Deutschland besitzt innerhalb Europas mit nahezu 300.000 ha die größten Streuobstbestände. Zugleich sind die hochstämmigen Streuobstbestände mit weit über 5.000 Arten sowie weit über 3.000 Obstsorten je allein in Deutschlands „Hot spots“ der Biologischen Vielfalt für ganz Europa. Damit besitzt Deutschland die größte Verantwortung in Europa für einen aus Naturschutz- wie aus touristischer Sicht herausragend bedeutenden Lebensraum.
Insbesondere Streuobstwiesen sind nicht nur wertvolle Habitate, sondern auch pestizidfreie Obstanbausysteme. Aufgrund der Lobby des Plantagenobstbaus wurde der Streuobstanbau allerdings seit den 1950er Jahren massiv zurückgedrängt, zunächst sogar mit Rodungsprämien der damaligen Europäischen Gemeinschaft. Erst als die außerordentliche naturschutzfachliche Bedeutung hochstämmiger Streuobstanlagen für die Artenvielfalt in den 1980er Jahren durch Vogelkundler publiziert wurde, begann langsam ein Umdenken. Eine wichtige Rolle hierbei spielt die Streuobst-Aufpreisvermarktung, bei der es heute in Deutschland über 100 Initiativen gibt. Hierbei erhalten die Bewirtschafter faire Preise für ihre Rohware (20 bis 25 Euro je 100 kg), was über die zu verkaufenden Produkte wie Säfte, Schorle und Schaumweine finanziert wird.
Der komplette Verzicht auf synthetische Behandlungsmittel und weitgehende Verzicht auf jegliche Pestizide zeichnet den Streuobstbau auch gegenüber ökologisch bewirtschafteten Plantagen aus, bei denen zum Pflanzenschutz beispielsweise Kupfer eingesetzt wird (insgesamt in noch häufigeren Spritzfolgen als beim konventionellen Plantagenobstbau mit seinen durchschnittlich 32 Wirkstoffmittelbehandlungen).
Die Bewirtschafter der Streuobstbestände sollen möglichst faire Preise erhalten, da die Bewirtschaftung der aus Naturschutzsicht wertvollen hochstämmigen Obstbäume in einer vielfältigen Mischung von Obstarten und Obstsorten einen höheren Arbeitsbedarf mit sich bringt als die Bewirtschaftung nieder- oder halbstämmiger Obstbäume zumal in Monokulturen.
Wichtig wäre ein gesondertes Label, das die Hochstamm-Produkte auch gegenüber der Bio-Ware auszeichnet. Denn würde die Vermarktung von Streuobst-Produkten in Deutschland, aber auch in anderen Ländern mit bedeutsamen Streuobstbeständen wie Frankreich, Spanien, Luxemburg, Österreich, Slowenien, Tschechien und Polen unterstützt.Wirfordern zudem Förderprogramme sowohl für die Bewirtschafter der Wiesen als auch für die Bewirtschafter der Bäume sowie vor allem zum Aufbau von Vermarktungsstrukturen von Streuobstprodukten.
Es gibt zwar Möglichkeiten der Streuobstförderung im Rahmen der Agrarumweltprogramme sowie von EU-Life-, EU-Leader-, EU-Interreg- und anderen EU-Programmen. Bis heute allerdings gibt es insbesondere an öffentlichen Einrichtungen eine einseitige Ausrichtung der Forschung auf den niederstämmigen Plantagenobstbau. Daher fordern wir eine gezielte Forschung zum Streuobstanbau, was Sorteneignung, Hochstammtauglichkeit, Verwertungs- und Vermarktungsmöglichkeiten sowie gesundheitliche Wirkungen auch alter Obstsorten und ihrer Produkte umfasst. Viele alte Obstsorten lassen sich zudem nur "In-Situ" bewahren, da sie veredelt sind.
Auch in der Aus- und Fortbildung in Landwirtschaft, Obstbau und Ernährung sollen die vielfältigen positiven Wirkungen des Streuobstbaus und der zahlreichen Obstsorten auf Landschaft, Biologische Vielfalt und Gesundheit stärker als bisher in den Fokus gerückt werden.
Kommentare
Sibylle C. Centgraf:
Denn besonders schmerzlich finde ich, dass "wertvolle Kulturlandschaften" auch sonst nirgendwo im Europawahlprogramm auftauchen, obwohl gerade das Europäische Kulturerbejahr läuft und das Kulturland Deutschland sich ja sonst auch gerne mit UNESCO-Titeln schmückt. Die Bewußtheit eines europäischen Kulturerbes hilft auch einem aufgeklärten Heimatbegriff. Dazu gehört auch das immaterielle Kulturerbe, das unsere Identität aber eben auch die Landschaft prägt.
Wera Eiselt:
Wir unterstützen daher sowohl das erfolgreiche Modell „mehr Geld für wertvolleres Hochstammobst“ als auch die Unterschutzstellung von Streuobstbeständen.
Christoph Germeier:
"Aufpreisvermarktung (faire Preise für naturverträglich erzeugte Obstprodukte)"
Wenn wir dies nicht in unser Europawahlprogramm hineinbekommen, dann weiß ich nicht, was wir uns eigentlich unter Agrarwende vorstellen! Beim Streuobstanbau geht es eben nicht nur um Naturschutz, wie es die gegenwärtige Förderpraxis vermittelt, sondern es geht um ein alternatives Obstanbausystem, als Alternative zum total chemisierten (oder kupferbelasteten im Ökobereich) Plantagenobstanbau. Die Folgen des Plantagenobstbaus, und des mit ihm zentralisierten Anbaus in wenigen Obstmonokulturregionen, werden eindringlich z.B. im Film "Das Wunder von Mals" (http://wundervonmals.com/) beschrieben.
Eigentlich müssten noch viel weitergehende Forderungen auf EU-Ebene von uns vorgebracht werden, nämlich ein besonderes Label, das Pestizid- und Kupfer- frei erzeugte Streuobstprodukte auch gegenüber Ökoplantagenprodukten auszeichnet. Desweiteren müssten Programme zur gezielten Vermarktungsförderung für Streuobstprodukte von uns gefordert werden.
Dies ist letztlich Agrarwende. Um von den Pestiziden wegzukommen, müssen in allen Anbaubereichen sogenannte "moderne", vereinfachte Anbaumethoden grundsätzlich im Sinne vielfältigerer und strukturreicherer Anbausysteme geändert werden. Dies ist grundsätzlich aufwändiger und teurer und die Politik muß die Rahmenbredingungen dafür schaffen. Dafür sitzen unsere Abgeordneten im Europaparlament.
Sibylle C. Centgraf:
"Wenn wir dies nicht in unser Europawahlprogramm hineinbekommen, dann weiß ich nicht, was wir uns eigentlich unter Agrarwende vorstellen! Beim Streuobstanbau geht es eben nicht nur um Naturschutz, wie es die gegenwärtige Förderpraxis vermittelt, sondern es geht um ein alternatives Obstanbausystem, als Alternative zum total chemisierten (oder kupferbelasteten im Ökobereich) Plantagenobstanbau."
Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen! In Weinhein/Bergrstraße hatten wir in den 90er Jahren sogar als Grüner KV Streuobstwiesen bewirtschaftet...
Sibylle C. Centgraf:
"Wir setzen uns auch für den Erhalt wertvoller Kulturlandschaften ein, beispielsweise der Streuobstbestände."