Veranstaltung: | 44. Bundesdelegiertenkonferenz Bielefeld |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | Karl-Wilhelm Koch (Vulkaneifel KV) und 21 weitere Antragsteller*innen (Frauenanteil: 23%) |
Status: | Eingereicht |
Verfahrensvorschlag: | AbstimmungErklärung: Die Abstimmung findet zwischen V-22 NEU und V-30 statt. |
Eingereicht: | 04.10.2019, 14:19 |
V-30: Erneuerbare Energien statt Atomkonflikt
Antragstext
Die ohnehin hohe Gefahr eines großen Krieges im Mittleren Osten ist in den letzten Monaten
nochmals zusätzlich gestiegen. Eines der Hauptprobleme ist dabei die Drohung Irans mit der
Wiederaufnahme des Atomprogramms, das an seinem Ende zum Ausstieg aus dem NVV und zur
atomaren Bewaffnung Irans führen könnte. In dieser Entwicklung droht ein militärisches
Eingreifen zur Verhinderung dieses Zieles durch andere Staaten der Region und/oder durch die
USA sowie die atomare Aufrüstung weiterer Staaten der Region.
Die letzte Eskalationsspirale im Konflikt zwischen den USA und Iran wurde durch den
einseitigen Ausstieg der USA aus dem Iran-Nuklearabkommen (Joint Comprehensive Plan of
Action, JCPoA) durch US-Präsident Trump im Mai 2018, während Iran alle vertraglichen
Verpflichtungen nachweislich einhielt. Seit dem Ausstieg der USA wurden von US-Seite
einseitig die Wiedereinführung und Verstärkung von nationalen Sanktionen beschlossen. Deren
Ziel ist es, Iran – bisher ohne Erfolg – im Rahmen einer Politik des „maximalen Drucks“ zu
weitreichenden Konzessionen in Hinblick auf sein ballistisches Raketenprogramm und sein
regionales Verhalten sowie einem neuen allumfassenden Abkommen zu bewegen. Der Vertrag droht
dadurch als zentrales rüstungskontrollpolitisches Instrument in seiner Gesamtheit zu
scheitern.
Ein Ende des Iran-Nuklearabkommens würde nicht nur eine Katastrophe für die Region mit
unüberschaubaren Konsequenzen einer möglichen Aufrüstungsspirale und eines nuklearen
Wettrüstens bedeuten. Es würde auch ein fatales Signal der Unverlässlichkeit und damit
Verhandlungs- und Vereinbarungsunfähigkeit an Staaten wie Nordkorea senden, welche durch
diplomatischen und wirtschaftlichen Druck von ihrem Drang nach Atomwaffen abgebracht werden
sollen. Wir fordern, dass die EU ein deutliches Gegengewicht zur Logik von Drohungen und
Gegendrohungen setzt, welcher die Regierungen der USA und des Irans und weitere Akteure
aktuell folgen. Diese Logik birgt eine enorme Gefahr für Fehlkalkulationen und eine
Eigendynamik im schlimmsten Fall bis hin zum Krieg.
In seiner Resolution 2231[1] fordert der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen alle
Mitgliedsstaaten auf, geeignete Maßnahmen zu ergreifen um die Umsetzung der Vereinbarung zu
unterstützen und gleichzeitig Maßnahmen zu unterlassen, welche der Umsetzung der
Verpflichtungen aus dem Iran-Nuklearabkommen entgegenstehen. Der einseitige Ausstieg der USA
und die Verhängung unilateraler US-Sanktionen bewirken das Gegenteil.
Das Nuklearabkommen versprach Iran für eine Begrenzung seiner Nuklearaktivitäten
Sanktionserleichterungen und damit einhergehende wirtschaftliche Entwicklung. Das ist
gescheitert, obwohl sich die anderen Parteien der Vereinbarung – Russland, China,
Frankreich, Großbritannien und Deutschland – gegen die US-amerikanische Linie gestellt
haben. Die Dominanz des US-Dollars im Welthandels- und Finanzsystem und die Bedeutung des
US-Marktes für europäische Banken und Unternehmen versetzt die US-Regierung in übergriffiger
Art und Weise in der Lage, durch ihrer einseitigen Sanktionen nicht nur US-Unternehmen,
sondern eben auch alle anderen – die irgendwelche Handels- oder Finanzbeziehungen mit US-
Unternehmen haben – unter Druck zu setzen (Sekundärsanktionen).
