Veranstaltung: | 44. Bundesdelegiertenkonferenz Bielefeld |
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Tagesordnungspunkt: | W Wohnen |
Status: | Beschluss (vorläufig) |
Beschluss durch: | Bundesdelegiertenkonferenz |
Beschlossen am: | 15.11.2019 |
Eingereicht: | 17.11.2019, 06:56 |
Antragshistorie: | Version 1 |
Bauwende – Nachhaltiges ressourcenschonendes Bauen!
Beschlusstext
Wenn die bis 2050 weltweit neu entstehenden Infrastrukturen nach dem Vorbild des vergangenen
Jahrhunderts gebaut würden, d.h. vor allem mit konventionellen Baustoffen wie Zement, Stahl
und Aluminium, wurden allein dadurch bereits drei Viertel des für die Einhaltung des 1,5°
Ziels noch verbleibenden CO2 Budgets verbraucht (WBGU, Hauptgutachten Urbanisierung, 2016)
Situation
Der Bausektor gehört zu den Wirtschaftszweigen mit dem höchsten Ressourcenverbrauch.
Unsere Siedlungs- und Bautätigkeit, also unser Bedarf an immer mehr Wohn- und Gewerberaum
sowie Infrastruktur, generiert einen wesentlichen Teil unseres CO2- Fußabdruckes. Die Hälfte
unseres Mülls entsteht auf den Baustellen, das waren 215 Millionen Tonnen Bauabfälle in
2016, das Bruttoabfallaufkommen betrug 2016 insgesamt 411 Millionen Tonnen (Quelle:
Umweltbundesamt).
Aufgaben
Umweltschutz und gesundes Bauen
Seit Jahren reden wir über Bodenschutz, Umwelt- und Klimaschutz. Doch im Bereich der
Bautätigkeit und dem Bauwesen/Bauwirtschaft gibt es angesichts der Riesenherausforderungen
viel zu wenige Fortschritte. Ökologische und energieeffiziente Sanierungen, die Senkung des
Siedlungsflächenverbrauchs, sowie der Einsatz von umwelt- und klimaschützenden Baustoffen,
Bautechniken und regenerativen Energien nehmen seit Jahren nicht zu. Mit unserer
gegenwärtigen Bautätigkeit verhindern wir die Umsetzung unserer Klima- und
Nachhaltigkeitsziele.
30% unseres Primärenergiebedarfes entsteht durch Heizen, Kühlen, durch die konventionelle
Nutzung unserer Gebäude. Dazu kommt noch der Ressourcenverbrauch beim Bauen: Baustoffe und
Bauprodukte verursachen einen enormen Transport- und Energiebedarf: Rohstoffgewinnung,
Herstellung der Baustoffe, Einbau, Instandhaltung, Modernisierung, Abriss, der stetige
Flächenverbrauch und die Entstehung von Müll und Sondermüll ist in jedem Schritt eine
planetare Belastung.
Das können wir uns nicht mehr leisten!
2016 setzte das Bauwesen in Deutschland ca. 600 Mio.t mineralische Baurohstoffe ein,
überwiegend Primärrohstoffe. „Sand und Kies sind der meistgeförderte Rohstoff der Welt“.
(Zitat Umweltbundesamt: https://www.umwelt-im-unterricht.de/hintergrund/baustoffe-
ressourcen-und-nachhaltiges-bauen) Jährlich werden 250 Mio.t Sand und Kies sowie 230 Mio.t
Naturstein abgebaut. Der Abbau der Rohstoffe geht einher mit Zerstörung von Landschaft,
Lebensräumen und Eingriffen in den Wasserhaushalt. Nach Schätzungen werden für diese
Tagebaue täglich 4 ha Fläche neu in Anspruch genommen. Für ein Einfamilienwohnhaus sind
durchschnittlich etwa 200 t Kies- und Sand nötig. In einem Kilometer Autobahn stecken etwa
30.000 t.Die Vereinten Nationen schätzen, dass die Menschheit jährlich 40 Mrd.t Sand in
Anspruch nimmt. Mancherorts haben sich Mafiastrukturen etabliert: Sandlagerstätten und
Strände werden dort illegal abgebaggert.
Obwohl viel abgerissen wird, wird nur ein kleiner Bruchteil der Baustoffe recyclet und
wiederverwendet. In Deutschland sind die mineralischen Bauabfälle und nicht verwertbarer
Aushub mit ca. 202 Mio.t im Jahr die mengenmäßig größte Abfallgruppe. Man könnte diese
Abfälle zu 88% für den Hochbau wiederverwenden. Doch es „werden derzeit lediglich 7% der für
den Hochbau benötigten mineralischen Primärrohstoffe durch Sekundärrohstoffe substituiert“,
so der Sachverständigenrat für Umweltfragen. Das ist mittlerweile auch ein Kostenfaktor im
Bauwesen, denn Recycling käme teilweise günstiger.
Die gegenwärtig fehlende Akzeptanz für den Einsatz von Sekundärrohstoffen beruht auf
mangelhaften Märkten, auf befürchtetem Mehraufwand, dem Risiko zusätzlicher Prüfungen,
Gewährleistungsfragen und Mehrkosten, die durch unsere deutsche – an Normen und
Zuständigkeiten orientierte - Planungs- und Bauweise entstanden sind. Die Umsetzung der
Kreislaufwirtschaft wird am Bau auch durch unterschiedliche länderspezifische Regelungen
erschwert. Landesbauordnungen greifen das Thema bisher nicht auf. Die wenigen angebotenen
Rezyklate finden bei öffentlichen Ausschreibungen i.d.R. keine Berücksichtigung.
Das BMU schreibt im Deutschen Ressourcenschutzprogramm II: „Die Bundesregierung setzt sich
dafür ein, eine für Verwender transparente Kennzeichnung nach einheitlichen und
nachvollziehbaren Kriterien für alle in Innenräumen sowie für die Gebäudehülle verwendeten
Bauprodukte auf einem hohen Schutzniveau zu etablieren. Die Umsetzung soll durch europäisch
harmonisierte Prüfnormen zur Erfassung der Emissionen aus Bauprodukten in Innenräumen und
der Freisetzung gefährlicher Stoffe aus Bauprodukten in die Umwelt erfolgen.“ Passiert ist
bislang wenig.
Die meisten Baustoffe und Ausbaumaterialien enthalten zahlreiche, teilweise höchst
problematische, oft gesundheitsgefährdende Hilfs- und Zusatzstoffe. Die von Handwerk,
Verbraucher*innen oder Handel geforderten Produkteigenschaften fördern den Einsatz von
hochproblematischen Verbundstoffe. In zahllosen zugelassenen Bauprodukten wie
Beschichtungsstoffen finden sich vermeidbare Pestizide, Konservierungsmittel und
Mikroplastik.
Viele Bauteile wie Türen und Fenster, Fußböden und Abdichtungen, Leitungen und Isolierungen
bestehen aus PVC. Diese Bauteile aus halogenierten Kohlenwasserstoffen entwickeln im
Brandfall hochgiftige Gase oder verbleiben über Jahrtausende in unserer Umwelt. Wir wollen
und werden den Einsatz von PVC weitestgehend vermeiden, um aus der Chlorchemie auszusteigen.
In Holzwerkstoffen werden teilweise nach wie vor formaldehydhaltige Leime verwendet. PCBs
sind immer noch in vielen Schulen und öffentlichen Bauten zu finden und die bromhaltigen
EPS-Dämmstoffe vieler Wärmedämmverbundsysteme bereiten Entsorgungsprobleme.
Das sind nur wenige, nach heutiger Rechtslage zulässige, Beispiele für den unkontrollierten
Einsatz von Stoffen und Stoffgruppen, deren langfristige Wirkungen noch weitgehend unbekannt
sind. Eine vollständige Deklarierung in technischen Merkblättern ist für Baustoffe nicht
vorgesehen. Kaum ein Bauherr ist sich dieser Problematik bewusst. Verbaut wird in der Regel,
was am günstigsten ist.
Um einen effektiven Schutz unserer Lebensgrundlagen im Sinne des Vorsorgeprinzips zu
gewährleisten, müssen ordnungsrechtliche Maßnahmen ergriffen werden, damit umwelt- und
gesundheitsschädliche Stoffe nicht uns und unsere Umwelt gefährden.
Urban Mining
Urban Mining ist die planvolle und systematische Erschließung sekundärer Rohstoffpotenziale
aus Gebäuden und Infrastrukturen. Der deutsche Gesamtbestand an Gebäuden und Infrastrukturen
(Materiallager)ist mit ca. 28 Milliarden Tonnen ein menschengemachtes Rohstofflager, das
partiell nach Nutzungsende wieder dem Recycling zugeführt werden könnte. Im Bestand sind
ca.10,5 Mrd.t mineralische Baustoffe gebunden, ca. 220 Mio.t Holz und ca. 100 Mio.t Metalle.
Die Bereitstellung von hochwertigen Sekundärrohstoffen wird durch diverse Faktoren gehemmt.
Komplexe und irreversible Verbindungen und Vermischungen von Rohstoffen und zunehmend
problematische Stoffeinträge durch Zusätze und Hilfsmittel, die nur in aufwendigen Verfahren
– wenn überhaupt – in ihre Ausgangsstoffe getrennt werden können, sind ein wesentliches
Hindernis. Das Baustoffrecycling in qualitätserhaltenden Kreisläufen wird heute nur in
wenigen Fällen erreicht. Rohstoffpreise, , die nicht die ökologische und soziale Wahrheit
über ihre Gewinnung sagen, verhindern rohstoffsparende Praktiken beim Planen, Bauen und
Rückbauen. Die stärkere Wiederverwertung von Bauteilen und Baustoffen könnte Arbeitsplätze
in den Bereichen Rückbau, Trennung und Recycling von Baumaterialien schaffen. Hierbei
handelt es sich in der Regel um Tätigkeiten, die vor Ort ausgeübt werden, sodass lokale
Arbeitsplätze im Sekundären Sektor entstehen könnten.
Bauwende
Inzwischen ist klar, dass ein ”Weiter so” das Leben auf diesen Planeten gefährdet. Seit
dieser Erkenntnis hat sich im Bausektor erstaunlich wenig verändert. Die Motivation von
Regierungen, Industrien, Parlamenten und Bevölkerung dieses Thema ernsthaft anzugehen,
bleibt bei der Komplexität der Materie und der undurchdringlichen Zuständigkeit für die
Zusammenhänge auf der Strecke. Dabei ist die Unzufriedenheit mit den Lebens-, Arbeits- und
Wohnumständen überall zu spüren. In den Metropolen ebenso wie in den ländlichen Räumen. Das
Zusammenspiel aus Bau- und Baustoffindustrie, Normung und Gesetzgebung, Behörden und
Verordnungen sowie Wohn- und Arbeitswelten bedarf dringend einer Neuaufstellung unserer
Planungs- und Baukultur auf allen Ebenen. Wir wollen anders bauen, ressourcenschonend und
lebensfreundlich. Wir wollen diese Bauwende mit den Zielen der Agenda 2030 voranbringen,
gestalten und umsetzen.
Lebenswerte Städte und Dörfer
Die Gestalt unserer Städte und Siedlungen ist wesentlicher Bestandteil unserer Alltagskultur
und muss in die Nachhaltigkeitsdebatte einfließen. Unsere gebaute Umgebung prägt uns. Das
demokratische Miteinander lässt sich gezielt durch die Gestaltung von Freiräumen, dem
Stadtraum und den Aufenthaltsräumen gleichermaßen stärken.Gute öffentliche Räume sind Orte,
wo wir in Vielfalt miteinander umgehen. Sie sind Orte, die sozialisieren. Die Gestaltung des
Raumes ist ein Teil unserer materiellen Lebensgrundlagen und sein Erscheinungsbild und
Materialität bedarf großer Sorgfalt.
Die Mitglieder einer freien, demokratischen Gesellschaft brauchen Wohn- und Arbeitsräume,
die durch städtebauliche und bauliche Qualität Wertschätzung, Gleichheit und positive
Gestaltungskraft ausdrücken. Das ist kein Luxus, sondern Notwendigkeit für die
Leistungsfähigkeit unserer arbeitsteiligen Dienstleistungsgesellschaft.
Unsere Antworten und Forderungen
Ressourcenschonende und nachhaltige Baukultur
Uns Grünen geht es darum, öffentliche Handlungsfähigkeiten zu stärken. Wir fordern von der
gesamten Immobilien- und Bauwirtschaft nachhaltiges Handeln ein. Das Prinzip der
Nachhaltigkeit muss in allen Fachgesetzen verankert und umsetzbar werden.
Die gesamte Wertschöpfungskette in der Bauwirtschaft – Produktgestaltung,
Produktionsprozess, Nutzung und Entsorgung – muss ressourcenschonend werden. Bei Städtebau
und Gebäudeplanung sind Stoff- und Energieverbrauch bei Herstellung und Betrieb sowie das
spätere Recycling durchgängig für alle Gebäude zu berücksichtigen.
Wir wollen die Energieversorgung von Gebäuden von fossilen Energieträgern auf erneuerbare
umstellen. Mit guten Quartierslösungen kann auch der modernisierte Bestand mit erneuerbaren
Energien innerhalb der Städte versorgt werden.
Die Lebensdauer von Gebäuden muss deutlich verlängert werden. Der Abriss und das „Wegwerfen“
von Gebäudesubstanz muss vermieden und die Weiternutzung „grauer Energie“ im Bestand
unterstützt werden. Durch Erhaltung bestehender Bausubstanz und auf lange Nutzungsdauer
ausgelegte Räume, Konstruktionen, wiederverwertbare Bauteile und Materialien kann die
Ressourceninanspruchnahme auf ein verträgliches Maß zurückgeführt werden. Hierfür braucht es
starke Regelungen auf EU-, Bundes- und Landesebene sowie umsetzungsstarke und fachkompetente
Kommunen.
Im Neubau müssen Gebäudeflexibilität und kulturelle Wertigkeit zu zentralen Kriterien
werden, um Umnutzungen und Nachnutzungen künftig zu erleichtern. Gebäude sind so zu
konzipieren, dass sie die positive Identifikation mit ihnen erleichtern, sie leicht nutzbar
sind und sich Reparaturen einfach durchführen lassen. Das bedarf einer partizipativ
geprägten Stadt- und Gebäudeplanung in den Kommunen, bei den öffentlichen wie privaten
Bauherren eines hohen Planungsniveaus, sowie flexiblerer Regelungen in den
Landesbauordnungen, Arbeitsstättenrichtlinien und in anderen öffentlich-rechtlichen
Anforderungen des Planens und Bauens sowie eine Entschlackung der zahlreichen Normen.
Aktuell sind die Erstellungs- oder Instandsetzungs- und Modernisierungskosten eines
nachhaltig geplanten und gebauten Gebäudes deutlich höher als die eines billigen „fast
Plastics house“. Die Folgekosten der konventionellen Baustoffe und ihr enormer CO2-Abdruck
werden im Preis nicht abgebildet. Auf diesem Gebiet Nachhaltigkeit umzusetzen, braucht es
daher gerechte Finanzierungsinstrumente und Lastenverteilung mit Blick auf den gesamten
Lebenszyklus eines Gebäudes.
Einfamilienhäuser verbrauchen besonders viele Ressourcen, da im Vergleich zum
Mehrfamilienhaus der Außenhautanteil sehr groß ist, zudem verschleißen sie extrem viel
Bauland und Infrastruktur. Immer neue Einfamilienhausgebiete auf der grünen Wiese treiben
den Flächenverbrauch weiter an und führen vielerorts gleichzeitig zu leerfallenden und öden
Ortskernen.
Umbaukultur
Für ein ressourcen- und umweltorientiertes Bauen reicht es nicht aus, Energiesparmaßnahmen
an Einzelgebäuden vorzunehmen. Die wesentliche Steuerungsgröße liegt nicht im Neubau,
sondern im klugen Umgang mit dem Bestand: im Umbau, in Werterhaltungsstrategien. Bestehende
Gebäude binden wertvolle Baumaterialien, Energie und Arbeitszeit. Energetisch betrachtet
besitzt jede bestehende Architektur eine eingebaute Existenzberechtigung – alleine dadurch,
dass sie vorhanden ist und in ihr materielle und geistige Werte und Energien gebunden sind.
So ist die Weiter- und Umnutzung eines Bestandsgebäudes deutlich ressourcenschonender als
das Neubauen. Selbst das zuständige Bundesministerium stellt die Nichtbaulösung an die erste
Stelle seiner Planungsgrundsätze. Hier muss die öffentliche Hand ihre Vorbildfunktion
deutlicher wahrnehmen und für ihren Bedarf an Gebäuden und umbauter Umwelt vollständige
Nachhaltigkeitsbetrachtungen auch über die Zuständigkeitsgrenzen hinweg durchführen und
diese mit einer Umsetzungsstrategie realisieren.
Wir wollen Privilegien für Flächenverbrauch wie das erleichterte Baurecht im Außenbereich
(§13b Baugesetzbuch) streichen. Ortskerne z. B. wollen wir mit einen Förderprogramm für die
Aktivierung von Leerstand – der Grünen Bauflächenoffensive - wieder beleben und den immer
noch viel zu hohen Flächenverbrauch mittelfristig in eine Flächenkreislaufwirtschaft
überführen.
Nachhaltiges Bauen
Nachhaltiges Bauen bedeutet eine ganzheitliche Betrachtungsweise einnehmen, über den
gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks, beginnend mit der Planung. Der Bund und viele Länder
setzen diesen Gedanken schon schrittweise um. Ziel ist es alle Bauten der öffentlichen Hand
nachhaltig zu planen, zu bauen und zu nutzen sowie dieses Wissen auch der Privatwirtschaft
zur Verfügung zu stellen.
Hierbei werden Ökologie, Ökonomie und Soziales gleichzeitig und gleichberechtigt beachtet.
Die ökologische Sicht zielt auf eine Minimierung der Umweltwirkungen ab, voran eine
Reduzierung von CO2 und des Primärenergiebedarfs, vermeidet gesundheitsgefährdende Stoffe
und senkt den Wasser- und Flächenverbrauch. Energieaufwändige Baustoffe, wie Stahl und Beton
und auf fossilen Rohstoffen basierende Produkte werden negativ bewertet. Der Einsatz von
nachwachsenden oder ressourcenschonend produzierten Baustoffen gestärkt. Viele
konventionelle Baustoffe können durch ökologischere Stoffe ersetzt werden, ohne dass
Funktionalität und technische Qualität leiden.
Bauen ist und bleibt ein ressourcenintensives Geschäft. Darum ist es wichtig, dass wir die
durch Rückbau wieder freiwerdenden Rohstoffe dem Kreislauf wieder zuführen und damit den
Abbau und Verbrauch weiterer Ressourcen unnötig machen.
Bei der Bewertung der gesamten Nachhaltigkeit steht der komplette Lebenszyklus des Gebäudes
und seiner einzelnen Bauprodukte im Fokus. Der Lebenszyklus umfasst die Planungs- und
Herstellungsphase sowie die Nutzungs- und Rückbauphase. Die Herstellungskosten eines
herkömmlich geplanten Gebäudes machen oftmals nur ca. 10-20% Prozent der Gesamtkosten des
Gebäudes über eine Zeitspanne von 50 Jahren aus. Bei einer lebenszyklusoptimierten Bauweise
können so die Nutzungskosten gesenkt werden, ohne dass die Herstellungskosten nennenswert
steigen.
Die soziokulturelle und funktionale Qualität eines Gebäudes ergibt sich aus Sicherheit,
Barrierefreiheit, Schadstofffreiheit und ansprechender Gestaltung. Der Mensch muss der
Maßstab der Gebäudeplanung sein.
Alle diese Aspekte sollen grundsätzlich Berücksichtigung beim Planen und Bauen finden. Dabei
können Bewertungssysteme als Werkzeuge für die Qualitätssteigerung oder Qualitätssicherung
mit Zertifizierung verwendet werden. Dies gilt es nun in die gesamte öffentliche wie private
Bauwirtschaft zu transportiert. Es stehen erste Erfahrungen sowie die Werkzeuge und die
Methodik zur Verfügung, das Know-how zum nachhaltigen Bauen ist vorhanden und zugängig. Es
braucht den Willen zu Umsetzung.
Für das öffentliche Bauen steht das Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen BNB zur Verfügung.
Es wird bereits verpflichtend für Neubauten des Bundes und einiger Bundesländer angewendet.
Aktuell ist das System begrenzt auf bestimmte Gebäudetypen und auf die Außenanlagen von
Bundesliegenschaften. Darüber hinaus gibt es weitere anerkannte und erprobte
Zertifizierungssysteme für die Privatwirtschaft wie www.nachhaltigesbauen.de.
Das BNB muss nun für ein breiteres Spektrum von Gebäudetypen der Länder und der Kommunen wie
Krankenhäuser, Kitas, Versammlungsstätten, Sporthallen usw. entwickelt werden. Die Bewertung
der Klimaneutralität muss obligatorisch sein. Die Länder und Kommunen müssen in der Folge
die Anwendung des BNB für alle Bauvorhaben einführen. Die öffentliche Hand hat
Vorbildfunktion! Um finanz- oder kompetenzschwache Kommunen zu unterstützen, gilt es,
Förderprogramme für Nachhaltiges Planen und Bauen im kommunalen Sektor aufzulegen.
Dabei ist unerlässlich, das Nachhaltige Bauen auch in der Privatwirtschaft zu fördern, um
die Bautätigkeit in ihrer gesamten Breite und Tiefe zu erreichen. Anerkannte Bewertungs- und
Zertifizierungssysteme für diverse Gebäudetypen stehen zur Verfügung und sind erprobt. Hier
können Förderprogramme die Mehrkosten an Planungshonoraren auffangen und so zu einem
klimaneutralen und nachhaltigen Gebäudebestandes beitragen.
Mit steigenden CO2-Preisen besteht auch im privaten Sektor ein Anreiz, auf klimaneutrale
Energieerzeugung umzusteigen. Hierzu müssen jedoch auch die fossilen Energieträger aus den
öffentlichen Förderprogrammen gestrichen werden.
Neben den Neubauten müssen auch die Bestandsbauten der öffentlichen Hand dekarbonisiert
werden. Bei der Erneuerung der Wärmeerzeugung im Bestand muss auf auf regenerative
Energieträger umgestellt werden.
Planen und Bauen unter kommunale Kontrolle
Stringente Anwendung der Abfallhierarchie Reuse-Reduce-Recycle vor Ort im Baubereich mit
Vorgaben und Angeboten zur Weiternutzung, Vermeidung und Wiederverwertung von Gebäuden,
Bauteilen und Baustoffen mit dem Ziel einer deutlichen Reduzierung des Rohstoffbedarfs und
des Müllaufkommens im Bausektor insgesamt.
Integrierte Klimaanpassungs-, Ressourcenreduktions- und Nachhaltigkeitsstrategien auf
kommunaler Ebene entwickeln, vermitteln und umsetzen ist eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe, der sich auch die EU- und Bundesebene widmen muss.
Gesetzlicher Handlungsbedarf im Förder- und Ordnungsrecht
Folgende Maßnahmen sind geeignete Stützpunkte der Bauwende:
- Einführung einer verbindlichen Vorrangregelung für Recyclate im Hoch- und Tiefbau
- CO2-Bepreisung von Baustoffen und -produkten sowie von Heizstoffen
- Entwicklung recyclerbarer Baumaterialien sowie die Weiterentwicklung der
Aufbereitungs- und Verwertungstechnologien, Vermeidung nicht recyclerbarer Materialien
- Klare Rahmenbedingungen und Planungssicherheit für den umgehenden Einstieg in die
Kreislaufwirtschaft.
- Den Ländern soll es ermöglicht werden auf Primärrohstoffe, entsprechend der Ausbeutung
von Öl und Gas, eine Abgabe einzuführen, um das Recyclen von Baustoffen lohnender zu
machen.
- Einführung der Pflicht zur Volldeklaration aller Inhaltsstoffe in Baustoffen und deren
Energiebilanz bei der Herstellung.
- Öffentliche Förderprogramme, steuerliche Subventionen und Qualitätsstandards für
nachhaltiges, ökologisches Bauen, dessen Kontrolle sowie ihre sozial verträgliche und
baukulturell hochwertige Umsetzung.
- Ressourcenschutz und -effizienz und Nachhaltigkeitsziele zentral in der
Musterbauordnung und den Bauordnungen der Länder verankern.
- Energiebedarfsberechnung um den Nachweis „Graue Energie“(Aufwand zur Herstellung und
zum Recycling bzw. Entsorgen) erweitern, negative Berücksichtigung bei Verwendung
nicht bzw. schwer recycle barer Stoffe
- Stärkung der unteren Bauaufsichten in den Landkreisen / Bezirken
- Anreize für besonders umweltschonende, kostensparende oder qualitätsfördernde
Leistungen schaffen.
- Schutzstatus im Bodenschutzgesetz für unversiegelten Boden mit Festlegung eines bis
2035 auf Netto-Null sinkenden Flächenverbrauchs, der auf Länderebene zu kontrollieren
und durchzusetzen ist. Hierfür wollen wir auch ein Klagerecht anerkannter Verbände.
- Programm für flächensparendes Wohnen und Arbeiten, um die bestehenden Flächen besser
auszunutzen.