Der obige Änderungsvorschlag ist Teil eines Gesamtpakets „Fluchtursachenbekämpfung stärker hervorheben!“, das mehrere Stellen des EU-Wahlprogrammentwurfs betrifft. Es folgt die ausführliche Gesamtbegründung, die in den Änderungsanträgen zu den einzelnen Stellen jeweils wiederholt wird:
Die sogenannte „Flüchtlingskrise“ ist ein absolutes Schlüsselthema für Wähler*innen und die EU-Wahl 2018. Aber öffentliche Debatten zum Thema werden nahezu ausschließlich entlang der falschen Alternative „Grenzen auf oder zu“ verhandelt. - Wobei Grünen bzw. den sogenannten „linksgrünen Gutmenschen“ die angebliche Position zugewiesen wird, „für Flüchtlinge“ vor allem im Sinne von offenen Grenzen zu sein, wogegen sich insbesondere Rechtspopulisten als ausgleichende Hüter gegen „unbegrenzte Massenmigration“ anbieten.
Diese Scheinalternative ist völlig falsch. Selbstverständlich stehen Grüne für Willkommenskultur und den humanitären Umgang mit Flüchtlingen. Vorrangiges Ziel grüner Flüchtlingspolitik ist es aber nicht, einfach alle Verzweifelten dieser Erde hier willkommen zu heißen – sondern vielmehr vorrangig dazu beizutragen, dass Menschen erst gar nicht wegen Kriegen, Armut, Klimakatastrophen ihre Heimat verlassen müssen. Dies muss im Programm an gut sichtbaren Stellen deutlicher hervorgehoben werden.
Ebenso machen simplistische rechtspopulistische Diskurse zunehmend eine falsche Dichotomie zwischen „uns“ und „den anderen mit ihren Problemen“ auf, z.B. in Statements wie „Wir können uns nicht um die Probleme der ganzen Welt kümmern.“ Grüne werden dabei als idealistische Weltrettungs-Traumtänzer mit Luxusproblemen dargestellt, die nicht kapieren, dass „wir hier genug eigene Probleme“ haben. Diese Wahrnehmung ist völlig falsch und verleugnet, dass ein großer Teil der Fluchtursachen durch unsere eigene Politik und Lebensweise erst geschaffen werden und daher sehr realistisch von hier angegangen werden müssen und können.
Das gesamte grüne EU-Wahlprogramm kann mit seinen Ansätzen zu internationaler Klimapolitik, Friedenspolitik und fairer, sozialer Marktwirtschaft indirekt als Beitrag zur Fluchtursachenbekämpfung gelesen werden, allerdings wird dieser Aspekt viel zu wenig direkt und explizit als Schlüsselpunkt hervorgehoben. – Insbesondere, wenn wir realistisch davon ausgehen, dass viele Menschen (interessierte Wähler*innen, Medien, „Influencer“) nicht 100+ Seiten Parteiprogramm im Detail durchlesen, sondern Kernpunkte auf den ersten Blick erkennen müssen!:
- a) Im gesamten Inhaltsverzeichnis erscheint das Thema Flucht nur ein Mal in Kapitelüberschrift 3.3. – allerdings nicht als Schlagwort „Fluchtursachenbekämpfung“, sondern nur „Flüchtlinge schützen“ (bestätigt also den obengenannten falschen öffentlichen Eindruck von „linksgrüner Flüchtlingspolitik“).
- b) An ein paar wenigen Stellen im Text kommt Fluchtursachenbekämpfung zwar explizit vor (Kap.3.3: S.7, Z. 297ff; Kap 4.4: S.11, Z.487ff.); das Schlagwort erscheint dann aber nicht mal in den bullet point-Listen, die Kernpunkte der Kapitel am Ende für die Leser*innen nochmals zusammenfassen (Kap.3.3, S.8; Kap. 4.4, S.12).