Den europäischen Vertragspartnern fehlt erkennbar der politische Wille, aber auch die
Handlungsmöglichkeit, sich der US-Regierung in diesem Punkt offen entgegen zu stellen. Alle
bisherigen Versuche, die Sanktionen der USA abzumildern, sind durch den politischen und/oder
wirtschaftlichen Druck der USA gescheitert.
Ein wesentlicher Lösungsansatz kann eine EU-europäische Initiative werden, den Ausbau der
Erneuerbaren Energien durch staatlich abgesicherte, multilaterale Investitionsprogramme für
Entwicklungsprojekte voranzutreiben. Der Ausbau der Energieversorgung wird unmittelbar der
iranischen Bevölkerung zugutekommen. Im Gegenzug sollte der Iran auf die Nutzung der
Atomenergie verzichten, womit ein verborgenes Atomwaffenprogramm in den Atomreaktoren
unmöglich wird.
Wir schlagen daher vor, Iran zu einer 0-%-Verzinsung die Geldmittel zur Verfügung zu
stellen, um in wenigen Jahren seine Stromerzeugung zum größten Teil auf Wind-, PV-, Geo- und
Solarthermie-Energie umzustellen. Die Forschungsgrundlagen des DESERTEC-Projekts werden Iran
dabei zur Verfügung gestellt, genauso wie eine für Iran kostenfreie Unterstützung durch
Beratung und Planung. Eine weitflächige Vernetzung mit den Nachbarstaaten der Region ist
anzustreben.
Wir fordern die Bundesregierung auf, sich in der EU für eine solche Initiative einzusetzen
und Iran ein entsprechendes Angebot zu unterbreiten.
Um die Problematik zu entschärfen und einer Lösung näher zu bringen fordern wir weiter, dass
…
- dass alle Maßnahmen der EU und der Bundesregierung auf eine Deeskalation im Konflikt
zwischen USA und Iran ausgerichtet sind. Vor diesem Hintergrund lehnen wir die US-
Militärmission „Sentinel“ in der Straße von Hormus und eine deutsche Beteiligung daran
ab. Die Freiheit der internationalen Schifffahrt und die maritimen Handelswege stehen
für uns nicht zur Disposition. Einem Einsatz der Bundeswehr im Persischen Golf werden
wir nur im Rahmen einer völkerrechts- und grundgesetzkonformen Mission zustimmen.
- die Bundesregierung und die EU sich weiter im Rahmen der GASP (Gemeinsame Außen- und
Sicherheitspolitik) zusammen mit den übrigen Parteien der Vereinbarung China und
Russland dafür einsetzen, die Wiener Nuklearvereinbarung als zentrales
rüstungskontrollpolitisches Instrument zu bewahren.
- die Bundesregierung alle denkbaren Maßnahmen ergreift, um wirtschaftliche Aktivitäten,
die nach europäischem Recht legal sind, abzusichern und den Handel mit Iran aufrecht
zu erhalten.
- die EU mittelfristig geeignete Maßnahmen ergreift, um ihre Widerstandsfähigkeit gegen
Sekundärsanktionen und damit ihre strategische Autonomie erhöht.
Um auf eine Entspannung in der Region hinzuarbeiten, sind Kommunikationskanäle und eine
grundlegende Verständigung zwischen Washington und Teheran nötig. Wir erwarten daher von der
Bundesregierung, dass sie auf die US-Regierung einwirkt, ein realistisches und glaubhaftes
Angebot vorzulegen, welches die Interessenlagen Irans und anderer regionaler Akteure, allen
voran Israel, berücksichtigt. Denn es ist klar, dass es nicht zu einer nachhaltigen
Entspannung in der Region kommen wird, solange die unverminderte, aufs schärfste zu
verurteilende Vernichtungsdrohungen gegen Israel durch die iranische Regierung fortbestehen
und solange es keine Anerkennung des Existenzrechtes des Staates Israel durch Iran gibt.
Gleichwohl lehnen wir auch die scharfe Rhetorik des israelischen Ministerpräsidenten
Netanjahu ab, der die hochgefährliche konfrontative Haltung der USA gegenüber Iran
unterstützt und immer wieder auch die Idee eines gezielten Militäreinsatzes schürt.
Klar ist außerdem: Die aktuellen Bemühungen zur Bewahrung der Wiener Nuklearvereinbarung
dürfen keine Begründung dafür sein, dass sich die Bundesregierung bei der klaren Benennung
der täglichen Verletzungen von Menschenrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien durch das
iranische Regime zurückhält.
Unsere Politik gegenüber Iran muss dabei auf einer Äquidistanz zu Saudi-Arabien und Iran
basieren und die gesamte Subregion in den Blick mit seinen sicherheitspolitischen und
wirtschaftlichen Fragen betrachten. Die bisherige Doppelstandard-Politik der Bundesregierung
ist kontraproduktiv für eine erfolgreiche deutsche und EU-Politik in der Region.
Für einen ganzheitlichen Regionalansatz Iran kann aufgrund seiner Größe, geostrategischen
Lage und Bevölkerungszahl und damit seiner regionalen Bedeutung nicht ignoriert werden, ist
aber unter anderem aufgrund seiner Regionalpolitik, dem ballistischen Raketenprogramm, der
feindseligen Haltung gegenüber Israel und der verheerenden Menschenrechtslage im Land ein
problematischer Akteur. In einer zunehmend fragmentierten und von Krisen und Kriegen
betroffenen Region ist Iran Teil des Problems, aber eben auch der Lösung.
Langfristig werden wir einen vertieften Dialog zwischen Iran, den Ländern des
Golfkooperationsrats[2] und den weiteren Nachbarn in der Region fördern über regionale
Konflikte und die Frage, wie ein Prozess hin zu einer regionalen Sicherheitsarchitektur
gestaltet werden kann.
[2]https://de.wikipedia.org/wiki/Golf-Kooperationsrat: Kuwait, Bahrain, Saudi-Arabien,
Katar, Vereinigte Arabische Emirate und Oman
Begründung
Die Eskalationsspirale im Konflikt zwischen den USA und Iran, die durch den einseitigen Ausstieg der USA aus der Wiener Nuklearvereinbarung (JCPoA) durch US-Präsident Trump im Mai 2018 in Gang gesetzt wurde, dreht sich zunehmend weiter und droht den Vertrag als zentrales rüstungskontrollpolitisches Instrument mit zusammenbrechen zu lassen, mit unvorhersehbaren Konsequenzen bis hin zu Krieg.
Iran profitiert nun nicht mehr wirtschaftlich von den internationalen Sanktionserleichterungen: Das Land kann kaum mehr Öl exportieren, europäische Unternehmen haben sich aus Angst vor US-Restriktionen zurückgezogen, der Handel ist eingebrochen, es gibt kaum mehr Finanzkanäle. Nicht einmal mehr Medikamente und humanitäre Güter können aufgrund von Selbstreglementierung und Übererfüllung von Unternehmen und fehlenden Bankverbindungen geliefert werden - auch wenn die Güter gar nicht von US-Sanktionen erfasst sind.
Deshalb unterlässt Iran die Erfüllung seiner nukleartechnischen Verpflichtungen, nachdem sich das Land laut Berichten der IAEO bis Juni vollumfänglich an diese gehalten hatte. Im Juni 2019 hat Iran, wie von der IAEO bestätigt – begonnen, Uran über die im Iran-Nuklearabkommen festgelegten Obergrenze anzureichern. Hiermit sollen die Unterzeichnerstaaten unter Druck gesetzt werden: Falls das Land nicht vom Iran-Nuklearabkommen wie vereinbart profitiere, sieht Teheran keinen Nutzen darin, sich weiter an den Vertrag zu halten, so die Botschaft. Die bisherigen iranischen Maßnahmen deutet aber daraufhin, dass man in Teheran weiter eine Verhandlungslösung anstrebt.
Der Umbau der iranischen Energieerzeugung wäre ein Win-Win-Effekt: Iran würde dadurch erhebliche Geldmittel sparen, die in die soziale Verbesserung der Bevölkerung eingesetzt werden könnten. Die Vernetzung mit den Nachbarstaaten wurde naturgemäß Spannungen mildern und künftigen Konflikten vorbeugen.
weitere Antragsteller*innen
- Dirk Paul Finkeldey (KV Aurich-Norden)
- Hans-Josef Fell (KV Bad Kissingen)
- Ralf Henze (Odenwald-Kraichgau KV)
- Jürgen Janssen (KV Wesermarsch)
- Kerstin Dehne (KV München)
- Fritz Lothar Winkelhoch (KV Oberberg)
- Klemens Griesehop (KV Berlin-Pankow)
- Hans Schmidt (KV Bad Tölz-Wolfratshausen)
- Ulrich Bock (KV Mayen-Koblenz)
- Uller Koenig (KV Vulkaneifel)
- Gerhard Klünder (Warendorf KV)
- Tobias Balke (KV Berlin-Charlottenburg/Wilmersdorf)
- René El-Saman (Bonn KV)
- Ingrid Bäumler (KV Cochem-Zell)
- Ursula Hertel-Lenz (Berlin-Steglitz/Zehlendorf KV)
- Julian Joswig (KV Rhein-Hunsrück)
- Berti Furtner-Loleit (KV München)
- Ralph Urban (Herzogtum Lauenburg KV)
- Tabitha Elkins (Alzey-Worms KV)
- Barbara Romanowski (Oberberg KV)
- Horst Schiermeyer (Görlitz KV)
Kommentare
Dirk Paul Finkeldey:
Thomas Wolff:
Karl-Wilhelm Koch:
Thomas Wolff:
ich finde, jegliche Unterstützung kann nur gegen zwei Gegenleistungen erfolgen: atomare Abstinenz (der bisherige Atomdeal) UND spürbare Zugeständnisse bei Menschenrechten.
Ob das verhandelbar oder außenpolitisch naiv ist, weiß ich nicht. Aber wir sollten nicht schon programmatisch auf diesen Aspekt verzichten.
Lediglich darauf zu drängen, "dass sich die Bundesregierung bei der klaren Benennung
der täglichen Verletzungen von Menschenrechten..." nicht zurückhalte, ohne dieses in Verhandlungen einbringen zu wollen, ist mir zu wenig.
Horst Schiermeyer:
Wann hat es "Vernichtungsdrohungen gegen Israel durch die iranische Regierung" gegeben? Als ich das vor einigen Monaten nachrecherchiert habe, habe ich keine gefunden. Es gab da einen berüchtigten Spruch von Ahmadinedschad, aber der ist zum einen schon lange nicht mehr Präsident und zum anderen ist er offensichtlich wohl auch falsch zitiert worden:
https://www.sueddeutsche.de/kultur/umstrittenes-zitat-von-ahmadinedschad-der-iranische-schluesselsatz-1.287333
Hubert Geue:
"Die Drohungen, die der Iran seit Jahrzehnten in Richtung Israel sendet, sind deutlich. Der frühere radikale iranische Premier Ahmadinejad kündigte an, man werde Israel von der Landkarte tilgen, der aktuelle iranische Führer, Ayatollah Khamenei, verkündet regelmäßig ähnliches. Die Tatsache, dass man im Norden und im Süden bereits eine "Grenze mit Teheran" hat, ebenso wie das langjährige Atomprogramm des Iran, sind selbst für linke Israelis Grund genug, die Vernichtungsdrohungen ernst zu nehmen. Im Ausland, vor allem in Europa, sind viele überzeugt, dass eine Nuklearmacht Iran niemals eine Bombe über Tel Aviv zünden würde, weil die Mullahs ja wüssten, dass Israel hundertfach zurückschlagen würde."
Aus:
https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-05/israel-iran-beziehung-oslo-abkommen-geschichte/komplettansicht
Horst Schiermeyer: