Veranstaltung: | 44. Bundesdelegiertenkonferenz Bielefeld |
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Tagesordnungspunkt: | V Verschiedenes |
Antragsteller*in: | BAG Demokratie und Recht (dort beschlossen am: 29.09.2019) |
Status: | Zurückgezogen |
Eingereicht: | 21.10.2019, 15:26 |
V-49 (ehm GP-03): Grundsätzlich unverdächtig - Für Freiheit und Sicherheit
Antragstext
Unsere Welt wird immer bunter und vielseitiger – gleichzeitig gewinnen Diskurse über
„Sicherheitsgefühl“ und „Gefährder*innen“ immer mehr die Oberhand und in ganz Deutschland
wird mit den Verschärfungen der Polizeigesetze tief in unser aller Grundrechte eingegriffen.
Eine absolute Sicherheit ist dabei jedoch völlig illusorisch und niemals erreichbar, da
nicht allen möglichen Risiken vorgebeugt werden kann. Aufgabe des Staates ist es nicht nur,
den Schutz der Gesellschaft sicherzustellen, sondern auch die Grundrechte und die
Freiheitsausübung der Menschen zu achten und zu schützen. Zudem sind es insbesondere unsere
Grundrechte, die allen Menschen Sicherheit geben. Gerade im Diskurs der Sicherheit bleibt
für uns eine freie Gesellschaft von oberster Priorität. In einer unfreien Gesellschaft ist
auch niemand sicher. Das betrifft nicht nur Möglichkeiten der freien Bewegung,
Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechte; es muss vielmehr auch um eine Gesellschaft
gehen, die frei von Angst, Armut und Diskriminierung dem Ziel eines schönen Lebens für alle
näher kommt. Mit diesem Antrag wollen wir grundlegende Richtlinien für das künftige
Grundsatzprogramm und kommende Bundestagswahlprogramme festlegen.
Wenn Sinn und Zweck der Innenpolitik ist, eine Gesellschaft zu schaffen, in der Menschen
frei von Angst leben können, müssen wir Innenpolitik weiter denken, als nur die
Verbrechensbekämpfung. Ängste vor Armut, Arbeitsplatzverlust, Abstieg oder
gesellschaftlicher Ausgrenzung sind zentrale Motoren von Ungewissheit und Unsicherheit in
unserer Gesellschaft und damit innenpolitisch von zentraler Relevanz.
Kern unserer Politik ist dabei vor allem die wissenschaftliche Analyse und die Evaluierung
einer erfolgreichen Praxis. Wir lehnen jegliche Form von innenpolitischem Aktionismus ab,
genauso wie die oft selbstreferenzielle Politik nach dem Motto: „Das ist verboten, weil es
illegal ist.“ Daraus folgt auch, dass wir stetig daran arbeiten, Gesetze und Maßnahmen an
aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und objektiven Problemlagen auszurichten. Wir
werden uns immer an der aktuellen und konkreten Gefahrenlage orientieren und nicht
unreflektiert hypothetische oder unbegründete, abstrakte Gefahren zugrunde legen. Sind stets
nur hypothetische, aber unrealistische Gefahren die Basis für polizeiliches
Handeln, fehlt es nicht nur an einem wirksamen Schutz der Bevölkerung, sondern Grundrechte
werden auch grundlos eingeschränkt. Hierbei ist es insbesondere wichtig, dass sich die
Polizei mehr für die Wissenschaft öffnet. Analysen z. B. zu verfassungsfeindlichen
Einstellungen innerhalb der Polizei wurden seit Jahrzehnten nicht mehr durchgeführt. Es
braucht aber eine verlässliche Datengrundlage zum Umfang solcher Einstellungen in den
Sicherheitsbehörden, um wirkungsvolle Maßnahmen ergreifen zu können.
Nicht nur Polizei und Kameras
Vielen Politikfeldern kommt innenpolitische Relevanz zu. Besonders sehen wir das in den
Bereichen Sozial-, Demokratie- und Verkehrspolitik.
Sozialpolitische Maßnahmen innenpolitisch denken
Bisher wird in den Bereichen Innen- und Sozialpolitik häufig aneinander vorbei gearbeitet.
Insbesondere langfristig präventive sozialpolitische Aspekte, welche ein Kern guter
Innenpolitik sind, werden unzureichend berücksichtigt. Daher müssen sozialpolitische
Maßnahmen vor allem darauf überprüft werden, ob sie Menschen langfristig ein würdevolles
Leben ermöglichen, frei von Angst und Armut. Ein Beispiel hierfür ist die Wohnungspolitik.
Die zunehmende Gentrifizierung und die massiv steigenden Mieten in deutschen Innenstädten,
der Bau von Sozialwohnungen vor allem am Stadtrand und Diskriminierung bei der Wohnungssuche
führen dazu, dass in vielen Stadtvierteln Benachteiligte
aufeinandertreffen und es zu einem aggressions- und angstfördernden Multiplikationseffekt
mit realen Auswirkungen auf die Sicherheitslage kommt.
Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Stärkung der Zivilgesellschaft
Gleichzeitig sind Rassismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit
zentrale Ursachen von Unsicherheit und Gewalt. Ob in der Schule, im Netz oder auf der
Straße: Rassistisches und menschenfeindliches Gedankengut ist immer noch tief in weiten
Teilen der Gesellschaft verankert. Wir dürfen nicht davor zurückschrecken, dies klar zu
benennen. Denn nur so können wir gemeinsam mit vielen Akteur*innen und Organisationen die
grundlegenden Ursachen und Auswirkungen angehen. Jeden Tag arbeiten hunderttausende Menschen
daran, Schutzräume für von Diskriminierung betroffene Menschen zu errichten,
Demokratiebildung voranzutreiben oder den Ausstieg aus der rechten Szene zu
ermöglichen. Ihnen gilt unsere Solidarität, mit ihnen wollen wir zusammenarbeiten. Dabei ist
für uns Demokratiebildung ein zentraler Baustein einer langfristig orientierten
Innenpolitik. „Dass Auschwitz nie wieder sei“ ist nicht nur Grundlage unserer Gedenk- und
Erinnerungskultur, sondern auch eine der
zentralen Grundlagen unserer Innenpolitik.
Verkehrspolitik und öffentliche Räume
Auch die Verkehrspolitik ist ein relevanter Baustein für eine ganzheitlich gedachte
Sicherheitspolitik. Mangelhafter Schutz für Radfahrende und zu Fuß Gehende, überhöhte
Geschwindigkeiten und letztlich auch die gesundheitsgefährdende Luftverschmutzung sind für
uns wesentliche Ansatzpunkte, um wirksam Gefahren zu reduzieren und so für mehr reale
Sicherheit zu sorgen. Hier braucht es klare Regeln, die am Wohl der Menschen orientiert
sind.
Die öffentlichen Transportmittel und Räume müssen wir in Hinblick auf objektive Risiken
untersuchen und umgestalten. Den Trend zu Automatisierung sehen wir kritisch, da dies dafür
sorgt, dass hilfebedürftige Menschen oft keine unmittelbaren Ansprechpartner*innen mehr
vorfinden.
Für eine Neuordnung polizeilicher Arbeit – gegen den Trend der Autoritarisierung
In den letzten Jahren sind, vor allem über polizeirechtliche Gesetzesvorhaben, immer neue
Formen von Grundrechtseingriffen legalisiert worden. Wir lehnen insbesondere die Neuordnung
des Gefahrenbegriffs ab. Wir fordern vielmehr, dass sich die polizeilichen
Eingriffsgrundlagen am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientieren. Dazu müssen sie in einem
angemessenen Verhältnis zum Gebrauch der Freiheitsrechte stehen und auf einer sinnvollen
Risikoabwägung basieren. Wir lehnen daher Befugnisse ab, die den Kernbereich der
Persönlichkeit berühren oder bei denen dieses Risiko nicht vermieden werden kann. Auch
benötigen wir keine Maßnahmen, die die Polizei kaum nutzt und die nur einen abstrakten
Anwendungsbereich haben. Maßnahmen der Strafverfolgung haben im Gefahrenabwehrrecht nichts
verloren und umgekehrt, da es sonst zu einer unsachgemäßen Vermischung von polizeilichen
Befugnissen kommt.
Mit der Vorverlagerung des Gefahrenbegriffs wie im Fall der „drohenden Gefahr“ werden
massive Grundrechtseingriffe anhand diffuser Vermutungen begründet und eine
Vergeheimdienstlichung der Polizei vorangetrieben. Gerade anlasslose Grundrechtseingriffe
und die immer weitergehende Vorverlagerung der Polizeiarbeit auf Zeitpunkte, in denen eine
konkrete Gefahr noch gar nicht eingetreten ist und noch nicht einmal absehbar ist, wann
diese eintreten wird, sind aus rechtsstaatlicher Sicht nicht tragbar. In diesen
Bestrebungen, immer mehr gesellschaftliche Bereiche für polizeiliche Befugnisse zu öffnen,
drückt sich ein Trend aus, der ein großes Risiko für unsere Grundrechtsausübung und eine
freiheitliche Gesellschaft ist: Wenn keine konkreten Risiken mehr zugrunde gelegt werden,
kann die Polizei nur noch ungewisse Prognosen gegenüber Personen, die vielleicht irgendwann,
irgendwie und irgendwo straffällig werden könnten, als Maßstab für teilweise schwerste
Grundrechtseingriffe zugrunde legen. Diese Prognosen sind weder gerichtlich ausreichend zu
kontrollieren, noch ist für uns alle ersichtlich, wann wir Ziel von polizeilichen
Informationseingriffen werden können. Selbst vorbildliches Verhalten kann nicht mehr
verhindern, dass man Ziel staatlicher Informationseingriffe wird, und alle Menschen werden
von der Polizei zunehmend als potenzielle Straftäter*innen und Gefahrenherde betrachtet.
Anlasslose Grundrechtseingriffe öffnen außerdem Tür und Tor dafür, dass Vorurteile und
Rassismus in die Auswahlentscheidung von Polizeibeschäftigten einfließen, denn jeder Mensch
hat mit Vorurteilen und Rassismus zu kämpfen. Es kommt leider immer wieder vor, dass
polizeiliche Kontrollen nicht aufgrund von Verdachtsmomenten erfolgen, sondern allein
aufgrund bestimmter körperlicher Merkmale einer Person, wie etwa der Hautfarbe (Racial
Profiling).
Als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stehen wir für grundrechtskonforme Polizeiarbeit, wirksame
Gefahrenabwehr und Verbrechensbekämpfung auf dem Boden des Grundgesetzes und der Prinzipien
von Rechtsstaatlichkeit. Darum muss jede Befugnis zum Grundrechtseingriff genauestens
geprüft und transparent evaluiert werden. So setzen wir uns für ein Ende der
verdachtsunabhängigen Kontrollen ein und fordern, dass sogenanntes „polizeiliches
Erfahrungswissen“ niemals die einzige Begründung für eine Polizeimaßnahme sein darf. In
beiden Konstellationen werden allzu oft gesellschaftliche Diskriminierungsformen
reproduziert. Denn polizeiliche Handlungen und polizeiliches Erfahrungswissen entstehen
nicht im luftleeren Raum. Gerade wenn wir einer Institution wie der Polizei übergeordnete
Befugnisse zugestehen, müssen wir auch verlangen, dass Maßnahmen immer an konkreten
Anhaltspunkten festgemacht werden. Aus diesem Grund lehnen wir auch jegliche Form von
eventuellen Zielvorgaben bzw. -quoten für grundrechtsrelevante Eingriffsmaßnahmen ab.
Generell sollten polizeiliche Maßnahmen in allgemeiner Form der Öffentlichkeit erklärt und
insbesondere den Betroffenen gegenüber transparent begründet werden. Die Betroffenen sollen
im Falle direkter Maßnahmen auf Wunsch einen schriftlichen Beleg erhalten können.
Gegen falsche technologische Propheten – für den Datenschutz!
Technologiefirmen suggerieren, dass ein Mehr an beliebigen Daten auch zu einem größeren
Erkenntnisgewinn und damit zu mehr Sicherheit führen würde. Dabei greift die exzessive
Sammlung von Daten in grundlegende Freiheitsrechte ein und begünstigt potentiellen
Missbrauch mit diesen Daten. Zudem soll die oft nicht ausreichende Zahl besetzter
Polizeistellen in vielen Bereichen mit neuen technischen Entwicklungen ausgeglichen werden.
Dabei wird unterschlagen, dass diese Technologien ebenfalls viel Geld kosten und Personal
benötigen. Diesem Trend stellen wir uns grundsätzlich entgegen.
Kameras und Gesichtserkennung
Verstärkt sollen vor allem Kameras zu mehr Sicherheit führen. Dabei können Kameras
nachgewiesenermaßen nicht zur Verhinderung von Straftaten beitragen. Kameras haben keinen
Effekt auf Straftaten, die im Affekt begangen werden. Sie begünstigen möglicherweise sogar
Täter*innen, die bewusst gefilmt werden möchten, wie manche Selbstmordattentäter*innen, und
es kann angenommen werden, dass sie einen Verdrängungseffekt in andere Gegenden zur Folge
haben. Videoaufnahmen können lediglich zur Aufklärung von Straftaten eingesetzt werden.
Selbst dort, wo Videoaufnahmen bereits exzessiv eingesetzt werden, hat sich die
Aufklärungsquote nicht signifikant erhöht. Hinzu kommt, dass eine dauerhafte Überwachung von
bestimmten Bereichen einen großen Grundrechtseingriff darstellt, der unserer Ansicht nach
nicht mit dem mangelhaften Ergebnis gerechtfertigt werden kann. Einen noch sehr viel
schwerwiegenderen Grundrechtseingriff stellen Projekte der Gesichtserkennung und
Verhaltensanalyse via Videoüberwachung dar. Diese lehnen wir grundsätzlich ab, da sie massiv
in Grundrechte eingreifen, und fordern ihr Verbot. Diese Technologien beeinträchtigen die
Freiheit unbedarfter Handlungen, persönlicher Gedanken und Emotionen im öffentlichen Raum.
Zudem sind diese Technologien aktuell ungenau, können menschliche Vorurteile reproduzieren
sowie falsche Schlüsse ziehen und bringen Unverdächtige in Rechtfertigungssituationen
gegenüber fehlerhafter Technologie.
Bei polizeilichen Videoaufzeichnungen jeglicher Art muss eine beweissichere Aufbewahrung
sichergestellt sein. Schnitte und andere Veränderungen müssen besonders befugten Personen
vorbehalten bleiben und technisch jederzeit nachvollziehbar sein. Die unbearbeiteten
Originale dürfen bis zum Abschluss etwaiger Verfahren nicht gelöscht werden können.
Den Einsatz von Bodycams lehnen wir nach jetzigem Kenntnisstand ab. Von den zwei
grundsätzlich zu unterscheidenden Varianten setzen beide grundlegende Eingriffe in die
Privatsphäre voraus. Bei der einen Variante entscheiden nur die jeweiligen Polizist*innen,
ob Aufnahmen gespeichert werden. Betroffene haben keine Möglichkeit, sich davor zu schützen.
Die zweite Variante, bei der sich die
Kamera dauerhaft im Aufnahmemodus befindet, stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die
Privatsphäre der Aufgenommenen dar und könnte Menschen von der Ausübung ihrer Meinungs- und
Versammlungsfreiheit abschrecken. Für beide Varianten ist nicht geklärt, wie die
aufgenommenen Daten so gesichert werden könnten, dass sie nicht für Dritte zugänglich sind
und sich zugleich nicht ausschließlich in der Verwahrung der Polizei befinden. Als eine
Partei, die für evidenzbasierte Politik eintritt, werden wir jedoch die Ergebnisse der
Bodycam-Modellversuche in verschiedenen Bundesländern sorgfältig auswerten und unsere
bisherigen Annahmen dahingehend überprüfen.
Darüber hinaus muss es allen Menschen stets möglich sein, Polizeieinsätze mit eigenen
Kameras zu dokumentieren. Dieses Recht darf nicht unter Berufung auf Persönlichkeitsrechte
der Polizistinnen und Polizisten oder auf den strafrechtlichen Schutz der Vertraulichkeit
des Wortes ausgehebelt werden.
Predictive Policing
Neben der Vorverlagerung des Gefahrenbegriffs arbeiten seit einigen Jahren sowohl einige
Landesregierungen als auch Polizeibehörden daran, mittels des sogenannten Predictive
Policing Straftaten vorzubeugen. Auch diesem Trend stehen wir äußerst kritisch gegenüber.
Systeme, die Daten einer diskriminierenden Gesellschaft auswerten, können nicht neutral
arbeiten und reproduzieren damit
letztendlich gesellschaftliche Diskriminierungsmuster. Daher müssen sich Predictive-
Policing-Ansätze auf öffentlich zugängliche und nicht-personalisierte Daten beschränken. Und
selbst dann ist klar, dass Predictive Policing nicht die oben beschriebenen, grundlegenden
Maßnahmen im Bereich der Prävention ersetzen kann. Für uns ist klar: Straftaten lassen sich
nicht durch Algorithmen verhindern, sondern nur durch echte, nachhaltige Präventionsarbeit.
Datenschutz
Datenschutz ist Grundrechtsschutz. Wir stehen für eine Polizeiarbeit, die diesen Wert
versteht und achtet. Mit Blick auf zunehmende Datensammlungen bei Polizeibehörden ist es
nicht nur wichtig, deren Begrenzung konsequent umzusetzen, sondern zudem mehr in die
Datensicherheit zu investieren. Eine
Digitalisierung der Polizeiarbeit muss an den Grundsätzen von Datenschutz, insbesondere der
Verhältnismäßigkeit und Datensparsamkeit, sowie der Datensicherheit ausgerichtet sein. Dazu
gehört auch, das Löschen von nicht mehr benötigten oder veralteten Daten als Teil
professioneller Polizeiarbeit zu sehen und konsequent anzuwenden. Daten aus
Sicherheitslücken zu sammeln und diese bewusst offenzuhalten, lehnen wir grundsätzlich ab.
Betroffene müssen über eine Speicherung proaktiv informiert werden, insbesondere, wenn die
Polizei nach Freispruch oder Verfahrenseinstellung weiterhin Daten über einen Vorgang
speichern will oder wenn personenbezogene Hinweise mit stigmatisierender Wirkung aufgenommen
werden sollen. Eine effektive Datenschutzkontrolle und -durchsetzung durch die
Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder muss sichergestellt werden. Außerdem
dürfen polizeiliche Daten nicht auf Servern kommerzieller Unternehmen gelagert werden.
Grundlegende Strukturen stärken
Statt zu versuchen, mit weiteren Technologien das aufzuholen, was in der Personal- und
Organisationspolitik versäumt wurde, gehen wir die Grundlagen polizeilicher Arbeit an, um
Arbeitsbedingungen zu verbessern und so auch sich wiederholende Probleme zu minimieren:
1. Oft sind lange Schichten und wenige Pausen Polizeialltag. Dies ist insbesondere bei
Bereitschaftseinheiten, die auf Demonstrationen eingesetzt werden, der Fall. Hier müssen
mehr Personal und eine weniger personalintensive Herangehensweise an Demonstrationen Abhilfe
schaffen.
2. Damit polizeiliches Handeln in allen Teilen der Gesellschaft Vertrauen genießen und
akzeptiert werden kann, ist eine Transparenz dieses Handelns erforderlich. Dafür bedarf es
endlich einer ehrlichen Fehlerkultur in der Polizei. Dazu gehört, dass aus Fehlern gelernt
werden kann und Polizist*innen,
die offen über Fehler sprechen, nicht ausgegrenzt werden. Außerdem ist eine Stärkung der
psycho-sozialen Betreuung sowie Supervisionsangebote – insbesondere nach belastenden
Einsätzen – notwendig. Polizist*innen sollen zudem nicht dauerhaft in Brennpunktgebieten
eingesetzt werden, damit sich Einstellungsmuster gegenüber bestimmten Gruppen nicht
herausbilden bzw. verfestigen können. Dazu bedarf es neben den oben genannten Maßnahmen
einer regelmäßigen Personalrotation.
3. Viel zu oft ist es nach Maßnahmen unmöglich, einzelne Polizist*innen rechtlich zu
belangen. Darum braucht es zum einen endlich für alle Polizeien eine Kennzeichnungspflicht.
Zum anderen müssen sowohl Polizist*innen als auch Nicht-Polizist*innen bei unabhängigen
Polizeibeauftragten mit
Ermittlungsbefugnis die Möglichkeit haben, Fehlverhalten und Probleme zur Sprache zu
bringen.
4. Die Polizei ist aktuell nicht das Abbild unserer Gesellschaft, den Themen Rassismus und
Diversity wird in der Polizeiausbildung und der täglichen Arbeitsweise zu wenig Gewicht
eingeräumt. Sie müssen Teil einer Gesamtstrategie werden. Die Enthüllungen in den letzten
Jahren zeigen, dass sich in Teilen der
Polizei offenbar rechte, rassistische und gewaltbereite Strukturen entwickelt haben. Durch
diese Phänomene gehen der Polizei wichtige Teile gesellschaftlicher Akzeptanz und Wissen
verloren, das vor Ort helfen würde. Dies liegt auch daran, dass diese männlich und weiß
geprägte Institution von Insidern in dieser Form verteidigt wird. Hier müssen wir an den
Grundpfeilern, insbesondere in der Ausbildung ansetzen. Um für mehr Diversität bei den
Polizeikräften zu sorgen, müssen Polizeianwärter*innen aus weniger stark repräsentierten
Gruppen aktiv angesprochen und gefördert werden.
Verfassungsschutz und MAD
Durch die Geschichte von Verfassungsschutz und MAD zieht sich ein roter Faden an Skandalen.
Ob NSU, Breitscheidplatz oder Hannibal, diese Skandale sind mehr als Einzelfälle. Sie sind
vielmehr strukturell bedingt. Diese strukturellen Probleme lassen sich auch nicht mittels
kleiner Reförmchen lösen. Allein schon aufgrund der Tatsache, dass sich Verfassungsschutz
und MAD jeglicher ernstzunehmender
parlamentarischer Kontrolle entziehen, wird klar, dass Skandale nie ganzheitlich
aufzuarbeiten sind. Verfassungsschutz und MAD müssen deswegen abgeschafft werden. Wir
fordern einen Paradigmenwechsel mit folgenden Maßnahmen:
1. Bisher arbeiten Verfassungsschutz und MAD anhand der Extremismustheorie. Dabei reicht ein
Blick in die gängige wissenschaftliche Literatur um festzustellen, dass „Links“ und „Rechts“
nicht gleichzusetzen sind. Wir brauchen vielmehr im gesamten Sicherheitssystem eine Reform
hin zur Arbeit an konkreten Phänomenbereichen wie rassistischer, antisemitischer oder
LSBTIQ*- feindlicher Gewalt.
2. Der öffentliche Teil der Analysen vom Verfassungsschutz ist an den konkreten politischen
Agenden ausgerichtet. Darum wird auch keine Transformation in eine neue Behörde dieses
Problem lösen. Wissenschaftliche Institutionen, die wirklich unabhängig sind und deren
ausreichende Finanzierung gesetzlich geregelt ist, können hier wesentlich konkreter arbeiten
und langfristig wertvolle Analysen
liefern, sofern keinerlei personelle Überschneidung mit den alten Ämtern für
Verfassungsschutz besteht.
3. Der kleine Bereich der Gefahrenabwehr, der sich noch nicht mittels konkreter
Strafverfolgung und regulärer Polizeiarbeit verfolgen lässt, sollte von Spezialeinheiten mit
umfassender wissenschaftlicher Beratung erledigt werden, deren Einsatz sowohl richterlichem
Vorbehalt als auch ganzheitlicher
parlamentarischer Kontrolle unterliegt. Dies schließt ein, dass sich die Mitglieder der
parlamentarischen Kontrollgremien im Bund und in den Ländern vernetzen und austauschen
können müssen. Mit den derzeitigen Geheimhaltungsvorschriften ist dies nicht möglich, was
eine effektive parlamentarische Kontrolle insbesondere bei länderübergreifenden Maßnahmen
erschwert.
Kommentare
Mario Hüttenhofer: