Veranstaltung: | 2. Ordentlicher Diversitätsrat 2022 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 6 Selbstbestimmungsgesetz |
Status: | Beschluss |
Beschluss durch: | Diversitätsrat |
Beschlossen am: | 11.09.2022 |
Eingereicht: | 13.09.2022, 16:49 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Gegen Transfeindlichkeit und für Selbstbestimmung
Beschlusstext
Selbstbestimmt leben zu können, ist ein zentrales Bedürfnis für alle Menschen. Daran zu
arbeiten und dafür zu kämpfen, ist seit jeher ein wichtiger Bestandteil des Grünen
Selbstverständnisses.
Manchmal stellen Menschen im Laufe ihres Lebens fest, dass das ihnen bei Geburt
zugeschriebene Geschlecht nicht dem tatsächlichen Geschlecht entspricht. Dieser Prozess ist
langwierig und häufig mit starker emotionaler Belastung und sozialem und familiären Druck
überlagert. Vorbilder und kompetente Beratung fehlen oft, vor allem in ländlichen Gebieten.
Die Gesetzgeberin und die Gesellschaft sollten Menschen in diesem Prozess beratend
unterstützen und ihnen keine Steine in den Weg legen.
Selbstbestimmung als Gesetz
Der Diversitätsrat setzt sich dafür ein, die Hindernisse für eine echte Selbstbestimmung für
trans*, inter*, nicht-binäre und agender Menschen einzureißen.
Die Frage, welchem Geschlecht sich ein Mensch zugehörig empfindet, ist als Teil der
Privatsphäre verfassungsrechtlich geschützt. Nach einem Urteil des
Bundesverfassungsgerichtes haben alle staatlichen Organe die Geschlechtszugehörigkeit eines
jeden Menschen zu respektieren. Das Bundesverfassungsgericht verfolgt hinsichtlich der
Menschenrechte von trans- und intergeschlechtlichen Personen seit nun mehr als vier
Jahrzehnten eine sehr stringente Rechtsprechung. In zehn von elf Entscheidungen des BVerfG
zu Fragen geschlechtlicher Selbstbestimmung waren die Beschwerdeführer*innen erfolgreich.
Bei den Urteilsbegründungen stützt sich das Bundesverfassungsgericht immer wieder darauf,
dass es mittlerweile anerkannter Stand der Wissenschaft ist, dass die
Geschlechtszugehörigkeit nicht allein nach den physischen Geschlechtsmerkmalen bestimmt
werden kann. Über die Geschlechtszugehörigkeit kann letztlich nur jeder Mensch selbst
Auskunft geben.
Wenn der Staat entscheidet, das Geschlecht zu erfassen, muss er ermöglichen, die bei der
Geburt falsch vorgenommene Zuordnung unbürokratisch zu berichtigen.
Das geltende so genannte Transsexuellengesetz war von Anfang an Unrecht. Die bisherigen
kleinen Änderungen seit Inkrafttreten in den 80er-Jahren verbessern die Situation nur
ungenügend. Das im Juni vorgestellte Eckpunktepapier zum Selbstbestimmungsgesetz ist ein
Meilenstein der Grünen Menschenrechtspolitik. Wir GRÜNE machen damit deutlich, dass mit uns
der gesellschaftliche Aufbruch gelingt. Die Änderung des Geschlechtseintrages muss endlich
unkomplizierter und ohne entwürdigende Zwangsgutachten, ärztliche Attests und langwierige
und teure Gerichtsverfahren möglich sein. Auch ist es höchste Zeit, dass nicht nur trans*
Männer und Frauen, sondern auch nicht-binäre und agender Personen Zugang zu mehr
Selbstbestimmung bekommen.
Das Gesetz soll laut dem vorgestellten Eckpunktepapier für Personen ab 18 Jahren gelten. Für
Personen unter 14 Jahren soll die Erklärung durch die Sorgeberechtigten abgegeben werden. Ab
14 Jahren kann die Erklärung selbst abgegeben werden, benötigt wird zusätzlich die
Zustimmung der Sorgeberechtigten. Wenn die Sorgeberechtigten nicht unterstützen, soll das
Familiengericht die Zustimmung, orientiert am Kindeswohl, ersetzen können. Im Beschluss des
GRÜNEN Parteitags 2019 fordern wir, analog zur Sexualmündigkeit die rechtliche
Geschlechtsmündigkeit ab 14 Jahren. An
dieser Stelle gilt also entsprechend der GRÜNEN Beschlusslage noch Nachbesserungsbedarf beim
Gesetzentwurf im Gegensatz zum Eckpunktepapier. Zusätzlich setzen wir uns entsprechend der
GRÜNEN Beschlusslage dafür ein, dass die Änderung des Geschlechtseintrages und Vornamen als
kostenloser Verwaltungsakt erfolgen und das Gesetz für alle in Deutschland lebenden Menschen
anwendbar wird, unabhängig davon, ob ein deutscher Pass vorliegt.
Der Diversitätsrat nutzt das Votum und das ihm zustehende Rederecht, sollte es auf einem
Parteitag zu einer Debatte rund um dieses Gesetz kommen, entsprechend diesem Beschluss. Das
Rederecht soll von einer inter*, nicht-binären, trans* oder agender Person genutzt werden.
Darüber hinaus setzen wir uns weiter programmatisch dafür ein, alle rechtlichen und
gesellschaftlichen Hürden zu überwinden, die die Freiheit und Selbstbestimmung einschränken.
Wir unterstützen das im Koalitionsvertrag beschlossene Vorhaben, die medizinische Versorgung
für trans*, inter*, nicht-binäre und agender Personen zu verbessern und diese leichter
zugänglich zu machen.
Feindlichkeit gegen trans*, inter*, agender und nicht-binäre Menschen gemeinsam entgegnen
Der Diversitätsrat verurteilt jegliche Feindlichkeit gegen trans*, inter*, agender und
nicht-binäre Menschen. Die gesellschaftlichen und medialen Debatten zu Geschlechtsidentität
zeigen täglich, dass Queerfeindlichkeit noch weit verbreitet ist. Jugendschutz, Frauenrechte
und biologistische Argumente werden für die eigene transfeindliche Agenda
instrumentalisiert. Hass und Gewalt treffen alle Menschen, die aus der vermeintlichen
Geschlechternorm fallen. Doch für uns GRÜNE stehen Frauenrechte und Rechte von trans*,
inter*, nicht-binären und agender Menschen nicht im Widerspruch, sondern gehen Hand in Hand.
Denn GRÜNER Feminismus ist intersektional und setzt sich für die Selbsbestimmung und gegen
patriarchale Unterdrückung aller ein.
Gewalt gegen queere Personen nimmt stetig zu. Das ist nicht erst bekannt nach dem Tod von
Malte C. durch einen Angriff auf dem CSD in Münster. Allein in der letzten Woche gab es
Angriffe auf eine trans Frau in Bremen und CSD-Teilnehmer*innen in Dresden. Diese Taten
müssen die Gesellschaft und die Politik auf allen Ebenen zum Handeln bewegen. Wir begrüßen
deshalb, dass die Bundesregierung ein unabhängiges Expertengremium „Bekämpfung homophober
und transfeindlicher Gewalt“ einrichtet und noch in diesem Jahr den ersten Aktionsplan für
die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt und gegen Queerfeindlichkeit
beschließen wird.
Wir als Diversitätsrat entgegnen transfeindlichen Angriffen mit Entschiedenheit,
Zusammenhalt und Solidarität. Dort wo Menschen ihre Geschlechtsidentität abgesprochen wird,
werden wir als Diversitätsrat deutliche Widerworte finden. Weder misgendern noch Deadnaming
haben Platz bei den GRÜNEN. Menschen, die in unserer Partei Trans- und Queerfeindlichkeit
erfahren, werden wir unterstützen und schützen.
Insgesamt wollen wir das Wissen über geschlechtliche Identität und Vielfalt noch besser in
den Strukturen der Partei verankern. Der Bundesverband erarbeitet unter anderem eine
Broschüre zum Erkennen und Vorgehen gegen Transfeindlichkeit, die den GRÜNEN Gliederungen
bereitgestellt wird. Diese soll unter anderem über geschlechtliche Selbstbestimmung,
diskriminierungsfreie Sprache, sowie Anlaufstellen für Betroffene von Trans- und
Queerfeindlichkeit informieren.
Wir müssen weiter an der Sichtbarkeit und politischen Teilhabe von trans*, inter*, agender
und nicht-binären Personen in unseren Strukturen arbeiten. Die Selbstvertretungen, wie die
Dachstruktur QueerGrün und der Arbeitskreis Trans-Inter-Non-Binär (TINO), müssen in alle den
Themenkomplex geschlechtliche Vielfalt betreffende Debatten miteinbezogen werden.
Es bleibt noch viel zu tun für die Anerkennung geschlechtlicher Vielfalt!