf die Dauer der
Krisenbewältigung zu befristen und immer wieder zu überprüfen.
Für dieses Sofortprogramm schlagen wir folgende Eckpunkte vor:
Lokalen Einzelhandel stärken – Pleitewellen verhindern
- Der lokale Einzelhandel und insbesondere die inhabergeführte Gastronomie
sowie Kultureinrichtungen leiden durch die Krise massiv. Der Einzelhandel
hat bereits weitere Marktanteile an den Onlinehandel verloren. Um eine
Verödung unserer Innenstädte zu verhindern, soll für die zweite
Jahreshälfte ein Fonds in Höhe von 20 Milliarden Euro aufgelegt werden,
der sich zusammensetzt aus Kaufanreizen, in Form von Kauf-Vor-Ort-
Gutscheinen sowie direkten Zuschüssen, um die Nachfrage, dort wo nötig, zu
stimulieren und eine Belebung der Innenstädte als gesellschaftliche Räume
zu schaffen.
- Es braucht zudem gezielt einen Fonds für weiterhin geschlossene
Kultureinrichtungen und Betriebe, um deren Fortbestand zu sichern, gerade
für kleine Veranstaltungsorte – dies ist wirksamer und fairer als das von
der Bundesregierung geplante Umtauschsystem.
Soziale Absicherung verbessern – Kaufkraft erhalten
- Krisenbedingt soll ein ALG2-Sonderbedarf von 100 Euro für Erwachsene
eingeführt und für Kinder im Bildungs- und Teilhabebezug der Sonderbedarf
um 60 Euro erhöht werden. Alle gesellschaftlichen Gruppen sollten einen
Zugang zur Grundsicherung haben. Wir wollen zudem temporär das BAföG auch
für Studierende öffnen, die sonst nicht förderberechtigt sind, da ihnen
derzeit vielfach die Nebenverdienstmöglichkeiten wegbrechen.
- Solange Kitas und Schulen nicht wieder in vollem Umfang geöffnet haben,
sollen Eltern, die deshalb ihre Kinder betreuen, die Möglichkeit haben, in
Elternzeit zu gehen und dafür ein Corona-Elterngeld erhalten. Das
Elterngeld soll so gestaltet sein, dass es Anreize für eine
gleichberechtigte Kinderbetreuung setzt.
- Das Kurzarbeitergeld soll auf 90 Prozent für Einkommen bis 1.300 Euro
erhöht und bis zu 2.300 Euro degressiv auf 60 Prozent abgesenkt werden.
Wir wollen verhindern, dass kleine Selbständige einen Antrag auf
Grundsicherung stellen müssen. In Bereichen, die einen längeren Shutdown
erfahren, soll deshalb eine Art Kurzarbeitergeld gezahlt werden. Die
Leistung sollte bei 55 Prozent des jeweiligen Steuergewinns der letzten
Jahre liegen, maximal bei 1.500 Euro/Monat.
Ökologische Modernisierung der Industrie beschleunigen
Um den Industrieunternehmen zu helfen, die durch die Pandemie in Existenznöte
geraten, wollen wir großzügige staatliche Unterstützung anbieten. Dabei sollen
die Investitionen gleichzeitig der ohnehin notwendigen ökologischen
Modernisierung dienen, damit die Unternehmen den Einstieg ins klimaneutrale
Zeitalter nicht verpassen, indem sie jetzt falsch abbiegen. Direkte Hilfen
sollen daher die Investitionen fördern, die einem der sechs EU-Umweltziele
dienen (Taxonomie). Und: Firmen müssen bestimme Sozialstandards einhalten. Zudem
sollte der Vorschlag des Sustainable-Finance-Beirats der Bundesregierung
aufgegriffen werden: Wenn Unternehmen belegen, dass sie nach dem Pariser
Klimaabkommen wirtschaften, sollten sie einen Teil der Kredite, die der Staat
jetzt als Hilfen ausgibt, am Ende der Tilgung erlassen bekommen.
Unsere Vorschläge:
- Über eine direkte Innovations- und Investitionsförderung wollen wir
Investitionen in transformative CO2-freie Verfahren und Prozesse durch
direkte Zuschüsse für sogenannte Leuchtturmprojekte fördern. Damit wollen
wir EU-Förderprogramme ergänzen und zudem über degressive Abschreibungen
der getätigten Investitionen für transformative CO2-freie
Industrieprozesse in Höhe von mind. 25 Prozent auch steuerlich Anreize
setzen.
- Wir wollen für die Bürger*innen und insbesondere mittelständische
Unternehmen den Strompreis senken, indem die EEG-Umlage ab dem 1. Juli
2020 um fünf Cent je Kilowattstunde reduziert wird. Das setzt langfristig
ökologisch richtige Anreize, denn wir brauchen die Elektrifizierung
weiterer Sektoren. Bis Ende 2021 kann damit zudem ein Kaufkraft-Effekt von
22 Milliarden Euro erreicht werden. Mittelfristig finanziert sich die
Maßnahme durch die Einnahmen aus dem CO2-Preis.
- Wir wollen den Einstieg in die grüne Wasserstoffwirtschaft beschleunigen.
Damit treiben wir sowohl in Industriebranchen wie Stahl und Chemie als
auch im Luft-, Schiffs- und Güterverkehr gezielt Klimaschutz als auch
höhere Investitionen an. Dazu gewähren wir Investitionszuschüsse für
Wasserstoff-Pipelines und schaffen Innovations- und Experimentierräume, um
verschiedene Geschäftsmodelle und Anwendungen besser erproben zu können.
- Mit Klimaverträgen wollen wir Investitionssicherheit gerade in der
klimaintensiven Industrie schaffen. Damit wollen wir die Differenz
zwischen dem aktuellen CO2-Preis und den tatsächlichen CO2-
Vermeidungskosten erstatten, welche den Unternehmen durch die
Investitionen in neue Verfahren und Technologien entstehen. Dafür werden
die besten Projekte in einem wettbewerblichen Ausschreibungsverfahren
ermittelt und mit den betreffenden Unternehmen Klimaverträge (Carbon
Contracts for Difference) abgeschlossen.
- Für Investitionen von Unternehmen sollte, wie schon in der Finanzkrise,
eine auf zwei Jahre befristete degressive Sonder-Afa eingeführt werden.
- Wir unterstützen die energieintensiven Rechenzentren finanziell dabei,
ihren Stromverbrauch zu senken und auf erneuerbare Energien sowie
energieeffiziente Wasserkühlsysteme umzustellen. So leisten wir auch einen
Beitrag, um die digitale Souveränität Europas voranzubringen.
Die Automobilindustrie ist ein Schlüsselsektor unserer Industrie mit massiver
Bedeutung für hunderttausende Arbeitsplätze und zahllose Zulieferer. Schon vor
der Corona-Pandemie steckte die Automobilwirtschaft in einer Krise, diese hat
sich nun massiv verschärft. Unternehmen und Beschäftigte sind sehr verunsichert,
wie es weitergehen kann, welche Marktentwicklung eintreten wird, ob
Arbeitsplätze gesichert werden können. Wir schlagen ein Zukunftsbündnis von
Unternehmen, Gewerkschaften und Umweltverbänden vor, um die Rezession zu
überwinden, die ökologische Transformation voranzubringen und Beschäftigung zu
sichern. Dieses verbindet zielgerichtete kurzfristige Hilfen mit dem dringend
notwendigen Aufbruch in Richtung Elektromobilität. Dazu gehören ökologische
Kaufanreize und finanzielle Hilfen bei der Modernisierung. Im Gegenzug müssen
umweltschädliche Subventionen abgebaut und in der Kfz-Steuer ein Bonus-Malus-
System eingeführt werden, wodurch emissionsintensive Wagen wie SUVs stärker und
emissionsärmere Fahrzeuge geringer belastet werden. Zudem müssen Quoten für
emissionsfreie Mobilität eingeführt und die EU-Flottengrenzwerte entsprechend
dem Pariser Klimavertrag angepasst werden.
Staatliche Beteiligungen an Unternehmen sind an die Bedingung von ökologischen
und sozialen Kriterien für die jeweiligen Branchen gebunden. Ähnlich wie die
Autobranche ist auch die Luftfahrt hart getroffen. Analog zur Autobranche
müssten staatliche Hilfen an ordnungsrechtliche Vorgaben gekoppelt werden. Wie
in anderen europäischen Ländern gilt es in diesem Zuge, eine CO2-
Reduktionssstrategie für die Luftfahrt vorzulegen, zum Beispiel durch
Streckenschließungen für kürzere Inlandsflüge, Ausweitung des Nachtflugverbots
oder die Erneuerung der Flugzeugflotte durch effizientere und schadstoffärmere
Flugzeuge.
IV. Investitionen in die Zukunft
Wir sollten jetzt ein zehnjähriges Investitionsprogramm von 500 Mrd. Euro
vorbereiten. Allein in unseren Kommunen besteht ein Sanierungsstau von 138 Mrd.
Euro, und hier sind ökologische Investitionen etwa in den Ausbau des
öffentlichen Nahverkehrs noch gar nicht einbezogen. Es braucht gerade jetzt
starke Kommunen, die vor Ort handlungsfähig sind, sei es bei den Sozialdiensten
oder Frauenhäusern. Die Investitionen des Staates müssen deshalb nicht nur in
der Krise, sondern dauerhaft auf ein höheres Niveau gebracht werden. Die
ökonomischen Forschungsinstitute der Unternehmen und Gewerkschaften kommen auf
einen Investitionsbedarf von über 450 Mrd. Euro. Hinzu kommen Investitionen in
unser Gesundheitssystem, deren Notwendigkeit uns durch Corona vor Augen geführt
wurde. Allein unsere Krankenhäuser haben einen zusätzlichen Investitionsbedarf
von mindestens sechs Milliarden Euro pro Jahr. Und in der Pflege sind die
Herausforderungen ebenfalls groß.
Bundes- und Landespolitik sollten alles tun, um diese Investitionen auf den Weg
zu bringen. Dazu gehört, Planungsprozesse jetzt zu starten und das Planungsrecht
zu entbürokratisieren bzw. Regelungen befristet auszusetzen. Gerade jetzt sollte
die öffentliche Hand Planer*innen und Projektsteuernde einstellen und die
Genehmigungsbehörden aufstocken, damit die zusätzlichen Investitionen auch
verbaut werden können. Dazu sollte der Bund durch eine Verwaltungsvereinbarung
einen Fonds mit den Ländern auflegen, aus dem zusätzliche Planungsstellen über
den Zeitraum von mindestens fünf Jahren bezahlt werden können. Viele
Investitionen liegen bei den Kommunen, und viele von Ihnen werden durch
Altlasten erdrückt. Der Bund sollte den Kommunen einen großen Teil ihrer
Altschulden abnehmen, da er sie dauerhaft zu niedrigen und derzeit sogar
negativen Zinsen refinanzieren kann.
Dieses riesige Investitionsvolumen ist gut angelegtes Geld, sowohl um eine große
globale Depression mit unvorhersehbaren gesellschaftlichen und politischen
Folgen zu verhindern, als auch um krisenfestere und nachhaltige neue
Wirtschaftsstrukturen aufzubauen. Natürlich steigen dadurch die Schulden. Die
öffentlichen Haushalte werden in den nächsten Jahren unter dem Druck der Tilgung
dieser aufgenommenen Kredite stehen. Gleichzeitig dürfen wichtige
Zukunftsinvestitionen nicht der Krise geopfert und keine Einschnitte bei der
kommunalen Grundversorgung, der Infrastruktur und der sozialen Sicherung
vorgenommen werden. Für eine nachhaltige Finanzierung der Kosten der Corona-
Krise ist deshalb eine Kreditfinanzierung mit sehr langen und flexiblen
Tilgungszeiträumen notwendig. Und Deutschland zahlt auf seine Schulden derzeit
keine Zinsen. Eine zu schnelle, restriktive Tilgung würde die wirtschaftliche
Erholung und Investitionsfähigkeit des Staates gefährden. Wir müssen deshalb die
Schuldenbremse reformieren, um mehr kreditfinanzierte Investitionen zu
ermöglichen. Immer wieder hat Deutschland nach besonderen Herausforderungen
(Zweiter Weltkrieg, Wiedervereinigung) besondere Formen des Lastenausgleichs
gefunden. Entsprechend brauchen wir zur Tilgung der Schulden einen solidarischen
Ausgleich nach dem Prinzip: Wer starke Schultern hat, kann mehr tragen.
V. Unser Gesundheitssystem stärken
Die Corona-Epidemie legt die Stärken und Schwächen unseres Gesundheitssystems
offen. Unser Gesundheitswesen verfügt über ein gut ausgebautes System der
Diagnostik, eine im europäischen Vergleich gute Akutversorgung mit zahlreichen
Intensivbetten und eine gute technische Ausstattung. Zugleich ist aber deutlich
geworden, dass insbesondere bei der personellen Situation in der Pflege, in der
kommunalen Gesundheitsversorgung, bei der digitalen Vernetzung sowie bei der
Beschaffung und Bevorratung von Schutzausrüstung erhebliche Defizite bestehen,
die behoben werden müssen.
Jetzt müssen wir unser Gesundheitssystem akut so gut stärken, wie es nur geht,
um dieser Epidemie Herr zu werden. Die Vorhaltung von Reservekapazitäten für den
Ernstfall und eine gute und gut bezahlte Personalausstattung müssen Vorrang
haben und gehören ins Zentrum unserer Anstrengungen. Das sollte durchaus
ökonomisch geschehen, aber Sicherheit geht vor. Das heißt konkret, dass uns als
Gesellschaft die Investitionen in medizinische und pflegerische Infrastruktur
und Investitionen in Pandemiemanagement mehr Geld wert sein müssen als bisher.
Wir brauchen eine deutliche Aufwertung und berufsständische Stärkung der Pflege,
attraktivere Arbeitsbedingungen und eine bessere Personalausstattung. Wir müssen
die über Jahre ausgedünnten öffentlichen Gesundheitsdienste, insbesondere die
Gesundheitsämter, besser ausstatten und die Arbeitssituation für die Menschen im
Gesundheits- und Pflegebereich verbessern. Um die Löhne in der Pflege zu
verbessern, sollen die Tarifparteien die Verhandlungen für eine tarifliche
Bezahlung in der Pflege baldmöglichst fortsetzen, damit eine Einigung zeitnah
für allgemeinverbindlich erklärt werden kann. Sollte das trotz laufender
Verhandlungen nicht erreicht werden, müssten gesetzliche Maßnahmen ergriffen
werden. So könnte in einem nächsten Schritt die soziale Pflegeversicherung dazu
verpflichtet werden, nur mit Arbeitgebern Verträge zu schließen, die tariflich
zahlen.
Der durch die Krise teilweise entstehende Schwung bei der Digitalisierung
unseres Gesundheitswesens muss genutzt werden, um Telemedizin und andere für die
Versorgung und die Forschung sinnvolle digitale Angebote auszubauen.
Forschungsdaten sollen unter Wahrung des Persönlichkeitsschutzes leichter
ausgetauscht werden können, genauso wie medizinische Logistik. Wir wollen einen
Investitionspakt von Bund und Ländern, um Krankenhäuser, aber auch den
öffentlichen Gesundheitsdienst bei den notwendigen Investitionen für die
digitale Infrastruktur zu unterstützen.
Mit digitaler Epidemiologie lässt sich aus einer Vielzahl anonymisierter Daten
der Gesundheitsstatus der Bevölkerung in Echtzeit analysieren, um so gezielter
eingreifen und einer künftigen Epidemie besser begegnen zu können. Nicht nur
dafür muss das E-Government der Verwaltung in Deutschland mit Hochdruck
entwickelt werden. Unsere Virolog*innen sind weltweit Spitze und die
Forschungseinrichtungen sind es auch. Wenn hingegen heute noch Gesundheitsdaten
per Fax von Amt zu Amt versendet werden müssen, weil es technisch anders nicht
geht, kostet uns das jetzt im Kampf gegen Corona wertvolle Zeit.
VI. Recht auf Bildung, auch in der Pandemie
Das Coronavirus hält auch der Bildungspolitik den Spiegel vor. Da sind die immer
noch enormen Ungerechtigkeiten, die das deutsche Bildungssystem hervorbringt –
sichtbar zum Beispiel in der unterschiedlichen technischen Ausstattung von
Schulen. Da sind die vielerorts mangelhaften baulichen und sanitären Zustände
von Bildungseinrichtungen, die in Pandemiezeiten noch größere Probleme als sonst
hervorrufen. Da ist, allen Beteuerungen zum Trotz, der immer noch viel geringe
Stellenwert der frühkindlichen Bildung, wenn wieder nur unter dem Label
„Betreuung“ über Kitas gesprochen wird. Was hier in den ersten Jahren
pädagogisch versäumt wird, kann vielfach kaum nachgeholt werden.
Auf der anderen Seite macht das Engagement vieler Akteur*innen Mut für einen
echten Bildungsaufbruch. Bildungsverantwortliche, Schulleitungen, Kommunen,
pädagogische Fach- und Lehrkräfte, aber auch Eltern und Schüler*innen finden
neue, pragmatische und kreative Lösungen in der schwierigen Situation: Sei es
der Unterricht im Park oder die Vertretung der aus medizinischen Gründen
abwesenden Musiklehrerin durch einen Musiker, der derzeit ohne Engagement ist.
Es geht beim Lernen aus der Krise nicht nur um ein bisschen Digitalisierung, es
geht darum, das Bildungssystem so auszurichten, dass Menschen selbstbestimmt,
nachhaltig und aufgeklärt handeln können.
Die Digitalisierung an den Schulen braucht dauerhaft finanzielle Unterstützung
vom Bund, nicht nur einen einmal gefüllten, befristeten Fördertopf. Die
Megaaufgabe Digitalisierung in der Bildung können Bund und Länder nur gemeinsam
schaffen. Die Bereitschaft auf allen Seiten, das deutsche Bildungssystem an die
digitale Welt anzuschließen, war nie so groß wie heute.
Um den Ungerechtigkeiten im Bildungssystem entgegenzuwirken, ist der weitere
Ausbau guter ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote zentral. Hier könnte
die Krise möglicherweise alte Blockaden aufbrechen: Wenn für eine längere Zeit
der klassische Bildungsbetrieb nur eingeschränkt stattfinden kann, sollten Kitas
und Schulen die Möglichkeit haben, unbürokratisch und flexibel neue Lern- und
Freizeit-Angebote zu schaffen. Schulen sollen dafür ein Budget erhalten, das im
Rahmen eines sozialen Schutzschildes aus dem Mitteln des Bundes kommt.
Zusätzlich ist ein Aufholprogramm für Schulen in benachteiligten Regionen und
Stadtteilen nach der Krise nötiger denn je, damit jene, die schon vor Corona
drohten, abgehängt zu werden, den Anschluss nicht verlieren.
VII. Eine neue Chance für Europa
Ganz Europa ist von der Corona-Krise betroffen. Unser Kontinent ist derzeit die
Region mit den meisten Infizierten weltweit. Alle sind betroffen, manche
Regionen, wie die Lombardei, das Elsass, Madrid ganz besonders. Wie schon in der
letzten Finanzkrise und der Flüchtlingskrise haben einige europäische Staaten
auch in der Corona Krise unsolidarisch und uneuropäisch gehandelt. Die Pandemie
darf die Spaltung in der EU nicht noch weiter verschärfen. Wenn Europa jetzt
nicht zusammensteht, springen andere in die Lücke und versuchen ihren
geopolitischen Einfluss noch weiter auszudehnen. Aber es gibt viele Beispiele
europäischer Solidarität, die Mut machen, dass die europäische Idee in dieser
Zeit besteht: europäische Patient*innen werden in deutschen Krankenhäusern
behandelt, über europäische Städtepartnerschaften wird kommunale Hilfe
organisiert, viele Personen aus der Zivilgesellschaft haben individuelle
Initiativen gestartet. Wir müssen diese Krise als Wendepunkt begreifen die
Gemeinschaft zu vertiefen. Dann kann Europa sogar gestärkt aus ihr hervorgehen.
Wir wollen so schnell wie möglich zu den offenen Grenzen des Schengen-Raums
zurückkehren. Bei der Bekämpfung von Corona muss Europa zu seinen Werten stehen
und offen bleiben. Grenzkontrollen und Einreiseverbote müssen medizinisch
begründet, abgestimmt und verhältnismäßig sein. An die Stelle willkürlicher
Grenzkontrollen auf nationaler Ebene sollten zielgerichtete Beschränkungen auf
regionaler Ebene (die dann durchaus auch grenzübergreifend gelten) treten. Die
Kriterien müssen nicht überall zu einhundert Prozent identisch, aber
wirkungsgleich sein. Wo notwendig, muss an den Grenzen auf die Frage des
effektiven Gesundheitsschutzes fokussiert werden.
Europa braucht eine Koordinierung der Strategien aus dem Shutdown, auch um zu
verhindern, dass Lieferketten unterbrochen werden. Eine europäische
Pandemiewirtschaft sollte eine massive Produktion an medizinischer Ausrüstung
zum Ziel haben. Die Staaten sollten die Beschaffung gemeinsam organisieren bzw.
untereinander abstimmen, um zu verhindern, dass man sich gegenseitig Konkurrenz
macht. Die europäischen Anstrengungen in der Impfstoffforschung sollten
verstärkt werden. Wir fordern einen EU-Corona-Forschungsfonds für Medikamente
und Impfstoffe, die dann unter Gemeinwohllizenz vermarktet werden. Für die Zeit
nach der Pandemie sollte das European Center for Desease Prevention and Control
(ECDC) in die Lage versetzt werden, bei zukünftigen Pandemien schnell
Unterstützungsleistungen für besonders betroffenen Länder zu leisten, damit kein
Krankenhaus in Europa in die Lage kommt, Menschen nicht angemessen medizinisch
versorgen zu können. Die bevorstehende deutsche Ratspräsidentschaft sollte auch
genutzt werden, um die Arzneimittelproduktion wieder verstärkt in Europa
anzusiedeln, um in diesen lebenswichtigen Bereichen nicht von transkontinentalen
Lieferketten abhängig zu sein.
Mit den Entscheidungen der Europäischen Zentralbank (EZB) konnte eine neuerliche
Finanz- und Währungskrise fürs Erste abgewehrt werden. Wieder einmal musste die
EZB einspringen, weil die Staats- und Regierungschefs nicht in der Lage waren,
umfassende Maßnahmen wie gemeinsame Corona-Bonds für die Krisenbewältigung zu
beschließen. Das jetzt vereinbarte Paket aus ESM-Hilfen, Unternehmenskrediten
über die Europäische Investitionsbank und das europäische Kurzarbeitergeld ist
ein erster Schritt, aber unzureichend.
Wenn jetzt in Ländern wie Spanien und Italien aus Angst vor einer Überschuldung
zu wenig getan werden kann, trifft das nicht nur die dortige Bevölkerung hart,
sondern am Ende alle Mitglieder der Union. Gerade die deutsche Wirtschaft ist
eng verknüpft mit diesen Ländern. Wenn dort keine deutschen Produkte mehr
gekauft werden, führt dies zu einer stark steigenden Arbeitslosigkeit bei uns.
Und wenn dort die Produktion wegen der Pandemie nicht wieder anlaufen kann,
stehen wegen der verwobenen Lieferketten hierzulande Bänder still. Nur wenn
Italien wieder auf die Beine kommt, wird Deutschland es auch. China wird
versuchen, sich in der kommenden Rezession in die europäische Wirtschaft
einzukaufen, und Putin die Möglichkeit nutzen, um europäischen Demokratien zu
destabilisieren. Nur wenn Europa seine Interessen gemeinsam wahrnimmt, werden
insbesondere Süd- und Osteuropa diese Angebote ablehnen können
Diese europäische Antwort muss einen gemeinsamen Recovery Fund beinhalten, der
durch gemeinsame Anleihen finanziert wird, um so die Krisenlasten gemeinsam und
solidarisch zu schultern. Die Ausgaben sollten sich an den Pariser
Klimaschutzzielen und dem Green Deal orientieren. Der Recovery Fund hat einen
Umfang von mindestens einer Billion Euro und ist damit dem Ernst und der Größe
der Herausforderung angemessen. Die Verschuldung zählt nicht in die nationalen
Schuldenquoten. Vielmehr ermöglicht die gemeinsame Haftung Zinsen unterhalb der
Inflation.
Während viele Unternehmen, insbesondere Mittelständler und der Einzelhandel in
den Innenstädten, gerade leiden, machen große Digitalkonzerne riesige Gewinne.
Zugleich zahlen sie weniger Steuern als vergleichbare traditionelle Unternehmen.
Deshalb wäre jetzt spätestens der Zeitpunkt, dass sich die Bundesregierung
diesem Steuerdumping entgegenstellt und ihre Blockade bei der europäischen
Digitalsteuer aufgibt. Schon der Vorschlag der EU-Kommission, die Umsätze
digitaler Großunternehmen an dem Ort, wo sie tätig sind, mit drei Prozent zu
besteuern, würde zu geschätzten Einnahmen von fünf Milliarden Euro führen. Wenn
einzelne EU-Mitgliedstaaten weiterhin blockieren, braucht es eine Koalition der
Willigen als ersten Schritt zu einer europäischen und globalen Lösung.
In der Krise erweist sich, dass das jahrelange Bremsen und Verweigern der
deutschen Bundesregierung in zentralen europäischen Fragen als schwere Hypothek.
Nach der Krise müssen in der Europäischen Union die seit Jahren aufgeschobenen
Entscheidungen zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion, wie
beispielsweise ein eigener EU-Haushalt mit einem eigenen fiskalpolitischen
Instrument, der Umgang mit Handelsungleichgewichten und die Vollendung der
Bankenunion endlich angegangen werden. Ein größerer EU-Haushalt ab 2021 bedeutet
auch einen größeren deutschen Beitrag und mehr Möglichkeiten für die Union,
eigene Einnahmen zu generieren. Um Europa neu aufzustellen muss die
Bundesregierung nicht jeden Vorschlag anderer Länder übernehmen, sie muss aber
endlich auch eigene konstruktive Vorschläge machen, um die Probleme zu lösen und
nicht weiterhin nur verweigern und im Falle einer Krise die gesamte
wirtschaftspolitische Verantwortung der Europäischen Zentralbank zuschieben. Zu
den notwendigen Fragen gehört auch die Überprüfung des Stabilitäts- und
Wachstumspakts.
Die Welt wird nur im Geist der Kooperation gut durch diese Pandemie kommen. So
vernetzt sie ist, so kurzsichtig egoistisch handeln derzeit die meisten
Nationalstaaten. Wenn Europa kooperativ und solidarisch vorangeht, schaffen wir
eine starke und unwiderstehliche Gegenerzählung mit globaler Wirkung. Die ganze
Welt kämpft gegen diese Corona-Pandemie. Deshalb müssen in der Pandemie die
Zölle für überlebenswichtige Produkte wegfallen und Exportbeschränkungen
aufgehoben werden. Sieben Milliarden Menschen warten auf einen Impfstoff und
Medikamente gegen COVID-19. Es muss dafür gesorgt werden, dass beides, sobald
vorhanden, global, schnell und zu einem günstigen Preis verfügbar ist.
Wir müssen deshalb über eine Lockerungen der Regeln geistigen Eigentums
nachdenken und die Besitzer*innen geistigen Eigentums dazu aufrufen, günstige
Lizenzen in einem internationalen Patentpool anzubieten, der über die WTO
koordiniert wird – insbesondere für einen neu entwickelten Impfstoff oder eine
anerkannte Therapie. Die globale Rezession droht in den Entwicklungs- und
Schwellenländern ein Brandbeschleuniger der Schuldenkrise und damit von Armut,
Flucht und Konflikten zu werden. Deutschland muss sich dafür einsetzen, dass die
Schulden des globalen Südens erlassen werden. Weiterhin braucht es eine
deutliche Erhöhung der Sonderziehungsrechte beim Internationalen Währungsfonds,
um besser gegen spekulative Kapitalflucht gewappnet zu sein. Wir dürfen nicht
zulassen, dass globale Ungleichheiten noch weiter verschärft werden. Wir
brauchen ein globales Hilfspaket gegen das Corona-Virus und seine Folgen und
eine Stärkung der Vereinten Nationen.
Wir unterstützen die Forderung des UN-Generalsekretärs nach weltweiten
Waffenstillständen. Die Bundesregierung sollte ihren Einfluss bei den
europäischen und internationalen Partnern geltend machen, um auf dieses Ziel
hinzuarbeiten. Sie muss schnell ausreichende zusätzliche Mittel für
Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen.
Gleichzeitig dürfen die internationale Gemeinschaft und die deutsche humanitäre
Hilfe sowie die Entwicklungszusammenarbeit nicht bei Maßnahmen in bestehenden
Gesundheitsprogrammen nachlassen.
VIII. Stärker aus der Krise
Die Pandemie führt uns vor Augen, was wir vermissen und unbedingt wiedergewinnen
wollen: unsere Freiheit, soziale Nähe und die Vielschichtigkeit unseres Lebens;
den öffentlichen Raum; Kitas, Schulen und Hochschulen; den direkten Austausch
mit den Kolleg*innen am Arbeitsplatz; Kultur und das bunte Leben, mit Kneipen,
Kinos, Konzerten, lebendigen Innenstädten, die uns weiter fehlen und die jetzt
um ihre Existenz kämpfen; unser vereintes und offenes Europa.
Der Shutdown hat uns auch gezeigt, was wir stärker wertschätzen und fördern
müssen:
Die Klugheit einer aufgeklärten Gesellschaft, die fähig ist präventiv zu
handeln; in einem funktionierenden demokratischen Rechtsstaat zu leben; unsere
öffentliche Daseinsvorsorge, ein lebendiges Gemeinwesen vor Ort und ein starker
Sozialstaat; unabhängige Qualitätsmedien und den Öffentlich-Rechtlichen
Rundfunk; solidarische Menschen und einen solidarischen Staat; saubere Luft auch
in den Städten und staufreie Straßen; die Möglichkeit des Homeoffice; ein
parlamentarisches Miteinander zwischen Regierung und Opposition, das gemeinsam
Dinge löst, statt nur gegeneinander zu arbeiten.
Nicht zuletzt führt uns die Corona-Krise vor Augen, was wir in der Vergangenheit
versäumt haben. Es gab Pandemiewarnungen und sogar Pandemienotfallvorkehrungen
mit Drucksachennummer des Bundestages, aber in der Realität, als Gesellschaft
waren wir nicht ausreichend vorbereitet. Wir müssen Resilienz noch lernen. Dazu
gehört, dass wir bei der Arzneimittelproduktion und zentralen Utensilien für
Seuchenbekämpfung nicht allein auf den Markt setzen können. Wir müssen in Europa
selbst in der Lage sein, die zentralen medizinischen Produkte und Medikamente zu
produzieren, ebenso wie Lebensmittel die wir zum Leben in einer Notlage
brauchen. Dazu gehört, dass wir kritische Infrastrukturen, beispielsweise vor
weitreichenden IT-Angriffen, besser schützen. Wir müssen die Digitalisierung
voranbringen, wir müssen Europa und multilaterale Institutionen stärken und wir
müssen verstehen, dass der Raubbau an den natürlichen Ökosystemen das Risiko von
Epidemien erhöht. So haben Ausbrüche von Infektionskrankheiten in den letzten 40
Jahren immer stärker zugenommen. Circa zwei Drittel davon sind Zoonosen, also
Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen wurden. Wir müssen die
Ursachen für Zoonosen stärker bekämpfen und uns zugleich wappnen, Epidemien
zukünftig besser einzudämmen.
Nur wenn wir uns selbstkritisch reflektieren, können wir uns besser gegen
zukünftige hereinbrechende Katastrophen wappnen. Vorsorge ist politisch das
Schwierigste überhaupt. Aber Corona führt uns jeden Tag vor Augen, wie wichtig
sie ist. Entsprechend geht es uns mit diesem Antrag darum, über die unmittelbare
Krisenbekämpfung hinaus Leitlinien für die nächsten Schritte zu beschließen und
die richtigen Lehren aus der Erfahrung der letzten Wochen zu ziehen. Wir wollen
schneller sein als das Virus, damit seine schlimmsten Folgen verhindert werden
können und wir stärker aus der Krise kommen als wir hineingegangen sind.
weitere Antragsteller*innen
- Sven Lehmann (KV Köln)
- Hanna Steinmüller (KV Berlin-Mitte)
- Silke Gebel (KV Berlin-Mitte)
- Katharina Schulze (KV München)
- Sebastian Walter (Berlin-Tempelhof/Schöneberg KV)
- Henrik Rubner (KV Berlin-Mitte)
- Madeleine Henfling (Ilm-Kreis KV)
Fehler:Du musst dich einloggen, um Anträge unterstützen zu können.
Von Zeile 59 bis 61:
Gefahr bleiben und wir werden voraussichtlich noch lange mit weitreichenden Einschränkungen leben müssen. Wir müssen fundiert darüber sprechen, wo und wie Lockerungen sind weiter nurbei den jetzigen Beschränkungen stufenweise und unter der Prämisse möglich sind, dass unser Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Der von der Bundesregierung geplante allgemeine Immunitätsausweis ist kontraproduktiv, weil er ein Anreiz sein kann, sich mutwillig zu infizieren. Zudem ist sein gesellschaftliches Spaltungspotential enorm, Diskriminierungen in Privatleben, Beruf und öffentlichen Raum könnten seine Folge sein. Wir lehnen ihn ab.
Das Corona-Virus hat die Menschheit in einen Ausnahmezustand versetzt. Wir
betrauern bereits über 200.000 Tote und großes Leid. Um die Pandemie zu
bekämpfen, wurde das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben auf der ganzen
Welt weitgehend angehalten, mit dramatischen Auswirkungen: Menschen verlieren
ihre Arbeit, sozialer Stress und häusliche Gewalt nehmen zu. Die Welt steht vor
einer tiefgreifenden Rezession.
Noch befinden wir uns mitten in der Pandemie. Es gilt – mit aller Kraft – die
Zahl der Opfer so gering wie möglich zu halten und zugleich einen sozialen und
ökonomischen Zusammenbruch zu verhindern. Dafür müssen wir weiter große Vorsicht
walten lassen und lernen, für eine längere Zeit mit dem Virus zu leben und es
zugleich immer besser und zielgenauer zu bekämpfen.
Corona ist eine globale Herausforderung, auf die es eine globale Antwort geben
muss. Kein Staat kann sie allein bewältigen. Das gilt vor allem für uns in
Europa. Wir müssen Wege aus der Krise konsequent europäisch denken. Nur
europäisch kommen wir durch diese schwere Zeit, nur gemeinsam werden wir die
Pandemie bekämpfen und unsere Wirtschaft wieder auf die Beine bringen können.
Europas Zusammenhalt hat bereits großen Schaden genommen. Wir müssen jetzt alles
dafür tun, dass das Friedenprojekt Europa zum historischen Kurs der Integration
zurückfindet.
Niemand weiß, wie lange diese globale Ausnahmesituation andauern wird, niemand
kann das tatsächliche Ausmaß und die Auswirkungen wirklich absehen. Aber die
Krise zeigt uns bereits heute, wie wichtig vorausschauendes politisches Handeln
ist. An unserer Zukunftsfähigkeit und Krisenresilienz zu arbeiten, wird am Ende
den Unterschied machen.
In der Not zeigt sich, worauf es ankommt: auf Gemeinsinn, Solidarität und
Humanität. Auf die Erkenntnis, dass deutsche und europäische Interessen eins
sind. Auf starke internationale Institutionen. Auf die Robustheit von
Wirtschaft, Gesundheits- und Sozialsystemen. Auf eine starke Daseinsvorsorge.
Auf die Stärke derer, die man in der Gesellschaft oft nicht sieht:
Lastwagenfahrer*innen, Erntehelfer*innen, Kassierer*innen, Reinigungskräfte und
Pfleger*innen. Auf die vielen Frauen, die nicht nur in schlecht bezahlten
CareBerufen, sondern auch in vielen Familien alles am Laufen halten. Auf bessere
Löhne in systemrelevanten Berufen. Auf eine neue Politik der Sicherheit –
vorsorgend, widerstandsfähig, umfassend und europäisch. Wir brauchen ein neues,
ein nachhaltiges Sicherheitsversprechen.
Dass diese Erkenntnis über den Tag hinaus Bestand hat, ist nicht
selbstverständlich. Wir stehen an einer Wegscheide. Schreiben wir eine alte
Politik, die alte Brüchigkeit, die alten Probleme fort und schaffen damit neue?
Oder treiben wir beherzt die nötigen Veränderungen voran und bauen Wirtschaft
und Gesellschaft auf festem Grund wieder auf? Wir sind überzeugt, dass nur ein
politischer Aufbruch nachhaltig aus der Krise führt. Nur, wenn wir Dinge
grundlegend verändern, wenn wir aus Bekenntnis Wirklichkeit machen, werden wir
diese und die anderen großen Herausforderungen – allen voran die Klimakrise –
bewältigen. Widerstandsfähig gegen globale Krisen zu sein, ist der Schlüssel für
eine neue Sicherheit im 21. Jahrhundert.
Corona und die Bekämpfung des Virus werden unser aller Leben, die
gesellschaftlichen Debatten und die Politik noch lange Zeit prägen. Nach der
Pandemie wird unsere Welt eine andere sein. Doch mit jedem Schritt voran – und
sei er noch so klein – öffnet sich auch ein Fenster in die Zukunft.
Demokratie bewährt sich gerade in der Krise. Sie ist ein lernendes System, in
dem mündige Bürgerinnen und Bürger frei über ihre Zukunft diskutieren. Das ist
die Voraussetzung für Innovation. Aus den jetzigen Erfahrungen können und müssen
wir Lehren für die Zukunft ziehen. Mit Corona enden die politischen Debatten
nicht, sondern beginnen sie neu.
II. Handeln in der Pandemie
Deutschland hat die Pandemie entschlossen bekämpft und bislang das
Gesundheitssystem vor einem Kollaps geschützt. Aber noch ist nichts gewonnen.
Solange ein Impfstoff nicht verfügbar ist, wird das Corona-Virus eine andauernde
Gefahr bleiben und wir werden voraussichtlich noch lange mit weitreichenden
Einschränkungen leben müssen. Wir müssen fundiert darüber sprechen, wo und wie Lockerungen sind weiter nurbei den jetzigen Beschränkungen stufenweise und unter
der Prämisse möglich sind, dass unser Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Der von der Bundesregierung geplante allgemeine Immunitätsausweis ist kontraproduktiv, weil er ein Anreiz sein kann, sich mutwillig zu infizieren. Zudem ist sein gesellschaftliches Spaltungspotential enorm, Diskriminierungen in Privatleben, Beruf und öffentlichen Raum könnten seine Folge sein. Wir lehnen ihn ab.
In dieser Ausnahmezeit ist Verhältnismäßigkeit das Gebot der Stunde. Es ist die
Verantwortung des Staates immer wieder zu prüfen, ob die massiven
Grundrechtseinschränkungen verhältnismäßig sind und ob es mildere Mittel gibt.
Einschränkungen, genauso wie schrittweise Lockerungen, müssen entlang von
klaren, nachvollziehbaren Kriterien so transparent wie möglich erklärt werden,
um Verständnis, Akzeptanz und Vertrauen zu schaffen. Die Einschränkungen müssen
geeignet, erforderlich und angemessen sein, die Folgewirkungen in den Blick
nehmen, mögliche Alternativen betrachten und gründlich abgewogen werden. Sie
sind zeitlich zu befristen und immer wieder aufs Neue zu begründen. Während es
im Shutdown eine große Geschlossenheit gab, droht sich die Gesellschaft in
Phasen der Lockerung zu spalten. Statt sich in Durchhalteparolen und
Lockerungsübungen aufzureiben, brauchen wir eine andere, zielgenauere Strategie
zur Bekämpfung des Virus, die auf Tests, schneller Nachvollziehbarkeit von
Infektionen und auf Schutzmaßnahmen beruht. Wir müssen jetzt daran arbeiten,
dass die Voraussetzungen dafür vor allem in den sensiblen Bereichen geschaffen
werden. Lockerungen müssen sich am Gemeinwohl orientieren und dürfen nicht davon
abhängen, welche Lobbygruppe die stärksten Einflussmöglichkeiten hat.
Mit dem Shutdown haben Bund und Länder die massivsten Grundrechtseingriffe in
der Geschichte der Bundesrepublik sowie beispiellose Hilfspakete beschlossen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben diese Maßnahmen im Bundestag und auf Ebene der
Landesregierungen mitgetragen, Vorschläge eingebracht und damit zu einem
schnellen, geschlossenen Handeln beigetragen. Auch so konnte breites Vertrauen
in den notwendigen Shutdown entstehen. Wir stehen bereit, auch weiter die Last
mit zu schultern. Dafür treiben wir mit eigenen Vorschlägen an, wo
Handlungsbedarf besteht und bremsen, wo nötig. Fraktionen und Parlamente sind
von den Regierungen im Bund und in den Ländern zwingend mit einzubinden. Sie
sind der Ort der demokratischen Debatte, auch in Krisenzeiten.
Bei allem gesellschaftlichen Zusammenstehen werden jetzt zunehmend die
politischen Versäumnisse der Bundesregierung sichtbar. Mit der gleichen
Vehemenz, mit der wir in den Shutdown gegangen sind muss eine funktionierende,
europäisch koordinierte Pandemiewirtschaft aufgebaut werden. Viele Unternehmen
im Land sind bereit zu helfen, und ihre Produktion auf elementar notwendige
Schutzgüter umzustellen. Doch wenn die Bundesregierung nicht koordiniert,
funktioniert es nicht. Wir brauchen zuverlässige Zahlen über den notwendigen
Bedarf, Abnahmegarantien, gegebenenfalls Investitionshilfen und Koordination bei
Engpässen in den Lieferketten.
Testkapazitäten und die Versorgung mit Mund-Nase-Masken müssen drastisch
gesteigert werden. Die Ausstattung mit Schutzkleidung ist gerade für die
sozialen Hilfeeinrichtungen, für die Kinder- und Jugendhilfe,
Frauenberatungsstellen oder Obdachlosenhilfe jetzt notwendig, nicht später. Sie
müssen ebenso wie Pflegeheime mit Schutzmasken ausgestattet werden. Längst
überfällige digitale Lösungen – etwa eine freiwillige Corona-Tracing-App als
wichtiger Baustein in der Epidemiebekämpfung – gibt es noch immer nicht. Die
Gesundheitsämter brauchen ausreichend Personal für regionale Taskforces.
Die Krise befeuert die sozialen Probleme und zeigt, wer keine Lobby hat:
Familien, vor allem Alleinerziehende, und Kinder. So verschärft die Schließung
von Schulen und Kindergärten die Chancenungleichheit für Kinder dramatisch.
Zwischen ‚komplett geschlossen‘ und ‚alle sofort wieder rein‘, muss es Raum für
Verhältnismäßigkeit und pragmatische Lösungen geben – tageweiser
Kleingruppenunterricht, Schüler-Lehrer-Gespräche. Wenn im Betrieb Schichtsysteme
eingeführt werden, klappt das auch in der Kita. Der Staat hat eine
Fürsorgepflicht für Kinder und einen Bildungsauftrag.
Mit neuer Wucht wird sichtbar, wie sehr unser gesellschaftliches Leben und damit
auch unser wirtschaftlicher Wohlstand immer noch darauf beruht, dass Frauen
Kinder betreuen, sich ums Essen kümmern oder die Wohnung putzen. Kinderbetreuung
darf aber nicht zur Privatsache werden, Familien müssen auf den Staat bauen
können. Nötig ist zudem ein großer, umfassender sozialer Schutzschirm, der auch
jene schützt, die arm sind, obdachlos, die Stress, Verhetzungen im Netz,
häuslicher Gewalt, Depressionen oder Suizidgefahr ausgesetzt sind.
Je länger die Pandemie andauert, umso stärker rückt die Frage in den
Vordergrund:Wie mit der Bedrohung durch das Virus leben lernen, ohne das
öffentliche Leben langfristig drastischen Einschränkungen zu unterwerfen? Wir
müssen uns jeden Tag aufs Neue – auch mit Blick auf eine mögliche neue Corona-
Welle – damit auseinandersetzen, wie wir unter Pandemie-Bedingungen Bildung,
Betreuung, Wirtschaft und Handel, Kultur- und Freizeitangebote sowie nicht
zuletzt die Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben organisieren
und gleichzeitig die Menschen bestmöglich vor Ansteckung schützen.
II. Klimakrise und Corona gemeinsam bekämpfen
Die Welt steht vor einer tiefgreifenden Rezession. Der internationale
Währungsfonds prognostiziert, dass Corona zur schlimmsten Wirtschaftskrise seit
der großen Depression der 1930er führen wird. Das ist eine tiefgreifende
wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Herausforderung, der wir uns in
Europa gemeinsam und mit aller Kraft stellen müssen. Die Konjunkturprogramme
müssen deshalb europäisch gedacht, bzw. in Europa aufeinander abgestimmt sein,
damit sich alle Länder im europäischen Binnenmarkt entwickeln können. Niemand
wird es alleine schaffen.
Für dieses historische Moment gibt es keine Blaupause. Die wirtschaftlichen
Auswirkungen treffen fast alle Lebensbereiche und Branchen, aber sie treffen
diese sehr unterschiedlich. Manche Unternehmen können dank Homeoffice nahezu
weiter machen wie vor der Krise, haben aber haben weniger Aufträge. Einige
verbleiben vielleicht noch monatelang im Shutdown und sehen kaum noch eine
Perspektive. Andere können mit deutlichen Beschränkungen langsam wieder
aufmachen, aber ihre Lieferketten funktionieren nicht. Dazu kommt, dass wir mit
den wirtschaftspolitischen Maßnahmen nicht die gesundheitspolitischen
konterkarieren dürfen.
Anders als nach der Finanzkrise werden wir uns in Deutschland dieses Mal nicht
einfach aus der Rezession herausexportieren können. Die Nachfrage ist global
eingebrochen. Und wir müssen eine Antwort darauf finden, dass sich alte soziale
Schieflagen durch Corona verschärfen und neue auftun.
Bei all dem ist die zweite große Aufgabe unserer Zeit, die Klimakrise, zu
bewältigen. Wir erleben nach zwei Hitzesommern schon die nächste Dürre.
Knochentrockene Äcker, Waldbrände im April, das ist auch die Realität in unserem
Land. Und gegen die Klimakrise wird es keinen Impfstoff geben. Nicht in diesem
Jahr und auch in keinem anderen. Wir werden als Weltgemeinschaft scheitern, wenn
die jetzt geplanten Maßnahmen die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen noch
beschleunigen.
Es ist daher entscheidend, jetzt die Weichen richtig zu stellen. Ohne Frage ist
die Rezession mit voller Kraft zu bekämpfen, Jobs und Wettbewerbsfähigkeit zu
erhalten. Tun wir das aber mit einer alten Politik und alten Mitteln,
produzieren wir neue Unsicherheit und steuern auf gigantische soziale und
wirtschaftliche Schäden zu. Unser Handlungsrahmen müssen der Pariser
Klimavertrag und die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung sein.
Vor der Pandemie hatte ein breites Bündnis aus Unternehmen, Klimabewegung,
Gewerkschaften, Forscher*innen und Wissenschaftler*innen, die Chancen erkannt,
die in einem Aufbruch liegen, der Klimaschutz, ökonomische Dynamik und sozialen
Ausgleich zusammenbringt. Wir haben eine doppelte Aufgabe und doppelte Chance:
die durch Corona bedingte Wirtschaftskrise und die Klimakrise zusammen
anzugehen. So wird der Europäische Green Deal zum Pakt für die Transformation
der Wirtschaft.
Es wird massive Anstrengungen und beispiellose Programme brauchen, um diese
Herausforderungen zu lösen. Jetzt ist die Zeit großer und kreativer Antworten
und entschlossenen Handelns. Wir müssen auf der einen Seite kurzfristig
stimulieren und stabilisieren, und zudem den Kurs in Richtung Klimaneutralität
und Zukunftsfähigkeit setzen. Dabei ist völlig klar: Ein solches
Konjunkturprogramm ist auch innerhalb von vielen Jahren so nur ein Mal leistbar.
Umso entschiedener und vorausschauender muss jetzt der richtige Weg zum
Wiederaufbau eingeschlagen werden.
III. Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise – sozial und ökologisch
Es braucht Direkthilfen für die Branchen, die im Shutdown stillstehen müssen und
Konjunkturstimuli für die, die langsam wieder anlaufen.
Dabei ist klar, dass aus Steuermitteln finanzierte Wirtschaftshilfen in der
Rezession an Vorgaben gekoppelt werden müssen: Wenn Aktienkonzerne Dividenden
auszahlen, Unternehmen Firmensitze in Steueroasen haben oder Manager*innen-Boni
auszahlen, können sie keine Hilfe vom Staat erwarten. Unternehmen, die in der
Krise mit staatlichen Geldern unterstützt wurden und in Zukunft wieder
Dividenden auszahlen wollen, müssen diese Hilfen an den Staat zurückzahlen.
Für dieses Jahr sollte ein deutsches Konjunktur-Sofortprogramm von etwa 100
Milliarden Euro vorbereitet werden, das dann schnell greifen kann, wenn die
medizinische Lage ein stärkeres Wiederanfahren des ökonomischen Lebens erlaubt.
Stimulieren wir dann schnell die Konjunktur, verhindern wir, dass Millionen
Menschen in unserem Land durch die Folgen von Corona in Existenznöte geraten,
Pleitewellen unsere Innenstädte veröden lassen, dass das, was uns lieb und teuer
ist, Kultur, Reisen, dauerhaften Schaden nimmt. Es braucht dabei Unterstützung
gerade für die Schwächsten. Die Maßnahmen sind auf die Dauer der
Krisenbewältigung zu befristen und immer wieder zu überprüfen.
Für dieses Sofortprogramm schlagen wir folgende Eckpunkte vor:
Lokalen Einzelhandel stärken – Pleitewellen verhindern
- Der lokale Einzelhandel und insbesondere die inhabergeführte Gastronomie
sowie Kultureinrichtungen leiden durch die Krise massiv. Der Einzelhandel
hat bereits weitere Marktanteile an den Onlinehandel verloren. Um eine
Verödung unserer Innenstädte zu verhindern, soll für die zweite
Jahreshälfte ein Fonds in Höhe von 20 Milliarden Euro aufgelegt werden,
der sich zusammensetzt aus Kaufanreizen, in Form von Kauf-Vor-Ort-
Gutscheinen sowie direkten Zuschüssen, um die Nachfrage, dort wo nötig, zu
stimulieren und eine Belebung der Innenstädte als gesellschaftliche Räume
zu schaffen.
- Es braucht zudem gezielt einen Fonds für weiterhin geschlossene
Kultureinrichtungen und Betriebe, um deren Fortbestand zu sichern, gerade
für kleine Veranstaltungsorte – dies ist wirksamer und fairer als das von
der Bundesregierung geplante Umtauschsystem.
Soziale Absicherung verbessern – Kaufkraft erhalten
- Krisenbedingt soll ein ALG2-Sonderbedarf von 100 Euro für Erwachsene
eingeführt und für Kinder im Bildungs- und Teilhabebezug der Sonderbedarf
um 60 Euro erhöht werden. Alle gesellschaftlichen Gruppen sollten einen
Zugang zur Grundsicherung haben. Wir wollen zudem temporär das BAföG auch
für Studierende öffnen, die sonst nicht förderberechtigt sind, da ihnen
derzeit vielfach die Nebenverdienstmöglichkeiten wegbrechen.
- Solange Kitas und Schulen nicht wieder in vollem Umfang geöffnet haben,
sollen Eltern, die deshalb ihre Kinder betreuen, die Möglichkeit haben, in
Elternzeit zu gehen und dafür ein Corona-Elterngeld erhalten. Das
Elterngeld soll so gestaltet sein, dass es Anreize für eine
gleichberechtigte Kinderbetreuung setzt.
- Das Kurzarbeitergeld soll auf 90 Prozent für Einkommen bis 1.300 Euro
erhöht und bis zu 2.300 Euro degressiv auf 60 Prozent abgesenkt werden.
Wir wollen verhindern, dass kleine Selbständige einen Antrag auf
Grundsicherung stellen müssen. In Bereichen, die einen längeren Shutdown
erfahren, soll deshalb eine Art Kurzarbeitergeld gezahlt werden. Die
Leistung sollte bei 55 Prozent des jeweiligen Steuergewinns der letzten
Jahre liegen, maximal bei 1.500 Euro/Monat.
Ökologische Modernisierung der Industrie beschleunigen
Um den Industrieunternehmen zu helfen, die durch die Pandemie in Existenznöte
geraten, wollen wir großzügige staatliche Unterstützung anbieten. Dabei sollen
die Investitionen gleichzeitig der ohnehin notwendigen ökologischen
Modernisierung dienen, damit die Unternehmen den Einstieg ins klimaneutrale
Zeitalter nicht verpassen, indem sie jetzt falsch abbiegen. Direkte Hilfen
sollen daher die Investitionen fördern, die einem der sechs EU-Umweltziele
dienen (Taxonomie). Und: Firmen müssen bestimme Sozialstandards einhalten. Zudem
sollte der Vorschlag des Sustainable-Finance-Beirats der Bundesregierung
aufgegriffen werden: Wenn Unternehmen belegen, dass sie nach dem Pariser
Klimaabkommen wirtschaften, sollten sie einen Teil der Kredite, die der Staat
jetzt als Hilfen ausgibt, am Ende der Tilgung erlassen bekommen.
Unsere Vorschläge:
- Über eine direkte Innovations- und Investitionsförderung wollen wir
Investitionen in transformative CO2-freie Verfahren und Prozesse durch
direkte Zuschüsse für sogenannte Leuchtturmprojekte fördern. Damit wollen
wir EU-Förderprogramme ergänzen und zudem über degressive Abschreibungen
der getätigten Investitionen für transformative CO2-freie
Industrieprozesse in Höhe von mind. 25 Prozent auch steuerlich Anreize
setzen.
- Wir wollen für die Bürger*innen und insbesondere mittelständische
Unternehmen den Strompreis senken, indem die EEG-Umlage ab dem 1. Juli
2020 um fünf Cent je Kilowattstunde reduziert wird. Das setzt langfristig
ökologisch richtige Anreize, denn wir brauchen die Elektrifizierung
weiterer Sektoren. Bis Ende 2021 kann damit zudem ein Kaufkraft-Effekt von
22 Milliarden Euro erreicht werden. Mittelfristig finanziert sich die
Maßnahme durch die Einnahmen aus dem CO2-Preis.
- Wir wollen den Einstieg in die grüne Wasserstoffwirtschaft beschleunigen.
Damit treiben wir sowohl in Industriebranchen wie Stahl und Chemie als
auch im Luft-, Schiffs- und Güterverkehr gezielt Klimaschutz als auch
höhere Investitionen an. Dazu gewähren wir Investitionszuschüsse für
Wasserstoff-Pipelines und schaffen Innovations- und Experimentierräume, um
verschiedene Geschäftsmodelle und Anwendungen besser erproben zu können.
- Mit Klimaverträgen wollen wir Investitionssicherheit gerade in der
klimaintensiven Industrie schaffen. Damit wollen wir die Differenz
zwischen dem aktuellen CO2-Preis und den tatsächlichen CO2-
Vermeidungskosten erstatten, welche den Unternehmen durch die
Investitionen in neue Verfahren und Technologien entstehen. Dafür werden
die besten Projekte in einem wettbewerblichen Ausschreibungsverfahren
ermittelt und mit den betreffenden Unternehmen Klimaverträge (Carbon
Contracts for Difference) abgeschlossen.
- Für Investitionen von Unternehmen sollte, wie schon in der Finanzkrise,
eine auf zwei Jahre befristete degressive Sonder-Afa eingeführt werden.
- Wir unterstützen die energieintensiven Rechenzentren finanziell dabei,
ihren Stromverbrauch zu senken und auf erneuerbare Energien sowie
energieeffiziente Wasserkühlsysteme umzustellen. So leisten wir auch einen
Beitrag, um die digitale Souveränität Europas voranzubringen.
Die Automobilindustrie ist ein Schlüsselsektor unserer Industrie mit massiver
Bedeutung für hunderttausende Arbeitsplätze und zahllose Zulieferer. Schon vor
der Corona-Pandemie steckte die Automobilwirtschaft in einer Krise, diese hat
sich nun massiv verschärft. Unternehmen und Beschäftigte sind sehr verunsichert,
wie es weitergehen kann, welche Marktentwicklung eintreten wird, ob
Arbeitsplätze gesichert werden können. Wir schlagen ein Zukunftsbündnis von
Unternehmen, Gewerkschaften und Umweltverbänden vor, um die Rezession zu
überwinden, die ökologische Transformation voranzubringen und Beschäftigung zu
sichern. Dieses verbindet zielgerichtete kurzfristige Hilfen mit dem dringend
notwendigen Aufbruch in Richtung Elektromobilität. Dazu gehören ökologische
Kaufanreize und finanzielle Hilfen bei der Modernisierung. Im Gegenzug müssen
umweltschädliche Subventionen abgebaut und in der Kfz-Steuer ein Bonus-Malus-
System eingeführt werden, wodurch emissionsintensive Wagen wie SUVs stärker und
emissionsärmere Fahrzeuge geringer belastet werden. Zudem müssen Quoten für
emissionsfreie Mobilität eingeführt und die EU-Flottengrenzwerte entsprechend
dem Pariser Klimavertrag angepasst werden.
Staatliche Beteiligungen an Unternehmen sind an die Bedingung von ökologischen
und sozialen Kriterien für die jeweiligen Branchen gebunden. Ähnlich wie die
Autobranche ist auch die Luftfahrt hart getroffen. Analog zur Autobranche
müssten staatliche Hilfen an ordnungsrechtliche Vorgaben gekoppelt werden. Wie
in anderen europäischen Ländern gilt es in diesem Zuge, eine CO2-
Reduktionssstrategie für die Luftfahrt vorzulegen, zum Beispiel durch
Streckenschließungen für kürzere Inlandsflüge, Ausweitung des Nachtflugverbots
oder die Erneuerung der Flugzeugflotte durch effizientere und schadstoffärmere
Flugzeuge.
IV. Investitionen in die Zukunft
Wir sollten jetzt ein zehnjähriges Investitionsprogramm von 500 Mrd. Euro
vorbereiten. Allein in unseren Kommunen besteht ein Sanierungsstau von 138 Mrd.
Euro, und hier sind ökologische Investitionen etwa in den Ausbau des
öffentlichen Nahverkehrs noch gar nicht einbezogen. Es braucht gerade jetzt
starke Kommunen, die vor Ort handlungsfähig sind, sei es bei den Sozialdiensten
oder Frauenhäusern. Die Investitionen des Staates müssen deshalb nicht nur in
der Krise, sondern dauerhaft auf ein höheres Niveau gebracht werden. Die
ökonomischen Forschungsinstitute der Unternehmen und Gewerkschaften kommen auf
einen Investitionsbedarf von über 450 Mrd. Euro. Hinzu kommen Investitionen in
unser Gesundheitssystem, deren Notwendigkeit uns durch Corona vor Augen geführt
wurde. Allein unsere Krankenhäuser haben einen zusätzlichen Investitionsbedarf
von mindestens sechs Milliarden Euro pro Jahr. Und in der Pflege sind die
Herausforderungen ebenfalls groß.
Bundes- und Landespolitik sollten alles tun, um diese Investitionen auf den Weg
zu bringen. Dazu gehört, Planungsprozesse jetzt zu starten und das Planungsrecht
zu entbürokratisieren bzw. Regelungen befristet auszusetzen. Gerade jetzt sollte
die öffentliche Hand Planer*innen und Projektsteuernde einstellen und die
Genehmigungsbehörden aufstocken, damit die zusätzlichen Investitionen auch
verbaut werden können. Dazu sollte der Bund durch eine Verwaltungsvereinbarung
einen Fonds mit den Ländern auflegen, aus dem zusätzliche Planungsstellen über
den Zeitraum von mindestens fünf Jahren bezahlt werden können. Viele
Investitionen liegen bei den Kommunen, und viele von Ihnen werden durch
Altlasten erdrückt. Der Bund sollte den Kommunen einen großen Teil ihrer
Altschulden abnehmen, da er sie dauerhaft zu niedrigen und derzeit sogar
negativen Zinsen refinanzieren kann.
Dieses riesige Investitionsvolumen ist gut angelegtes Geld, sowohl um eine große
globale Depression mit unvorhersehbaren gesellschaftlichen und politischen
Folgen zu verhindern, als auch um krisenfestere und nachhaltige neue
Wirtschaftsstrukturen aufzubauen. Natürlich steigen dadurch die Schulden. Die
öffentlichen Haushalte werden in den nächsten Jahren unter dem Druck der Tilgung
dieser aufgenommenen Kredite stehen. Gleichzeitig dürfen wichtige
Zukunftsinvestitionen nicht der Krise geopfert und keine Einschnitte bei der
kommunalen Grundversorgung, der Infrastruktur und der sozialen Sicherung
vorgenommen werden. Für eine nachhaltige Finanzierung der Kosten der Corona-
Krise ist deshalb eine Kreditfinanzierung mit sehr langen und flexiblen
Tilgungszeiträumen notwendig. Und Deutschland zahlt auf seine Schulden derzeit
keine Zinsen. Eine zu schnelle, restriktive Tilgung würde die wirtschaftliche
Erholung und Investitionsfähigkeit des Staates gefährden. Wir müssen deshalb die
Schuldenbremse reformieren, um mehr kreditfinanzierte Investitionen zu
ermöglichen. Immer wieder hat Deutschland nach besonderen Herausforderungen
(Zweiter Weltkrieg, Wiedervereinigung) besondere Formen des Lastenausgleichs
gefunden. Entsprechend brauchen wir zur Tilgung der Schulden einen solidarischen
Ausgleich nach dem Prinzip: Wer starke Schultern hat, kann mehr tragen.
V. Unser Gesundheitssystem stärken
Die Corona-Epidemie legt die Stärken und Schwächen unseres Gesundheitssystems
offen. Unser Gesundheitswesen verfügt über ein gut ausgebautes System der
Diagnostik, eine im europäischen Vergleich gute Akutversorgung mit zahlreichen
Intensivbetten und eine gute technische Ausstattung. Zugleich ist aber deutlich
geworden, dass insbesondere bei der personellen Situation in der Pflege, in der
kommunalen Gesundheitsversorgung, bei der digitalen Vernetzung sowie bei der
Beschaffung und Bevorratung von Schutzausrüstung erhebliche Defizite bestehen,
die behoben werden müssen.
Jetzt müssen wir unser Gesundheitssystem akut so gut stärken, wie es nur geht,
um dieser Epidemie Herr zu werden. Die Vorhaltung von Reservekapazitäten für den
Ernstfall und eine gute und gut bezahlte Personalausstattung müssen Vorrang
haben und gehören ins Zentrum unserer Anstrengungen. Das sollte durchaus
ökonomisch geschehen, aber Sicherheit geht vor. Das heißt konkret, dass uns als
Gesellschaft die Investitionen in medizinische und pflegerische Infrastruktur
und Investitionen in Pandemiemanagement mehr Geld wert sein müssen als bisher.
Wir brauchen eine deutliche Aufwertung und berufsständische Stärkung der Pflege,
attraktivere Arbeitsbedingungen und eine bessere Personalausstattung. Wir müssen
die über Jahre ausgedünnten öffentlichen Gesundheitsdienste, insbesondere die
Gesundheitsämter, besser ausstatten und die Arbeitssituation für die Menschen im
Gesundheits- und Pflegebereich verbessern. Um die Löhne in der Pflege zu
verbessern, sollen die Tarifparteien die Verhandlungen für eine tarifliche
Bezahlung in der Pflege baldmöglichst fortsetzen, damit eine Einigung zeitnah
für allgemeinverbindlich erklärt werden kann. Sollte das trotz laufender
Verhandlungen nicht erreicht werden, müssten gesetzliche Maßnahmen ergriffen
werden. So könnte in einem nächsten Schritt die soziale Pflegeversicherung dazu
verpflichtet werden, nur mit Arbeitgebern Verträge zu schließen, die tariflich
zahlen.
Der durch die Krise teilweise entstehende Schwung bei der Digitalisierung
unseres Gesundheitswesens muss genutzt werden, um Telemedizin und andere für die
Versorgung und die Forschung sinnvolle digitale Angebote auszubauen.
Forschungsdaten sollen unter Wahrung des Persönlichkeitsschutzes leichter
ausgetauscht werden können, genauso wie medizinische Logistik. Wir wollen einen
Investitionspakt von Bund und Ländern, um Krankenhäuser, aber auch den
öffentlichen Gesundheitsdienst bei den notwendigen Investitionen für die
digitale Infrastruktur zu unterstützen.
Mit digitaler Epidemiologie lässt sich aus einer Vielzahl anonymisierter Daten
der Gesundheitsstatus der Bevölkerung in Echtzeit analysieren, um so gezielter
eingreifen und einer künftigen Epidemie besser begegnen zu können. Nicht nur
dafür muss das E-Government der Verwaltung in Deutschland mit Hochdruck
entwickelt werden. Unsere Virolog*innen sind weltweit Spitze und die
Forschungseinrichtungen sind es auch. Wenn hingegen heute noch Gesundheitsdaten
per Fax von Amt zu Amt versendet werden müssen, weil es technisch anders nicht
geht, kostet uns das jetzt im Kampf gegen Corona wertvolle Zeit.
VI. Recht auf Bildung, auch in der Pandemie
Das Coronavirus hält auch der Bildungspolitik den Spiegel vor. Da sind die immer
noch enormen Ungerechtigkeiten, die das deutsche Bildungssystem hervorbringt –
sichtbar zum Beispiel in der unterschiedlichen technischen Ausstattung von
Schulen. Da sind die vielerorts mangelhaften baulichen und sanitären Zustände
von Bildungseinrichtungen, die in Pandemiezeiten noch größere Probleme als sonst
hervorrufen. Da ist, allen Beteuerungen zum Trotz, der immer noch viel geringe
Stellenwert der frühkindlichen Bildung, wenn wieder nur unter dem Label
„Betreuung“ über Kitas gesprochen wird. Was hier in den ersten Jahren
pädagogisch versäumt wird, kann vielfach kaum nachgeholt werden.
Auf der anderen Seite macht das Engagement vieler Akteur*innen Mut für einen
echten Bildungsaufbruch. Bildungsverantwortliche, Schulleitungen, Kommunen,
pädagogische Fach- und Lehrkräfte, aber auch Eltern und Schüler*innen finden
neue, pragmatische und kreative Lösungen in der schwierigen Situation: Sei es
der Unterricht im Park oder die Vertretung der aus medizinischen Gründen
abwesenden Musiklehrerin durch einen Musiker, der derzeit ohne Engagement ist.
Es geht beim Lernen aus der Krise nicht nur um ein bisschen Digitalisierung, es
geht darum, das Bildungssystem so auszurichten, dass Menschen selbstbestimmt,
nachhaltig und aufgeklärt handeln können.
Die Digitalisierung an den Schulen braucht dauerhaft finanzielle Unterstützung
vom Bund, nicht nur einen einmal gefüllten, befristeten Fördertopf. Die
Megaaufgabe Digitalisierung in der Bildung können Bund und Länder nur gemeinsam
schaffen. Die Bereitschaft auf allen Seiten, das deutsche Bildungssystem an die
digitale Welt anzuschließen, war nie so groß wie heute.
Um den Ungerechtigkeiten im Bildungssystem entgegenzuwirken, ist der weitere
Ausbau guter ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote zentral. Hier könnte
die Krise möglicherweise alte Blockaden aufbrechen: Wenn für eine längere Zeit
der klassische Bildungsbetrieb nur eingeschränkt stattfinden kann, sollten Kitas
und Schulen die Möglichkeit haben, unbürokratisch und flexibel neue Lern- und
Freizeit-Angebote zu schaffen. Schulen sollen dafür ein Budget erhalten, das im
Rahmen eines sozialen Schutzschildes aus dem Mitteln des Bundes kommt.
Zusätzlich ist ein Aufholprogramm für Schulen in benachteiligten Regionen und
Stadtteilen nach der Krise nötiger denn je, damit jene, die schon vor Corona
drohten, abgehängt zu werden, den Anschluss nicht verlieren.
VII. Eine neue Chance für Europa
Ganz Europa ist von der Corona-Krise betroffen. Unser Kontinent ist derzeit die
Region mit den meisten Infizierten weltweit. Alle sind betroffen, manche
Regionen, wie die Lombardei, das Elsass, Madrid ganz besonders. Wie schon in der
letzten Finanzkrise und der Flüchtlingskrise haben einige europäische Staaten
auch in der Corona Krise unsolidarisch und uneuropäisch gehandelt. Die Pandemie
darf die Spaltung in der EU nicht noch weiter verschärfen. Wenn Europa jetzt
nicht zusammensteht, springen andere in die Lücke und versuchen ihren
geopolitischen Einfluss noch weiter auszudehnen. Aber es gibt viele Beispiele
europäischer Solidarität, die Mut machen, dass die europäische Idee in dieser
Zeit besteht: europäische Patient*innen werden in deutschen Krankenhäusern
behandelt, über europäische Städtepartnerschaften wird kommunale Hilfe
organisiert, viele Personen aus der Zivilgesellschaft haben individuelle
Initiativen gestartet. Wir müssen diese Krise als Wendepunkt begreifen die
Gemeinschaft zu vertiefen. Dann kann Europa sogar gestärkt aus ihr hervorgehen.
Wir wollen so schnell wie möglich zu den offenen Grenzen des Schengen-Raums
zurückkehren. Bei der Bekämpfung von Corona muss Europa zu seinen Werten stehen
und offen bleiben. Grenzkontrollen und Einreiseverbote müssen medizinisch
begründet, abgestimmt und verhältnismäßig sein. An die Stelle willkürlicher
Grenzkontrollen auf nationaler Ebene sollten zielgerichtete Beschränkungen auf
regionaler Ebene (die dann durchaus auch grenzübergreifend gelten) treten. Die
Kriterien müssen nicht überall zu einhundert Prozent identisch, aber
wirkungsgleich sein. Wo notwendig, muss an den Grenzen auf die Frage des
effektiven Gesundheitsschutzes fokussiert werden.
Europa braucht eine Koordinierung der Strategien aus dem Shutdown, auch um zu
verhindern, dass Lieferketten unterbrochen werden. Eine europäische
Pandemiewirtschaft sollte eine massive Produktion an medizinischer Ausrüstung
zum Ziel haben. Die Staaten sollten die Beschaffung gemeinsam organisieren bzw.
untereinander abstimmen, um zu verhindern, dass man sich gegenseitig Konkurrenz
macht. Die europäischen Anstrengungen in der Impfstoffforschung sollten
verstärkt werden. Wir fordern einen EU-Corona-Forschungsfonds für Medikamente
und Impfstoffe, die dann unter Gemeinwohllizenz vermarktet werden. Für die Zeit
nach der Pandemie sollte das European Center for Desease Prevention and Control
(ECDC) in die Lage versetzt werden, bei zukünftigen Pandemien schnell
Unterstützungsleistungen für besonders betroffenen Länder zu leisten, damit kein
Krankenhaus in Europa in die Lage kommt, Menschen nicht angemessen medizinisch
versorgen zu können. Die bevorstehende deutsche Ratspräsidentschaft sollte auch
genutzt werden, um die Arzneimittelproduktion wieder verstärkt in Europa
anzusiedeln, um in diesen lebenswichtigen Bereichen nicht von transkontinentalen
Lieferketten abhängig zu sein.
Mit den Entscheidungen der Europäischen Zentralbank (EZB) konnte eine neuerliche
Finanz- und Währungskrise fürs Erste abgewehrt werden. Wieder einmal musste die
EZB einspringen, weil die Staats- und Regierungschefs nicht in der Lage waren,
umfassende Maßnahmen wie gemeinsame Corona-Bonds für die Krisenbewältigung zu
beschließen. Das jetzt vereinbarte Paket aus ESM-Hilfen, Unternehmenskrediten
über die Europäische Investitionsbank und das europäische Kurzarbeitergeld ist
ein erster Schritt, aber unzureichend.
Wenn jetzt in Ländern wie Spanien und Italien aus Angst vor einer Überschuldung
zu wenig getan werden kann, trifft das nicht nur die dortige Bevölkerung hart,
sondern am Ende alle Mitglieder der Union. Gerade die deutsche Wirtschaft ist
eng verknüpft mit diesen Ländern. Wenn dort keine deutschen Produkte mehr
gekauft werden, führt dies zu einer stark steigenden Arbeitslosigkeit bei uns.
Und wenn dort die Produktion wegen der Pandemie nicht wieder anlaufen kann,
stehen wegen der verwobenen Lieferketten hierzulande Bänder still. Nur wenn
Italien wieder auf die Beine kommt, wird Deutschland es auch. China wird
versuchen, sich in der kommenden Rezession in die europäische Wirtschaft
einzukaufen, und Putin die Möglichkeit nutzen, um europäischen Demokratien zu
destabilisieren. Nur wenn Europa seine Interessen gemeinsam wahrnimmt, werden
insbesondere Süd- und Osteuropa diese Angebote ablehnen können
Diese europäische Antwort muss einen gemeinsamen Recovery Fund beinhalten, der
durch gemeinsame Anleihen finanziert wird, um so die Krisenlasten gemeinsam und
solidarisch zu schultern. Die Ausgaben sollten sich an den Pariser
Klimaschutzzielen und dem Green Deal orientieren. Der Recovery Fund hat einen
Umfang von mindestens einer Billion Euro und ist damit dem Ernst und der Größe
der Herausforderung angemessen. Die Verschuldung zählt nicht in die nationalen
Schuldenquoten. Vielmehr ermöglicht die gemeinsame Haftung Zinsen unterhalb der
Inflation.
Während viele Unternehmen, insbesondere Mittelständler und der Einzelhandel in
den Innenstädten, gerade leiden, machen große Digitalkonzerne riesige Gewinne.
Zugleich zahlen sie weniger Steuern als vergleichbare traditionelle Unternehmen.
Deshalb wäre jetzt spätestens der Zeitpunkt, dass sich die Bundesregierung
diesem Steuerdumping entgegenstellt und ihre Blockade bei der europäischen
Digitalsteuer aufgibt. Schon der Vorschlag der EU-Kommission, die Umsätze
digitaler Großunternehmen an dem Ort, wo sie tätig sind, mit drei Prozent zu
besteuern, würde zu geschätzten Einnahmen von fünf Milliarden Euro führen. Wenn
einzelne EU-Mitgliedstaaten weiterhin blockieren, braucht es eine Koalition der
Willigen als ersten Schritt zu einer europäischen und globalen Lösung.
In der Krise erweist sich, dass das jahrelange Bremsen und Verweigern der
deutschen Bundesregierung in zentralen europäischen Fragen als schwere Hypothek.
Nach der Krise müssen in der Europäischen Union die seit Jahren aufgeschobenen
Entscheidungen zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion, wie
beispielsweise ein eigener EU-Haushalt mit einem eigenen fiskalpolitischen
Instrument, der Umgang mit Handelsungleichgewichten und die Vollendung der
Bankenunion endlich angegangen werden. Ein größerer EU-Haushalt ab 2021 bedeutet
auch einen größeren deutschen Beitrag und mehr Möglichkeiten für die Union,
eigene Einnahmen zu generieren. Um Europa neu aufzustellen muss die
Bundesregierung nicht jeden Vorschlag anderer Länder übernehmen, sie muss aber
endlich auch eigene konstruktive Vorschläge machen, um die Probleme zu lösen und
nicht weiterhin nur verweigern und im Falle einer Krise die gesamte
wirtschaftspolitische Verantwortung der Europäischen Zentralbank zuschieben. Zu
den notwendigen Fragen gehört auch die Überprüfung des Stabilitäts- und
Wachstumspakts.
Die Welt wird nur im Geist der Kooperation gut durch diese Pandemie kommen. So
vernetzt sie ist, so kurzsichtig egoistisch handeln derzeit die meisten
Nationalstaaten. Wenn Europa kooperativ und solidarisch vorangeht, schaffen wir
eine starke und unwiderstehliche Gegenerzählung mit globaler Wirkung. Die ganze
Welt kämpft gegen diese Corona-Pandemie. Deshalb müssen in der Pandemie die
Zölle für überlebenswichtige Produkte wegfallen und Exportbeschränkungen
aufgehoben werden. Sieben Milliarden Menschen warten auf einen Impfstoff und
Medikamente gegen COVID-19. Es muss dafür gesorgt werden, dass beides, sobald
vorhanden, global, schnell und zu einem günstigen Preis verfügbar ist.
Wir müssen deshalb über eine Lockerungen der Regeln geistigen Eigentums
nachdenken und die Besitzer*innen geistigen Eigentums dazu aufrufen, günstige
Lizenzen in einem internationalen Patentpool anzubieten, der über die WTO
koordiniert wird – insbesondere für einen neu entwickelten Impfstoff oder eine
anerkannte Therapie. Die globale Rezession droht in den Entwicklungs- und
Schwellenländern ein Brandbeschleuniger der Schuldenkrise und damit von Armut,
Flucht und Konflikten zu werden. Deutschland muss sich dafür einsetzen, dass die
Schulden des globalen Südens erlassen werden. Weiterhin braucht es eine
deutliche Erhöhung der Sonderziehungsrechte beim Internationalen Währungsfonds,
um besser gegen spekulative Kapitalflucht gewappnet zu sein. Wir dürfen nicht
zulassen, dass globale Ungleichheiten noch weiter verschärft werden. Wir
brauchen ein globales Hilfspaket gegen das Corona-Virus und seine Folgen und
eine Stärkung der Vereinten Nationen.
Wir unterstützen die Forderung des UN-Generalsekretärs nach weltweiten
Waffenstillständen. Die Bundesregierung sollte ihren Einfluss bei den
europäischen und internationalen Partnern geltend machen, um auf dieses Ziel
hinzuarbeiten. Sie muss schnell ausreichende zusätzliche Mittel für
Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen.
Gleichzeitig dürfen die internationale Gemeinschaft und die deutsche humanitäre
Hilfe sowie die Entwicklungszusammenarbeit nicht bei Maßnahmen in bestehenden
Gesundheitsprogrammen nachlassen.
VIII. Stärker aus der Krise
Die Pandemie führt uns vor Augen, was wir vermissen und unbedingt wiedergewinnen
wollen: unsere Freiheit, soziale Nähe und die Vielschichtigkeit unseres Lebens;
den öffentlichen Raum; Kitas, Schulen und Hochschulen; den direkten Austausch
mit den Kolleg*innen am Arbeitsplatz; Kultur und das bunte Leben, mit Kneipen,
Kinos, Konzerten, lebendigen Innenstädten, die uns weiter fehlen und die jetzt
um ihre Existenz kämpfen; unser vereintes und offenes Europa.
Der Shutdown hat uns auch gezeigt, was wir stärker wertschätzen und fördern
müssen:
Die Klugheit einer aufgeklärten Gesellschaft, die fähig ist präventiv zu
handeln; in einem funktionierenden demokratischen Rechtsstaat zu leben; unsere
öffentliche Daseinsvorsorge, ein lebendiges Gemeinwesen vor Ort und ein starker
Sozialstaat; unabhängige Qualitätsmedien und den Öffentlich-Rechtlichen
Rundfunk; solidarische Menschen und einen solidarischen Staat; saubere Luft auch
in den Städten und staufreie Straßen; die Möglichkeit des Homeoffice; ein
parlamentarisches Miteinander zwischen Regierung und Opposition, das gemeinsam
Dinge löst, statt nur gegeneinander zu arbeiten.
Nicht zuletzt führt uns die Corona-Krise vor Augen, was wir in der Vergangenheit
versäumt haben. Es gab Pandemiewarnungen und sogar Pandemienotfallvorkehrungen
mit Drucksachennummer des Bundestages, aber in der Realität, als Gesellschaft
waren wir nicht ausreichend vorbereitet. Wir müssen Resilienz noch lernen. Dazu
gehört, dass wir bei der Arzneimittelproduktion und zentralen Utensilien für
Seuchenbekämpfung nicht allein auf den Markt setzen können. Wir müssen in Europa
selbst in der Lage sein, die zentralen medizinischen Produkte und Medikamente zu
produzieren, ebenso wie Lebensmittel die wir zum Leben in einer Notlage
brauchen. Dazu gehört, dass wir kritische Infrastrukturen, beispielsweise vor
weitreichenden IT-Angriffen, besser schützen. Wir müssen die Digitalisierung
voranbringen, wir müssen Europa und multilaterale Institutionen stärken und wir
müssen verstehen, dass der Raubbau an den natürlichen Ökosystemen das Risiko von
Epidemien erhöht. So haben Ausbrüche von Infektionskrankheiten in den letzten 40
Jahren immer stärker zugenommen. Circa zwei Drittel davon sind Zoonosen, also
Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen wurden. Wir müssen die
Ursachen für Zoonosen stärker bekämpfen und uns zugleich wappnen, Epidemien
zukünftig besser einzudämmen.
Nur wenn wir uns selbstkritisch reflektieren, können wir uns besser gegen
zukünftige hereinbrechende Katastrophen wappnen. Vorsorge ist politisch das
Schwierigste überhaupt. Aber Corona führt uns jeden Tag vor Augen, wie wichtig
sie ist. Entsprechend geht es uns mit diesem Antrag darum, über die unmittelbare
Krisenbekämpfung hinaus Leitlinien für die nächsten Schritte zu beschließen und
die richtigen Lehren aus der Erfahrung der letzten Wochen zu ziehen. Wir wollen
schneller sein als das Virus, damit seine schlimmsten Folgen verhindert werden
können und wir stärker aus der Krise kommen als wir hineingegangen sind.
Antragstext
Von Zeile 59 bis 61:
Gefahr bleiben und wir werden voraussichtlich noch lange mit weitreichenden Einschränkungen leben müssen. Wir müssen fundiert darüber sprechen wo und wie Lockerungen sind weiter nurbei den jetzigen Beschränkungen stufenweise und unter der Prämisse möglich sind, dass unser Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Einen allgemeinen Immunitätsausweis lehnen wir dafür allerdings ab. Er schafft lediglich noch mehr Ungleichheit und sorgt nicht für eine solidarische Bewältigung der Corona-Epidemie.
Das Corona-Virus hat die Menschheit in einen Ausnahmezustand versetzt. Wir
betrauern bereits über 200.000 Tote und großes Leid. Um die Pandemie zu
bekämpfen, wurde das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben auf der ganzen
Welt weitgehend angehalten, mit dramatischen Auswirkungen: Menschen verlieren
ihre Arbeit, sozialer Stress und häusliche Gewalt nehmen zu. Die Welt steht vor
einer tiefgreifenden Rezession.
Noch befinden wir uns mitten in der Pandemie. Es gilt – mit aller Kraft – die
Zahl der Opfer so gering wie möglich zu halten und zugleich einen sozialen und
ökonomischen Zusammenbruch zu verhindern. Dafür müssen wir weiter große Vorsicht
walten lassen und lernen, für eine längere Zeit mit dem Virus zu leben und es
zugleich immer besser und zielgenauer zu bekämpfen.
Corona ist eine globale Herausforderung, auf die es eine globale Antwort geben
muss. Kein Staat kann sie allein bewältigen. Das gilt vor allem für uns in
Europa. Wir müssen Wege aus der Krise konsequent europäisch denken. Nur
europäisch kommen wir durch diese schwere Zeit, nur gemeinsam werden wir die
Pandemie bekämpfen und unsere Wirtschaft wieder auf die Beine bringen können.
Europas Zusammenhalt hat bereits großen Schaden genommen. Wir müssen jetzt alles
dafür tun, dass das Friedenprojekt Europa zum historischen Kurs der Integration
zurückfindet.
Niemand weiß, wie lange diese globale Ausnahmesituation andauern wird, niemand
kann das tatsächliche Ausmaß und die Auswirkungen wirklich absehen. Aber die
Krise zeigt uns bereits heute, wie wichtig vorausschauendes politisches Handeln
ist. An unserer Zukunftsfähigkeit und Krisenresilienz zu arbeiten, wird am Ende
den Unterschied machen.
In der Not zeigt sich, worauf es ankommt: auf Gemeinsinn, Solidarität und
Humanität. Auf die Erkenntnis, dass deutsche und europäische Interessen eins
sind. Auf starke internationale Institutionen. Auf die Robustheit von
Wirtschaft, Gesundheits- und Sozialsystemen. Auf eine starke Daseinsvorsorge.
Auf die Stärke derer, die man in der Gesellschaft oft nicht sieht:
Lastwagenfahrer*innen, Erntehelfer*innen, Kassierer*innen, Reinigungskräfte und
Pfleger*innen. Auf die vielen Frauen, die nicht nur in schlecht bezahlten
CareBerufen, sondern auch in vielen Familien alles am Laufen halten. Auf bessere
Löhne in systemrelevanten Berufen. Auf eine neue Politik der Sicherheit –
vorsorgend, widerstandsfähig, umfassend und europäisch. Wir brauchen ein neues,
ein nachhaltiges Sicherheitsversprechen.
Dass diese Erkenntnis über den Tag hinaus Bestand hat, ist nicht
selbstverständlich. Wir stehen an einer Wegscheide. Schreiben wir eine alte
Politik, die alte Brüchigkeit, die alten Probleme fort und schaffen damit neue?
Oder treiben wir beherzt die nötigen Veränderungen voran und bauen Wirtschaft
und Gesellschaft auf festem Grund wieder auf? Wir sind überzeugt, dass nur ein
politischer Aufbruch nachhaltig aus der Krise führt. Nur, wenn wir Dinge
grundlegend verändern, wenn wir aus Bekenntnis Wirklichkeit machen, werden wir
diese und die anderen großen Herausforderungen – allen voran die Klimakrise –
bewältigen. Widerstandsfähig gegen globale Krisen zu sein, ist der Schlüssel für
eine neue Sicherheit im 21. Jahrhundert.
Corona und die Bekämpfung des Virus werden unser aller Leben, die
gesellschaftlichen Debatten und die Politik noch lange Zeit prägen. Nach der
Pandemie wird unsere Welt eine andere sein. Doch mit jedem Schritt voran – und
sei er noch so klein – öffnet sich auch ein Fenster in die Zukunft.
Demokratie bewährt sich gerade in der Krise. Sie ist ein lernendes System, in
dem mündige Bürgerinnen und Bürger frei über ihre Zukunft diskutieren. Das ist
die Voraussetzung für Innovation. Aus den jetzigen Erfahrungen können und müssen
wir Lehren für die Zukunft ziehen. Mit Corona enden die politischen Debatten
nicht, sondern beginnen sie neu.
II. Handeln in der Pandemie
Deutschland hat die Pandemie entschlossen bekämpft und bislang das
Gesundheitssystem vor einem Kollaps geschützt. Aber noch ist nichts gewonnen.
Solange ein Impfstoff nicht verfügbar ist, wird das Corona-Virus eine andauernde
Gefahr bleiben und wir werden voraussichtlich noch lange mit weitreichenden
Einschränkungen leben müssen. Wir müssen fundiert darüber sprechen wo und wie Lockerungen sind weiter nurbei den jetzigen Beschränkungen stufenweise und unter
der Prämisse möglich sind, dass unser Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Einen allgemeinen Immunitätsausweis lehnen wir dafür allerdings ab. Er schafft lediglich noch mehr Ungleichheit und sorgt nicht für eine solidarische Bewältigung der Corona-Epidemie.
In dieser Ausnahmezeit ist Verhältnismäßigkeit das Gebot der Stunde. Es ist die
Verantwortung des Staates immer wieder zu prüfen, ob die massiven
Grundrechtseinschränkungen verhältnismäßig sind und ob es mildere Mittel gibt.
Einschränkungen, genauso wie schrittweise Lockerungen, müssen entlang von
klaren, nachvollziehbaren Kriterien so transparent wie möglich erklärt werden,
um Verständnis, Akzeptanz und Vertrauen zu schaffen. Die Einschränkungen müssen
geeignet, erforderlich und angemessen sein, die Folgewirkungen in den Blick
nehmen, mögliche Alternativen betrachten und gründlich abgewogen werden. Sie
sind zeitlich zu befristen und immer wieder aufs Neue zu begründen. Während es
im Shutdown eine große Geschlossenheit gab, droht sich die Gesellschaft in
Phasen der Lockerung zu spalten. Statt sich in Durchhalteparolen und
Lockerungsübungen aufzureiben, brauchen wir eine andere, zielgenauere Strategie
zur Bekämpfung des Virus, die auf Tests, schneller Nachvollziehbarkeit von
Infektionen und auf Schutzmaßnahmen beruht. Wir müssen jetzt daran arbeiten,
dass die Voraussetzungen dafür vor allem in den sensiblen Bereichen geschaffen
werden. Lockerungen müssen sich am Gemeinwohl orientieren und dürfen nicht davon
abhängen, welche Lobbygruppe die stärksten Einflussmöglichkeiten hat.
Mit dem Shutdown haben Bund und Länder die massivsten Grundrechtseingriffe in
der Geschichte der Bundesrepublik sowie beispiellose Hilfspakete beschlossen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben diese Maßnahmen im Bundestag und auf Ebene der
Landesregierungen mitgetragen, Vorschläge eingebracht und damit zu einem
schnellen, geschlossenen Handeln beigetragen. Auch so konnte breites Vertrauen
in den notwendigen Shutdown entstehen. Wir stehen bereit, auch weiter die Last
mit zu schultern. Dafür treiben wir mit eigenen Vorschlägen an, wo
Handlungsbedarf besteht und bremsen, wo nötig. Fraktionen und Parlamente sind
von den Regierungen im Bund und in den Ländern zwingend mit einzubinden. Sie
sind der Ort der demokratischen Debatte, auch in Krisenzeiten.
Bei allem gesellschaftlichen Zusammenstehen werden jetzt zunehmend die
politischen Versäumnisse der Bundesregierung sichtbar. Mit der gleichen
Vehemenz, mit der wir in den Shutdown gegangen sind muss eine funktionierende,
europäisch koordinierte Pandemiewirtschaft aufgebaut werden. Viele Unternehmen
im Land sind bereit zu helfen, und ihre Produktion auf elementar notwendige
Schutzgüter umzustellen. Doch wenn die Bundesregierung nicht koordiniert,
funktioniert es nicht. Wir brauchen zuverlässige Zahlen über den notwendigen
Bedarf, Abnahmegarantien, gegebenenfalls Investitionshilfen und Koordination bei
Engpässen in den Lieferketten.
Testkapazitäten und die Versorgung mit Mund-Nase-Masken müssen drastisch
gesteigert werden. Die Ausstattung mit Schutzkleidung ist gerade für die
sozialen Hilfeeinrichtungen, für die Kinder- und Jugendhilfe,
Frauenberatungsstellen oder Obdachlosenhilfe jetzt notwendig, nicht später. Sie
müssen ebenso wie Pflegeheime mit Schutzmasken ausgestattet werden. Längst
überfällige digitale Lösungen – etwa eine freiwillige Corona-Tracing-App als
wichtiger Baustein in der Epidemiebekämpfung – gibt es noch immer nicht. Die
Gesundheitsämter brauchen ausreichend Personal für regionale Taskforces.
Die Krise befeuert die sozialen Probleme und zeigt, wer keine Lobby hat:
Familien, vor allem Alleinerziehende, und Kinder. So verschärft die Schließung
von Schulen und Kindergärten die Chancenungleichheit für Kinder dramatisch.
Zwischen ‚komplett geschlossen‘ und ‚alle sofort wieder rein‘, muss es Raum für
Verhältnismäßigkeit und pragmatische Lösungen geben – tageweiser
Kleingruppenunterricht, Schüler-Lehrer-Gespräche. Wenn im Betrieb Schichtsysteme
eingeführt werden, klappt das auch in der Kita. Der Staat hat eine
Fürsorgepflicht für Kinder und einen Bildungsauftrag.
Mit neuer Wucht wird sichtbar, wie sehr unser gesellschaftliches Leben und damit
auch unser wirtschaftlicher Wohlstand immer noch darauf beruht, dass Frauen
Kinder betreuen, sich ums Essen kümmern oder die Wohnung putzen. Kinderbetreuung
darf aber nicht zur Privatsache werden, Familien müssen auf den Staat bauen
können. Nötig ist zudem ein großer, umfassender sozialer Schutzschirm, der auch
jene schützt, die arm sind, obdachlos, die Stress, Verhetzungen im Netz,
häuslicher Gewalt, Depressionen oder Suizidgefahr ausgesetzt sind.
Je länger die Pandemie andauert, umso stärker rückt die Frage in den
Vordergrund:Wie mit der Bedrohung durch das Virus leben lernen, ohne das
öffentliche Leben langfristig drastischen Einschränkungen zu unterwerfen? Wir
müssen uns jeden Tag aufs Neue – auch mit Blick auf eine mögliche neue Corona-
Welle – damit auseinandersetzen, wie wir unter Pandemie-Bedingungen Bildung,
Betreuung, Wirtschaft und Handel, Kultur- und Freizeitangebote sowie nicht
zuletzt die Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben organisieren
und gleichzeitig die Menschen bestmöglich vor Ansteckung schützen.
II. Klimakrise und Corona gemeinsam bekämpfen
Die Welt steht vor einer tiefgreifenden Rezession. Der internationale
Währungsfonds prognostiziert, dass Corona zur schlimmsten Wirtschaftskrise seit
der großen Depression der 1930er führen wird. Das ist eine tiefgreifende
wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Herausforderung, der wir uns in
Europa gemeinsam und mit aller Kraft stellen müssen. Die Konjunkturprogramme
müssen deshalb europäisch gedacht, bzw. in Europa aufeinander abgestimmt sein,
damit sich alle Länder im europäischen Binnenmarkt entwickeln können. Niemand
wird es alleine schaffen.
Für dieses historische Moment gibt es keine Blaupause. Die wirtschaftlichen
Auswirkungen treffen fast alle Lebensbereiche und Branchen, aber sie treffen
diese sehr unterschiedlich. Manche Unternehmen können dank Homeoffice nahezu
weiter machen wie vor der Krise, haben aber haben weniger Aufträge. Einige
verbleiben vielleicht noch monatelang im Shutdown und sehen kaum noch eine
Perspektive. Andere können mit deutlichen Beschränkungen langsam wieder
aufmachen, aber ihre Lieferketten funktionieren nicht. Dazu kommt, dass wir mit
den wirtschaftspolitischen Maßnahmen nicht die gesundheitspolitischen
konterkarieren dürfen.
Anders als nach der Finanzkrise werden wir uns in Deutschland dieses Mal nicht
einfach aus der Rezession herausexportieren können. Die Nachfrage ist global
eingebrochen. Und wir müssen eine Antwort darauf finden, dass sich alte soziale
Schieflagen durch Corona verschärfen und neue auftun.
Bei all dem ist die zweite große Aufgabe unserer Zeit, die Klimakrise, zu
bewältigen. Wir erleben nach zwei Hitzesommern schon die nächste Dürre.
Knochentrockene Äcker, Waldbrände im April, das ist auch die Realität in unserem
Land. Und gegen die Klimakrise wird es keinen Impfstoff geben. Nicht in diesem
Jahr und auch in keinem anderen. Wir werden als Weltgemeinschaft scheitern, wenn
die jetzt geplanten Maßnahmen die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen noch
beschleunigen.
Es ist daher entscheidend, jetzt die Weichen richtig zu stellen. Ohne Frage ist
die Rezession mit voller Kraft zu bekämpfen, Jobs und Wettbewerbsfähigkeit zu
erhalten. Tun wir das aber mit einer alten Politik und alten Mitteln,
produzieren wir neue Unsicherheit und steuern auf gigantische soziale und
wirtschaftliche Schäden zu. Unser Handlungsrahmen müssen der Pariser
Klimavertrag und die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung sein.
Vor der Pandemie hatte ein breites Bündnis aus Unternehmen, Klimabewegung,
Gewerkschaften, Forscher*innen und Wissenschaftler*innen, die Chancen erkannt,
die in einem Aufbruch liegen, der Klimaschutz, ökonomische Dynamik und sozialen
Ausgleich zusammenbringt. Wir haben eine doppelte Aufgabe und doppelte Chance:
die durch Corona bedingte Wirtschaftskrise und die Klimakrise zusammen
anzugehen. So wird der Europäische Green Deal zum Pakt für die Transformation
der Wirtschaft.
Es wird massive Anstrengungen und beispiellose Programme brauchen, um diese
Herausforderungen zu lösen. Jetzt ist die Zeit großer und kreativer Antworten
und entschlossenen Handelns. Wir müssen auf der einen Seite kurzfristig
stimulieren und stabilisieren, und zudem den Kurs in Richtung Klimaneutralität
und Zukunftsfähigkeit setzen. Dabei ist völlig klar: Ein solches
Konjunkturprogramm ist auch innerhalb von vielen Jahren so nur ein Mal leistbar.
Umso entschiedener und vorausschauender muss jetzt der richtige Weg zum
Wiederaufbau eingeschlagen werden.
III. Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise – sozial und ökologisch
Es braucht Direkthilfen für die Branchen, die im Shutdown stillstehen müssen und
Konjunkturstimuli für die, die langsam wieder anlaufen.
Dabei ist klar, dass aus Steuermitteln finanzierte Wirtschaftshilfen in der
Rezession an Vorgaben gekoppelt werden müssen: Wenn Aktienkonzerne Dividenden
auszahlen, Unternehmen Firmensitze in Steueroasen haben oder Manager*innen-Boni
auszahlen, können sie keine Hilfe vom Staat erwarten. Unternehmen, die in der
Krise mit staatlichen Geldern unterstützt wurden und in Zukunft wieder
Dividenden auszahlen wollen, müssen diese Hilfen an den Staat zurückzahlen.
Für dieses Jahr sollte ein deutsches Konjunktur-Sofortprogramm von etwa 100
Milliarden Euro vorbereitet werden, das dann schnell greifen kann, wenn die
medizinische Lage ein stärkeres Wiederanfahren des ökonomischen Lebens erlaubt.
Stimulieren wir dann schnell die Konjunktur, verhindern wir, dass Millionen
Menschen in unserem Land durch die Folgen von Corona in Existenznöte geraten,
Pleitewellen unsere Innenstädte veröden lassen, dass das, was uns lieb und teuer
ist, Kultur, Reisen, dauerhaften Schaden nimmt. Es braucht dabei Unterstützung
gerade für die Schwächsten. Die Maßnahmen sind auf die Dauer der
Krisenbewältigung zu befristen und immer wieder zu überprüfen.
Für dieses Sofortprogramm schlagen wir folgende Eckpunkte vor:
Lokalen Einzelhandel stärken – Pleitewellen verhindern
- Der lokale Einzelhandel und insbesondere die inhabergeführte Gastronomie
sowie Kultureinrichtungen leiden durch die Krise massiv. Der Einzelhandel
hat bereits weitere Marktanteile an den Onlinehandel verloren. Um eine
Verödung unserer Innenstädte zu verhindern, soll für die zweite
Jahreshälfte ein Fonds in Höhe von 20 Milliarden Euro aufgelegt werden,
der sich zusammensetzt aus Kaufanreizen, in Form von Kauf-Vor-Ort-
Gutscheinen sowie direkten Zuschüssen, um die Nachfrage, dort wo nötig, zu
stimulieren und eine Belebung der Innenstädte als gesellschaftliche Räume
zu schaffen.
- Es braucht zudem gezielt einen Fonds für weiterhin geschlossene
Kultureinrichtungen und Betriebe, um deren Fortbestand zu sichern, gerade
für kleine Veranstaltungsorte – dies ist wirksamer und fairer als das von
der Bundesregierung geplante Umtauschsystem.
Soziale Absicherung verbessern – Kaufkraft erhalten
- Krisenbedingt soll ein ALG2-Sonderbedarf von 100 Euro für Erwachsene
eingeführt und für Kinder im Bildungs- und Teilhabebezug der Sonderbedarf
um 60 Euro erhöht werden. Alle gesellschaftlichen Gruppen sollten einen
Zugang zur Grundsicherung haben. Wir wollen zudem temporär das BAföG auch
für Studierende öffnen, die sonst nicht förderberechtigt sind, da ihnen
derzeit vielfach die Nebenverdienstmöglichkeiten wegbrechen.
- Solange Kitas und Schulen nicht wieder in vollem Umfang geöffnet haben,
sollen Eltern, die deshalb ihre Kinder betreuen, die Möglichkeit haben, in
Elternzeit zu gehen und dafür ein Corona-Elterngeld erhalten. Das
Elterngeld soll so gestaltet sein, dass es Anreize für eine
gleichberechtigte Kinderbetreuung setzt.
- Das Kurzarbeitergeld soll auf 90 Prozent für Einkommen bis 1.300 Euro
erhöht und bis zu 2.300 Euro degressiv auf 60 Prozent abgesenkt werden.
Wir wollen verhindern, dass kleine Selbständige einen Antrag auf
Grundsicherung stellen müssen. In Bereichen, die einen längeren Shutdown
erfahren, soll deshalb eine Art Kurzarbeitergeld gezahlt werden. Die
Leistung sollte bei 55 Prozent des jeweiligen Steuergewinns der letzten
Jahre liegen, maximal bei 1.500 Euro/Monat.
Ökologische Modernisierung der Industrie beschleunigen
Um den Industrieunternehmen zu helfen, die durch die Pandemie in Existenznöte
geraten, wollen wir großzügige staatliche Unterstützung anbieten. Dabei sollen
die Investitionen gleichzeitig der ohnehin notwendigen ökologischen
Modernisierung dienen, damit die Unternehmen den Einstieg ins klimaneutrale
Zeitalter nicht verpassen, indem sie jetzt falsch abbiegen. Direkte Hilfen
sollen daher die Investitionen fördern, die einem der sechs EU-Umweltziele
dienen (Taxonomie). Und: Firmen müssen bestimme Sozialstandards einhalten. Zudem
sollte der Vorschlag des Sustainable-Finance-Beirats der Bundesregierung
aufgegriffen werden: Wenn Unternehmen belegen, dass sie nach dem Pariser
Klimaabkommen wirtschaften, sollten sie einen Teil der Kredite, die der Staat
jetzt als Hilfen ausgibt, am Ende der Tilgung erlassen bekommen.
Unsere Vorschläge:
- Über eine direkte Innovations- und Investitionsförderung wollen wir
Investitionen in transformative CO2-freie Verfahren und Prozesse durch
direkte Zuschüsse für sogenannte Leuchtturmprojekte fördern. Damit wollen
wir EU-Förderprogramme ergänzen und zudem über degressive Abschreibungen
der getätigten Investitionen für transformative CO2-freie
Industrieprozesse in Höhe von mind. 25 Prozent auch steuerlich Anreize
setzen.
- Wir wollen für die Bürger*innen und insbesondere mittelständische
Unternehmen den Strompreis senken, indem die EEG-Umlage ab dem 1. Juli
2020 um fünf Cent je Kilowattstunde reduziert wird. Das setzt langfristig
ökologisch richtige Anreize, denn wir brauchen die Elektrifizierung
weiterer Sektoren. Bis Ende 2021 kann damit zudem ein Kaufkraft-Effekt von
22 Milliarden Euro erreicht werden. Mittelfristig finanziert sich die
Maßnahme durch die Einnahmen aus dem CO2-Preis.
- Wir wollen den Einstieg in die grüne Wasserstoffwirtschaft beschleunigen.
Damit treiben wir sowohl in Industriebranchen wie Stahl und Chemie als
auch im Luft-, Schiffs- und Güterverkehr gezielt Klimaschutz als auch
höhere Investitionen an. Dazu gewähren wir Investitionszuschüsse für
Wasserstoff-Pipelines und schaffen Innovations- und Experimentierräume, um
verschiedene Geschäftsmodelle und Anwendungen besser erproben zu können.
- Mit Klimaverträgen wollen wir Investitionssicherheit gerade in der
klimaintensiven Industrie schaffen. Damit wollen wir die Differenz
zwischen dem aktuellen CO2-Preis und den tatsächlichen CO2-
Vermeidungskosten erstatten, welche den Unternehmen durch die
Investitionen in neue Verfahren und Technologien entstehen. Dafür werden
die besten Projekte in einem wettbewerblichen Ausschreibungsverfahren
ermittelt und mit den betreffenden Unternehmen Klimaverträge (Carbon
Contracts for Difference) abgeschlossen.
- Für Investitionen von Unternehmen sollte, wie schon in der Finanzkrise,
eine auf zwei Jahre befristete degressive Sonder-Afa eingeführt werden.
- Wir unterstützen die energieintensiven Rechenzentren finanziell dabei,
ihren Stromverbrauch zu senken und auf erneuerbare Energien sowie
energieeffiziente Wasserkühlsysteme umzustellen. So leisten wir auch einen
Beitrag, um die digitale Souveränität Europas voranzubringen.
Die Automobilindustrie ist ein Schlüsselsektor unserer Industrie mit massiver
Bedeutung für hunderttausende Arbeitsplätze und zahllose Zulieferer. Schon vor
der Corona-Pandemie steckte die Automobilwirtschaft in einer Krise, diese hat
sich nun massiv verschärft. Unternehmen und Beschäftigte sind sehr verunsichert,
wie es weitergehen kann, welche Marktentwicklung eintreten wird, ob
Arbeitsplätze gesichert werden können. Wir schlagen ein Zukunftsbündnis von
Unternehmen, Gewerkschaften und Umweltverbänden vor, um die Rezession zu
überwinden, die ökologische Transformation voranzubringen und Beschäftigung zu
sichern. Dieses verbindet zielgerichtete kurzfristige Hilfen mit dem dringend
notwendigen Aufbruch in Richtung Elektromobilität. Dazu gehören ökologische
Kaufanreize und finanzielle Hilfen bei der Modernisierung. Im Gegenzug müssen
umweltschädliche Subventionen abgebaut und in der Kfz-Steuer ein Bonus-Malus-
System eingeführt werden, wodurch emissionsintensive Wagen wie SUVs stärker und
emissionsärmere Fahrzeuge geringer belastet werden. Zudem müssen Quoten für
emissionsfreie Mobilität eingeführt und die EU-Flottengrenzwerte entsprechend
dem Pariser Klimavertrag angepasst werden.
Staatliche Beteiligungen an Unternehmen sind an die Bedingung von ökologischen
und sozialen Kriterien für die jeweiligen Branchen gebunden. Ähnlich wie die
Autobranche ist auch die Luftfahrt hart getroffen. Analog zur Autobranche
müssten staatliche Hilfen an ordnungsrechtliche Vorgaben gekoppelt werden. Wie
in anderen europäischen Ländern gilt es in diesem Zuge, eine CO2-
Reduktionssstrategie für die Luftfahrt vorzulegen, zum Beispiel durch
Streckenschließungen für kürzere Inlandsflüge, Ausweitung des Nachtflugverbots
oder die Erneuerung der Flugzeugflotte durch effizientere und schadstoffärmere
Flugzeuge.
IV. Investitionen in die Zukunft
Wir sollten jetzt ein zehnjähriges Investitionsprogramm von 500 Mrd. Euro
vorbereiten. Allein in unseren Kommunen besteht ein Sanierungsstau von 138 Mrd.
Euro, und hier sind ökologische Investitionen etwa in den Ausbau des
öffentlichen Nahverkehrs noch gar nicht einbezogen. Es braucht gerade jetzt
starke Kommunen, die vor Ort handlungsfähig sind, sei es bei den Sozialdiensten
oder Frauenhäusern. Die Investitionen des Staates müssen deshalb nicht nur in
der Krise, sondern dauerhaft auf ein höheres Niveau gebracht werden. Die
ökonomischen Forschungsinstitute der Unternehmen und Gewerkschaften kommen auf
einen Investitionsbedarf von über 450 Mrd. Euro. Hinzu kommen Investitionen in
unser Gesundheitssystem, deren Notwendigkeit uns durch Corona vor Augen geführt
wurde. Allein unsere Krankenhäuser haben einen zusätzlichen Investitionsbedarf
von mindestens sechs Milliarden Euro pro Jahr. Und in der Pflege sind die
Herausforderungen ebenfalls groß.
Bundes- und Landespolitik sollten alles tun, um diese Investitionen auf den Weg
zu bringen. Dazu gehört, Planungsprozesse jetzt zu starten und das Planungsrecht
zu entbürokratisieren bzw. Regelungen befristet auszusetzen. Gerade jetzt sollte
die öffentliche Hand Planer*innen und Projektsteuernde einstellen und die
Genehmigungsbehörden aufstocken, damit die zusätzlichen Investitionen auch
verbaut werden können. Dazu sollte der Bund durch eine Verwaltungsvereinbarung
einen Fonds mit den Ländern auflegen, aus dem zusätzliche Planungsstellen über
den Zeitraum von mindestens fünf Jahren bezahlt werden können. Viele
Investitionen liegen bei den Kommunen, und viele von Ihnen werden durch
Altlasten erdrückt. Der Bund sollte den Kommunen einen großen Teil ihrer
Altschulden abnehmen, da er sie dauerhaft zu niedrigen und derzeit sogar
negativen Zinsen refinanzieren kann.
Dieses riesige Investitionsvolumen ist gut angelegtes Geld, sowohl um eine große
globale Depression mit unvorhersehbaren gesellschaftlichen und politischen
Folgen zu verhindern, als auch um krisenfestere und nachhaltige neue
Wirtschaftsstrukturen aufzubauen. Natürlich steigen dadurch die Schulden. Die
öffentlichen Haushalte werden in den nächsten Jahren unter dem Druck der Tilgung
dieser aufgenommenen Kredite stehen. Gleichzeitig dürfen wichtige
Zukunftsinvestitionen nicht der Krise geopfert und keine Einschnitte bei der
kommunalen Grundversorgung, der Infrastruktur und der sozialen Sicherung
vorgenommen werden. Für eine nachhaltige Finanzierung der Kosten der Corona-
Krise ist deshalb eine Kreditfinanzierung mit sehr langen und flexiblen
Tilgungszeiträumen notwendig. Und Deutschland zahlt auf seine Schulden derzeit
keine Zinsen. Eine zu schnelle, restriktive Tilgung würde die wirtschaftliche
Erholung und Investitionsfähigkeit des Staates gefährden. Wir müssen deshalb die
Schuldenbremse reformieren, um mehr kreditfinanzierte Investitionen zu
ermöglichen. Immer wieder hat Deutschland nach besonderen Herausforderungen
(Zweiter Weltkrieg, Wiedervereinigung) besondere Formen des Lastenausgleichs
gefunden. Entsprechend brauchen wir zur Tilgung der Schulden einen solidarischen
Ausgleich nach dem Prinzip: Wer starke Schultern hat, kann mehr tragen.
V. Unser Gesundheitssystem stärken
Die Corona-Epidemie legt die Stärken und Schwächen unseres Gesundheitssystems
offen. Unser Gesundheitswesen verfügt über ein gut ausgebautes System der
Diagnostik, eine im europäischen Vergleich gute Akutversorgung mit zahlreichen
Intensivbetten und eine gute technische Ausstattung. Zugleich ist aber deutlich
geworden, dass insbesondere bei der personellen Situation in der Pflege, in der
kommunalen Gesundheitsversorgung, bei der digitalen Vernetzung sowie bei der
Beschaffung und Bevorratung von Schutzausrüstung erhebliche Defizite bestehen,
die behoben werden müssen.
Jetzt müssen wir unser Gesundheitssystem akut so gut stärken, wie es nur geht,
um dieser Epidemie Herr zu werden. Die Vorhaltung von Reservekapazitäten für den
Ernstfall und eine gute und gut bezahlte Personalausstattung müssen Vorrang
haben und gehören ins Zentrum unserer Anstrengungen. Das sollte durchaus
ökonomisch geschehen, aber Sicherheit geht vor. Das heißt konkret, dass uns als
Gesellschaft die Investitionen in medizinische und pflegerische Infrastruktur
und Investitionen in Pandemiemanagement mehr Geld wert sein müssen als bisher.
Wir brauchen eine deutliche Aufwertung und berufsständische Stärkung der Pflege,
attraktivere Arbeitsbedingungen und eine bessere Personalausstattung. Wir müssen
die über Jahre ausgedünnten öffentlichen Gesundheitsdienste, insbesondere die
Gesundheitsämter, besser ausstatten und die Arbeitssituation für die Menschen im
Gesundheits- und Pflegebereich verbessern. Um die Löhne in der Pflege zu
verbessern, sollen die Tarifparteien die Verhandlungen für eine tarifliche
Bezahlung in der Pflege baldmöglichst fortsetzen, damit eine Einigung zeitnah
für allgemeinverbindlich erklärt werden kann. Sollte das trotz laufender
Verhandlungen nicht erreicht werden, müssten gesetzliche Maßnahmen ergriffen
werden. So könnte in einem nächsten Schritt die soziale Pflegeversicherung dazu
verpflichtet werden, nur mit Arbeitgebern Verträge zu schließen, die tariflich
zahlen.
Der durch die Krise teilweise entstehende Schwung bei der Digitalisierung
unseres Gesundheitswesens muss genutzt werden, um Telemedizin und andere für die
Versorgung und die Forschung sinnvolle digitale Angebote auszubauen.
Forschungsdaten sollen unter Wahrung des Persönlichkeitsschutzes leichter
ausgetauscht werden können, genauso wie medizinische Logistik. Wir wollen einen
Investitionspakt von Bund und Ländern, um Krankenhäuser, aber auch den
öffentlichen Gesundheitsdienst bei den notwendigen Investitionen für die
digitale Infrastruktur zu unterstützen.
Mit digitaler Epidemiologie lässt sich aus einer Vielzahl anonymisierter Daten
der Gesundheitsstatus der Bevölkerung in Echtzeit analysieren, um so gezielter
eingreifen und einer künftigen Epidemie besser begegnen zu können. Nicht nur
dafür muss das E-Government der Verwaltung in Deutschland mit Hochdruck
entwickelt werden. Unsere Virolog*innen sind weltweit Spitze und die
Forschungseinrichtungen sind es auch. Wenn hingegen heute noch Gesundheitsdaten
per Fax von Amt zu Amt versendet werden müssen, weil es technisch anders nicht
geht, kostet uns das jetzt im Kampf gegen Corona wertvolle Zeit.
VI. Recht auf Bildung, auch in der Pandemie
Das Coronavirus hält auch der Bildungspolitik den Spiegel vor. Da sind die immer
noch enormen Ungerechtigkeiten, die das deutsche Bildungssystem hervorbringt –
sichtbar zum Beispiel in der unterschiedlichen technischen Ausstattung von
Schulen. Da sind die vielerorts mangelhaften baulichen und sanitären Zustände
von Bildungseinrichtungen, die in Pandemiezeiten noch größere Probleme als sonst
hervorrufen. Da ist, allen Beteuerungen zum Trotz, der immer noch viel geringe
Stellenwert der frühkindlichen Bildung, wenn wieder nur unter dem Label
„Betreuung“ über Kitas gesprochen wird. Was hier in den ersten Jahren
pädagogisch versäumt wird, kann vielfach kaum nachgeholt werden.
Auf der anderen Seite macht das Engagement vieler Akteur*innen Mut für einen
echten Bildungsaufbruch. Bildungsverantwortliche, Schulleitungen, Kommunen,
pädagogische Fach- und Lehrkräfte, aber auch Eltern und Schüler*innen finden
neue, pragmatische und kreative Lösungen in der schwierigen Situation: Sei es
der Unterricht im Park oder die Vertretung der aus medizinischen Gründen
abwesenden Musiklehrerin durch einen Musiker, der derzeit ohne Engagement ist.
Es geht beim Lernen aus der Krise nicht nur um ein bisschen Digitalisierung, es
geht darum, das Bildungssystem so auszurichten, dass Menschen selbstbestimmt,
nachhaltig und aufgeklärt handeln können.
Die Digitalisierung an den Schulen braucht dauerhaft finanzielle Unterstützung
vom Bund, nicht nur einen einmal gefüllten, befristeten Fördertopf. Die
Megaaufgabe Digitalisierung in der Bildung können Bund und Länder nur gemeinsam
schaffen. Die Bereitschaft auf allen Seiten, das deutsche Bildungssystem an die
digitale Welt anzuschließen, war nie so groß wie heute.
Um den Ungerechtigkeiten im Bildungssystem entgegenzuwirken, ist der weitere
Ausbau guter ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote zentral. Hier könnte
die Krise möglicherweise alte Blockaden aufbrechen: Wenn für eine längere Zeit
der klassische Bildungsbetrieb nur eingeschränkt stattfinden kann, sollten Kitas
und Schulen die Möglichkeit haben, unbürokratisch und flexibel neue Lern- und
Freizeit-Angebote zu schaffen. Schulen sollen dafür ein Budget erhalten, das im
Rahmen eines sozialen Schutzschildes aus dem Mitteln des Bundes kommt.
Zusätzlich ist ein Aufholprogramm für Schulen in benachteiligten Regionen und
Stadtteilen nach der Krise nötiger denn je, damit jene, die schon vor Corona
drohten, abgehängt zu werden, den Anschluss nicht verlieren.
VII. Eine neue Chance für Europa
Ganz Europa ist von der Corona-Krise betroffen. Unser Kontinent ist derzeit die
Region mit den meisten Infizierten weltweit. Alle sind betroffen, manche
Regionen, wie die Lombardei, das Elsass, Madrid ganz besonders. Wie schon in der
letzten Finanzkrise und der Flüchtlingskrise haben einige europäische Staaten
auch in der Corona Krise unsolidarisch und uneuropäisch gehandelt. Die Pandemie
darf die Spaltung in der EU nicht noch weiter verschärfen. Wenn Europa jetzt
nicht zusammensteht, springen andere in die Lücke und versuchen ihren
geopolitischen Einfluss noch weiter auszudehnen. Aber es gibt viele Beispiele
europäischer Solidarität, die Mut machen, dass die europäische Idee in dieser
Zeit besteht: europäische Patient*innen werden in deutschen Krankenhäusern
behandelt, über europäische Städtepartnerschaften wird kommunale Hilfe
organisiert, viele Personen aus der Zivilgesellschaft haben individuelle
Initiativen gestartet. Wir müssen diese Krise als Wendepunkt begreifen die
Gemeinschaft zu vertiefen. Dann kann Europa sogar gestärkt aus ihr hervorgehen.
Wir wollen so schnell wie möglich zu den offenen Grenzen des Schengen-Raums
zurückkehren. Bei der Bekämpfung von Corona muss Europa zu seinen Werten stehen
und offen bleiben. Grenzkontrollen und Einreiseverbote müssen medizinisch
begründet, abgestimmt und verhältnismäßig sein. An die Stelle willkürlicher
Grenzkontrollen auf nationaler Ebene sollten zielgerichtete Beschränkungen auf
regionaler Ebene (die dann durchaus auch grenzübergreifend gelten) treten. Die
Kriterien müssen nicht überall zu einhundert Prozent identisch, aber
wirkungsgleich sein. Wo notwendig, muss an den Grenzen auf die Frage des
effektiven Gesundheitsschutzes fokussiert werden.
Europa braucht eine Koordinierung der Strategien aus dem Shutdown, auch um zu
verhindern, dass Lieferketten unterbrochen werden. Eine europäische
Pandemiewirtschaft sollte eine massive Produktion an medizinischer Ausrüstung
zum Ziel haben. Die Staaten sollten die Beschaffung gemeinsam organisieren bzw.
untereinander abstimmen, um zu verhindern, dass man sich gegenseitig Konkurrenz
macht. Die europäischen Anstrengungen in der Impfstoffforschung sollten
verstärkt werden. Wir fordern einen EU-Corona-Forschungsfonds für Medikamente
und Impfstoffe, die dann unter Gemeinwohllizenz vermarktet werden. Für die Zeit
nach der Pandemie sollte das European Center for Desease Prevention and Control
(ECDC) in die Lage versetzt werden, bei zukünftigen Pandemien schnell
Unterstützungsleistungen für besonders betroffenen Länder zu leisten, damit kein
Krankenhaus in Europa in die Lage kommt, Menschen nicht angemessen medizinisch
versorgen zu können. Die bevorstehende deutsche Ratspräsidentschaft sollte auch
genutzt werden, um die Arzneimittelproduktion wieder verstärkt in Europa
anzusiedeln, um in diesen lebenswichtigen Bereichen nicht von transkontinentalen
Lieferketten abhängig zu sein.
Mit den Entscheidungen der Europäischen Zentralbank (EZB) konnte eine neuerliche
Finanz- und Währungskrise fürs Erste abgewehrt werden. Wieder einmal musste die
EZB einspringen, weil die Staats- und Regierungschefs nicht in der Lage waren,
umfassende Maßnahmen wie gemeinsame Corona-Bonds für die Krisenbewältigung zu
beschließen. Das jetzt vereinbarte Paket aus ESM-Hilfen, Unternehmenskrediten
über die Europäische Investitionsbank und das europäische Kurzarbeitergeld ist
ein erster Schritt, aber unzureichend.
Wenn jetzt in Ländern wie Spanien und Italien aus Angst vor einer Überschuldung
zu wenig getan werden kann, trifft das nicht nur die dortige Bevölkerung hart,
sondern am Ende alle Mitglieder der Union. Gerade die deutsche Wirtschaft ist
eng verknüpft mit diesen Ländern. Wenn dort keine deutschen Produkte mehr
gekauft werden, führt dies zu einer stark steigenden Arbeitslosigkeit bei uns.
Und wenn dort die Produktion wegen der Pandemie nicht wieder anlaufen kann,
stehen wegen der verwobenen Lieferketten hierzulande Bänder still. Nur wenn
Italien wieder auf die Beine kommt, wird Deutschland es auch. China wird
versuchen, sich in der kommenden Rezession in die europäische Wirtschaft
einzukaufen, und Putin die Möglichkeit nutzen, um europäischen Demokratien zu
destabilisieren. Nur wenn Europa seine Interessen gemeinsam wahrnimmt, werden
insbesondere Süd- und Osteuropa diese Angebote ablehnen können
Diese europäische Antwort muss einen gemeinsamen Recovery Fund beinhalten, der
durch gemeinsame Anleihen finanziert wird, um so die Krisenlasten gemeinsam und
solidarisch zu schultern. Die Ausgaben sollten sich an den Pariser
Klimaschutzzielen und dem Green Deal orientieren. Der Recovery Fund hat einen
Umfang von mindestens einer Billion Euro und ist damit dem Ernst und der Größe
der Herausforderung angemessen. Die Verschuldung zählt nicht in die nationalen
Schuldenquoten. Vielmehr ermöglicht die gemeinsame Haftung Zinsen unterhalb der
Inflation.
Während viele Unternehmen, insbesondere Mittelständler und der Einzelhandel in
den Innenstädten, gerade leiden, machen große Digitalkonzerne riesige Gewinne.
Zugleich zahlen sie weniger Steuern als vergleichbare traditionelle Unternehmen.
Deshalb wäre jetzt spätestens der Zeitpunkt, dass sich die Bundesregierung
diesem Steuerdumping entgegenstellt und ihre Blockade bei der europäischen
Digitalsteuer aufgibt. Schon der Vorschlag der EU-Kommission, die Umsätze
digitaler Großunternehmen an dem Ort, wo sie tätig sind, mit drei Prozent zu
besteuern, würde zu geschätzten Einnahmen von fünf Milliarden Euro führen. Wenn
einzelne EU-Mitgliedstaaten weiterhin blockieren, braucht es eine Koalition der
Willigen als ersten Schritt zu einer europäischen und globalen Lösung.
In der Krise erweist sich, dass das jahrelange Bremsen und Verweigern der
deutschen Bundesregierung in zentralen europäischen Fragen als schwere Hypothek.
Nach der Krise müssen in der Europäischen Union die seit Jahren aufgeschobenen
Entscheidungen zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion, wie
beispielsweise ein eigener EU-Haushalt mit einem eigenen fiskalpolitischen
Instrument, der Umgang mit Handelsungleichgewichten und die Vollendung der
Bankenunion endlich angegangen werden. Ein größerer EU-Haushalt ab 2021 bedeutet
auch einen größeren deutschen Beitrag und mehr Möglichkeiten für die Union,
eigene Einnahmen zu generieren. Um Europa neu aufzustellen muss die
Bundesregierung nicht jeden Vorschlag anderer Länder übernehmen, sie muss aber
endlich auch eigene konstruktive Vorschläge machen, um die Probleme zu lösen und
nicht weiterhin nur verweigern und im Falle einer Krise die gesamte
wirtschaftspolitische Verantwortung der Europäischen Zentralbank zuschieben. Zu
den notwendigen Fragen gehört auch die Überprüfung des Stabilitäts- und
Wachstumspakts.
Die Welt wird nur im Geist der Kooperation gut durch diese Pandemie kommen. So
vernetzt sie ist, so kurzsichtig egoistisch handeln derzeit die meisten
Nationalstaaten. Wenn Europa kooperativ und solidarisch vorangeht, schaffen wir
eine starke und unwiderstehliche Gegenerzählung mit globaler Wirkung. Die ganze
Welt kämpft gegen diese Corona-Pandemie. Deshalb müssen in der Pandemie die
Zölle für überlebenswichtige Produkte wegfallen und Exportbeschränkungen
aufgehoben werden. Sieben Milliarden Menschen warten auf einen Impfstoff und
Medikamente gegen COVID-19. Es muss dafür gesorgt werden, dass beides, sobald
vorhanden, global, schnell und zu einem günstigen Preis verfügbar ist.
Wir müssen deshalb über eine Lockerungen der Regeln geistigen Eigentums
nachdenken und die Besitzer*innen geistigen Eigentums dazu aufrufen, günstige
Lizenzen in einem internationalen Patentpool anzubieten, der über die WTO
koordiniert wird – insbesondere für einen neu entwickelten Impfstoff oder eine
anerkannte Therapie. Die globale Rezession droht in den Entwicklungs- und
Schwellenländern ein Brandbeschleuniger der Schuldenkrise und damit von Armut,
Flucht und Konflikten zu werden. Deutschland muss sich dafür einsetzen, dass die
Schulden des globalen Südens erlassen werden. Weiterhin braucht es eine
deutliche Erhöhung der Sonderziehungsrechte beim Internationalen Währungsfonds,
um besser gegen spekulative Kapitalflucht gewappnet zu sein. Wir dürfen nicht
zulassen, dass globale Ungleichheiten noch weiter verschärft werden. Wir
brauchen ein globales Hilfspaket gegen das Corona-Virus und seine Folgen und
eine Stärkung der Vereinten Nationen.
Wir unterstützen die Forderung des UN-Generalsekretärs nach weltweiten
Waffenstillständen. Die Bundesregierung sollte ihren Einfluss bei den
europäischen und internationalen Partnern geltend machen, um auf dieses Ziel
hinzuarbeiten. Sie muss schnell ausreichende zusätzliche Mittel für
Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen.
Gleichzeitig dürfen die internationale Gemeinschaft und die deutsche humanitäre
Hilfe sowie die Entwicklungszusammenarbeit nicht bei Maßnahmen in bestehenden
Gesundheitsprogrammen nachlassen.
VIII. Stärker aus der Krise
Die Pandemie führt uns vor Augen, was wir vermissen und unbedingt wiedergewinnen
wollen: unsere Freiheit, soziale Nähe und die Vielschichtigkeit unseres Lebens;
den öffentlichen Raum; Kitas, Schulen und Hochschulen; den direkten Austausch
mit den Kolleg*innen am Arbeitsplatz; Kultur und das bunte Leben, mit Kneipen,
Kinos, Konzerten, lebendigen Innenstädten, die uns weiter fehlen und die jetzt
um ihre Existenz kämpfen; unser vereintes und offenes Europa.
Der Shutdown hat uns auch gezeigt, was wir stärker wertschätzen und fördern
müssen:
Die Klugheit einer aufgeklärten Gesellschaft, die fähig ist präventiv zu
handeln; in einem funktionierenden demokratischen Rechtsstaat zu leben; unsere
öffentliche Daseinsvorsorge, ein lebendiges Gemeinwesen vor Ort und ein starker
Sozialstaat; unabhängige Qualitätsmedien und den Öffentlich-Rechtlichen
Rundfunk; solidarische Menschen und einen solidarischen Staat; saubere Luft auch
in den Städten und staufreie Straßen; die Möglichkeit des Homeoffice; ein
parlamentarisches Miteinander zwischen Regierung und Opposition, das gemeinsam
Dinge löst, statt nur gegeneinander zu arbeiten.
Nicht zuletzt führt uns die Corona-Krise vor Augen, was wir in der Vergangenheit
versäumt haben. Es gab Pandemiewarnungen und sogar Pandemienotfallvorkehrungen
mit Drucksachennummer des Bundestages, aber in der Realität, als Gesellschaft
waren wir nicht ausreichend vorbereitet. Wir müssen Resilienz noch lernen. Dazu
gehört, dass wir bei der Arzneimittelproduktion und zentralen Utensilien für
Seuchenbekämpfung nicht allein auf den Markt setzen können. Wir müssen in Europa
selbst in der Lage sein, die zentralen medizinischen Produkte und Medikamente zu
produzieren, ebenso wie Lebensmittel die wir zum Leben in einer Notlage
brauchen. Dazu gehört, dass wir kritische Infrastrukturen, beispielsweise vor
weitreichenden IT-Angriffen, besser schützen. Wir müssen die Digitalisierung
voranbringen, wir müssen Europa und multilaterale Institutionen stärken und wir
müssen verstehen, dass der Raubbau an den natürlichen Ökosystemen das Risiko von
Epidemien erhöht. So haben Ausbrüche von Infektionskrankheiten in den letzten 40
Jahren immer stärker zugenommen. Circa zwei Drittel davon sind Zoonosen, also
Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen wurden. Wir müssen die
Ursachen für Zoonosen stärker bekämpfen und uns zugleich wappnen, Epidemien
zukünftig besser einzudämmen.
Nur wenn wir uns selbstkritisch reflektieren, können wir uns besser gegen
zukünftige hereinbrechende Katastrophen wappnen. Vorsorge ist politisch das
Schwierigste überhaupt. Aber Corona führt uns jeden Tag vor Augen, wie wichtig
sie ist. Entsprechend geht es uns mit diesem Antrag darum, über die unmittelbare
Krisenbekämpfung hinaus Leitlinien für die nächsten Schritte zu beschließen und
die richtigen Lehren aus der Erfahrung der letzten Wochen zu ziehen. Wir wollen
schneller sein als das Virus, damit seine schlimmsten Folgen verhindert werden
können und wir stärker aus der Krise kommen als wir hineingegangen sind.
weitere Antragsteller*innen
- Sven Lehmann (KV Köln)
- Hanna Steinmüller (KV Berlin-Mitte)
- Silke Gebel (KV Berlin-Mitte)
- Katharina Schulze (KV München)
- Sebastian Walter (Berlin-Tempelhof/Schöneberg KV)
- Henrik Rubner (KV Berlin-Mitte)
- Madeleine Henfling (Ilm-Kreis KV)
Fehler:Du musst dich einloggen, um Anträge unterstützen zu können.
Von Zeile 59 bis 61:
Gefahr bleiben und wir werden voraussichtlich noch lange mit weitreichenden Einschränkungen leben müssen. Wir müssen fundiert darüber sprechen wo und wie Lockerungen sind weiter nurbei den jetzigen Beschränkungen stufenweise und unter der Prämisse möglich sind, dass unser Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Einen allgemeinen Immunitätsausweis lehnen wir dafür allerdings ab. Er schafft lediglich noch mehr Ungleichheit und sorgt nicht für eine solidarische Bewältigung der Corona-Epidemie.
Das Corona-Virus hat die Menschheit in einen Ausnahmezustand versetzt. Wir
betrauern bereits über 200.000 Tote und großes Leid. Um die Pandemie zu
bekämpfen, wurde das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben auf der ganzen
Welt weitgehend angehalten, mit dramatischen Auswirkungen: Menschen verlieren
ihre Arbeit, sozialer Stress und häusliche Gewalt nehmen zu. Die Welt steht vor
einer tiefgreifenden Rezession.
Noch befinden wir uns mitten in der Pandemie. Es gilt – mit aller Kraft – die
Zahl der Opfer so gering wie möglich zu halten und zugleich einen sozialen und
ökonomischen Zusammenbruch zu verhindern. Dafür müssen wir weiter große Vorsicht
walten lassen und lernen, für eine längere Zeit mit dem Virus zu leben und es
zugleich immer besser und zielgenauer zu bekämpfen.
Corona ist eine globale Herausforderung, auf die es eine globale Antwort geben
muss. Kein Staat kann sie allein bewältigen. Das gilt vor allem für uns in
Europa. Wir müssen Wege aus der Krise konsequent europäisch denken. Nur
europäisch kommen wir durch diese schwere Zeit, nur gemeinsam werden wir die
Pandemie bekämpfen und unsere Wirtschaft wieder auf die Beine bringen können.
Europas Zusammenhalt hat bereits großen Schaden genommen. Wir müssen jetzt alles
dafür tun, dass das Friedenprojekt Europa zum historischen Kurs der Integration
zurückfindet.
Niemand weiß, wie lange diese globale Ausnahmesituation andauern wird, niemand
kann das tatsächliche Ausmaß und die Auswirkungen wirklich absehen. Aber die
Krise zeigt uns bereits heute, wie wichtig vorausschauendes politisches Handeln
ist. An unserer Zukunftsfähigkeit und Krisenresilienz zu arbeiten, wird am Ende
den Unterschied machen.
In der Not zeigt sich, worauf es ankommt: auf Gemeinsinn, Solidarität und
Humanität. Auf die Erkenntnis, dass deutsche und europäische Interessen eins
sind. Auf starke internationale Institutionen. Auf die Robustheit von
Wirtschaft, Gesundheits- und Sozialsystemen. Auf eine starke Daseinsvorsorge.
Auf die Stärke derer, die man in der Gesellschaft oft nicht sieht:
Lastwagenfahrer*innen, Erntehelfer*innen, Kassierer*innen, Reinigungskräfte und
Pfleger*innen. Auf die vielen Frauen, die nicht nur in schlecht bezahlten
CareBerufen, sondern auch in vielen Familien alles am Laufen halten. Auf bessere
Löhne in systemrelevanten Berufen. Auf eine neue Politik der Sicherheit –
vorsorgend, widerstandsfähig, umfassend und europäisch. Wir brauchen ein neues,
ein nachhaltiges Sicherheitsversprechen.
Dass diese Erkenntnis über den Tag hinaus Bestand hat, ist nicht
selbstverständlich. Wir stehen an einer Wegscheide. Schreiben wir eine alte
Politik, die alte Brüchigkeit, die alten Probleme fort und schaffen damit neue?
Oder treiben wir beherzt die nötigen Veränderungen voran und bauen Wirtschaft
und Gesellschaft auf festem Grund wieder auf? Wir sind überzeugt, dass nur ein
politischer Aufbruch nachhaltig aus der Krise führt. Nur, wenn wir Dinge
grundlegend verändern, wenn wir aus Bekenntnis Wirklichkeit machen, werden wir
diese und die anderen großen Herausforderungen – allen voran die Klimakrise –
bewältigen. Widerstandsfähig gegen globale Krisen zu sein, ist der Schlüssel für
eine neue Sicherheit im 21. Jahrhundert.
Corona und die Bekämpfung des Virus werden unser aller Leben, die
gesellschaftlichen Debatten und die Politik noch lange Zeit prägen. Nach der
Pandemie wird unsere Welt eine andere sein. Doch mit jedem Schritt voran – und
sei er noch so klein – öffnet sich auch ein Fenster in die Zukunft.
Demokratie bewährt sich gerade in der Krise. Sie ist ein lernendes System, in
dem mündige Bürgerinnen und Bürger frei über ihre Zukunft diskutieren. Das ist
die Voraussetzung für Innovation. Aus den jetzigen Erfahrungen können und müssen
wir Lehren für die Zukunft ziehen. Mit Corona enden die politischen Debatten
nicht, sondern beginnen sie neu.
II. Handeln in der Pandemie
Deutschland hat die Pandemie entschlossen bekämpft und bislang das
Gesundheitssystem vor einem Kollaps geschützt. Aber noch ist nichts gewonnen.
Solange ein Impfstoff nicht verfügbar ist, wird das Corona-Virus eine andauernde
Gefahr bleiben und wir werden voraussichtlich noch lange mit weitreichenden
Einschränkungen leben müssen. Wir müssen fundiert darüber sprechen wo und wie Lockerungen sind weiter nurbei den jetzigen Beschränkungen stufenweise und unter
der Prämisse möglich sind, dass unser Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Einen allgemeinen Immunitätsausweis lehnen wir dafür allerdings ab. Er schafft lediglich noch mehr Ungleichheit und sorgt nicht für eine solidarische Bewältigung der Corona-Epidemie.
In dieser Ausnahmezeit ist Verhältnismäßigkeit das Gebot der Stunde. Es ist die
Verantwortung des Staates immer wieder zu prüfen, ob die massiven
Grundrechtseinschränkungen verhältnismäßig sind und ob es mildere Mittel gibt.
Einschränkungen, genauso wie schrittweise Lockerungen, müssen entlang von
klaren, nachvollziehbaren Kriterien so transparent wie möglich erklärt werden,
um Verständnis, Akzeptanz und Vertrauen zu schaffen. Die Einschränkungen müssen
geeignet, erforderlich und angemessen sein, die Folgewirkungen in den Blick
nehmen, mögliche Alternativen betrachten und gründlich abgewogen werden. Sie
sind zeitlich zu befristen und immer wieder aufs Neue zu begründen. Während es
im Shutdown eine große Geschlossenheit gab, droht sich die Gesellschaft in
Phasen der Lockerung zu spalten. Statt sich in Durchhalteparolen und
Lockerungsübungen aufzureiben, brauchen wir eine andere, zielgenauere Strategie
zur Bekämpfung des Virus, die auf Tests, schneller Nachvollziehbarkeit von
Infektionen und auf Schutzmaßnahmen beruht. Wir müssen jetzt daran arbeiten,
dass die Voraussetzungen dafür vor allem in den sensiblen Bereichen geschaffen
werden. Lockerungen müssen sich am Gemeinwohl orientieren und dürfen nicht davon
abhängen, welche Lobbygruppe die stärksten Einflussmöglichkeiten hat.
Mit dem Shutdown haben Bund und Länder die massivsten Grundrechtseingriffe in
der Geschichte der Bundesrepublik sowie beispiellose Hilfspakete beschlossen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben diese Maßnahmen im Bundestag und auf Ebene der
Landesregierungen mitgetragen, Vorschläge eingebracht und damit zu einem
schnellen, geschlossenen Handeln beigetragen. Auch so konnte breites Vertrauen
in den notwendigen Shutdown entstehen. Wir stehen bereit, auch weiter die Last
mit zu schultern. Dafür treiben wir mit eigenen Vorschlägen an, wo
Handlungsbedarf besteht und bremsen, wo nötig. Fraktionen und Parlamente sind
von den Regierungen im Bund und in den Ländern zwingend mit einzubinden. Sie
sind der Ort der demokratischen Debatte, auch in Krisenzeiten.
Bei allem gesellschaftlichen Zusammenstehen werden jetzt zunehmend die
politischen Versäumnisse der Bundesregierung sichtbar. Mit der gleichen
Vehemenz, mit der wir in den Shutdown gegangen sind muss eine funktionierende,
europäisch koordinierte Pandemiewirtschaft aufgebaut werden. Viele Unternehmen
im Land sind bereit zu helfen, und ihre Produktion auf elementar notwendige
Schutzgüter umzustellen. Doch wenn die Bundesregierung nicht koordiniert,
funktioniert es nicht. Wir brauchen zuverlässige Zahlen über den notwendigen
Bedarf, Abnahmegarantien, gegebenenfalls Investitionshilfen und Koordination bei
Engpässen in den Lieferketten.
Testkapazitäten und die Versorgung mit Mund-Nase-Masken müssen drastisch
gesteigert werden. Die Ausstattung mit Schutzkleidung ist gerade für die
sozialen Hilfeeinrichtungen, für die Kinder- und Jugendhilfe,
Frauenberatungsstellen oder Obdachlosenhilfe jetzt notwendig, nicht später. Sie
müssen ebenso wie Pflegeheime mit Schutzmasken ausgestattet werden. Längst
überfällige digitale Lösungen – etwa eine freiwillige Corona-Tracing-App als
wichtiger Baustein in der Epidemiebekämpfung – gibt es noch immer nicht. Die
Gesundheitsämter brauchen ausreichend Personal für regionale Taskforces.
Die Krise befeuert die sozialen Probleme und zeigt, wer keine Lobby hat:
Familien, vor allem Alleinerziehende, und Kinder. So verschärft die Schließung
von Schulen und Kindergärten die Chancenungleichheit für Kinder dramatisch.
Zwischen ‚komplett geschlossen‘ und ‚alle sofort wieder rein‘, muss es Raum für
Verhältnismäßigkeit und pragmatische Lösungen geben – tageweiser
Kleingruppenunterricht, Schüler-Lehrer-Gespräche. Wenn im Betrieb Schichtsysteme
eingeführt werden, klappt das auch in der Kita. Der Staat hat eine
Fürsorgepflicht für Kinder und einen Bildungsauftrag.
Mit neuer Wucht wird sichtbar, wie sehr unser gesellschaftliches Leben und damit
auch unser wirtschaftlicher Wohlstand immer noch darauf beruht, dass Frauen
Kinder betreuen, sich ums Essen kümmern oder die Wohnung putzen. Kinderbetreuung
darf aber nicht zur Privatsache werden, Familien müssen auf den Staat bauen
können. Nötig ist zudem ein großer, umfassender sozialer Schutzschirm, der auch
jene schützt, die arm sind, obdachlos, die Stress, Verhetzungen im Netz,
häuslicher Gewalt, Depressionen oder Suizidgefahr ausgesetzt sind.
Je länger die Pandemie andauert, umso stärker rückt die Frage in den
Vordergrund:Wie mit der Bedrohung durch das Virus leben lernen, ohne das
öffentliche Leben langfristig drastischen Einschränkungen zu unterwerfen? Wir
müssen uns jeden Tag aufs Neue – auch mit Blick auf eine mögliche neue Corona-
Welle – damit auseinandersetzen, wie wir unter Pandemie-Bedingungen Bildung,
Betreuung, Wirtschaft und Handel, Kultur- und Freizeitangebote sowie nicht
zuletzt die Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben organisieren
und gleichzeitig die Menschen bestmöglich vor Ansteckung schützen.
II. Klimakrise und Corona gemeinsam bekämpfen
Die Welt steht vor einer tiefgreifenden Rezession. Der internationale
Währungsfonds prognostiziert, dass Corona zur schlimmsten Wirtschaftskrise seit
der großen Depression der 1930er führen wird. Das ist eine tiefgreifende
wirtschaftliche, soziale und gesellschaftliche Herausforderung, der wir uns in
Europa gemeinsam und mit aller Kraft stellen müssen. Die Konjunkturprogramme
müssen deshalb europäisch gedacht, bzw. in Europa aufeinander abgestimmt sein,
damit sich alle Länder im europäischen Binnenmarkt entwickeln können. Niemand
wird es alleine schaffen.
Für dieses historische Moment gibt es keine Blaupause. Die wirtschaftlichen
Auswirkungen treffen fast alle Lebensbereiche und Branchen, aber sie treffen
diese sehr unterschiedlich. Manche Unternehmen können dank Homeoffice nahezu
weiter machen wie vor der Krise, haben aber haben weniger Aufträge. Einige
verbleiben vielleicht noch monatelang im Shutdown und sehen kaum noch eine
Perspektive. Andere können mit deutlichen Beschränkungen langsam wieder
aufmachen, aber ihre Lieferketten funktionieren nicht. Dazu kommt, dass wir mit
den wirtschaftspolitischen Maßnahmen nicht die gesundheitspolitischen
konterkarieren dürfen.
Anders als nach der Finanzkrise werden wir uns in Deutschland dieses Mal nicht
einfach aus der Rezession herausexportieren können. Die Nachfrage ist global
eingebrochen. Und wir müssen eine Antwort darauf finden, dass sich alte soziale
Schieflagen durch Corona verschärfen und neue auftun.
Bei all dem ist die zweite große Aufgabe unserer Zeit, die Klimakrise, zu
bewältigen. Wir erleben nach zwei Hitzesommern schon die nächste Dürre.
Knochentrockene Äcker, Waldbrände im April, das ist auch die Realität in unserem
Land. Und gegen die Klimakrise wird es keinen Impfstoff geben. Nicht in diesem
Jahr und auch in keinem anderen. Wir werden als Weltgemeinschaft scheitern, wenn
die jetzt geplanten Maßnahmen die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen noch
beschleunigen.
Es ist daher entscheidend, jetzt die Weichen richtig zu stellen. Ohne Frage ist
die Rezession mit voller Kraft zu bekämpfen, Jobs und Wettbewerbsfähigkeit zu
erhalten. Tun wir das aber mit einer alten Politik und alten Mitteln,
produzieren wir neue Unsicherheit und steuern auf gigantische soziale und
wirtschaftliche Schäden zu. Unser Handlungsrahmen müssen der Pariser
Klimavertrag und die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung sein.
Vor der Pandemie hatte ein breites Bündnis aus Unternehmen, Klimabewegung,
Gewerkschaften, Forscher*innen und Wissenschaftler*innen, die Chancen erkannt,
die in einem Aufbruch liegen, der Klimaschutz, ökonomische Dynamik und sozialen
Ausgleich zusammenbringt. Wir haben eine doppelte Aufgabe und doppelte Chance:
die durch Corona bedingte Wirtschaftskrise und die Klimakrise zusammen
anzugehen. So wird der Europäische Green Deal zum Pakt für die Transformation
der Wirtschaft.
Es wird massive Anstrengungen und beispiellose Programme brauchen, um diese
Herausforderungen zu lösen. Jetzt ist die Zeit großer und kreativer Antworten
und entschlossenen Handelns. Wir müssen auf der einen Seite kurzfristig
stimulieren und stabilisieren, und zudem den Kurs in Richtung Klimaneutralität
und Zukunftsfähigkeit setzen. Dabei ist völlig klar: Ein solches
Konjunkturprogramm ist auch innerhalb von vielen Jahren so nur ein Mal leistbar.
Umso entschiedener und vorausschauender muss jetzt der richtige Weg zum
Wiederaufbau eingeschlagen werden.
III. Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise – sozial und ökologisch
Es braucht Direkthilfen für die Branchen, die im Shutdown stillstehen müssen und
Konjunkturstimuli für die, die langsam wieder anlaufen.
Dabei ist klar, dass aus Steuermitteln finanzierte Wirtschaftshilfen in der
Rezession an Vorgaben gekoppelt werden müssen: Wenn Aktienkonzerne Dividenden
auszahlen, Unternehmen Firmensitze in Steueroasen haben oder Manager*innen-Boni
auszahlen, können sie keine Hilfe vom Staat erwarten. Unternehmen, die in der
Krise mit staatlichen Geldern unterstützt wurden und in Zukunft wieder
Dividenden auszahlen wollen, müssen diese Hilfen an den Staat zurückzahlen.
Für dieses Jahr sollte ein deutsches Konjunktur-Sofortprogramm von etwa 100
Milliarden Euro vorbereitet werden, das dann schnell greifen kann, wenn die
medizinische Lage ein stärkeres Wiederanfahren des ökonomischen Lebens erlaubt.
Stimulieren wir dann schnell die Konjunktur, verhindern wir, dass Millionen
Menschen in unserem Land durch die Folgen von Corona in Existenznöte geraten,
Pleitewellen unsere Innenstädte veröden lassen, dass das, was uns lieb und teuer
ist, Kultur, Reisen, dauerhaften Schaden nimmt. Es braucht dabei Unterstützung
gerade für die Schwächsten. Die Maßnahmen sind auf die Dauer der
Krisenbewältigung zu befristen und immer wieder zu überprüfen.
Für dieses Sofortprogramm schlagen wir folgende Eckpunkte vor:
Lokalen Einzelhandel stärken – Pleitewellen verhindern
- Der lokale Einzelhandel und insbesondere die inhabergeführte Gastronomie
sowie Kultureinrichtungen leiden durch die Krise massiv. Der Einzelhandel
hat bereits weitere Marktanteile an den Onlinehandel verloren. Um eine
Verödung unserer Innenstädte zu verhindern, soll für die zweite
Jahreshälfte ein Fonds in Höhe von 20 Milliarden Euro aufgelegt werden,
der sich zusammensetzt aus Kaufanreizen, in Form von Kauf-Vor-Ort-
Gutscheinen sowie direkten Zuschüssen, um die Nachfrage, dort wo nötig, zu
stimulieren und eine Belebung der Innenstädte als gesellschaftliche Räume
zu schaffen.
- Es braucht zudem gezielt einen Fonds für weiterhin geschlossene
Kultureinrichtungen und Betriebe, um deren Fortbestand zu sichern, gerade
für kleine Veranstaltungsorte – dies ist wirksamer und fairer als das von
der Bundesregierung geplante Umtauschsystem.
Soziale Absicherung verbessern – Kaufkraft erhalten
- Krisenbedingt soll ein ALG2-Sonderbedarf von 100 Euro für Erwachsene
eingeführt und für Kinder im Bildungs- und Teilhabebezug der Sonderbedarf
um 60 Euro erhöht werden. Alle gesellschaftlichen Gruppen sollten einen
Zugang zur Grundsicherung haben. Wir wollen zudem temporär das BAföG auch
für Studierende öffnen, die sonst nicht förderberechtigt sind, da ihnen
derzeit vielfach die Nebenverdienstmöglichkeiten wegbrechen.
- Solange Kitas und Schulen nicht wieder in vollem Umfang geöffnet haben,
sollen Eltern, die deshalb ihre Kinder betreuen, die Möglichkeit haben, in
Elternzeit zu gehen und dafür ein Corona-Elterngeld erhalten. Das
Elterngeld soll so gestaltet sein, dass es Anreize für eine
gleichberechtigte Kinderbetreuung setzt.
- Das Kurzarbeitergeld soll auf 90 Prozent für Einkommen bis 1.300 Euro
erhöht und bis zu 2.300 Euro degressiv auf 60 Prozent abgesenkt werden.
Wir wollen verhindern, dass kleine Selbständige einen Antrag auf
Grundsicherung stellen müssen. In Bereichen, die einen längeren Shutdown
erfahren, soll deshalb eine Art Kurzarbeitergeld gezahlt werden. Die
Leistung sollte bei 55 Prozent des jeweiligen Steuergewinns der letzten
Jahre liegen, maximal bei 1.500 Euro/Monat.
Ökologische Modernisierung der Industrie beschleunigen
Um den Industrieunternehmen zu helfen, die durch die Pandemie in Existenznöte
geraten, wollen wir großzügige staatliche Unterstützung anbieten. Dabei sollen
die Investitionen gleichzeitig der ohnehin notwendigen ökologischen
Modernisierung dienen, damit die Unternehmen den Einstieg ins klimaneutrale
Zeitalter nicht verpassen, indem sie jetzt falsch abbiegen. Direkte Hilfen
sollen daher die Investitionen fördern, die einem der sechs EU-Umweltziele
dienen (Taxonomie). Und: Firmen müssen bestimme Sozialstandards einhalten. Zudem
sollte der Vorschlag des Sustainable-Finance-Beirats der Bundesregierung
aufgegriffen werden: Wenn Unternehmen belegen, dass sie nach dem Pariser
Klimaabkommen wirtschaften, sollten sie einen Teil der Kredite, die der Staat
jetzt als Hilfen ausgibt, am Ende der Tilgung erlassen bekommen.
Unsere Vorschläge:
- Über eine direkte Innovations- und Investitionsförderung wollen wir
Investitionen in transformative CO2-freie Verfahren und Prozesse durch
direkte Zuschüsse für sogenannte Leuchtturmprojekte fördern. Damit wollen
wir EU-Förderprogramme ergänzen und zudem über degressive Abschreibungen
der getätigten Investitionen für transformative CO2-freie
Industrieprozesse in Höhe von mind. 25 Prozent auch steuerlich Anreize
setzen.
- Wir wollen für die Bürger*innen und insbesondere mittelständische
Unternehmen den Strompreis senken, indem die EEG-Umlage ab dem 1. Juli
2020 um fünf Cent je Kilowattstunde reduziert wird. Das setzt langfristig
ökologisch richtige Anreize, denn wir brauchen die Elektrifizierung
weiterer Sektoren. Bis Ende 2021 kann damit zudem ein Kaufkraft-Effekt von
22 Milliarden Euro erreicht werden. Mittelfristig finanziert sich die
Maßnahme durch die Einnahmen aus dem CO2-Preis.
- Wir wollen den Einstieg in die grüne Wasserstoffwirtschaft beschleunigen.
Damit treiben wir sowohl in Industriebranchen wie Stahl und Chemie als
auch im Luft-, Schiffs- und Güterverkehr gezielt Klimaschutz als auch
höhere Investitionen an. Dazu gewähren wir Investitionszuschüsse für
Wasserstoff-Pipelines und schaffen Innovations- und Experimentierräume, um
verschiedene Geschäftsmodelle und Anwendungen besser erproben zu können.
- Mit Klimaverträgen wollen wir Investitionssicherheit gerade in der
klimaintensiven Industrie schaffen. Damit wollen wir die Differenz
zwischen dem aktuellen CO2-Preis und den tatsächlichen CO2-
Vermeidungskosten erstatten, welche den Unternehmen durch die
Investitionen in neue Verfahren und Technologien entstehen. Dafür werden
die besten Projekte in einem wettbewerblichen Ausschreibungsverfahren
ermittelt und mit den betreffenden Unternehmen Klimaverträge (Carbon
Contracts for Difference) abgeschlossen.
- Für Investitionen von Unternehmen sollte, wie schon in der Finanzkrise,
eine auf zwei Jahre befristete degressive Sonder-Afa eingeführt werden.
- Wir unterstützen die energieintensiven Rechenzentren finanziell dabei,
ihren Stromverbrauch zu senken und auf erneuerbare Energien sowie
energieeffiziente Wasserkühlsysteme umzustellen. So leisten wir auch einen
Beitrag, um die digitale Souveränität Europas voranzubringen.
Die Automobilindustrie ist ein Schlüsselsektor unserer Industrie mit massiver
Bedeutung für hunderttausende Arbeitsplätze und zahllose Zulieferer. Schon vor
der Corona-Pandemie steckte die Automobilwirtschaft in einer Krise, diese hat
sich nun massiv verschärft. Unternehmen und Beschäftigte sind sehr verunsichert,
wie es weitergehen kann, welche Marktentwicklung eintreten wird, ob
Arbeitsplätze gesichert werden können. Wir schlagen ein Zukunftsbündnis von
Unternehmen, Gewerkschaften und Umweltverbänden vor, um die Rezession zu
überwinden, die ökologische Transformation voranzubringen und Beschäftigung zu
sichern. Dieses verbindet zielgerichtete kurzfristige Hilfen mit dem dringend
notwendigen Aufbruch in Richtung Elektromobilität. Dazu gehören ökologische
Kaufanreize und finanzielle Hilfen bei der Modernisierung. Im Gegenzug müssen
umweltschädliche Subventionen abgebaut und in der Kfz-Steuer ein Bonus-Malus-
System eingeführt werden, wodurch emissionsintensive Wagen wie SUVs stärker und
emissionsärmere Fahrzeuge geringer belastet werden. Zudem müssen Quoten für
emissionsfreie Mobilität eingeführt und die EU-Flottengrenzwerte entsprechend
dem Pariser Klimavertrag angepasst werden.
Staatliche Beteiligungen an Unternehmen sind an die Bedingung von ökologischen
und sozialen Kriterien für die jeweiligen Branchen gebunden. Ähnlich wie die
Autobranche ist auch die Luftfahrt hart getroffen. Analog zur Autobranche
müssten staatliche Hilfen an ordnungsrechtliche Vorgaben gekoppelt werden. Wie
in anderen europäischen Ländern gilt es in diesem Zuge, eine CO2-
Reduktionssstrategie für die Luftfahrt vorzulegen, zum Beispiel durch
Streckenschließungen für kürzere Inlandsflüge, Ausweitung des Nachtflugverbots
oder die Erneuerung der Flugzeugflotte durch effizientere und schadstoffärmere
Flugzeuge.
IV. Investitionen in die Zukunft
Wir sollten jetzt ein zehnjähriges Investitionsprogramm von 500 Mrd. Euro
vorbereiten. Allein in unseren Kommunen besteht ein Sanierungsstau von 138 Mrd.
Euro, und hier sind ökologische Investitionen etwa in den Ausbau des
öffentlichen Nahverkehrs noch gar nicht einbezogen. Es braucht gerade jetzt
starke Kommunen, die vor Ort handlungsfähig sind, sei es bei den Sozialdiensten
oder Frauenhäusern. Die Investitionen des Staates müssen deshalb nicht nur in
der Krise, sondern dauerhaft auf ein höheres Niveau gebracht werden. Die
ökonomischen Forschungsinstitute der Unternehmen und Gewerkschaften kommen auf
einen Investitionsbedarf von über 450 Mrd. Euro. Hinzu kommen Investitionen in
unser Gesundheitssystem, deren Notwendigkeit uns durch Corona vor Augen geführt
wurde. Allein unsere Krankenhäuser haben einen zusätzlichen Investitionsbedarf
von mindestens sechs Milliarden Euro pro Jahr. Und in der Pflege sind die
Herausforderungen ebenfalls groß.
Bundes- und Landespolitik sollten alles tun, um diese Investitionen auf den Weg
zu bringen. Dazu gehört, Planungsprozesse jetzt zu starten und das Planungsrecht
zu entbürokratisieren bzw. Regelungen befristet auszusetzen. Gerade jetzt sollte
die öffentliche Hand Planer*innen und Projektsteuernde einstellen und die
Genehmigungsbehörden aufstocken, damit die zusätzlichen Investitionen auch
verbaut werden können. Dazu sollte der Bund durch eine Verwaltungsvereinbarung
einen Fonds mit den Ländern auflegen, aus dem zusätzliche Planungsstellen über
den Zeitraum von mindestens fünf Jahren bezahlt werden können. Viele
Investitionen liegen bei den Kommunen, und viele von Ihnen werden durch
Altlasten erdrückt. Der Bund sollte den Kommunen einen großen Teil ihrer
Altschulden abnehmen, da er sie dauerhaft zu niedrigen und derzeit sogar
negativen Zinsen refinanzieren kann.
Dieses riesige Investitionsvolumen ist gut angelegtes Geld, sowohl um eine große
globale Depression mit unvorhersehbaren gesellschaftlichen und politischen
Folgen zu verhindern, als auch um krisenfestere und nachhaltige neue
Wirtschaftsstrukturen aufzubauen. Natürlich steigen dadurch die Schulden. Die
öffentlichen Haushalte werden in den nächsten Jahren unter dem Druck der Tilgung
dieser aufgenommenen Kredite stehen. Gleichzeitig dürfen wichtige
Zukunftsinvestitionen nicht der Krise geopfert und keine Einschnitte bei der
kommunalen Grundversorgung, der Infrastruktur und der sozialen Sicherung
vorgenommen werden. Für eine nachhaltige Finanzierung der Kosten der Corona-
Krise ist deshalb eine Kreditfinanzierung mit sehr langen und flexiblen
Tilgungszeiträumen notwendig. Und Deutschland zahlt auf seine Schulden derzeit
keine Zinsen. Eine zu schnelle, restriktive Tilgung würde die wirtschaftliche
Erholung und Investitionsfähigkeit des Staates gefährden. Wir müssen deshalb die
Schuldenbremse reformieren, um mehr kreditfinanzierte Investitionen zu
ermöglichen. Immer wieder hat Deutschland nach besonderen Herausforderungen
(Zweiter Weltkrieg, Wiedervereinigung) besondere Formen des Lastenausgleichs
gefunden. Entsprechend brauchen wir zur Tilgung der Schulden einen solidarischen
Ausgleich nach dem Prinzip: Wer starke Schultern hat, kann mehr tragen.
V. Unser Gesundheitssystem stärken
Die Corona-Epidemie legt die Stärken und Schwächen unseres Gesundheitssystems
offen. Unser Gesundheitswesen verfügt über ein gut ausgebautes System der
Diagnostik, eine im europäischen Vergleich gute Akutversorgung mit zahlreichen
Intensivbetten und eine gute technische Ausstattung. Zugleich ist aber deutlich
geworden, dass insbesondere bei der personellen Situation in der Pflege, in der
kommunalen Gesundheitsversorgung, bei der digitalen Vernetzung sowie bei der
Beschaffung und Bevorratung von Schutzausrüstung erhebliche Defizite bestehen,
die behoben werden müssen.
Jetzt müssen wir unser Gesundheitssystem akut so gut stärken, wie es nur geht,
um dieser Epidemie Herr zu werden. Die Vorhaltung von Reservekapazitäten für den
Ernstfall und eine gute und gut bezahlte Personalausstattung müssen Vorrang
haben und gehören ins Zentrum unserer Anstrengungen. Das sollte durchaus
ökonomisch geschehen, aber Sicherheit geht vor. Das heißt konkret, dass uns als
Gesellschaft die Investitionen in medizinische und pflegerische Infrastruktur
und Investitionen in Pandemiemanagement mehr Geld wert sein müssen als bisher.
Wir brauchen eine deutliche Aufwertung und berufsständische Stärkung der Pflege,
attraktivere Arbeitsbedingungen und eine bessere Personalausstattung. Wir müssen
die über Jahre ausgedünnten öffentlichen Gesundheitsdienste, insbesondere die
Gesundheitsämter, besser ausstatten und die Arbeitssituation für die Menschen im
Gesundheits- und Pflegebereich verbessern. Um die Löhne in der Pflege zu
verbessern, sollen die Tarifparteien die Verhandlungen für eine tarifliche
Bezahlung in der Pflege baldmöglichst fortsetzen, damit eine Einigung zeitnah
für allgemeinverbindlich erklärt werden kann. Sollte das trotz laufender
Verhandlungen nicht erreicht werden, müssten gesetzliche Maßnahmen ergriffen
werden. So könnte in einem nächsten Schritt die soziale Pflegeversicherung dazu
verpflichtet werden, nur mit Arbeitgebern Verträge zu schließen, die tariflich
zahlen.
Der durch die Krise teilweise entstehende Schwung bei der Digitalisierung
unseres Gesundheitswesens muss genutzt werden, um Telemedizin und andere für die
Versorgung und die Forschung sinnvolle digitale Angebote auszubauen.
Forschungsdaten sollen unter Wahrung des Persönlichkeitsschutzes leichter
ausgetauscht werden können, genauso wie medizinische Logistik. Wir wollen einen
Investitionspakt von Bund und Ländern, um Krankenhäuser, aber auch den
öffentlichen Gesundheitsdienst bei den notwendigen Investitionen für die
digitale Infrastruktur zu unterstützen.
Mit digitaler Epidemiologie lässt sich aus einer Vielzahl anonymisierter Daten
der Gesundheitsstatus der Bevölkerung in Echtzeit analysieren, um so gezielter
eingreifen und einer künftigen Epidemie besser begegnen zu können. Nicht nur
dafür muss das E-Government der Verwaltung in Deutschland mit Hochdruck
entwickelt werden. Unsere Virolog*innen sind weltweit Spitze und die
Forschungseinrichtungen sind es auch. Wenn hingegen heute noch Gesundheitsdaten
per Fax von Amt zu Amt versendet werden müssen, weil es technisch anders nicht
geht, kostet uns das jetzt im Kampf gegen Corona wertvolle Zeit.
VI. Recht auf Bildung, auch in der Pandemie
Das Coronavirus hält auch der Bildungspolitik den Spiegel vor. Da sind die immer
noch enormen Ungerechtigkeiten, die das deutsche Bildungssystem hervorbringt –
sichtbar zum Beispiel in der unterschiedlichen technischen Ausstattung von
Schulen. Da sind die vielerorts mangelhaften baulichen und sanitären Zustände
von Bildungseinrichtungen, die in Pandemiezeiten noch größere Probleme als sonst
hervorrufen. Da ist, allen Beteuerungen zum Trotz, der immer noch viel geringe
Stellenwert der frühkindlichen Bildung, wenn wieder nur unter dem Label
„Betreuung“ über Kitas gesprochen wird. Was hier in den ersten Jahren
pädagogisch versäumt wird, kann vielfach kaum nachgeholt werden.
Auf der anderen Seite macht das Engagement vieler Akteur*innen Mut für einen
echten Bildungsaufbruch. Bildungsverantwortliche, Schulleitungen, Kommunen,
pädagogische Fach- und Lehrkräfte, aber auch Eltern und Schüler*innen finden
neue, pragmatische und kreative Lösungen in der schwierigen Situation: Sei es
der Unterricht im Park oder die Vertretung der aus medizinischen Gründen
abwesenden Musiklehrerin durch einen Musiker, der derzeit ohne Engagement ist.
Es geht beim Lernen aus der Krise nicht nur um ein bisschen Digitalisierung, es
geht darum, das Bildungssystem so auszurichten, dass Menschen selbstbestimmt,
nachhaltig und aufgeklärt handeln können.
Die Digitalisierung an den Schulen braucht dauerhaft finanzielle Unterstützung
vom Bund, nicht nur einen einmal gefüllten, befristeten Fördertopf. Die
Megaaufgabe Digitalisierung in der Bildung können Bund und Länder nur gemeinsam
schaffen. Die Bereitschaft auf allen Seiten, das deutsche Bildungssystem an die
digitale Welt anzuschließen, war nie so groß wie heute.
Um den Ungerechtigkeiten im Bildungssystem entgegenzuwirken, ist der weitere
Ausbau guter ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote zentral. Hier könnte
die Krise möglicherweise alte Blockaden aufbrechen: Wenn für eine längere Zeit
der klassische Bildungsbetrieb nur eingeschränkt stattfinden kann, sollten Kitas
und Schulen die Möglichkeit haben, unbürokratisch und flexibel neue Lern- und
Freizeit-Angebote zu schaffen. Schulen sollen dafür ein Budget erhalten, das im
Rahmen eines sozialen Schutzschildes aus dem Mitteln des Bundes kommt.
Zusätzlich ist ein Aufholprogramm für Schulen in benachteiligten Regionen und
Stadtteilen nach der Krise nötiger denn je, damit jene, die schon vor Corona
drohten, abgehängt zu werden, den Anschluss nicht verlieren.
VII. Eine neue Chance für Europa
Ganz Europa ist von der Corona-Krise betroffen. Unser Kontinent ist derzeit die
Region mit den meisten Infizierten weltweit. Alle sind betroffen, manche
Regionen, wie die Lombardei, das Elsass, Madrid ganz besonders. Wie schon in der
letzten Finanzkrise und der Flüchtlingskrise haben einige europäische Staaten
auch in der Corona Krise unsolidarisch und uneuropäisch gehandelt. Die Pandemie
darf die Spaltung in der EU nicht noch weiter verschärfen. Wenn Europa jetzt
nicht zusammensteht, springen andere in die Lücke und versuchen ihren
geopolitischen Einfluss noch weiter auszudehnen. Aber es gibt viele Beispiele
europäischer Solidarität, die Mut machen, dass die europäische Idee in dieser
Zeit besteht: europäische Patient*innen werden in deutschen Krankenhäusern
behandelt, über europäische Städtepartnerschaften wird kommunale Hilfe
organisiert, viele Personen aus der Zivilgesellschaft haben individuelle
Initiativen gestartet. Wir müssen diese Krise als Wendepunkt begreifen die
Gemeinschaft zu vertiefen. Dann kann Europa sogar gestärkt aus ihr hervorgehen.
Wir wollen so schnell wie möglich zu den offenen Grenzen des Schengen-Raums
zurückkehren. Bei der Bekämpfung von Corona muss Europa zu seinen Werten stehen
und offen bleiben. Grenzkontrollen und Einreiseverbote müssen medizinisch
begründet, abgestimmt und verhältnismäßig sein. An die Stelle willkürlicher
Grenzkontrollen auf nationaler Ebene sollten zielgerichtete Beschränkungen auf
regionaler Ebene (die dann durchaus auch grenzübergreifend gelten) treten. Die
Kriterien müssen nicht überall zu einhundert Prozent identisch, aber
wirkungsgleich sein. Wo notwendig, muss an den Grenzen auf die Frage des
effektiven Gesundheitsschutzes fokussiert werden.
Europa braucht eine Koordinierung der Strategien aus dem Shutdown, auch um zu
verhindern, dass Lieferketten unterbrochen werden. Eine europäische
Pandemiewirtschaft sollte eine massive Produktion an medizinischer Ausrüstung
zum Ziel haben. Die Staaten sollten die Beschaffung gemeinsam organisieren bzw.
untereinander abstimmen, um zu verhindern, dass man sich gegenseitig Konkurrenz
macht. Die europäischen Anstrengungen in der Impfstoffforschung sollten
verstärkt werden. Wir fordern einen EU-Corona-Forschungsfonds für Medikamente
und Impfstoffe, die dann unter Gemeinwohllizenz vermarktet werden. Für die Zeit
nach der Pandemie sollte das European Center for Desease Prevention and Control
(ECDC) in die Lage versetzt werden, bei zukünftigen Pandemien schnell
Unterstützungsleistungen für besonders betroffenen Länder zu leisten, damit kein
Krankenhaus in Europa in die Lage kommt, Menschen nicht angemessen medizinisch
versorgen zu können. Die bevorstehende deutsche Ratspräsidentschaft sollte auch
genutzt werden, um die Arzneimittelproduktion wieder verstärkt in Europa
anzusiedeln, um in diesen lebenswichtigen Bereichen nicht von transkontinentalen
Lieferketten abhängig zu sein.
Mit den Entscheidungen der Europäischen Zentralbank (EZB) konnte eine neuerliche
Finanz- und Währungskrise fürs Erste abgewehrt werden. Wieder einmal musste die
EZB einspringen, weil die Staats- und Regierungschefs nicht in der Lage waren,
umfassende Maßnahmen wie gemeinsame Corona-Bonds für die Krisenbewältigung zu
beschließen. Das jetzt vereinbarte Paket aus ESM-Hilfen, Unternehmenskrediten
über die Europäische Investitionsbank und das europäische Kurzarbeitergeld ist
ein erster Schritt, aber unzureichend.
Wenn jetzt in Ländern wie Spanien und Italien aus Angst vor einer Überschuldung
zu wenig getan werden kann, trifft das nicht nur die dortige Bevölkerung hart,
sondern am Ende alle Mitglieder der Union. Gerade die deutsche Wirtschaft ist
eng verknüpft mit diesen Ländern. Wenn dort keine deutschen Produkte mehr
gekauft werden, führt dies zu einer stark steigenden Arbeitslosigkeit bei uns.
Und wenn dort die Produktion wegen der Pandemie nicht wieder anlaufen kann,
stehen wegen der verwobenen Lieferketten hierzulande Bänder still. Nur wenn
Italien wieder auf die Beine kommt, wird Deutschland es auch. China wird
versuchen, sich in der kommenden Rezession in die europäische Wirtschaft
einzukaufen, und Putin die Möglichkeit nutzen, um europäischen Demokratien zu
destabilisieren. Nur wenn Europa seine Interessen gemeinsam wahrnimmt, werden
insbesondere Süd- und Osteuropa diese Angebote ablehnen können
Diese europäische Antwort muss einen gemeinsamen Recovery Fund beinhalten, der
durch gemeinsame Anleihen finanziert wird, um so die Krisenlasten gemeinsam und
solidarisch zu schultern. Die Ausgaben sollten sich an den Pariser
Klimaschutzzielen und dem Green Deal orientieren. Der Recovery Fund hat einen
Umfang von mindestens einer Billion Euro und ist damit dem Ernst und der Größe
der Herausforderung angemessen. Die Verschuldung zählt nicht in die nationalen
Schuldenquoten. Vielmehr ermöglicht die gemeinsame Haftung Zinsen unterhalb der
Inflation.
Während viele Unternehmen, insbesondere Mittelständler und der Einzelhandel in
den Innenstädten, gerade leiden, machen große Digitalkonzerne riesige Gewinne.
Zugleich zahlen sie weniger Steuern als vergleichbare traditionelle Unternehmen.
Deshalb wäre jetzt spätestens der Zeitpunkt, dass sich die Bundesregierung
diesem Steuerdumping entgegenstellt und ihre Blockade bei der europäischen
Digitalsteuer aufgibt. Schon der Vorschlag der EU-Kommission, die Umsätze
digitaler Großunternehmen an dem Ort, wo sie tätig sind, mit drei Prozent zu
besteuern, würde zu geschätzten Einnahmen von fünf Milliarden Euro führen. Wenn
einzelne EU-Mitgliedstaaten weiterhin blockieren, braucht es eine Koalition der
Willigen als ersten Schritt zu einer europäischen und globalen Lösung.
In der Krise erweist sich, dass das jahrelange Bremsen und Verweigern der
deutschen Bundesregierung in zentralen europäischen Fragen als schwere Hypothek.
Nach der Krise müssen in der Europäischen Union die seit Jahren aufgeschobenen
Entscheidungen zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion, wie
beispielsweise ein eigener EU-Haushalt mit einem eigenen fiskalpolitischen
Instrument, der Umgang mit Handelsungleichgewichten und die Vollendung der
Bankenunion endlich angegangen werden. Ein größerer EU-Haushalt ab 2021 bedeutet
auch einen größeren deutschen Beitrag und mehr Möglichkeiten für die Union,
eigene Einnahmen zu generieren. Um Europa neu aufzustellen muss die
Bundesregierung nicht jeden Vorschlag anderer Länder übernehmen, sie muss aber
endlich auch eigene konstruktive Vorschläge machen, um die Probleme zu lösen und
nicht weiterhin nur verweigern und im Falle einer Krise die gesamte
wirtschaftspolitische Verantwortung der Europäischen Zentralbank zuschieben. Zu
den notwendigen Fragen gehört auch die Überprüfung des Stabilitäts- und
Wachstumspakts.
Die Welt wird nur im Geist der Kooperation gut durch diese Pandemie kommen. So
vernetzt sie ist, so kurzsichtig egoistisch handeln derzeit die meisten
Nationalstaaten. Wenn Europa kooperativ und solidarisch vorangeht, schaffen wir
eine starke und unwiderstehliche Gegenerzählung mit globaler Wirkung. Die ganze
Welt kämpft gegen diese Corona-Pandemie. Deshalb müssen in der Pandemie die
Zölle für überlebenswichtige Produkte wegfallen und Exportbeschränkungen
aufgehoben werden. Sieben Milliarden Menschen warten auf einen Impfstoff und
Medikamente gegen COVID-19. Es muss dafür gesorgt werden, dass beides, sobald
vorhanden, global, schnell und zu einem günstigen Preis verfügbar ist.
Wir müssen deshalb über eine Lockerungen der Regeln geistigen Eigentums
nachdenken und die Besitzer*innen geistigen Eigentums dazu aufrufen, günstige
Lizenzen in einem internationalen Patentpool anzubieten, der über die WTO
koordiniert wird – insbesondere für einen neu entwickelten Impfstoff oder eine
anerkannte Therapie. Die globale Rezession droht in den Entwicklungs- und
Schwellenländern ein Brandbeschleuniger der Schuldenkrise und damit von Armut,
Flucht und Konflikten zu werden. Deutschland muss sich dafür einsetzen, dass die
Schulden des globalen Südens erlassen werden. Weiterhin braucht es eine
deutliche Erhöhung der Sonderziehungsrechte beim Internationalen Währungsfonds,
um besser gegen spekulative Kapitalflucht gewappnet zu sein. Wir dürfen nicht
zulassen, dass globale Ungleichheiten noch weiter verschärft werden. Wir
brauchen ein globales Hilfspaket gegen das Corona-Virus und seine Folgen und
eine Stärkung der Vereinten Nationen.
Wir unterstützen die Forderung des UN-Generalsekretärs nach weltweiten
Waffenstillständen. Die Bundesregierung sollte ihren Einfluss bei den
europäischen und internationalen Partnern geltend machen, um auf dieses Ziel
hinzuarbeiten. Sie muss schnell ausreichende zusätzliche Mittel für
Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen.
Gleichzeitig dürfen die internationale Gemeinschaft und die deutsche humanitäre
Hilfe sowie die Entwicklungszusammenarbeit nicht bei Maßnahmen in bestehenden
Gesundheitsprogrammen nachlassen.
VIII. Stärker aus der Krise
Die Pandemie führt uns vor Augen, was wir vermissen und unbedingt wiedergewinnen
wollen: unsere Freiheit, soziale Nähe und die Vielschichtigkeit unseres Lebens;
den öffentlichen Raum; Kitas, Schulen und Hochschulen; den direkten Austausch
mit den Kolleg*innen am Arbeitsplatz; Kultur und das bunte Leben, mit Kneipen,
Kinos, Konzerten, lebendigen Innenstädten, die uns weiter fehlen und die jetzt
um ihre Existenz kämpfen; unser vereintes und offenes Europa.
Der Shutdown hat uns auch gezeigt, was wir stärker wertschätzen und fördern
müssen:
Die Klugheit einer aufgeklärten Gesellschaft, die fähig ist präventiv zu
handeln; in einem funktionierenden demokratischen Rechtsstaat zu leben; unsere
öffentliche Daseinsvorsorge, ein lebendiges Gemeinwesen vor Ort und ein starker
Sozialstaat; unabhängige Qualitätsmedien und den Öffentlich-Rechtlichen
Rundfunk; solidarische Menschen und einen solidarischen Staat; saubere Luft auch
in den Städten und staufreie Straßen; die Möglichkeit des Homeoffice; ein
parlamentarisches Miteinander zwischen Regierung und Opposition, das gemeinsam
Dinge löst, statt nur gegeneinander zu arbeiten.
Nicht zuletzt führt uns die Corona-Krise vor Augen, was wir in der Vergangenheit
versäumt haben. Es gab Pandemiewarnungen und sogar Pandemienotfallvorkehrungen
mit Drucksachennummer des Bundestages, aber in der Realität, als Gesellschaft
waren wir nicht ausreichend vorbereitet. Wir müssen Resilienz noch lernen. Dazu
gehört, dass wir bei der Arzneimittelproduktion und zentralen Utensilien für
Seuchenbekämpfung nicht allein auf den Markt setzen können. Wir müssen in Europa
selbst in der Lage sein, die zentralen medizinischen Produkte und Medikamente zu
produzieren, ebenso wie Lebensmittel die wir zum Leben in einer Notlage
brauchen. Dazu gehört, dass wir kritische Infrastrukturen, beispielsweise vor
weitreichenden IT-Angriffen, besser schützen. Wir müssen die Digitalisierung
voranbringen, wir müssen Europa und multilaterale Institutionen stärken und wir
müssen verstehen, dass der Raubbau an den natürlichen Ökosystemen das Risiko von
Epidemien erhöht. So haben Ausbrüche von Infektionskrankheiten in den letzten 40
Jahren immer stärker zugenommen. Circa zwei Drittel davon sind Zoonosen, also
Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen wurden. Wir müssen die
Ursachen für Zoonosen stärker bekämpfen und uns zugleich wappnen, Epidemien
zukünftig besser einzudämmen.
Nur wenn wir uns selbstkritisch reflektieren, können wir uns besser gegen
zukünftige hereinbrechende Katastrophen wappnen. Vorsorge ist politisch das
Schwierigste überhaupt. Aber Corona führt uns jeden Tag vor Augen, wie wichtig
sie ist. Entsprechend geht es uns mit diesem Antrag darum, über die unmittelbare
Krisenbekämpfung hinaus Leitlinien für die nächsten Schritte zu beschließen und
die richtigen Lehren aus der Erfahrung der letzten Wochen zu ziehen. Wir wollen
schneller sein als das Virus, damit seine schlimmsten Folgen verhindert werden
können und wir stärker aus der Krise kommen als wir hineingegangen sind.
weitere Antragsteller*innen
- Sven Lehmann (KV Köln)
- Hanna Steinmüller (KV Berlin-Mitte)
- Silke Gebel (KV Berlin-Mitte)
- Katharina Schulze (KV München)
- Sebastian Walter (Berlin-Tempelhof/Schöneberg KV)
- Henrik Rubner (KV Berlin-Mitte)
- Madeleine Henfling (Ilm-Kreis KV)
Kommentare