- c) Passagen, die Probleme des Rests der Welt als durch EUeigene Politik geschaffen und beeinflussbar benennen, sind handzahm und oft nicht deutlich genug.
- d) In der gesamten Präambel kommt das Kernthema Flüchtlinge und Fluchtursachenbekämpfung nicht ein einziges Mal vor.
-> zugehörige Änderungsanträge, Gesamtübersicht:
a) Kapitel 3.3.,S.4, Z. 163: Ergänzung der Kapitelüberschrift 3.3. wie folgt: „Einwanderung gestalten, Flüchtlinge schützen, Fluchtursachen bekämpfen“
b) Ergänzungen der kapitelzusammenfassenden bullet point-Listen wie folgt:
- Kap. 3.3, S. 8, nach Zeile 18: „- Fluchtursachenbekämpfung durch Friedenspolitik und faire, ökologische EU-Außenhandelspolitik“,
- Kap. 4.3, S. 11, zwischen Zeile 469 und 470: „- Fluchtursachenbekämpfung durch Verbote von Waffenhandel und nachhaltige Friedenspolitik“
- Kap. 4.4, S. 12, nach Zeile 522: „- Fluchtursachenbekämpfung durch faire, nachhaltige Entwicklungspolitik auf Augenhöhe“
c) EU-eigene Verantwortung für weltweite Fluchtursachen stärker benennen und hervorheben:
- Kap. 3.3, S.7, Zeilen 298-303:
„Die beste Flüchtlingspolitik ist für uns diejenige, die dafür sorgt, dass weniger Menschen auf der Welt gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Auch wir in Europa (wollen -->) können und müssen dazu mehr beitragen. Viele Ursachen der Flucht liegen nicht in unseren Händen. Oft stehen korrupte und rücksichtslose Eliten einer nachhaltigen Entwicklung in den Herkunftsländern im Weg. Doch es gibt auch viele Ursachen, an denen wir in Europa sehr wohl beteiligt sind. Sie haben mit der Art, wie wir konsumieren, wirtschaften und handeln, zu tun: Zum Beispiel, wenn europäischer Konsum und europäische Außenhandelspolitik Raubbau an globalen Ressourcen betreiben, oder wenn deutsche und europäische Waffenexporte Krisen befeuern und korrupte Potentaten unterstützen. Es kann nicht sein, dass Europa weltweit Fluchtgründe erst mit verursacht und sich dann mit dem Hinweis aus der Verantwortung zieht, dass wir uns leider nicht um die Probleme der ganzen Welt kümmern können. Dies ist nicht nur moralisch untragbar, sondern auch pragmatisch und ökonomisch bar jeder Vernunft.“
- Kap. 4.5, S. 12, zwischen Zeile 539 und 540:
„Immer mehr Staaten setzen darauf, nur mit einzelnen anderen Staaten Handelsabkommen abzuschließen. Die „America-first-Politik“ von Donald Trump oder Chinas aggressive Industriepolitik verstärken den Sog zu immer mehr bilateralen Abkommen. Auch die EU-Außenhandelspolitik umging in den vergangenen Jahren multilaterale Handelspolitik zunehmend durch einseitige Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) mit Schwellen- und Entwicklungsländern. Wir sehen das skeptisch, denn dabei geraten die Interessen von Ländern, die keinen Platz am Verhandlungstisch haben, immer unter die Räder und die Verhandlungsposition ärmerer Länder wird geschwächt.“
d) Thema Flüchtlinge und Fluchtursachenbekämpfung in die Präambel aufnehmen:
Siehe unser gesonderter Antrag zur Präambel-Änderung mit Begründung.
(Verfasserin: Nadine Milde, Universität Düsseldorf & Sprecherin, AK Internationales und Europa des KV Köln. Eingereicht in Zusammenarbeit mit Jonathan Sieger, Sprecher AK Internationales und Europa , KV Köln. Der Änderungsantrag wurde auf der Sondersitzung des AK Internationales und Europa am 27.09.18 mehrheitlich befürwortet.)
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